4

Der Leutnant und Weio sitzen auf einer Bank im Park. Sie sitzen nicht wie ein Liebespaar da – oder vielleicht doch wie ein Liebespaar, aber wie ein verzanktes, nämlich weit auseinander, nämlich ohne ein Wort.

»Dir so was von dem Feigling bieten zu lassen!« hat sie zum Schluß ihrer Auseinandersetzung gesagt. »Ich versteh dich nicht!«

»Natürlich verstehst du mich nicht, Schafel«, hat er sehr von oben herab geantwortet. »Das ist nur gut. Dann versteht er mich nämlich auch nicht.«

»Vor dem Kerl auszureißen – was der sich jetzt einbilden wird! Wo ich ihn nicht riechen kann!«

»Geh nicht so nah an ihn ran!« hat er gelangweilt gesagt. »Dann stört dich sein Geruch nicht.«

»Bitte, Fritz, wann bin ich zu nah an ihn herangegangen?!« hat sie empört gerufen. »Fritz, das war gemein von dir!«

Aber Fritz hat nicht mehr geantwortet, und so brach Schweigen unter ihnen aus.

Der Knall des Schusses hat diese zänkische Stille gestört. Der Leutnant fuhr hoch aus seinen Gedanken.

»Er hat geschossen!« rief er und lief los.

»Wer –?« fragte sie, bekam keine Antwort und lief hinterher.

Über die im Mondlicht liegenden Parkwiesen ging der Lauf; ihr langes, feuchtes Gras näßte die Strümpfe; dann durch Gebüsch, querweg über die Wege, mitten durch Blumenbeete! Der Buchsbaum der Wegekanten läßt sie straucheln. Weio keucht atemlos, möchte rufen und kann nicht, da sie weiterlaufen muß.

Nun hält der Leutnant inne und bedeutet ihr, leise zu sein. Über seine Schulter fort späht sie zwischen Flieder- und Schneeballstrauch durch. Eben sieht sie noch, wie die Geflügelmamsell weinend zum Schloß entschwindet, Inspektor Meier steht bewegungslos vor dem Beamtenhaus.

»Hat sie nicht getroffen, Gott sei Dank!« flüstert der Leutnant.

»Warum heult sie denn?«

»Der Schreck!«

»Der Kerl muß ins Kittchen!« sagt Weio mit Nachdruck.

»Sei bloß nicht dumm, Weio! Was er dann alles ausquatschen würde, he? Das hätte dir wohl gefallen?«

»Na, und jetzt?«

»Jetzt werden wir abwarten, was er tut.«

Die kleine, dunkle Gestalt geht rasch auf das Beamtenhaus zu, bis in die Büsche hören sie das Geräusch der kräftig zugeworfenen Tür. Feldinspektor Meier ist weg.

»Nun ist er weg«, sagt Fräulein von Prackwitz unzufrieden, »und ich darf von jetzt an besonders höflich zu ihm sein, damit er vor Papa den Mund hält.«

»Wart es ab, Violet«, sagt der Leutnant bloß.

Sie brauchen nicht einmal lange zu warten. Kaum drei, vier Minuten. Da öffnet sich die Haustür wieder, und hervor tritt der kleine Meier, in der rechten Hand einen Koffer, in der linken Hand einen Koffer. Er nimmt sich gar nicht erst die Zeit, die Haustür wieder zu schließen, schwarz gähnt ihre Öffnung – Meier aber marschiert, zwar ein wenig behindert, dennoch in forschem Tempo auf den Hof zu, in die Welt hinaus – ab!

»Haut ab!« flüstert der Leutnant.

»Gott sei Dank!« atmet sie auf.

»Den siehst du nicht wieder …«, sagt der Leutnant und schweigt so plötzlich, als ärgere ihn schon das, was er gesagt.

»Wollen wir hoffen«, antwortet sie.

»Violet!« sagt der Leutnant nach einer Weile.

»Ja, Fritz?«

»Bleib hier einen Augenblick stehen, ja? Ich will bloß was auf dem Büro nachsehen.«

»Was willst du denn da nachsehen?«

»Ach, nur so … Wie es da aussieht.«

»Wieso? Das kann uns doch egal sein.«

»Also laß mich schon –! Entschuldige – also, hier wartest du!«

Der Leutnant geht eilig hinüber zum Beamtenhaus. Er tritt ein, tastet sich über den dunklen Vorplatz, schaltet auf dem Büro das Licht ein. Er sieht sich nicht lange um – schnurstracks geht er auf die Schublade mit den Schußwaffen zu. Sie steht halb offen, aber das genügt dem Leutnant nicht. Er zieht sie ganz auf und betrachtet sehr aufmerksam ihren Inhalt.

