6

»Ja, du sagst ach!« sagte die alte Frau Krupaß ganz freundlich und schlug ächzend ein Bein über das andere, wobei ersichtlich wurde, daß sie nicht nur ganz unmodern lange, faltenreiche Röcke trug (und es gab sogar noch einen Unterrock unter dem Rock), sondern auch völlig unmögliche, dicke, selbstgestrickte Wollstrümpfe, jetzt mitten im Sommer.

»Du sagst ach!, Kindchen, und recht hast du! Denn wie soll so ein hübsches, junges Ding solchen alten Kehrbesen wie mich vertreten können – und wie ’ne olle Puffmutter und Schlafbosten seh ich auch noch aus, was –?!«

Petra schüttelt verlegen, aber doch lächelnd den Kopf.

»Aber recht hast du doch nicht, Kindchen. Und warum hast du nicht recht? Darum, weil du auf den Kassenblock geschrieben hast bei den Schuhen und rechnen kannst, und Augen hast du auch im Kopf, die sehen, was sie ansehen. Das habe ich mir doch gleich gesagt, wie du hier reinkamst in die Zelle; kieke, habe ich gesagt, endlich mal wieder eine, die Anseh-Augen hat, nicht solche Plieraugen wie bei den Kälbern heute: überall und nirgend …«

»Habe ich wirklich solche Augen?« fragte Petra neugierig, denn auf den Gedanken, daß sie andere Augen als die andern haben könnte, hat sie ihr Spiegel noch nicht gebracht, und Wolfgang Pagel hat ihr das auch noch nicht gesagt, obwohl er ihre Augen doch schon dann und wann zu fühlen bekommen hatte.

»Wenn ich es dir doch sage!« erklärte die Krupaß. »Auf Augen habe ich gelernt in der Fruchtstraße, wo ich fünfzig, sechzig Leute gehen habe, und alle lügen sie mich an mit dem Mund, aber mit den Augen lügen, das können sie nun doch nicht! Und ich sitze hier in diesem elenden Wanzenstall und grübele und sinniere, was es mir dieses Mal einträgt, und ich möcht ja glauben, drei Monate, aber es wird schon ein halbes Jahr werden. Killich sagt auch, ein halbes Jahr, und Killich irrt sich selten und muß es wissen, denn der ist mein Rechtsbeistand …«

Petra sieht etwas fragend drein, aber die Alte nickt energisch mit dem Kopfe und sagt: »Das kommt alles noch. Du erfährst alles zu seiner Zeit, Kindchen. Und wie du vorhin ach! gesagt hast, kannste nachher nee sagen, da mach ich mir nichts draus. Bloß, du sagst es nicht …«

Sie sieht so sicher und so energisch und dabei doch wieder gutmütig aus, daß Petra erst einmal wirklich alle Bedenken aufgibt, die ihr bei so frommer Fügung in eine Gefängnisstrafe aufsteigen wollen.

Frau Krupaß aber fährt fort: »Und da sitze ich also und denk: sechs Monate Kittchen sind ja soweit ganz gut, Ruhe brauchst du auch einmal wieder – aber was wird mit dem Geschäft, noch dazu in diesen Zeiten? Der Randolf ist reell, aber mit dem Rechnen ist er schwach, und jetzt, wo alles gleich in die Millionen geht, und dann bloß Schiefertafel und Kreide – das geht nicht, Kindchen, das siehst du auch ein!«

Und Petra sieht es ein und nickt mit dem Kopf und schüttelt ihn, ganz wie es Frau Krupaß hören will, obwohl sie noch gar nicht klarsieht.

»Ja, da sitze ich also und grübele über Stellvertreter, was ein schönes Wort ist, bloß, daß sie alle klauen wie die hungrigen Raben, und keiner denkt an die olle Frau im Kittchen. Da aber kommst du nun rein, Kindchen, und ich seh dich und deine Augen. Und ich seh ja, was mit euch beiden los ist, und ich hör ja, was sie dir vorschmeißt – und dann die Attacke auf mich und das Ziepen an den Haaren und das In-Decken-Wickeln – und alles ordentlich gemacht, ohne Zorn und doch nicht wie Heilsarmee …«

Petra sitzt ganz still und verzieht nicht das Gesicht. Aber es tut einem jeden Menschen gut, wenn sein Tun ein bißchen Anerkennung findet, und einem geschlagenen, herumgestoßenen Menschen tut es besonders gut.

