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Es war nicht mehr dasselbe Büro!

Es waren noch die gleichen Regale aus häßlichem, gelbgrauem Kiefernholz, es war noch derselbe, ehemals schwarze Schreibtisch mit dem grünen, tintenfleckigen Filz, es stand da noch immer der viel zu große Geldschrank mit den gelb gewordenen Goldarabesken – aber nein, es war nicht mehr dasselbe Büro!

Die Fensterscheiben blitzten; saubere, helle Vorhänge waren aufgesteckt; den Möbeln hatte Öl einen sanften Glanz gegeben; der abgetretene, splittrige Fußboden war abgehobelt, gewachst und gebohnert worden, und über den Geldschrank war der Gutsstellmacher mit seinem Farbentopf geraten: silbergrau schimmerte sein Stahlpanzer, dunkelgrau waren seine Verzierungen geworden – nein, es war nicht mehr dasselbe Büro –!

Einmal hatte sich der Rittmeister von Prackwitz Gedanken darüber gemacht, ob er denn seinen Freund, den Oberleutnant von Studmann, auf solch ein verliedertes Gutsbüro hinter Lohnlisten und Kornabrechnungen würde setzen können. Hierüber hätte sich der Rittmeister keine Gedanken zu machen brauchen: auf ein liederliches Büro setzte sich Herr von Studmann nicht, Liederlichkeit trieb er aus, sanft, doch gnadenlos!

An einem Tag unter diesen ersten Tagen hatte Studmann einen Schlüssel vom Büro holen müssen – Frau Hartig aber stand auf einer Fensterbank und putzte die Scheiben.

Herr von Studmann blieb stehen und sah dies an. »Sie machen hier sauber?« fragte er sanft.

»Darauf können Sie sich verlassen!« sagte die Hartig kriegerisch, denn einmal täuschte sie die Sanftheit dieses Herrn, zum andern war sie böse auf ihn, weil der kleine Meier fort war. Hatte sie sich auch feierlich aller Rechte auf den ehemaligen Feldinspektor von Neulohe begeben: daß er nun fort war, verzieh sie dem Herrn dort nicht – mochte er auch wirklich sein, was die Leute erzählten, nämlich ein Detektiv!

Der vermeintliche Detektiv antwortete erst einmal gar nichts, sondern roch unbegreiflicherweise in das Wasser, mit dem sie die Scheiben wusch. Dann nahm er das Fensterleder in die Hand, was freilich kein Leder war, sondern ein bloßer Lappen, denn das gute Fensterleder rückte die Armgard von der Villa nicht für das schlechte Büro heraus. Nun bewegte er den geputzten Fensterflügel im Sonnenschein hin und her – die Hartig flog am ganzen Leibe vor Grimm über solch einen Spion, der jetzt sogar ihrer Arbeit nachschnüffelte!

Herr von Studmann war mit seiner Prüfung fertig, er hob den Blick zu der Frau, er schien gar nicht zu sehen, daß sie zornig war. Er fragte: »Sie heißen –?«

»Ich bin die Kutscherfrau«, rief die Hartig zornig und putzte an ihrer Scheibe, daß sie knackte.

»Also die Kutscherfrau«, sagte Studmann friedfertig. »Und wie heißt der Kutscher –?«

Nun sagte die Hartig sehr aufgeregt sehr rasch sehr vieles hintereinander, unter anderem, daß sie ihre Arbeit verstehe, daß keiner aus Berlin zu kommen brauche, um ihr arbeiten zu »lernen«, daß sie vier Jahre im »Schloß« gearbeitet habe, bei der »alten Gnädigen«, ehe sie den Hartig geheiratet habe, und daß die »alte Gnädige« immer mit ihr zufrieden gewesen sei, und der mache es doch wirklich keine recht …

»Also Frau Hartig heißen Sie«, sagte Herr von Studmann geduldig, denn er war ja lange genug im Hotelbetrieb tätig gewesen. »Hören Sie, Frau Hartig, dies Fensterputzen hat keinen Zweck. Man putzt keine Fenster bei Sonnenschein – sehen Sie, die Scheiben sind ja ganz streifig …«

Er bewegte den Fensterflügel hin und her, aber Frau Hartig sah gar nicht hin. Das ekelte sie, sie wußte auch so, daß die Fenster streifig waren, bisher war allen ihre Arbeit gut genug gewesen, und das sagte sie ihm auch!

