8

Was die Verhandlungen im Schloß so sehr erschwerte, das waren die ermordeten Gänse. Nicht die Tatsache, daß sie standrechtlich wegen Felddiebstahls erschossen worden waren – diese Nachricht hatte der alte Elias natürlich ganz ungewöhnlich, ganz unwürdig eilend noch vor der gnädigen Frau in das Schloß getragen – die war also bekannt. Nein, die Leichname der Ermordeten selbst, ihre entflohenen Seelen, ihre Gespenster geisterten immer von neuem durch die tränenreichen Verhandlungen.

Da saßen sie oben zu viert in dem Zimmer der gnädigen Frau, das so angenehm sommerlich grün verhangen war von hohen Lindenkronen. Das helle Klingling der Maurerhämmer war verhallt, die Tür war zugemauert und das Kreuz nach einer von Herrn Studmann im Vorübergehen hastig geflüsterten Weisung rot übermalt worden. Der alte Geheimrat trieb sich noch immer in seinen Kiefernkuscheln herum und wußte gottlob von nichts, so daß man Zeit hatte, die alte gnädige Frau zu beruhigen und versöhnlich zu stimmen …

Und Frau von Teschow saß jetzt auch schon gefaßter in ihrem großen Armsessel und führte nur noch selten ihr Tüchlein an die alten, so leicht und mühelos weinenden Augen. Das Fräulein Jutta von Kuckhoff sprach ab und an ein gesalzenes oder ungesalzenes Sprichwort, lieber aber ein gesalzenes. Der Herr von Studmann saß mit einem sehr geziemenden, verbindlichen und ein wenig betrübten Gesicht dabei und warf dann und wann ein kluges Wort ein, sanft wie Wundbalsam …

Und Frau Eva von Prackwitz hockte vor ihrer Mutter, zu ihren Füßen, auf einer Art Schemelchen, und hatte schon so durch die Wahl ihres Sitzplatzes klug angedeutet, wie völlig sie sich ihrer Mutter unterordnete. Sie bewies, daß sie das Hauptstück aus jedem Ehekatechismus in- und auswendig wußte, daß es meistens nämlich die Ehefrauen sind, die für die Sünden, Laster und Dummheiten ihrer Ehemänner zu büßen haben. Nicht einen Augenblick vergaß sie den Satz, den sie Herrn von Studmann beim Fortgehen aus der Villa gesagt hatte, daß sie nämlich retten wollte, was noch zu retten war. Und ohne Wimperzucken ließ sie sich von ihrer Mutter nicht nur Dinge sagen, die einer Frau nicht soviel ausmachen, wie nämlich über den Gänsemord, das Backsteinkreuz, die Zuchthäusler oder den Rittmeister. Sondern auch Dinge, die eine Frau nicht einmal von ihrer Mutter ertragen mag: also über die Erziehung der Violet, ihren Verbrauch an seidener Unterwäsche, ihre verschwenderische Neigung für Hummer (»Aber, Mama, es sind ja bloß japanische Taschenkrebse!«), über ihren Lippenstift, über ihre Neigung zum Starkwerden und ihre viel zu tiefen Blusenausschnitte …

»Gewiß, Mama, ich werde mehr darauf achten. Du hast sicher recht«, sagte Frau von Prackwitz gehorsam.

Sie war eine Heldin, Herr von Studmann gab es sich unumwunden zu. Sie zuckte nicht, und sie zögerte nicht. Sicher fand sie des Siegers Joch nicht leicht, aber davon ließ sie sich nichts anmerken. Doch für wen, fragte sich der aufmerksam dabeisitzende Herr von Studmann, für wen ertrug sie diese bitteren Demütigungen? Für einen Mann, der es nie verstehen würde, der heute abend, wenn alles glücklich wieder eingerenkt wäre, triumphierend behaupten würde: »Na also, habe ich es dir nicht gleich gesagt!? Geplärr wegen gar nichts! Das wußte ich doch, aber du mußt dich immer anstellen und kannst nie auf mich hören.«