»Ja, da habe ich gedacht, die ist richtig, die wär was für dich. Aber so was steckt natürlich in Kittchenkluft, so was wird nicht gereicht. Das mach dir bloß ab, Mutter Krupaß. Die flickt noch Hemden, wenn du schon längst wieder draußen bist. – Und dann hör ich, was du erzählst, und es ist ja wohl nicht die Möglichkeit, denke ich, das Kind müssen sie dir ja direkt aus dem Himmel geschickt haben in deine Verlassenheit …«

»Mutter Krupaß!« sagt Petra zum zweitenmal.

»Na ja, natürlich Mutter Krupaß, wie denn sonst?« sagt die Alte ganz vergnügt und schlägt Petra derb aufs Knie. »Hab ich dir vorhin ordentlich Saures gegeben, was?! Na, laß man, das macht nischt. Mir haben sie in meiner Jugend so viel Saures gegeben und später auch noch, nicht zu knapp, wie die Jungen im Krieg gefallen sind, und mein Oller hat sich aus Schwermut aufgebammelt. Aber nicht bei mir in der Fruchtstraße, da war er schon in Dalldorf, was jetzt Wittenau heißt – laß man, denk ich, sauer macht lustig …«

Sie lehnt sich vor, sie sieht Petra mit ihren überbuschten Augen an. »Aber sehr lustig bin ich nun auch wieder nicht, Kindchen, das verstehst du? Das sieht man bloß so aus – im ganzen finde ich den Betrieb ziemlich belämmert …«

Und Petra nickt, vollständig einverstanden, mit dem Kopf, und ihr ist ganz klar, daß mit dem Betrieb nicht das Polizeipräsidium Alexanderplatz gemeint ist. Sie versteht vollkommen die Einstellung der Mutter Krupaß, daß man das Leben ziemlich belämmert finden kann und doch nicht den Kopf hängenläßt. Sie hat ja eine ziemlich ähnliche Einstellung, und wenn man solche Sympathie entdeckt, ist man immer erfreut.

»Jaha – aber den Betrieb führ ich darum doch weiter, der hält mich lebendig. Und wenn man sich nicht lebendig hält und was schafft, Kindchen, das ist nichts, da verfault man bei lebendigem Leibe. Und so wie du das gemacht hast, immer hocken in der möblierten Stube, und vielleicht mal, wenn’s viel ist, ein bißchen Aufwasch für die möblierte Schlummermutter, das ist kein Leben, Mädchen, davon muß jede doof und trübsinnig werden …«

Und wieder nickt Petra mit dem Kopf, und wieder findet sie, daß Frau Krupaß völlig recht hat und daß es ganz unmöglich ist, zu dem alten Leben bei der Pottmadamm zurückzukehren. Und jetzt hätte sie bloß gerne gewußt, was für eine Arbeit denn Frau Krupaß so frisch und lebendig erhalten hat, und sie wünscht aus ganzem Herzen, daß es irgendeine Arbeit ist, die anständig und zu verantworten ist.

Und da sagt Frau Krupaß auch schon: »Und nun will ich dir auch sagen, Kindchen, was ich für ein Geschäft habe. Und wenn die Leute die Nase darüber rümpfen und sagen: es stinkt! – es ist doch ein gutes Geschäft! Und mit Kittchen hat es gar nichts zu tun, denn es ist ein anständiges Geschäft – mit Kittchen hat bloß meine Dummheit zu tun, weil ich nämlich ein gieriger Mensch bin, ein geldgieriger Mensch. Ich kann es nicht lassen, und hundertmal sag ich mir: laß es, Auguste (ich heiß nämlich Auguste, aber ich mach keinen Gebrauch davon), laß es, du verdienst auch so genug Geld, liefere es ab – ich kann es nicht lassen! Und dann fall ich rein – nun schon das drittemal! Und Killich sagt ja, es wird ein halbes Jahr kosten.«

Jetzt sitzt sie sehr zusammengefallen da, die geldgierige Frau Krupaß, und Petra sieht ihr wohl an, daß das vorhin mit den sechs Ruhemonaten nur ein Schwindel war, daß Frau Krupaß gar nicht abgebrüht ist, sondern eine höllische Angst vor diesen sechs Monaten Kittchen hat. Und sie möchte der alten Frau gerne etwas Tröstliches sagen, aber sie weiß ja noch immer nicht, um was es eigentlich geht. Sie kann sich auch nicht die geringste Vorstellung von dem gutgehenden, aber übelriechenden Geschäft der Frau Krupaß machen, das doch wieder anständig sein soll.