Nein, der Neunmillimetermauser ist nicht darunter. Er schiebt die Schublade wieder zu. Bedachtsam löscht er das Licht und geht hinaus über den dunklen Vorplatz in den Mondschein, zu ihr.

»Nun, wie sieht es drinnen aus?« fragt Violet ein wenig boshaft. »Er hat wohl noch schnell aufgeräumt?«

»Wie soll es denn aussehen –? Ach so, ja, natürlich. Schweinestall, immer noch Schweinestall, so sieht es aus, mein klein Schafel.«

Der Leutnant ist merkwürdig aufgeräumt.

Sie benutzt dies gleich: »Du, Fritz …«

»Na, Violet –?«

»Weißt du auch noch, was du heute wolltest –?«

»Nun, was wollte ich denn? Dir einen Kuß geben? – Na, denn komm!«

Er kriegt sie beim Kopf, und eine Weile sind sie beide beschäftigt, bis sie völlig atemlos an seiner Brust liegt.

»So«, sagt der Leutnant, »und nun muß ich eiligst nach Ostade!«

»Nach Ostade –?! Och, Fritz – du wolltest doch bei mir nachsehen, ob ich nicht ein Tagebuch führe –!«

»Aber, Schafel, doch nicht heute –! Ich muß wirklich Volldampf machen – um sechs muß ich schon in Ostade sein!«

»Fritz –!«

»Was denn?«

»Geht es denn gar nicht –?«

»Nein – heute ganz ausgeschlossen! Aber ich komme, ganz bestimmt. Übermorgen, vielleicht morgen schon!«

»Ach, das sagst du immer! Heute abend hast du auch nichts davon gesagt, daß du gleich wieder nach Ostade mußt –!«

»Ich muß, ich muß aber wirklich … Komm, Violet, bring mich noch bis zu meinem Rad. Bitte, bitte, mach jetzt keine Geschichten, Schafel …«

»Ach, Fritz, du … was machst du bloß aus mir …«

Wolf unter Wölfen
titlepage.xhtml
ccover.html
cinnertitle.html
cimprint.html
cnavigation.html
ctoc.html
c5_split_000.html
c5_split_001.html
c7.html
c8.html
c9.html
c10.html
c11.html
c12.html
c13.html
c14_split_000.html
c14_split_001.html
c16.html
c17.html
c18.html
c19.html
c20.html
c21.html
c22.html
c23_split_000.html
c23_split_001.html
c25.html
c26.html
c27.html
c28.html
c29.html
c30.html
c31.html
c32.html
c33_split_000.html
c33_split_001.html
c35.html
c36.html
c37.html
c38.html
c39.html
c40.html
c41.html
c42_split_000.html
c42_split_001.html
c44.html
c45.html
c46.html
c47.html
c48.html
c49.html
c50.html
c51.html
c52.html
c53_split_000.html
c53_split_001.html
c55.html
c56.html
c57.html
c58.html
c59.html
c60.html
c61.html
c62.html
c63.html
c64_split_000.html
c64_split_001.html
c66.html
c67.html
c68.html
c69.html
c70.html
c71.html
c72.html
c73.html
c74_split_000.html
c74_split_001.html
c76.html
c77.html
c78.html
c79.html
c80.html
c81.html
c82.html
c83.html
c84.html
c85.html
c86_split_000.html
c86_split_001.html
c88.html
c89.html
c90.html
c91.html
c92.html
c93.html
c94.html
c95_split_000.html
c95_split_001.html
c97.html
c98.html
c99.html
c100.html
c101.html
c102.html
c103.html
c104.html
c105.html
c106_split_000.html
c106_split_001.html
c108.html
c109.html
c110.html
c111.html
c112.html
c113.html
c114.html
c115.html
c116.html
c117.html
c118.html
c119.html
c120_split_000.html
c120_split_001.html
c122.html
c123.html
c124.html
c125.html
c126.html
c127.html
c128.html
c129.html
c130.html
c131.html
c132.html
c133_split_000.html
c133_split_001.html
c135.html
c136.html
c137.html
c138.html
c139.html
c140.html
c141.html
c142.html
c143.html
c144.html
c145_split_000.html
c145_split_001.html
c147.html
c148.html
c149.html
c150.html
c151.html
c152.html
c153.html
c154.html
c155_split_000.html
c155_split_001.html
c157.html
c158.html
c159.html
c160.html
c161.html
c162.html
c163.html
c164_split_000.html
c164_split_001.html
c166.html
c167.html
c168.html
c169.html
c170.html
c171.html
c172.html
caboutBook.html
caboutAuthor.html