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»Warum sagt er zu Ihnen Herr und zu mir bloß Oberwachtmeister – verstehen Sie das?!« fragte der kleine Oberwachtmeister hitzig den jungen Pagel. »Wir sind hier nicht auf dem Kasernenhof, er ist nicht mein Vorgesetzter!«

Sie saßen in dem Stübchen des Oberwachtmeisters. Draußen, in der Kaserne, lärmten die Gefangenen, lachten, schimpften, sangen, nagelten die Bilder ihrer Liebsten und seit langem geheimgehaltene Fotos von Revuestars an die Wände, pfiffen, bauten Betten, klapperten auch schon mit ihren blechernen Eßgeschirren …

»Kohldampf!« schrie eine Stimme.

»Zigarette gefällig?« fragte Pagel und hielt das Etui über den Holztisch. Aber Herr Marofke dankte für Zigaretten.

»Müßte ’ne hübsche Decke her auf Ihren Tisch«, sagte Pagel musternd. »Überhaupt ein paar nette Sachen, Spiegel, Bilder, anständiger Aschenbecher. Man müßte den jungen Mädchen Bescheid stoßen – na, Sie werden das Kind schon schaukeln. Sie haben sicher immer mächtig Anlauf bei den jungen Mädchen gehabt, Herr Oberwachtmeister.«

Aber der Haken saß zu tief. »Wenn Herr Direktor zu mir Oberwachtmeister sagt, so ist das richtig. Aber er – er hat gar kein Recht dazu! Dann kann ich zu ihm auch Rittmeister sagen. Möchte mal sehen, was der für ein Gesicht zöge!«

»Kohldampf!« schrien zwei Stimmen. Löffel schlugen taktmäßig gegen Kochgeschirre.

»Mit dem Chef ist das komisch«, sagte Pagel nachdenklich. »Vor ’ner guten Stunde hat er mich rausgeschmissen! Jawoll, Herr Oberwachtmeister, sofortiger Rausschmiß wegen Lachens im Dienst. Ich kohle Ihnen nichts vor, Ehrenwort! – Na, ich habe ihm wohl wieder leid getan; weil ich nischt bin und habe, behält er mich nun doch. Aber weil er noch wütend auf mich ist, sagt er Herr zu mir. – Wenn er guter Laune ist, sagt er bloß immer Pagel oder junger Hund.«

Pagel saß wundervoll über den Tisch gelümmelt, blies beim Sprechen kunstvolle Rauchringe und sah seinen Gesprächspartner gar nicht an.

Der musterte ihn argwöhnisch von der Seite. »Warum redet er dann von Keuchhusten mit mir?! Wo ich einen doppelten Leistenbruch habe! Nicht jeder kann einen Heimatschuß kriegen.«

»Och –!« machte Pagel verächtlich. »Aus Schüssen macht sich der Rittmeister doch gar nichts! Zu Schüssen sagt er auch Keuchhusten. Das ist so ein Wort von ihm. – Na, Schwamm drüber!«

»Kohldampf!« schrien sie draußen lauter.

»Aus was macht sich der Rittmeister denn was?« fragte der Oberwachtmeister neugierig. »Das habe ich doch noch nie gehört, daß jemand zu Schüssen Keuchhusten sagt! Wenn einem nun ein Bein amputiert wird?«

»Sagt er auch Keuchhusten. Na Schwamm drüber. Besser verbrennt man sich seinen Mund nicht. – Herr Oberwachtmeister, ich hab eine große Bitte an Sie …«

»Kohldampf!!«

»Wenn Sie mit den Leuten Essen holen, da sind nämlich in der Küche zwei Mädchen. Auf die eine hab ich speziell ein Auge geworfen, wenn Sie da so kameradschaftlich sein wollten, mir nicht in die Quere zu kommen –? Die andere ist nämlich auch ganz hübsch …«

»Junge!« sagte der Oberwachtmeister Marofke, nun doch sehr geschmeichelt, »ist gemacht! Hab man keine Angst –«

»Danke auch bestens, Herr Oberwachtmeister!« stieß Pagel verwirrt hervor.