Es war erschrecklich, wie rasch eine lange Kameradschaft aus Friedens- und Kriegsjahren sich in diesen Zeiten, unter diesen Verhältnissen auflöste! Herr von Prackwitz war sicher nie ein besonders glänzender, ein sehr befähigter Offizier gewesen. Das hatte Herr von Studmann auch nie geglaubt. Aber er war ein zuverlässiger Kamerad gewesen, ein mutiger Mann und ein angenehmer Gesellschafter. Und was war davon geblieben –? Er war nicht zuverlässig – er schickte seine Beamten gegen Felddiebe aus, aber wenn die Diebe gefaßt waren, drückte er sich in ein Gebüsch. Er war nicht mehr Kamerad – er war nur noch Vorgesetzter, und ein ungerecht nörgelnder Vorgesetzter dazu. Er war nicht mehr mutig, lieber ließ er seine Frau allein zu einer unangenehmen Auseinandersetzung gehen. Er war keine angenehme Gesellschaft mehr – er sprach nur noch von sich, von den Kränkungen, die er erlitt, von den Sorgen, die er hatte, von dem Geld, das ihm knapp war.

Und während Herr von Studmann bei sich diese Betrachtungen anstellte, während er sich zugab, daß alle diese schlimmen Eigenschaften des Rittmeisters von Prackwitz in der Wurzel schon früher bei ihm vorhanden gewesen waren, daß die Ungunst der Zeiten sie nur so üppig in den Halm hatte schießen lassen – während alldem hatte Herr von Studmann ein anderes Bild vor Augen. Da saß diese Frau des Rittmeisters, und wo der Mann feige war, war sie mutig. Wo er nur an sich dachte, blieb sie Kamerad. Oben saß die alte Frau, ein dürrer, trockener kleiner Vogel mit einem spitzen Schnabel, mit dem sie hacken konnte, und unten saß die junge blühende Frau. Ja, sie war noch jung, sie blühte, das Land wollte ihr wohl, sie war reif wie goldfarbener Weizen, ein Reiz lag über ihr – sie war reif! Als die alte Frau von den tiefen Blusenausschnitten gesprochen hatte, war es dem Oberleutnant doch geschehen, daß er einen raschen Blick auf die sanft atmende Bastseide geworfen und den Blick gesenkt hatte, wie ein erwischter Unterprimaner –!

Oh, Herr von Studmann sah nur Vorzüge an dieser Frau – je verzerrter, je fehlerhafter er des Rittmeisters ehemals freundschaftliche Figur sah, um so fehlerloser sah er die Frau. Theoretisch gab er zu, daß sie eine Frau, ein Mensch war, und also fehlerhaft wie alles Menschliche – ja, sie mußte auch ihre Schattenseiten haben. Aber er hätte seinen ganzen Kopf durchsuchen können, er hätte nichts an ihr auszusetzen gefunden –! Für ihn war sie fehlerlos geworden, ein Bote des Himmels – aber an wen? An einen Narren! An einen Wirrkopf!

Wie sie alles nicht nur schweigend ertrug, nein, noch dazu lächelte, noch darauf antwortete, versuchte, aus der Bußpredigt der Mutter einen Dialog zu machen, ein Gespräch, den alten Haufen Gift aufzumuntern! Ach, sie tut es ja gar nicht für ihren Mann, dachte Herr von Studmann plötzlich. Sie tut es nur für ihr Kind! Über ihren Mann kann sie gar nicht anders als ich denken, sie hat ja eben erst auf der Diele gesehen, wie er ist! Mit ihrem Mann kann sie überhaupt nichts mehr verbinden. Es ist nur noch die Tochter, Violet … Und natürlich möchte sie sich das Gut erhalten, auf dem sie groß geworden ist …

