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Es ist schon hell – auch im Walde. Der kleine ehemalige Feldinspektor Meier stapft wütend die Schneise entlang: die Koffer sind zu schwer, die Schuhe drücken, er hat zu wenig Geld, der Weg nach Grünow ist viel zu weit, er ist unausgeschlafen, der Kopf schmerzt wie sieben Affen – es gibt nur bescheidene Dinge, an die er denken kann.

Das Allerbescheidenste steht plötzlich, wie aus der Erde geschossen, am Wege, es ist der Leutnant.

Aber er ist ganz freundlich. »Morgen, Meier«, sagt er. »Ich wollte Ihnen doch noch adjüs sagen.«

Meier starrt ihn argwöhnisch an. »Also adjüs, Herr Leutnant!«

»Gehen Sie ruhig weiter. Nehmen Sie Ihre Koffer und gehen Sie weiter, wir haben ein Stück gemeinsamen Weg.«

Meier aber bleibt stehen. »Ich gehe ganz gerne alleine«, sagt er.

»Aber! Aber!« meint der Leutnant lachend. Sein Lachen klingt falsch, findet Meier, und seine Stimme flackert. »Sie werden doch keine Angst vor mir haben, jetzt, wo Sie sogar eine Pistole in der Tasche tragen.«

»Es geht Sie einen Dreck an, was ich in der Tasche trage!« schreit Meier gereizt, aber seine Stimme zittert.

»Eigentlich ja«, gibt der Leutnant zu. »Aber wichtig ist es doch für mich, weil ich nämlich nun nicht in Verdacht komme.«

»Wieso nicht in Verdacht komme –?« stottert Meier.

»Wenn Sie hier irgendwo tot im Walde liegen, Herr Meier«, sagt der Leutnant sehr höflich, aber bitterernst.

»Ich – tot – lächerlich …«, stammelt der kleine Meier aschfahl und späht in das Gesicht seines Gegenübers. »Ich hab Ihnen doch gar nichts getan, Herr Leutnant!«

Flehend, angstvoll späht er in das Auge des andern, aber darin ist nichts zu lesen, gar nichts, es glitzert kalt.

»Ihre Pistole und meine Pistole haben nämlich das gleiche Kaliber«, erklärt der Leutnant erbarmungslos. »Sie sind doch ein Riesenroß, Meier, daß Sie die Pistole eingesteckt haben … Und nun haben Sie auch noch den Lauf frisch beschossen … Ich treff aber besser als Sie, Herr Meier. Und ich steh jetzt so schön rechts von Ihnen, Nahschuß auf zwanzig Zentimeter in die rechte Schläfe … Jeder Schießsachverständige sagt Selbstmord, mein lieber Herr Meier. Und daheim die geplünderte Kasse … der Schuß auf das Mädchen – nein, nein, Herr Meier, machen Sie sich gar keine Gedanken, da gibt’s keinen Zweifel: alles spricht für Selbstmord.«

Der Leutnant redet und redet, er tut sehr überlegen, aber er ist wohl nicht so ruhig, wie er tut. Etwas anderes ist es, im Kampf oder in der Leidenschaft auf jemanden zu schießen, wieder etwas anderes, kaltblütig ein Opfer auf Grund von verstandesgemäßen Erwägungen abzuschlachten. Er zählt sich säuberlich noch einmal auf, daß er nichts »riskiert«, daß er die Sache nicht gefährdet, sondern rettet vor einem Verräter.

Und dabei wünscht er doch im stillen – Schießsachverständige hin, Risiko her –, daß der Meier hastig nach der Pistole in der Gesäßtasche griffe: ein rascher Schuß, mit dem der Leutnant ihm zuvorkommt, ist soviel leichter als der ruhige, kaltblütige Schuß in das graue, schon so klein und spitz gewordene Gesicht hinein.

Aber Meier denkt gar nicht an die Pistole in der eigenen Tasche, er stammelt: »Herr Leutnant, ich schwöre Ihnen, ich sage nie ein Wort von Ihnen und dem Fräulein Weio … Und auch nicht von dem Putsch … Ich halt’s, Herr Leutnant, ich hätt ja doch immer Angst, daß Sie mich erwischen, Sie oder einer von Ihren Leuten, ich bin ja doch feige … Bitte, schießen Sie nicht! Ich – schwöre Ihnen bei allem, was mir heilig ist …«

Seine Stimme versagt ihm, er schluckt und starrt angsterfüllt auf den Leutnant …

»Aber es ist Ihnen ja nichts heilig, Meier«, sagt der Leutnant. Er kann sich noch immer nicht entschließen. »Sie sind ja ein völliges Schwein, Meier.«

Der kleine Meier, der Negermeier, hat atemlos auf die Lippen des andern gestarrt, nun flüstert er hastig: »Ich kann mich doch noch ändern! Glauben Sie mir, Herr Leutnant, ich kann noch anders werden, ich bin ja noch jung! Sagen Sie, bitte, sagen Sie ja! Ich mache kehrt, ich gehe wieder nach Neulohe, ich gestehe dem Rittmeister, daß ich das Geld geklaut habe. Soll er mich ins Gefängnis schicken, ich geh gerne, ich will mich ja bessern, es soll ruhig schwer sein … bitte, bitte, Herr Leutnant!«