»Aber, Mensch, wie ich so alt war wie Sie! Ich weiß nicht, was mit euch jungen Leuten heute los ist! Ich hätte in Ihrem Alter einen Fuffziger wie mich bitten sollen! Na, ist ja gemacht, is ja gut, schäm dich man bloß nicht. Ich paß auch auf die Wachtmeister auf, da sind nämlich zwei Unverheiratete zwischen. Sie geben mir dann einen Wink, welches Ihre ist. Ich werde das Essen wohl meistens selber holen …«

»Kohldampf!!! Kohldampf!!!«

»Ja, es wird Zeit. Sagen Sie mir noch schnell, was mit Ihrem Chef los ist. Es macht dir doch nichts, wenn ich manchmal du sage? Es ist nur aus guter Meinung. Ich tu’s natürlich nicht, wenn die andern dabei sind.«

»Danke, Herr Oberwachtmeister, ehrt mich ja nur! Und mit dem Chef – aber Sie müssen mir versprechen, daß Sie unter allen Umständen dichthalten …«

»Ich –? Ich red doch nicht. Ich bin doch Beamter – von mir erfährt nicht mal der Staatsanwalt was.«

»Also schön – ganz unter uns: Der Chef war verschüttet. Den haben sie für tot aus dem Unterstand rausgezogen. Seitdem …«

»So sieht er auch aus! Marke: aufgewärmte Leiche!«

»Seitdem hat er nur ›verschüttet‹ auf der Rechnung. Zu allem andern sagt er Keuchhusten!«

»Also: Er spinnt, dein Chef! Schön, hab man keine Angst, ich reiß dich nicht rein …«

»Guten Tag, die Herren«, sagte Herr von Studmann. »Na, alles in Ordnung? Zufrieden, Herr Oberwachtmeister? Haus dicht genug gemacht? Ich glaub, da reißt Ihnen kein Bengel aus. – Entschuldigen Sie, mein Name ist von Studmann, ich bin hier so eine Art kaufmännischer Leiter. Wenn Sie was brauchen, ganz egal, was, wenn’s nicht klappt mit dem Essen, wenden Sie sich immer vertrauensvoll an mich – dem Rittmeister kommen Sie besser mit solchen Sachen nicht …«

Der Oberwachtmeister warf einen Blick tiefsten Verständnisses auf den jungen Pagel. »Jawohl, Herr, wenn ich vielleicht um eine Tischdecke und einen Aschenbecher bitten dürfte?«

»Sollen Sie alles haben«, sagte Herr von Studmann freundlich. »Sie sollen sich hier wohl fühlen. – Pagel, gehen Sie essen, es steht schon auf dem Tisch. Ich werde mit Herrn Oberwachtmeister Essen fassen.«

Pagel warf einen Blick tiefsten Schmerzes auf den Oberwachtmeister, der ihm beruhigend zunickte, sagte: »Jawohl, Herr von Studmann« und entschwand.

»Kollege Siemens!« rief der Oberwachtmeister mit Krähstimme in den Flur. »Lassen Sie vier Mann zum Essenholen antreten. Suchen Sie alte Leute aus, verheiratete, es sollen hübsche junge Mädchen in der Küche sein.«

Ein Gesumme, Gelächter, Gejohle erhob sich in der Kaserne.