Von der Verurteilung des Freundes bis zu seinem Verrat war nur ein Schritt. Aber es muß Herrn von Studmann zugute gehalten werden, daß er nicht klar über diese Dinge nachdachte. Der Lehrer wäre über den Abgrund im eigenen Herzen erschrocken. Herr von Studmann dachte nicht, er sah nur. Er sah diese blühende Frau, ein wenig tiefer sitzend als er, wie das Haar über dem Nacken hochgebunden war, wie der Nacken sich straffte, sich beugte. Die schönen, weißen Schultern, die unter der Bastseide der Bluse verschwanden. Sie bewegte einen Fuß, und die Fessel im Seidenstrumpf war schön. Sie hob die Hand, leise klimperten die Armbänder, und der Arm war voll und makellos weiß – es war die Eva, die alte ewig junge Eva.

Sie hatte seine Fähigkeit, nachzudenken, zu zergliedern, sich Rechenschaft abzulegen, gelähmt. Herr von Studmann war über fünfunddreißig Jahre alt, er hatte nicht mehr geglaubt, daß er dieses noch einmal erleben würde, in solcher Frische, mit solcher Gewalt. Ja, er wußte noch nicht einmal, daß er dies erlebte. Er saß untadelig dabei, sein Auge verriet nichts, sein Wort blieb bedacht und maßvoll – aber es saß in ihm!

Wenn nur diese verfluchten Gänseleichen nicht gewesen wären! Immer von neuem geistern die Gespenster der Erschlagenen in die sich langsam beruhigende Unterhaltung hinein, machen die Tränen der alten Frau neu fließen! Immer von neuem klopfen der Diener Elias, die Mamsell, die Geflügel-Backs an: der Diener von der Villa sei da mit den toten Gänsen – wohin sie damit sollten? Immer von neuem macht Hubert Räder einen Ansturm aufs Schloß, sooft er auch zurückgewiesen wird. Immer an einer andern Stelle macht der undurchschaubare Intrigant aus der Bedientenstube einen weiteren Versuch, die Leichen zu übergeben – und trägt neuen Zündstoff herbei.

Auf einen flehenden Blick von Frau Eva entschließt sich Herr von Studmann. Er verläßt das Zimmer seiner Bezauberung, und über die Schwelle geschritten, aus der Sicht der Frau, ist er wieder der kühle, überlegte Geschäftsmann, mit allen Dienstbotenschlichen aus mehrjähriger Hotelpraxis vertraut.

Er findet das Souterrain des Schlosses in einer Art Verteidigungszustand. Nachdem der Diener Räder bereits bei jedem der dort Beschäftigten vergeblich versucht hat, die Ermordeten abzugeben, unternimmt er es anscheinend, sich ihrer heimlich zu entledigen, sie auf Fensterbrettern, vor Kellertüren niederzulegen. Nur vereitelt die Wachsamkeit der Einwohner jeden derartigen Versuch. Aber hartnäckig wie ein Maulesel, völlig unbegreiflich umrundet Hubert Räder, gefolgt von einem Tagelöhner, der die Karre mit den Opfern schiebt, von neuem das Schloß, grau, fischig, kalt späht er nach einem offenen Fenster, erwägt die Möglichkeit des Hühnerstalles …

Diesem Unfug macht Herr von Studmann ein Ende. Er schickt die Schloßbediensteten an ihre Arbeit und kauft sich den Knaben Räder. Aber Herr Räder ist unbegreiflich kühl und abweisend. Er scheint Herrn von Studmann nicht für voll anzusehen. Er habe von Herrn Rittmeister den strikten Auftrag, die Gänse hier im Schloß abzugeben – bei Verlust seiner Stellung! Und auch die gnädige Frau habe diesen Auftrag bestätigt.

Umsonst versichert Herr von Studmann, daß er eben von der gnädigen Frau mit dem Befehl komme, sofort mit den Gänsen zu verschwinden. Hubert Räder ist nicht geneigt, dies als eine Löschung des rittmeisterlichen Auftrages anzusehen. Wo er übrigens mit den Gänsen hin solle? In die Villa? Herr Rittmeister würde ihn auf der Stelle hinausfeuern.

