1

In ihrem Busch vor der Tür des Beamtenhauses steht Violet von Prackwitz Wache; drinnen im Büro tritt ein anderes Mädchen, Amanda Backs, aus ihrem Versteck. Sie hat längst nicht alles verstanden, was die beiden, der Leutnant und das gnädige Fräulein, miteinander verhandelten. Aber vieles ließ sich erraten – von dem Leutnant, der durch das Land reist und die Leute zu irgendeinem Putsch sammelt, hatte sie auch schon früher gehört; und durch die deutschen Lande geht zu jener Zeit ein Spruch, düster drohend: Verräter verfallen der Feme!

Es ist nicht angenehm, an den Liebsten als an einen Verräter denken zu müssen, und Amanda Backs mag ein so handfestes Stück Pöbel sein, wie nur ausdenkbar, sie würde nie eine Verräterin sein. Sie liebt und sie haßt, ohne Hemmungen, aus ihrer kräftigen, nicht zu brechenden Natur heraus, aber sie könnte nie verraten. Darum steht sie ja auch weiter zu ihrem Hänseken, trotz allem, was sie von ihm weiß. Er ist eben auch bloß ein Mann, und mit den Männern, mit allen, ist weiß Gott nicht viel Staat zu machen – ein Mädchen muß sie nehmen, wie sie eben sind!

Sie huscht rasch in sein Zimmer hinüber, kniet nieder neben seinem Bett und schüttelt den Schläfer kräftig. Aber so leicht ist der aus seiner Trunkenheit nicht wachzuschütteln. Amanda muß zu kräftigen Mitteln greifen, und als auch der nasse Waschlappen nichts verschlagen will, reißt sie ihn einfach kurz entschlossen mit der einen Hand bei den Haaren, während sie ihm die andere vorsichtig über den Mund legt, damit er nicht laut werden kann.

Diese Kur hilft wirklich – der kleine Feldinspektor Meier wird wach von dem wütenden Schmerz, denn sie reißt und zerrt mit allen ihren nicht geringen Kräften an seinem Haar. Wie der Mensch nun einmal ist und wie besonders der Negermeier ist, setzt er sich erst einmal instinktiv zur Wehr: Negermeier beißt in die Hand, die über seinem Munde liegt.

Sie unterdrückt ihren Schrei und flüstert hastig in sein Ohr: »Werd wach! Werd wach, Hänseken! Ich bin’s, Amanda!«

»Das merk ich«, grunzt er wütend. »Wenn du wüßtest, wie dicke ich euch Weiber habe! Nie könnt ihr einen in Frieden lassen –!«

Er möchte weiterschimpfen, verschwiemelt, mit aufgeschwollenem Kopf und dem wüstesten Haarweh … Aber sie hat Angst vor der Lauscherin draußen, und ihre Hand legt sich von neuem fest über seinen Mund. Gleich beißt er wieder –!

Doch nun ist es mit ihrer Geduld vorbei. Sie reißt die Hand aus seinen Zähnen und schlägt zu, blindlings, im Dunkeln, wie es trifft. Ihr Gefühl aber leitet sie richtig, sie trifft ausgezeichnet, hageldicht fallen die Schläge auf ihn, rechts, links – da, dies muß die Nase gewesen sein! Und jetzt der Mund …

Und dabei stöhnt sie halblaut, atemlos, hingerissen von diesem Schlagen im Dunkeln auf etwas Weiches, Stöhnendes: »Willst du vernünftig sein! Willst du kuschen! Sie schlagen dich sonst tot!«

(Sie ist selbst auf dem besten Wege, dies zu besorgen.)

Atemlos, fast völlig ernüchtert, feige, ohne Gegenwehr – jetzt bettelt der kleine Meier: »Aber ja doch, Mandeken! Mein Mandchen! Ich will ja auch alles tun, was du möchtest. Aber laß jetzt – ach, nein, nimm dich doch ein bißchen in acht …!«

Keuchend, mit fliegender Brust, hört sie auf. »Ob du parieren wirst, du Dummkopf?!« stöhnt sie mit zorniger Zärtlichkeit. »Der Leutnant war hier –!!!«

»Wo – hier?« fragt er blöde.