»Wer hat Ihnen denn das erzählt von den hübschen jungen Mädchen?« fragte von Studmann verwundert. »Etwa der junge Pagel?«

»Ein Strafanstaltsbeamter muß all so was sofort wissen«, schmunzelte der Oberwachtmeister stolz. »Bei meinen Jungen muß ich auf dem Draht sein – die gehen ran!«

»Sie haben mir noch nicht gesagt, von wem Sie Ihre Wissenschaft haben, Herr Oberwachtmeister«, sagte von Studmann trocken. »Es war doch Pagel –?«

»Na ja«, sagte der Oberwachtmeister gönnerhaft, »ich glaub, der Junge hat sein Herz in Heidelberg verloren. Unter uns, streng vertraulich: Er hat mich gebeten, ein Auge auf sein Mädchen zu haben, daß nichts passiert, verstehen Sie …«

»Soso, der Pagel«, meinte Herr von Studmann sehr verwundert, »welche von beiden ist es denn: die Amanda oder die Sophie? Natürlich die Sophie, nicht wahr?«

»Das hat er mir noch nicht gesagt. Er wollte sie mir beim Essenholen zeigen, aber da kamen Sie ja dazwischen.«

»Tief bedauerlich!« lachte Herr von Studmann. »Nun, er wird es ja nachholen können …«

Nachdenklich ging Studmann hinter dem Kommandoführer her. Nachdenklich hörte er eine etwas erregte Auseinandersetzung mit an, weshalb nicht vier verheiratete ältere Leute zum Essenholen bereitstanden, sondern nur drei – und der vierte war ein junger Mensch mit einem unsympathisch glatten, hübschen Gesicht, mit falschen Augen und einem zu starken Kinn.

»Ich will den Liebschner nicht!« schrie Herr Marofke. »Wenn ich ältere Leute sage, heißt das nicht Liebschner! Der hat sich reingemogelt – du gehörst überhaupt nicht in mein Kommando, du gehörst in die Zelle ›Mattenflechten‹! Der Brandt hat sich Blasen an die Füße gelaufen und kann nicht Essen holen? – Ich hab auch ’ne Blase, und sogar im Bauch, und kann doch!« Beifälliges, brüllendes Gelächter. »Wenn ich dich noch mal beim Essenholen erwische, Liebschner, marschierst du den gleichen Tag in den Bunker zurück, verstanden?! He, du da, Wendt, faß du den Essenkessel mit an! Abmarsch!«

Nachdenklich hörte sich das Herr von Studmann an. Aber er hörte es gar nicht recht, es ging zum einen Ohr herein und zum andern Ohr hinaus. Der ehemalige Oberleutnant dachte über den jungen Pagel nach. Der junge Pagel interessierte ihn. Von Studmann gehörte zu den Menschen, die immer über etwas nachdenken und grübeln müssen, aber niemals über sich. Er tat, was getan werden mußte, alles war ganz selbstverständlich, er war ein völlig uninteressanter Mensch. Doch der Pagel zum Beispiel war hochinteressant. Der Oberleutnant hatte ihn aufmerksam beobachtet, der Junge tat seine Arbeit ordentlich und fleißig. Er war immer gleichmäßig gut gelaunt, nicht übelnehmerisch, fand sich überraschend in die fremde Landarbeit. Griff mit zu. Er war ein Spieler gewesen – aber nichts verriet, daß er sich nach dem Spiel zurücksehnte. Er hatte keinen Hang zum Alkohol – und daß er viel zuviel rauchte, war eine Zeitkrankheit, von der auch Herr von Studmann nicht frei war. Immerzu wurde angebrannt, losgepafft, weggeworfen, schon wieder angebrannt.

Der junge Pagel war in Ordnung, es war kein Fehl und Tadel an ihm, er tat seine Sache!

Aber er war doch nicht in Ordnung! Es war kein Leben in ihm, er ging nicht aus sich heraus, er begeisterte sich nicht, er erzürnte sich nicht. Gott, der Bursche war dreiundzwanzig Jahre alt – da konnte er doch nicht ewig mit diesem halben, versteckten Lächeln herumlaufen und sich und alles unwichtig nehmen. Als sei die ganze Welt ein Schwindel, und ausgerechnet er habe es entdeckt! Er war, wenn man an ihn dachte, wie durch einen Schleier gesehen, unscharf, verschwimmend – als lebe er nicht, als vegetiere er bloß, als habe sein Gefühlsleben eine Lähmung erlitten!