So schweigt Petra Ledig lieber und wartet. Und nach einer Weile nimmt sich Frau Krupaß wieder zusammen und sagt mit einem fast entschuldigenden Lächeln: »Gott, nun sitze ich auch noch da und blase Trübsal. Aber das kommt davon, wenn man sich rühmt mit Lustigsein und so. Aber nun sollst du hören, Kindchen! Weißt du, was ein Produktengeschäft ist?«

Petra nickt ein wenig und hat eine Vorstellung von einem muffigen, stinkenden Keller.

»Siehst du, Kindchen, das habe ich, und da brauchst du die Nase nicht zu ziehen, es ist ein gutes Geschäft und nährt einen, und Frechheiten von alten Lustgreisen braucht man sich dabei nicht gefallen zu lassen. Altpapier und altes Eisen und Knochen und Lumpen, und Felle habe ich auch … Aber nicht so mit kleinem Handwagen auf die Müllplätze, nee, einen großen Hof habe ich, mit Lastauto, und sechs Mann arbeiten bei mir. Und dann is noch der Randolf da, was mein Aufseher über den Lagerplatz ist, ein bißchen düsig, aber reell, wie ich dir schon erzählt habe. Und dann kommen sie zu mir, fünfzig, sechzig Handwagen jeden Tag. Ich bezahle, was richtig ist, und das wissen sie auch, daß Mutter Krupaß die richtigen Preise bezahlt. Und jetzt wird es überhaupt alle Tage mehr, wo jeder mit ’nem Handwagen geht, weil die Arbeit immer weniger wird …«

»Aber Mutter Krupaß, davon versteh ich doch gar nichts!« sagt Petra schüchtern.

»Das brauchst du ja auch gar nicht, mein Mädchen. Der Randolf weiß alles und kennt alles, bloß, daß er nicht rechnen kann und düsig ist. Rechnen sollst du und anschreiben sollst du und Geld auszahlen sollst du, und da hab ich ein großes Vertrauen zu dir, Kindchen, aber es wird schon stimmen. Und abends rufst du die Spinnereien und Fabriken an, was sie zahlen für alles, jede ihren Kram, ich sag dir noch die Nummern und Namen von den Leuten, und danach zahlst du, ganz reell. Und dann geht es mit dem Lastauto in die Fabrik, liefern, und dann kriegst du Geld, und das Papier verladen wir, wenn wir genug für einen Waggon haben. Das sagt dir Randolf alles. Das gibt dann auch wieder Geld. Das macht Laune, Kind, wenn du das Geld einnimmst, und heutzutage kann überhaupt jedes Kind handeln, wo der Dollar immerzu steigt …«

Petra sieht die alte Frau an, plötzlich, da sie deren Eifer, die leuchtenden Augen sieht, scheint ihr das alles gar nicht mehr ganz unmöglich. Es ist doch Arbeit – was heißt das: stinkige Lumpen?! Es ist doch geradezu etwas wie eine Zukunft.

Aber dann fällt ihr wieder ein, daß die Frau Krupaß ja im Gefängnis sitzt und daß die Sache also irgendeinen Haken haben muß, und ihre Freude vergeht sachte wieder.

Aber die alte Frau redet weiter, und was sie redet, facht die Freude von frischem wieder an. »Und denk dir nicht«, sagt sie, »daß es sonst Bruch ist bei mir. Alles reell und solide. Ordentliche Geschäftsbücher und mit dem Finanzamt nicht mehr Krach als jeder. Und ein Häuschen auf dem Platz, tipptopp, fein mit Ei, mit Blumen und Laube, ganz, wie es richtig ist. Unten wohnt Randolf, und oben wohne ich, drei Zimmer mit Bad und Küche – prima! Und die Randolfen kocht mir ’s Essen, und so soll sie’s dir auch kochen. Ich esse gerne was – die kocht nicht schlecht! – Und ich habe mir gedacht, du wohnst in meiner Wohnung und schläfst in meinem Bett, und im Badezimmer wäschst du dich … Aber in der Wanne badest du nicht, da geht die Emaille von kaputt oder wird streifig, mit der Emaille weiß ich allein Bescheid. Das mußt du mir in die Hand versprechen, daß du mir die Wanne nicht anrührst! – So schmutzig wirst du ja auch gar nicht, daß du dich baden mußt – die Dreckarbeit machen der Randolf und die Männer …«

Wieder nickt Petra, und jetzt möchte sie schon sehr gerne, daß es etwas würde – aber da ist ja noch das eine, der eine Punkt.