Herr von Studmann müßte eigentlich den Diener Räder für einen sehr getreuen Diener ansehen, er findet ihn aber nur ekelhaft widerborstig. Herr von Studmann möchte wieder hinauf in das große grün-goldene Zimmer. Er muß wissen, was dort verhandelt wird – und hier steht er nun schon fünf Minuten und redet auf diesen Esel ein!

Schließlich befiehlt er Abmarsch bis zum Beamtenhaus; der Tagelöhner folgt, mit der Karre quietschend. Aus dem Souterrain des Schlosses starren alle Gesichter der Prozession nach, protestierend folgt der Diener Räder – Herr von Studmann fühlt, daß er eine etwas lächerliche Figur ist.

Auf dem Büro ergreift Studmann das Telefon. »Ich werde jetzt mit Herrn Rittmeister sprechen«, sagt er milder. »Sie sollen keine Angst um Ihre Stellung haben müssen!«

Er dreht an der Kurbel. Kühl bis ans Herz hinan steht der Diener Räder dabei. In der Villa meldet sich niemand. Herr von Studmann dreht die Kurbel des Telefons eifriger, er kann nicht umhin, wütende Blicke auf den Diener Räder zu werfen. Aber an den sind sie verloren, der Diener Räder beobachtet das Spiel der Fliegen um den geleimten Fliegenfänger. Als sich schließlich doch jemand in der Villa meldet, ist es die Köchin Armgard, die mitteilt, daß der Rittmeister mit dem gnädigen Fräulein aufs Feld gegangen sei. Der Diener Räder sieht aus, als habe er dies Ergebnis erwartet.

»Also bringen Sie die Gänse in die Villa, Herr Räder«, sagt Herr von Studmann milde. »Sie können sie irgendwo in den Keller legen. Ich regle die Sache mit Herrn Rittmeister – Sie brauchen keine Angst zu haben!«

»Ich soll die Gänse im Schloß abgeben, sonst fliege ich«, erklärt Hubert Räder unbeugsam.

»Also lassen Sie die Gänse meinethalben hier im Büro!« ruft Herr von Studmann ärgerlich. »Weg müssen die Biester, und sollte ich sie noch einmal umbringen müssen!«

»Verzeihung«, widerspricht der Diener Räder höflich, »aber ich soll die Gänse im Schloß abgeben.«

»Zum Donnerwetter!« ruft Herr von Studmann ärgerlich ob solcher Widerborstigkeit.

»Zum Donnerwetter!« brüllt vor der Bürotür eine gewaltigere, schimpfgeübtere Stimme los. »Was ist hier mit meinen Gänsen?! Was ist mit meinen Gänsen auf deiner Schubkarre?! Wer hat mir meine Gänse umgebracht!?«

Herr von Studmann läßt den Diener stehen, wo er steht, und ist mit drei Sätzen aus dem Büro. Draußen steht der alte Geheimrat von Teschow, scharlachrot vor Wut. Er brüllt wie ein angeschossener Löwe, er schwingt seinen Knüppel, er bedroht den Gutsmaurer Tiede, der mit machtlos verhallenden Sprüchen ausweicht.

»Ich bitte, Herr Geheimrat«, sagt Herr von Studmann mit all jener mühsam erlernten Ruhe, die ihn auch der hysterischsten Hotelbesucherin gegenüber nicht verlassen hatte. »Der Mann hat mit den Gänsen gar nichts zu tun. Ich werde …«

»Haben Sie meine Gänse totgeschlagen! Meinen Attila?! Ich werde Sie lehren, mein Söhnchen! Auf der Stelle machen Sie, daß Sie von meinem Hof herunterkommen! – Lassen Sie meinen Stock los, Herr –!«

Der Stock war in gefährlicher Nähe von Studmanns Gesicht gewesen. Herr von Studmann aber war nicht zurückgewichen, mit raschem Griff hatte er den Stock gefaßt und hielt ihn eisern fest.