Das alles hatte Herr von Studmann schon lange beobachtet, und er hatte sich dabei beruhigt, daß diese Stumpfheit eine Übergangserscheinung sei: Pagel war ein Genesender. Er hatte da eine Liebesgeschichte gehabt, sie war ihm tiefer gegangen, als er geglaubt hatte, er litt noch darunter. Vielleicht war es falsch gewesen, jede Aussprache über diese Sache abzulehnen, aber Herr von Studmann meinte, daß man Wunden in Ruhe lassen soll.

Und nun diese Nachricht, daß Pagel eine neue Liebelei hatte, daß er mit anderen davon sprach, daß er mit Angst an ein Mädchen dachte! Aber dann war ja alles ganz anders, dann war etwas faul im Staate Dänemark, dann war er kein Verletzter, kein Gelähmter, kein Genesender! Dann war er einfach ein fauler Kopf, ein indolenter Bursche, den man auf den Trab bringen mußte!

Studmann nahm sich vor, Pagel noch viel schärfer zu beobachten, noch kameradschaftlicher zu behandeln – es war ja noch immer eine unsichtbare Wand zwischen ihnen! Ein dreiundzwanzigjähriger Bursche – der keine näheren Beziehungen zu irgendeinem Menschen auf der Welt unterhielt, der solch nähere Beziehungen nicht einmal wollte – das war ja direkt unheimlich! Man wurde doch mit dreiundzwanzig kein Eremit! Soviel Herrn von Studmann bekannt war, hatte Pagel auch noch immer nicht an seine Mutter geschrieben – das war auch nicht richtig, da zuerst würde er eingreifen. Alle Kindermädcheninstinkte waren plötzlich in Herrn von Studmann erwacht – er fühlte eine Aufgabe, und er würde über sie nachdenken, grübeln, sie lösen –!

Der gute Studmann – wenn er einmal über sich nachgedacht hätte statt über andere, es wäre ihm klargeworden, daß er sich mit solchem Eifer auf diese neue Aufgabe stürzte, weil er mit seiner alten gescheitert war. Nach der Unterredung am heutigen Vormittag hatte er, ohne es zu wissen, den Rittmeister aufgegeben. Der Rittmeister war nicht zu retten, er war ein unverbesserlicher Hitzkopf – aus einer Übereilung gerettet, stürzte er mit allem Elan in die nächste! Er war ein Kind, das seine Aufgabe nie lernen würde, der Lehrer mußte sein Amt niederlegen. Wenn der Oberleutnant jetzt an den Rittmeister dachte, so dachte er nicht mehr: Wieder einen Schritt vorwärts!, sondern: Was wird er nun wieder anrichten? Er wollte den Rittmeister nicht verlassen, es war da eine Frau, eine Tochter (auch begehrenswerte Aufgaben), aber der Rittmeister war ohne Interesse für ihn: Ein Rätsel, das wir haben raten wollen und von dem sich herausstellt, es ist gar kein Rätsel, sondern nur eine Anhäufung von Widersinnigkeiten, das lockt uns nie wieder.

Nachdenklich läßt Herr von Studmann seinen freundlichen braunen Blick abwechselnd auf der Amanda Backs und der Sophie Kowalewski ruhen. Die Amanda, derb wie ein starkknochiges belgisches Pferd, scheint ihm nicht in Frage zu kommen. (Obwohl man über den Liebesgeschmack eines andern nie urteilen kann!) Die Sophie – nun ja, ganz hübsch, aber bei näherem Zusehen findet Studmann doch, daß ihr Gesicht manchmal durch die mädchenhaften Züge hindurch etwas Böses, Scharfes bekommt. Dann sind ihre Augen wie Stecknadeln, ihre Stimme wird fast heiser.