»Und morgen früh kommt Killich hierher in die Sprechstunde, was mein Rechtsbeistand ist, und das ist ein gerissener Hund, sage ich dir, Kindchen! Dem werde ich sagen: Killich, Herr Killich, Herr Rechtsanwalt Killich – morgen oder übermorgen oder heute noch kommt eine zu Ihnen in die Sprechstunde, Petra Ledig heißt sie, das ist meine Stellvertreterin. Sehen Sie nicht, was sie auf dem Leibe trägt, das ist Wohlfahrt oder Fürsorge, sehen Sie ihr ins Gesicht, und wenn die mich anscheißt, Killich, dann glaub ich keinem Menschen mehr auf der Welt, mir nicht und Ihnen schon gar nicht, Herr Killich …«

»Mutter Krupaß!« sagt Petra, legt ihre Hand auf die Hand der andern und ist fest überzeugt, daß es wirklich nicht so schlimm sein kann mit den Verbrechen der Alten.

»Na, wat denn, mein Mächen?! Wat denn, wat denn?! Es ist doch so! Und dann fährt Killich mit dir zu Randolfen und sagt ihm, daß du bist wie ich, mit Geld und Verfügung und Wohnung und Essen und Befehl ganz wie ich, und was du an Kleidern und Wäsche und Sachen brauchst, das kaufst du dir. Und auf der Stadtbank, wo ich mein Konto habe, da kannst du auch unterschreiben wie ich, das macht Killich alles fertig für dich …«

»Aber, Mutter Krupaß …«

»Na, wat denn aber –? Essen kriegst du und Kleider kriegst du und Wohnung kriegst du, und dein Kind kannst du auch kriegen bei mir (aber dann bin ich hoffentlich schon wieder draußen), nur das eine kriegst du nicht: Gehalt kriegst du nicht, Geld kriegst du nicht. Und warum nicht? Weil du es ihm nur gibst! So dußlig bist du, das weiß ich doch, dafür bin ich selbst Frau. Wenn er kommt und macht ’nen treuen Hundeblick, dann gibst du ihm, was du hast. Aber was du nicht hast, nämlich mein Geld, das gibst du ihm nicht – dafür kenne ich dich nun auch schon! Darum kriegst du kein Gehalt – nicht aus Knietschigkeit nicht! Und nun sag, Kindchen, bist du einverstanden oder bist du nicht einverstanden –?«

»Ja, Mutter Krupaß, natürlich bin ich einverstanden. Aber da ist noch die eine Sache, die Sache …«

»Was für ’ne Sache?! Mach mir keine Geschichten, Mächen! Mit dem Kerl? Von dem Kerl reden wir nicht mehr, der soll erst mal ein Kerl werden!«

»Nein, Ihre Sache, Mutter Krupaß, Ihre –!«

»Was, meine Sache?! Ich hab dir doch alles erzählt, Kindchen, und wenn dir das nicht genug ist …«

»Nein, Ihre Sache, die Sache, weswegen Sie sitzen!« rief Petra. »Die Sache, weswegen Sie ein halbes Jahr kriegen wollen, Mutter Krupaß!«

»Ich und wollen, Kind! Du bist ja gut, Mächen!! Du hast ja einen Begriff von meinem Wollen, das muß ich wirklich sagen –! Also: die Sache geht dich gar nichts an, damit hast du nischt zu tun, und damit hat auch das Geschäft nischt zu tun, damit hat nur meine Happigkeit zu tun. Also: wenn wir Lumpen sortieren, da steh ich meistens dabei, daß zwischen die Leinenlumpen nichts aus Baumwolle fliegt, denn Leinen ist teuer, und Baumwolle ist billig, das verstehst du doch?«

»Ja«, sagte Petra.