»Ich bitte, Herr Geheimrat«, bat er, während der andere, nun schon blau werdend, an dem Stock zerrte, »hier vor den Leuten –!«

»Die Leute sind mir scheißegal!« röchelte der Alte. »Haben Sie sich vor den Leuten geniert, mir meine Gänse totzuschlagen?! Aber ich sage Ihnen, nicht eine Stunde mehr dulde ich Sie auf diesem Hof –! Kommt aus Berlin, denkt, er ist wer weiß wie klug, schwatzt wie ’n Linksanwalt …«

Ach, der alte Geheimrat! Er war ja so froh, daß er diesem Studmann die mehrfach erlittenen Niederlagen heimzahlen konnte! Daß er ihn im Feuer eines halb gespielten Zornes beschimpfen durfte! Er war ja viel zu schlau, wirklich zu glauben, Herr von Studmann hätte seine Gänse erschlagen. Aber er konnte doch so tun, als glaubte er es, um volle Schimpffreiheit zu haben –!

Herr von Studmann aber, der lange nicht alle Zusammenhänge dieses Gänsemassakers kannte, hielt dem alten Herrn wohl einen gewaltigen Zorn zugute, fühlte dabei aber, daß nicht alles an diesem Zorn echt war. Er ließ plötzlich den Stock los und sagte mit aller Bestimmtheit, was der alte Herr ja doch erfahren mußte: »Sie irren sich, Herr Geheimrat. Ihr Schwiegersohn hat auf die Gänse geschossen. Es sollte nur ein Schreckschuß sein, leider aber …«

»Sie lügen!« schrie der alte Herr noch zorniger. »Das lügen Sie in Ihren Hals hinein –!«

»Ich nehme jedenfalls an, es sollte ein Schreckschuß sein …«, sagte Herr von Studmann, blaß werdend.

»Mein Schwiegersohn –?! Sie lügen ja! Ich bin eben mit meinem Schwiegersohn eine halbe Stunde in der Forst zusammen gewesen, und mein Schwiegersohn hat mir kein Wort von den Gänsen gesagt! Wollen Sie behaupten, mein Schwiegersohn lügt, mein Schwiegersohn ist feige –! Nein, Sie lügen, Sie sind feige –!«

Herr von Studmann, schneeweiß im Gesicht, hatte wirklich die allergrößte Lust, hier auf der Stelle kehrtzumachen, seine Koffer zu packen und in geruhigere Gefilde abzureisen – etwa nach Berlin. Oder dem alten Herrn so gefährlich auf die Zehen zu treten, daß er auf der Stelle umkippte. Da stand der Maurer Tiede und war mit offenem Mund und kreisförmigen Naslöchern das Lauschen in Person; auf dem Büro der Diener Räder war nicht sichtbar, hörte aber bestimmt alles. Und ganz dicht, gleich hinter den nächsten Büschen, war das Schloß, und fraglos war auch dies gut mit Ohren gefüllt. Der tobende Greis wurde immer beleidigender, aber Herr von Studmann hatte das untrügliche Gefühl, daß dieser Greis nur tobte, um beleidigen zu können, daß er die Wahrheit kannte.

Wirklich, Herr von Studmann hatte alle Neigung, seine Fähigkeiten einem fruchtbareren Acker zuzuwenden – trug er doch sogar einen Brief mit einem derartigen Angebot seit zwei Tagen in der Tasche! Und die Nachricht, daß der Rittmeister seinem Schwiegervater nichts von dieser neuesten Heldentat berichtet hatte, trug nicht dazu bei, seine Neigung zum Weggang zu verringern! (Er zweifelte keinen Augenblick daran, daß der alte Herr in diesem Punkt die Wahrheit gesagt hatte: er hatte den Schwiegersohn wirklich im Wald getroffen, und der Rittmeister hatte kein Wort gesagt.)