So, als sie jetzt zu dem Oberwachtmeister Marofke sagt: »Soll das etwa ein Mißtrauen gegen uns sein?!«

Der Herr Marofke mag vielleicht eine putzige Kruke sein, vor allem leicht zerbrechlich, ein erfahrener Strafanstaltsbeamter ist er doch. Studmann denkt, es hätte schlimmer kommen können.

Marofke hat die vier Essenholer mit dem Kollegen Siemens vor der Waschküchentür warten lassen. Er hat sich von den Mädchen einen Löffel Essen zum Abschmecken geben lassen, er hat sie sogar belobigt: »Da steckt Murr drin! Da werden meine Jungen lachen!«

Dann hat er ihnen gezeigt, wie sie das Mannschaftsessen bereitstellen sollen, und nun hat er ihnen gesagt, daß sie sich, ehe die Leute zum Essenholen hereinkommen, in den Kellergang zurückzuziehen haben. Darauf hat Fräulein Sophie sehr böse gefragt: »Soll das etwa ein Mißtrauen gegen uns sein?!«

»I wo«, sagt der kleine Marofke ganz friedlich. »Das gilt für alles Weibliche – nicht bloß für so ’ne kleine Hübsche!«

Sophie Kowalewski wirft den Kopf zornig in den Nacken und ruft: »Wir machen uns nicht mit solchen Zuchthäuslern gemein! So was müssen Sie nicht von uns denken!«

»Aber meine Jungen machen sich schrecklich gern mit Ihnen gemein, Fräulein«, erklärt der Oberwachtmeister.

»Komm doch, Sophie!« mahnt auch Amanda. »Was mir schon daran liegt, die Kerle zu sehen!«

Aber Sophie ist seltsam hartnäckig – ach, sie hat den Kopf verloren, nur um sofort zu erfahren, ob er mitgekommen ist, setzt sie alles so listig Begonnene aufs Spiel! Wozu hat sie sich denn um den Posten in dieser alten häßlichen Küche beworben, macht ihre gepflegten Hände mit Kartoffelschälen und Kaltwasserpanscherei rot und häßlich, hat auf ihre schöne freie Zeit verzichtet – wenn sie ihm hier nicht einmal begegnen soll?! Nun ist sie ja schlechter daran als alle andern: hätte sie vor der Schnitterkaserne, an der Dorfstraße gestanden, dann hätte sie ihn doch wenigstens vorübermarschieren sehen!

Sie wagt alles, sie stellt kopflos sogar ihre guten Beziehungen zu Herrn von Studmann auf die Probe, sie sagt zu ihm: »Nicht wahr, Herr von Studmann, der Herr darf mich doch nicht aus meiner eigenen Küche schicken? Der Herr hat mir doch gar nichts zu sagen!«

Herr von Studmann denkt immerzu scharf nach, er beobachtet genau, aber er kann den Schlüssel zu diesem Rätsel nicht finden! »Seien Sie vernünftig, Fräulein Sophie«, sagt er freundlich, »erschweren Sie dem Herrn seinen Dienst nicht noch.«

Herr von Studmann ist überrascht von dem bösen, scharfen Blick, den Sophie auf den Oberwachtmeister wirft, ein Blick voller Haß. Aber warum in aller Welt soll Sophie den kleinen spitzbäuchigen Herrn hassen?! Es ist nur dieser eine Blick; nun, nachdem alles umsonst war, rettet Sophie, was zu retten ist.

»Natürlich gehe ich gerne aus meiner Küche, wenn mir das gesagt wird«, zieht sie sich zurück. »Nur können Amanda und ich dann für nichts hier aufkommen – die gnädige Frau hat uns alles zugezählt, Tücher und Geschirr …«

Damit klappt die Tür zum Kellergang, die beiden Mädchen sind fort. Der Oberwachtmeister ruft seine Leute herein, die vorsichtig das bereitgestellte Essen in die Tragkessel umschütten. Dabei flüstert Herr Marofke dem Oberleutnant zu: »Ich habe erst gedacht, es ist die schlanke Hübsche – die von Herrn Pagel, verstehen Sie? Aber es muß die andere sein. Die kleine Hübsche ist scharf auf meine Jungen, scharf wie Gift. Auf die werde ich ein Auge haben, die will sich was anlachen!«

