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Wir wollen weiter, wir haben es eilig! Müssen wir noch nach Neulohe –?

Hallo, hallo! Achtung! Geht aus dem Wege – da kommt der Vierzöllerwagen, schwerbeladen mit Säcken. Sie haben keine Pferde, alle Pferde sind zur Arbeit auf dem Feld, kein Pferd ist zu entbehren – so schieben die Leute die fünfzig Zentner über den holprigen Hof. Sie greifen in die Speichen, sie pressen die Schultern gegen die Rungen, langsam schiebt sich der Wagen an den Futterboden heran.

Wer kommt über den Hof? Wer schreit, daß es schneller gehen muß? Es ist der alte Geheimrat von Teschow. Er ist sein eigener Inspektor, Förster, Schreiber geworden, jetzt wird er auch noch sein eigenes Zugpferd, er spannt sich an die Deichsel: »Los, Leute! Ich bin siebzig, und ihr, ihr schafft nicht mal die paar Zentner?! Schlappschwänze!«

Kaum steht der Wagen, muß er schon weiter. Ach, er hat so viel zu tun, anzutreiben, zu kontrollieren, zu rechnen, von morgens an ist er halbtot vor Überanstrengung – das macht ihn ganz glücklich! Er hat eine Aufgabe, nein, er hat zwei Aufgaben: Er muß Neulohe wieder aufbauen; sein Schwiegersohn, die eigene Tochter haben es im Verein mit einer Rotte von Dieben und Verbrechern ausgeplündert. Und er muß sein Barvermögen wieder auffüllen, das haben ihm die Roten gestohlen!

Unermüdlich ist er tätig, er ist geizig, er ist filzig. Der eigenen Frau stiehlt er die Eier aus der Speisekammer, um sie zu verkaufen; er findet immer neue Sparmethoden. Wenn die Leute seufzen: »Herr Geheimrat, Sie müssen uns doch auch das Leben lassen« – so schreit er: »Wer läßt denn mir das Leben?! Ich habe nischt mehr, ich bin ein armer Mann, Schulden habe ich, so haben sie mich bestohlen!«

»Ach, Herr Geheimrat, Sie haben doch die Forst!«

»Die Forst? Die Forst! Die paar Kiefernkuscheln – und was denkt ihr, was das Finanzamt von mir verlangt?! Vorm Kriege habe ich achtzehn Mark Einkommensteuer im Jahr bezahlt – und heute? Tausende verlangen die Brüder von mir! Bloß, sie kriegen sie nicht! Nee, richtet euch ein, ich muß mich auch einrichten.«

Schon läuft er weiter. Sein Kopf ist voll von Einfällen. Wenn er morgens die Glocke fünf Minuten zu früh zum Arbeitsanfang läuten läßt, so schindet er bei sechzig Leuten fünf Stunden unbezahlte Mehrarbeit heraus. Er betrügt sie bei der Lohnzahlung; wenn er jeden jede Woche nur um einen Pfennig beschummelt, so hat er im Jahr dreißig Mark gespart! Er muß sich eilen, er hat schiefgelegen, die Papiere, die er sich in der Inflation gekauft hat, sind auch nichts wert. Sie werden jetzt »zusammengelegt«, so nennen das die Räuber, tausend Mark auf fünfzig Pfennig!

»Na, oller Elias, doch noch ein bißchen mehr, als du für deine braunen Tausender kriegst!«

»Warten Sie ab, Herr Geheimrat, warten Sie nur ab!«

Nein, er kann nicht abwarten, er muß rasch machen, der alte Geheimrat. Das Vermögen in Papieren, in bar ist zusammengeschmolzen. Wenn er stirbt, muß mindestens so viel dasein, wie er von seinem Vater übernommen hat! Warum? Für wen? Die Tochter ist auf das Pflichtteil gesetzt, und auf dieses Pflichtteil werden vorempfangene Beträge angerechnet. Mit dem Sohn hat er sich nun auch überworfen. Für wen? Er weiß es nicht, er denkt nicht darüber nach, er läuft herum, er rechnet – und außerdem wird er uralt werden. Es ist kein Gedanke daran, daß er in den nächsten zwanzig Jahren einpacken wird, er will noch manchen Jungen sterben sehen!

Oben im Schloß, an ihrem Fenster, sitzt die alte Frau, seine Frau. Aber nicht wie früher ist ihre Freundin, Jutta von Kuckhoff, bei ihr. Jutta ist in Ungnade gefallen, Jutta ist fortgeschickt worden, Jutta mag sehen, wie sie auf dieser Erde zurechtkommt, sie hat sich ihrem himmlischen Heil widersetzt, sie hat Herrn Herzschlüssel widerstanden!

Herrn Herzschlüssel hat Frau Belinda aus Dresden mitgebracht, er ist ein bärtiger Mann in schwarzem Rock, er ist der Leiter einer strengen Sekte, die schon hier auf Erden sich nur der Reue und Buße widmet, der Leiter und wahrscheinlich die ganze Sekte dazu. Herr Herzschlüssel hat Frau Belinda von der »verkalkten« Kirche befreit, er hat ihr bewiesen, daß er allein Jesu wahre Lehre verkörpert. Jetzt darf Frau Belinda so viel Betversammlungen abhalten, wie sie will, sie braucht vor keinem Pfarrer und Superintendenten mehr Angst zu haben.

Jutta lehnte sich gegen Herrn Herzschlüssel auf. Sie behauptete, er stehle, trinke, habe Weibergeschichten. Aber Jutta ist bloß ein altes, sauer gewordenes Fräulein, und Herr Herzschlüssel hat einen schönen, gepflegten Bart, eine sanfte Stimme. Wenn er Frau Belinda auf seinen starken Armen in den Liegestuhl trägt, dann ist Frau Belinda so glücklich, wie dies sündige Fleisch hier auf dieser Erde nur sein darf!

In einem letzten Gefecht versuchte Jutta von Kuckhoff, den Geheimrat gegen Herrn Herzschlüssel vorzuschieben. Aber der Geheimrat lachte bloß. »Der Herzschlüssel?« krähte er. »Ach, Jutta, gut ist der Mann! Ein Mädchen spart er uns mindestens, endlich sind wir aus der Kirche raus und zahlen keine Kirchensteuern mehr, die Belinda ist immer guter Laune – und das alles für das bißchen Essen! Nee, Jutta, der Mann soll bloß bleiben!«

»Es wird nicht immer mit dem bißchen Essen abgehen – ein Kalb wird schnell zum Ochsen!«

»Geld – Geld? Ich habe ja keins, Jutta! Und dafür will ich schon aufpassen, daß sie nichts Schriftliches von sich gibt. Der Herzschlüssel, der kriegt die Kassenschlüssel nie!«

So ist dafür gesorgt, daß die beiden Alten ihre Beschäftigung haben – an ihre Kinder brauchen sie nicht mehr zu denken.

Wolf unter Wölfen
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