Der Leutnant schüttelt finster den Kopf. Ach, hätte er doch gar nicht erst mit diesem Kerl zu quatschen angefangen! Hätte er nur gleich losgemacht, ohne ein Wort, aber nun … es wird immer ekelhafter! Er ist ja nicht völlig verderbt, der Leutnant, er macht sich auch nichts vor, er weiß, er allein hat diesen jungen Bengel hereingerissen. Der muß sterben, weil er, der Leutnant, es nicht lassen konnte, mit der kleinen Prackwitz anzubändeln … Es ist schlimm, aber es hilft nichts, jetzt weiß der Meier viel zuviel, er ist zu gefährlich, noch viel gefährlicher, seit er die toddrohende Pistole auf sich gerichtet sah.

»Nehmen Sie die Koffer, Meier, wir gehen noch ein Stück!«

Keine Spur von Widerstand, gehorsam wie ein Schaf nimmt Meier die Koffer, sieht den Leutnant fragend an.

»Da rauf, die Schneise lang!« befiehlt der.

Meier mit den Koffern geht voraus. Er hat die Schultern eingezogen, als könne das den gefürchteten Schuß von hinten verhindern. Die Koffer sind nicht mehr schwer, die Schuhe drücken nicht mehr, er geht eilig, als könnte er dem Tod weglaufen, der hinter ihm drein geht.

Wenn es doch erst vorbei wäre! denkt der Leutnant, die Augen aufmerksam auf den Vorausgehenden gerichtet. Aber diese Schneise hier ist wirklich zu begangen. Besser, sie finden ihn erst in drei oder vier Tagen, wenn es keine Spur mehr von mir gibt …

Diese Gedanken ekeln ihn, sie haben etwas so Unwirkliches, etwas von einem wüsten Traum. Aber hier geht der Mann vor ihm, es ist noch ein lebendiger Mann, es ist also kein Traum, jede Minute kann es Wahrheit werden …

»Jetzt links rein, den Steig hoch, Meier!«

Gehorsam wie ein Schaf, ekelhaft! Ja, dort droben auf der Höhe wird er es tun, muß er es tun … ein Verräter bleibt ein Verräter ewig, Verräter ändern sich nicht, sie bessern sich nicht … es muß sein …

Was hat der Meier? Was schreit er? Ist er verrückt geworden?

Jetzt fängt er an zu laufen, er schreit immer lauter, er schmeißt die Koffer dem Leutnant vor die Füße …

Der reißt die Pistole hoch – zu spät, er muß ja aus nächster Nähe schießen, damit Selbstmord glaubhaft ist …

»Wir kommen ja schon, Herr Förster! Jawohl!« schreit Meier und läuft.

Da steht der Förster Kniebusch, neben ihm liegt ein verschnürter Mann in Blaubeerkraut und Moos.

»Gott sei Dank, daß Sie kommen! Ich konnte ihn wirklich nicht mehr weiterschleppen, meine Herren. Seit Stunden schleppe ich den Kerl …«

Förster Kniebusch ist ganz redselig, endlich ist er von diesem Alleinsein mit dem gefährlichen Kerl erlöst!

»Es ist der Bäumer aus Altlohe – du weißt doch, Meier, der Schlimmste von der ganzen Bande! Ich habe einen sehr guten Fang getan, Herr Leutnant, dieser Mann ist ein Verbrecher!«

Der Leutnant steht an einen Baum gelehnt, er ist ziemlich weiß im Gesicht. Aber er sagt ruhig: »Ja, Sie haben einen guten Fang getan, Förster. Aber ich –?«

Er starrt haßerfüllt auf den kleinen Meier. Der erwidert den Blick – trotzig, triumphierend …

»Na, denn guten Morgen und angenehme Verrichtung!« sagt der Leutnant plötzlich, dreht sich um und marschiert wieder den Waldweg zur Schneise hinunter. Als er bei den beiden Koffern ankommt, die dort weggeworfen liegen, kann er es nicht lassen: er tritt erst nachdrücklich auf den einen, dann auf den andern Koffer.

»Nanu!« sagt der Förster verwundert. »Was hat denn der? Warum ist denn der so komisch? Hat der Ärger gehabt mit seiner Versammlung? Ich habe doch alle ordentlich bestellt. Verstehst du das, Meier?«

»O ja!« sagt der kleine Meier. »Das versteh ich schon. Der hat ’ne schöne Wut auf dich!«

»Auf mich!« wundert sich der Förster. »Aber warum denn?!«

»Weil du nicht den Bock geschossen hast, den Bock, weißt du, für das gnädige Fräulein, weißt du!« sagt Meier. »Na, komm man, Kniebusch, jetzt gehen wir zusammen auf den Hof, und ich spann den Jagdwagen an, und wir holen den Kerl und meine Koffer …«

»Deine Koffer –? Sind denn das deine Koffer? Reist du denn?«

»Ach, i wo … Das sind doch die Koffer von dem Leutnant. Ich erzähl dir schon alles. Komm jetzt, wir gehen lieber nebeneinander, so hintereinander, da erzählt es sich nicht gut …«

Wolf unter Wölfen
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