Wenn also Herr von Studmann doch nicht zum Kofferpacken auf sein Zimmer im Beamtenhaus ging, wenn er statt dessen kurzerhand von den toten Gänsen und dem tobenden Greis fort auf das Schloß zuging, so bestimmte ihn dazu nicht die Freundestreue, auch nicht die Erinnerung an die schöne, hilflose Frau dort oben. Auch nicht Pflichtgefühl. Sondern allein die jedem rechten Mann angeborene Widerbockigkeit: er fühlte, der Alte wollte ihn weggraulen, für immer und ewig. Darum blieb er. Er ging, wenn es ihm paßte, nicht, wann der wollte. Nun grade nicht! (Spricht jeder Mann.)

»Herr!« schrie der alte Geheimrat, »was wollen Sie da? Was wollen Sie in meinem Park? Ich verbiete Ihnen meinen Park …!«

Herr von Studmann ging wortlos weiter. Jetzt war Herr von Teschow im Nachteil. Sollten seine Bannflüche den Verbrecher erreichen, mußte er ihm nacheilen. Im Laufen schimpft es sich für einen an sich schon kurzatmigen Mann schlecht. Zwischen den einzelnen Atemstößen schrie der Geheimrat: »Ich verbiete Ihnen – meinen Park – Sie haben mein Haus nicht zu betreten! – Elias, du läßt ihn nicht rein! – Es ist Hausfriedensbruch! – Laß ihn nicht die Treppe rauf!«

Klapp! fiel oben die Tür zum Zimmer seiner Frau zu.

Seinem Elias winkend, flüsterte der alte Herr fast ganz normal: »Was will er denn da?«

»Die junge gnädige Frau ist oben«, flüsterte Elias zurück.

»Hausfriedensbruch!« brüllte der Geheimrat noch einmal. Es war der Kanonenschuß, der den Rückzug decken sollte. »Schon lange?« flüsterte er gleich wieder.

»Über zwei Stunden.«

»Und Frau von Teschow?«

»Gott, gnädiger Herr, sie weinen ja wohl alle beide …«

»Verdammt!« flüsterte der Alte.

»Papa!« rief es von oben sachte zu ihm hinunter, »willst du nicht zu uns heraufkommen?«

»Denke nicht daran!« schrie er. »Muß meinen Attila begraben! Gänsemörder, verdammte!«

Tripptrapptreppe! Ihre Schuhe kamen so rasch die Treppe hinab, als sei sie noch immer siebzehn, als lebe sie noch in seinem Haus, in jener fernen, glücklichen Zeit …

»Papa!« sagte sie und faßte ihn unter den Arm. »Ich brauche doch deine Hilfe.«

»Helfe keinen Mördern!« Und aufwallend: »Der Kerl soll raus aus dem Haus, ich tue keinen Schritt, solange der Kerl noch oben ist!«

»Also, Papa, komm!«

Schon setzte er den ersten Fuß auf die Treppe.

»Du weißt ganz genau, daß Herr von Studmann der anständigste und hilfsbereiteste Mann ist. Vor mir mußt du dich nicht verstellen!«

Es klang etwas anderes in diesen letzten Worten mit, ein fremder, trauriger Ton.

Der alte Herr sagte: »Man sollte nicht alt werden, Evachen.« Und wütend über die Schulter: »Elias, wenn Herr von Prackwitz, mein sogenannter Schwiegersohn, kommt, sagst du ihm, ich sei nicht für ihn zu sprechen! Er soll sich gefälligst eine andere Pachtung suchen – und das heute noch!« Leise zu seiner Tochter: »Evachen, du denkst, du kannst mit mir machen, was du willst. Aber nur, wenn der Herr Schwiegersohn aus Neulohe wegkommt, verstanden –?!«

»Wir werden alles in Ruhe bereden, Papa«, sagte Frau Eva.

»Jawohl, bereden möchtste mich, Evchen«, knurrte der Alte und drückte ihren Arm.

Wolf unter Wölfen
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