»Hier, in deiner Stube! Er hat was gesucht – er hat einen Brief aus deiner Jacke genommen.«

»Einen Brief …« Er versteht noch immer nicht ganz. Aber dann kommt langsam, noch nicht völlig klar, die Erinnerung. »Ach, den –!« sagt er verächtlich. »Den soll er ruhig behalten, den Lappen!«

»Aber, Hänseken, sei doch vernünftig! Denk einmal nach!« bittet sie. »Du mußt irgend etwas ausgefressen haben – er hat so eine Wut auf dich! Er will noch wiederkommen – heute nacht.«

»Er soll nur wiederkommen!« prahlt er, trotzdem ihn ein ungemütliches Gefühl beschleicht. »Den Affen habe ich ja schon in der Tasche, ihn und sein feines Fräulein von Prackwitz …«

»Aber, Hänseken, die war doch auch hier! Sie hat doch mit nach dem Brief gesucht …«

»Die Weio –?! Das gnädige Fräulein – Fräulein Tochter vom Herrn Brötchengeber –?! In meinem Zimmer?!! Wo ich besoffen und nackt im Bett gelegen habe – o wei, o wei! O Weio!«

»Ja – und jetzt steht sie vor deinem Fenster Wache, damit du nicht ausreißt!«

»Ich und ausreißen!« sagt er prahlerisch. Aber er dämpft unwillkürlich seine Stimme. »Das möchten sie wohl, daß ich wegliefe! Das würde den beiden so passen! Aber nee, ich bleibe, ich gehe morgen früh zum Rittmeister und reiß sie rein mit ihrem feinen Leutnant …«

»Hänseken, hör doch endlich auf mit deinem Stuß! Er will wiederkommen, heute nacht noch. Der wird dich schon morgen nicht zum Rittmeister gehen lassen …«

»Was soll er denn machen? Anbinden kann er mich doch nicht!«

»Nein, anbinden kann er dich nicht …«

»Und wenn ich dem Rittmeister von dem Brief erzähle!«

»Ach, laß doch endlich den dußligen Brief! Du hast ihn ja gar nicht mehr! Er hat ihn!«

»Aber der Kniebusch kann bezeugen …«

»Unsinn, Hänseken! Alles Unsinn! Was ist denn der Förster Kniebusch für ein Zeuge, wenn er gegen das gnädige Fräulein aussagen soll –?!«

Der kleine Meier schweigt einen Augenblick, er fängt wirklich an nachzudenken. Dann sagt er kleinlauter: »Aber er kann mir doch gar nichts wollen! Er hat doch selber soviel Dreck am Stecken!«

»Hänseken, aber doch gerade darum! Weil er Dreck am Stecken hat, will er dir doch was! Er hat ja Angst, daß du redest …«

»Was soll ich denn reden? Ich werd schon meine Flappe halten von dem dämlichen Brief …«

»Aber es ist ja nicht nur der Brief, Hänseken!« ruft sie verzweifelt. »Es ist doch noch die andere Sache, der Putsch –!«

»Was für ’n Putsch –?« fragt er verblüfft.

»Ach, Hänseken, tu doch nicht so! Vor mir brauchst du doch nicht so zu tun! Den Putsch, den ihr machen wollt – er hat Angst, du verrätst das!«

»Aber ich weiß doch gar nichts von seinem blöden Putsch, Mandchen!« ruft der Meier aus. »Mein heiliges Ehrenwort, Mandchen! Ich hab keine Ahnung, was die Brüder vorhaben!«

Sie denkt einen Augenblick nach. Beinahe glaubt sie ihm. Aber dann sagt ihr wieder ihr Gefühl, daß alles, was er erzählt, gleichgültig ist, daß ihm Gefahr droht und daß er darum sofort weg muß.

»Hänseken!« sagt sie darum sehr ernsthaft, »es ist ja gleich, ob du wirklich was weißt oder nicht. Er denkt, du weißt was. Und willst ihn verraten. Und er hat eine Wut auf dich wegen dem Brief. Er will dir was tun, glaub es mir doch!«

»Was kann er mir denn schon tun –?!« sagt er matt.

»Aber, Hänseken, tu nur nicht so! Du weißt, und es hat ja neulich auch in der Zeitung gestanden, und ein Bild war auch dabei, alle mit weißen Kapuzen, daß man sie nicht erkennt, wie sie Gericht halten, und darunter hat gestanden: Femegericht. – Verräter verfallen der Feme, Hänseken, so heißt es doch!«

»Aber ich bin kein Verräter«, sagt er, aber er sagt es nur, um etwas zu sagen, sagt es ohne rechte Überzeugung.

Sie geht auch gar nicht mehr darauf ein. »Hänseken!« bittet sie, »warum willst du denn nicht weggehen? Er ist jetzt fort ins Dorf, zu einer Versammlung, und sie will ich schon wegkriegen vom Fenster. Jetzt kannst du noch gut weg – warum willst du denn nicht?! Aus mir machst du dir doch nicht so viel, daß du darum partout bleiben willst, wo du heute sogar dich mit der Hartig eingelassen hast.« – (Sie hat es nicht über sich gebracht, ganz davon zu schweigen, aber schon tut es ihr leid.) – »Und, sieh mal, morgen kommt der Rittmeister wieder, und du hast nur Mist gemacht, wie er weg war, und besoffen hast du dich auch im Krug während der Arbeitszeit – warum willst du nicht freiwillig gehen, wo er dich doch raussetzt –?«

