8

Unangefochten erreicht Pagel das Tor der Zeckeschen Villa. Als er es aufzieht, steht ein Mädchen davor, ein Mädchen mit einem drängenden Fox an der Leine, mit sehr rotem Gesicht.

»Gott, stehen Sie noch immer da, Fräulein?!« ruft er entsetzt. »An Sie hatte ich gar nicht mehr gedacht.«

»Hören Sie!« sagt sie, und ihr Zorn hat durch das Warten in der Sonne nichts von seiner Hitze verloren. »Hören Sie!« sagt sie und hält ihm die Scheine hin. »Wenn Sie denken, daß ich so eine bin, danke, pfui Deibel! Nehmen Sie Ihr Geld!«

»Und noch dazu so wenig!« sagt Pagel, völlig unbekümmert. »Nicht einmal ein Paar Seidenstrümpfe können Sie sich dafür kaufen … Nein«, sagt er rasch. »Ich will Sie nicht mehr auf den Arm nehmen, hören Sie mal zu, ich möchte Sie sogar um Rat fragen …«

Sie steht da und starrt ihn an, die Scheine in der einen, die Leine mit dem zerrenden Fox in der andern Hand, völlig verblüfft über seinen veränderten Ton. »Hören Sie –!« sagt sie noch einmal, aber die Drohung ist nur schwach.

»Gehen wir hier lang?« schlägt Pagel vor. »Also los! Seien Sie nicht albern, kommen Sie ein Stück mit, Lina, Trina, Stina. Ich kann Ihnen hier auf offener Straße doch nichts tun, und verrückt bin ich auch nicht …«

»Ich habe keine Zeit«, sagt sie. »Ich müßte längst zu Hause sein. Die gnädige Frau …«

»Erzählen Sie der Gnädigen, Schnaps ist ausgerissen, und hören Sie jetzt zu. Ich war da eben drin bei dem feinen Kerl in der Villa, Schulkamerad von mir, wollte mir Geld pumpen …«

»Und da stecken Sie Ihr Geld meinem Hund …«

»Seien Sie keine Gans, Miezi!«

»Liesbeth!«

»Hören Sie zu, Liesbeth! Natürlich habe ich nichts gekriegt – weil Sie mit meinem Geld vor der Türe standen! Man kriegt nämlich kein Geld, solange man noch was hat, und darum hatte ich es Ihrem Hund in das Halsband gesteckt. Kapiert –?«

Aber bei ihr geht es erheblich langsamer. »Da sind Sie mir also gar nicht schon eine Woche lang nachgelaufen, und einen Brief haben Sie auch nicht reingesteckt? Ich dachte, der Hund hätte ihn verloren …«

»Nee, nee, Liesbeth«, grinst Pagel zwar frech, aber jämmerlich ist ihm doch zumute. »Kein Brief – und mit dem Geld wollte ich Ihnen auch nicht Ihre Reinheit abkaufen. Aber die Frage, die Sie mir nun beantworten sollen, ist die: Was soll ich jetzt tun? Keinen Pfennig mehr. Eine Bude am Alex, für die die Miete nicht bezahlt ist. Meine Kleine sitzt als Pfand drin, nur mit meinem Sommerpaletot bekleidet. Alle Sachen habe ich verkauft, um hierherzukommen.«

»Ernst?« fragt das Mädchen Liesbeth. »Kein Quatsch mehr?«

»Kein Quatsch mehr! Völliger Ernst!«

Sie sieht ihn an. Sie wirkt unglaublich frisch gewaschen und sauber – trotz der Hitze –, es riecht gewissermaßen nach Sunlichtseife um sie. Vielleicht ist sie nicht mehr ganz so jung, wie er zuerst dachte, außerdem hat sie ein recht energisches Kinn.

Sie weiß jetzt, daß es wirklich Ernst ist. Sie sieht ihn an, dann auf das Geld in der Hand.

Gibt sie es mir jetzt wieder? überlegt er. Dann muß ich zu Peter und muß etwas tun. Aber was ich tun soll, weiß ich wirklich nicht. Ich habe zu nichts mehr Lust. Nein, sie soll mir sagen, was ich tun soll …

Sie hat das Geld glattgestrichen und in die Tasche gesteckt.

»So«, sagt sie, »nun kommen Sie erst mal mit mir. Nach Haus muß ich jetzt – und Sie sehen mir auch so aus, als könnten Sie ein Mittagessen in unserer Küche gebrauchen. Ganz grün und gelb sehen Sie aus. Die Köchin sagt nichts, und die gnädige Frau ist auch einverstanden. Aber zu denken, daß Ihre Freundin in Ihrem Sommerüberzieher auf Ihrer Bude sitzt, und ’ne knuffige Wirtin womöglich dazu, und vielleicht nichts im Magen – und so was steckt Hunden Geld in das Halsband und möchte gleich wieder von frischem anbändeln – Scheißkerle seid ihr Männer doch!«

Sie hat immer rascher geredet, den Hund gezerrt, ist eiliger gegangen, aber keinen Augenblick war sie unsicher, ob er auch mit ihr ging.

Und er ging wirklich mit, Wolfgang Pagel, Sohn eines nicht unbekannten Malers, Fahnenjunker a. D. und Spieler am Ende.

Wolf unter Wölfen
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