»Na also!« meinte die Alte befriedigt. »Köpfchen bleibt Köpfchen. Und wie ich da so steh, und die Lumpen fliegen durch die Luft, da seh ich mit meinem gierigen Rabenblick was blinkern. Ich sachte mich angepirscht, und da ist doch ein richtiges Frackhemde dazwischen, und der Dussel, der das weggeschmissen hat – aber es ist sicher das Mädchen von dem Dussel gewesen, das sich mit Leinenlumpen ein bißchen Geld hat machen wollen (das machen heute viele, weil der Lohn nicht hin und her reicht) –, hat doch vorne im Brettchen drei Diamantknöpfe steckenlassen! Kein Pofel, seh ich gleich, richtig Brillanten, und nicht kleine! Na, ich tu, als seh ich nichts, aber ich pul mir die Dinger leise raus. Und dann zu Hause freu ich mich. Wunderbar – ich bin so, über so was, und wenn’s nun sogar nichts gekostet hat, kann ich mich freuen wie ein Kind! Ich weiß, ich darf es nicht, ich bin ja schon zweimal reingefallen mit so was, aber ich kann es nicht lassen. Immer denk ich, es hat keiner gesehen, liefer es nicht ab, hast du doch deine kleine Freude dran …«

Sie sieht Petra an, und Petra sieht die alte Frau an, und Petra ist sehr erleichtert, aber die Frau Krupaß ist sehr bekümmert.

»Und das ist das Gemeine an mir, Kindchen, daß ich es nicht lassen kann. Daß ich dies nicht unterkriege, darüber ärgere ich mich noch mal tot! Killich sagt auch zu mir: ›Was soll denn das, Frau Krupaß! Sie sind doch ’ne reiche Frau, Sie können sich doch ’ne Sechsertüte voll Brillantknöpfe kaufen, lassen Sie doch so was!‹ – Und recht hat er, aber lassen kann ich es nicht! Ich werd damit nicht fertig, ich schaff und schaff es nicht. Was würdest du denn in so ’nem Falle tun, Kindchen?«

»Ich würd sie abliefern«, sagt Petra.

»Abliefern? Die schönen Knöppe?! Nee, so dumm!« Sie will sich wieder ereifern, aber sie besinnt sich gleich. »Na, reden wir nicht mehr von, ich ärgere mich auch ohne Reden genug. Was soll ich noch viel erzählen? Einer von meinen Leuten muß es doch gesehen haben, gierig sind sie ja alle, und schon ist der Krimsche da und ist ganz höflich. ›Na, Frau Krupaß, wie ist denn das wieder mit ’ner kleinen Fundunterschlagung?‹ sagt er und grient noch dabei, der Affe! ›Haben Sie’s vielleicht wieder ins Spiegelschränkchen gelegt? Machen Sie mal auf!‹ Und ich Hornochse hab die Knöppe doch wirklich wieder da rein gelegt wie ’s letztemal, recht hat der Mann, und ein Affe ist er gar nicht! Der Affe bin immer bloß ich! Na ja, was nicht als Verbrecher geboren ist, wird sein Lebtag keiner!«

Die Krupaß sitzt da, in Gedanken verloren, und Petra sieht ihr an, daß sie jetzt noch, trotz aller Selbsterkenntnis, trotz der Angst vor den sechs Monaten, den Verlust der Knöpfe bedauert. Und Petra möchte beinahe lächeln über die kindische, törichte alte Frau. Aber dann denkt sie an Wolfgang Pagel, und wenn sie auch gleich sagen will: Das ist doch etwas anderes als Knöpfe! – sie denkt doch: Vielleicht bilde ich mir das nur ein, daß es was anderes ist. Was für mich der Wolf ist, das sind für Mutter Krupaß die Knöpfe.

Und nun fällt ihr wieder ein, daß es mit dem Wolf erst einmal vorbei ist, und sie denkt an das Häuschen auf dem Produktenlagerplatz, von dem sie sich schon eine richtige Vorstellung machen kann (an der Laube wachsen Feuerbohnen hoch), und sie weiß nun ganz fest, es gibt keine Pottmadamm mehr und kein überhitztes Hofzimmer, nicht mehr das Schreien des geschnittenen Blechs aus der Fabrik im Erdgeschoß, nicht mehr das tatenlose Warten, keine Bettruhe mehr wegen Kleidermangel, kein Hofieren mehr um ein paar Schrippen. – Sondern statt dessen Sauberkeit, Ordnung, ein planmäßig eingeteilter Tag mit Arbeit, Essen und Ruhe … Und diese Aussicht überwältigt sie so, daß das Glück sie fast mit einem Weinen anfaßt. Sie schluckt einmal, sie schluckt noch einmal, dann aber besinnt sie sich. Sie geht auf die alte Frau zu, reicht ihr die Hand und sagt: »Also, ich will, Mutter Krupaß, und gerne! Und ich danke Ihnen auch schön!«

Wolf unter Wölfen
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