»Ich hab keinen Pfennig Geld«, sagt er mürrisch. »Wo soll ich hin –?«

»Nun, ich hab gedacht, wenn du dich hier irgendwo auf ein Dorf setzt in einen kleinen Gasthof, nach Grünow vielleicht – da ist ein netter Gasthof, den kenn ich vom Tanzen her. Und am Sonntag hab ich frei, da komm ich rüber zu dir und besuch dich. Ich hab noch ein bißchen Geld, das bring ich dir mit. Und dann suchst du dir so sachte eine neue Stellung, in der Zeitung stehen immer welche, aber nicht so nahebei …«

»Am Sonntag in Grünow, da weiß ich auch einen, der in den Mond kiekt!« sagt er nörgelig. »Und wer auf sein Geld warten kann, das bin ich!«

»Aber, Hänseken, sei doch nicht so doof –! Ich brauch es dir doch nicht anzubieten, wenn ich nicht kommen will! Also, nicht wahr, du gehst –?«

»Du hast es ja plötzlich mächtig eilig, mich loszuwerden – wen hast du denn jetzt auf dem Kieker?«

»Du hast grade Ursache, eifersüchtig zu tun – ja, zu tun, denn du bist nicht die Spur eifersüchtig!«

Er schweigt eine Weile, dann fragt er: »Wieviel Geld hast du denn?«

»Ach, viel ist es nicht, wegen der Geldentwertung. Aber ich kann dir ja immer weiter geben, ich werd jetzt schon dafür sorgen, daß die Gnädige mir wertbeständig zahlt – in Birnbaum sollen sie ja ihren Lohn schon in Roggen kriegen …«

»Du und Lohn in Roggen … Da denkt die Alte nie daran! Du bildest dir immer nur Blödsinn ein!« Er lacht verächtlich, es ist ihm sehr nötig, sich wieder ein bißchen obenauf zu fühlen. »Weißt du was, Mandchen, geh jetzt lieber gleich und hol dein Geld. Ich kann doch nicht ohne Geld im Wirtshaus sitzen. Und die Weio schickst du dabei auch gleich weg. Ich muß ja noch packen, das kann ich doch nicht so im Dunkeln! O Gott!« stöhnt er plötzlich auf. »Zwei schwere Handkoffer bis Grünow schleppen – so einen Quatsch kannst nur du dir ausdenken!«

»Ach, Hänseken!« tröstet sie ihn. »Das ist ja alles nicht so schlimm, wenn du bloß heil davonkommst! Denk doch immer daran! Und ich trag auch ein Weilchen, ich brauch mich ja nicht mehr hinzulegen. Was denkst du, wie frisch ich bin, wenn ich mich morgens von oben bis unten kalt abwasche –?«

»Na ja«, sagt er mürrisch, »wenn du man bloß frisch bist, das ist die Hauptsache. Gehst du nun also oder gehst du nicht?«

»Doch, ich geh jetzt. Es kann aber ein Weilchen dauern, erst muß ich das Fräulein wegkriegen. – Und, nicht wahr, Hänseken, du eilst dich ein bißchen? Ich weiß ja nicht, wann der Leutnant zurückkommt.«

»Ach der!« sagt Negermeier verächtlich. »Der soll bloß nicht so angeben! Was denkst du denn, wie lange so ’ne Versammlung dauert? Mindestens zwei, drei Stunden! So schnell lassen sich die Bauern nicht rumschwatzen!«

»Also mach schnell, Hänseken!« mahnt sie ihn noch einmal. »Ich bin auch ganz rasch wieder da! – Kuß, Hänseken!«

»Hau bloß ab«, sagt er ärgerlich. »Du denkst nur an deine Knutscherei, und bei mir geht es auf Leben und Tod! Aber so seid ihr Weiber! Immer bloß eure sogenannte Liebe im Kopf – ja, Scheibe.«

»Ach, du Schafskopf«, sagt sie und reißt ihn bei den Haaren, diesmal aber zärtlich. »Ich bin ja bloß froh, daß du hier wegkommst! Endlich kann man wieder ordentlich arbeiten. Es ist schon verrückt, aber wenn es einem so in den Knochen sitzt und man muß ewig gucken und denken … Was bist du denn schon –? Gar nischt bist du – denkst du, ich weiß das nicht? Aber darum wird es doch nicht anders, wenn man das auch weiß. Ein reines Affentheater ist das Leben, und du bist bestimmt der größte Affe von allen …«

Und damit drückt sie ihm einen Kuß auf, er mag wollen oder nicht, und geht aus der Stube, fast munter, fast vergnügt.

Wolf unter Wölfen
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