Ungerührt antwortete Studmann: »Und in das Spülwasser nimmt man besser einen Schuß Spiritus, das macht die Scheiben hell. Aber auch dann nützt all Ihre Arbeit nichts, wenn Sie kein ordentliches Fensterleder haben, sehen Sie, dies Tuch fusselt ja, lauter Fusseln kleben an den Scheiben!«

Zuerst war die Hartig sprachlos vor Entrüstung gewesen, dann aber fragte sie Herrn von Studmann recht höhnisch, wo sie wohl Spiritus hernehmen solle, he? Sie könne keinen durch die Rippen schwitzen, und das Fensterleder gebe ihr die Armgard nicht heraus …

»Sie werden Spiritus bekommen und auch ein Fensterleder«, sagte Studmann. »Und solange man kein Leder hat, nimmt man eine alte Zeitung – sehen Sie, so …« Er griff eine alte Zeitung von einem Stoß und putzte. »Sehen Sie, so, ist sie jetzt blank –?«

»Das war das Kreisblatt!« rief die Hartig höhnisch. »Das wird gesammelt und gebunden! Da darf keine Nummer von fehlen!«

»Ach so!« sagte Studmann betroffen – in dieser ersten Zeit unterliefen ihm wie Pagel aus purer Unkenntnis häufig solche Fehler. Er entfaltete den schwärzlich-feuchten Papierkloß: »Die Nummer ist noch lesbar – ich bestelle Ersatz.« Er notierte die Nummer.

Aber dieser kleine Mißgriff hatte seine Langmut doch erschöpft, er sagte kürzer: »Und jetzt gehen Sie nach Haus. Diese halbe Reinmacherei hat keinen Sinn. Kommen Sie heute abend um sechs – da werde ich Ihnen zeigen, wie ich Büro und Zimmer gesäubert wünsche.«

Damit war er mit seinem Schlüssel in der Hand abgegangen. Der Hartig aber war das Gerede von diesem Berliner Affen, der ja doch in den nächsten Tagen wieder abhauen würde, ganz egal gewesen. Sie hatte auf ihre Art weiter saubergemacht, und es war ihr nicht im Traum eingefallen, zu dem befohlenen Reinmachen um sechs zu erscheinen.

Als sie dann aber doch von ihrer Neugier gegen sieben in das Beamtenhaus getrieben wurde, hatte sie zu ihrer Empörung gesehen, daß dort die schwarze Minna, dieses scheinheilige Mistvieh, herumfuhrwerkte, und als sie sachte hineingegangen war und wie nichts einen Eimer und ein Scheuertuch ergriffen hatte, hatte der Detektiv sich nur umgedreht und auf seine elende, sachte Art gesagt. »Sie sind abgelöst, Frau Hartig. Sie machen hier nicht mehr sauber.«

Und ehe sie noch etwas antworten konnte, hatte er sich umgedreht, der Stellmacher und sein Lehrjunge hatten ihre Hobel angesetzt, und schrapp, schrapp, schnurr! hatten die Hobel losgearbeitet – wie Hagar verstoßen in der Wüste stand die Hartig. Keine Tränen bei der alten Gnädigen, kein Schluchzen bei der jungen Gnädigen, kein Bitten beim Herrn Rittmeister hatten verfangen, es war alles plötzlich anders geworden, eine neue Luft wehte … »Ja, wenn Herr von Studmann dich nicht haben will, so wirst du deine Arbeit schon nicht ordentlich gemacht haben, Frieda … Da reden wir nicht rein, und da können wir dir nicht helfen …« Und nicht einmal die Nachricht von dem verdorbenen Kreisblatt, nicht einmal die Botschaft, daß Herr von Studmann nach Mitternacht die Amanda über eine Stunde auf dem Büro gehabt habe – nichts, was sonst so gerne gehört wurde, verfing. »Nein, nun geh nach Haus, Frieda! Du mußt nicht so klatschen – Klatschen ist eine sehr häßliche Eigenschaft. Gewöhne dir das ab, Hartig.«

So hatte sie gehen müssen, zu ihrem brummelnden, mit ihr sehr unzufriedenen Manne, und sie hatte nicht einmal mit ihrer Voraussage recht behalten, daß am Sonnabend, nach der Löhnung all der vielen Leute, das Büro wieder wie ein Schweinestall aussehen würde. Das Büro sah auch nach der Löhnung makellos aus, denn dieser Berliner Affe hatte einen Tisch und zwei Stühle vor die Tür ins Grüne gesetzt – und da löhnte er, und die Leute, die ja immer auf alles Neue reinfielen, hatten das sogar großartig gefunden.

»Wie macht er’s denn aber, wenn’s regnet?! Und wenn’s Winter ist?!« hatte die Hartig geschrien.

»Sei man still, Frieda«, hatten die Leute gesagt. »Du bist bloß neidisch, der ist zehnmal schlauer als du. Den Negermeier hat er schon ausgetrieben, und wenn du zuviel schreist, wird er dich auch noch austreiben!«

»Die Hühnermamsell hat er um Mitternacht aufs Büro geholt!« rief sie zornig.

»Du möchtest sie wohl wieder ausstechen wie beim kleinen Meier?« hatten die Leute gelacht. »Ach, Hartig, bist du dumm – das ist doch ein wirklich feiner Herr, genau wie der Rittmeister, und der denkt nicht an dich und nicht an die Amanda. Sei du bloß stille!«

Wolf unter Wölfen
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