»Aber nein!« protestierte Herr von Studmann nicht ganz überzeugt. »Ich kenne Fräulein Sophie als sehr anständig …«

Ich kenne sie ja gar nicht, denkt er plötzlich. In der Eisenbahn damals hatte ich sogar einen ausgesprochen schlechten Eindruck von ihr …

»Sie ahnen ja nicht«, sagt der Oberwachtmeister belehrend, während die beiden hinter den Essenholern zur Kaserne zurückgehen, »wie komisch das mit den Weibern ist. Manche sind ganz verrückt nach unsern Jungen … Kennen sie gar nicht; aber grade, weil es Zuchthäusler sind! Früher haben wir in Meienburg im Winter, wenn Schnee lag, die Straßen gefegt. Sie können sich nicht denken, was manche Frauen aufgestellt haben, um Briefe einzuschmuggeln … Nee, Herr von Studmann, darin sind die Weiber ein völliges Rätsel, und die schlanke Hübsche …«

»Jawohl«, sagt Herr von Studmann von Zeit zu Zeit. Er findet dies auch rätselhaft. Aber er wird das Rätsel schon lösen. Vorerst steht er einmal in dem Gemeinschaftsraum und sieht zu, wie die Kerls es sich schmecken lassen. Jawohl, es schmeckt ihnen, und während sie hastig an dem einen Schlag löffeln, schielen sie schon wieder nach dem Kessel, ob wohl noch ein zweiter und womöglich ein dritter Schlag darin ist.

Aber der Clou, der Gipfel sind doch die Salzkartoffeln! Kartoffeln, nicht in der Suppe mitgekocht, in der sie ja doch nur hart werden, sondern extra gekocht, in einem Riesentopf! Das haben die Jungen nicht mehr gehabt, seit sie »drin« sind. Manche rollen die heißen Kartoffeln von einer Hand in die andere und essen sie so, ohne Suppe, sobald sie ein wenig abgekühlt sind.

»Großartig, Herr Chef!« rufen sie zu Studmann. »Können Sie uns nicht mal Pellkartoffeln und Hering machen lassen –?«

»Könnt ihr haben«, verspricht Herr von Studmann.

»Ick hab den Matjes gerne mit Sahne!« ruft eine Stimme.

»Und schön auf Eis, wat, Herr Chef?«

»Ick«, ruft ein dritter, »muß zu den Pellkartoffeln aber ’ne Braut haben, die die Pelle abschält … Wenn Se dat machen könnten, Herr Chef?«

Brüllendes Gelächter.

So sind sie, schlimmer sind sie nicht, aber besser sind sie auch nicht. Zutraulich und frech, leicht zufrieden und gierig – sie haben viel von Kindern, denkt Herr von Studmann, nur nicht deren Unschuld.

Jetzt stürmen sie auf Herrn von Studmann ein. Ihr Hunger ist gesättigt. Nun betteln sie um Tabak! Tabak, das Beste auf der Welt, solange man ihn entbehrt; das Selbstverständliche, wenn man ihn hat. Sie wissen, sie haben erst ein Anrecht auf ihn, wenn sie eine Woche gearbeitet haben: kommenden Sonntag sind zwei Päckchen Tabak pro Kopf fällig. Aber auch darin sind sie wie die Kinder, eine Freude, die erst morgen, die erst Sonntag kommt, ist gar keine Freude – gleich muß es sein!

Nun, Herr von Studmann läßt sich auch breitschlagen, er verspricht, den jungen Pagel mit fünfzig Paketen Tabak zu schicken. Er geht ins Beamtenhaus. Die Gefangenen finden, daß er ein großartiger Kerl ist, sie werden ihm noch das Fell von den Rippen schwatzen, schwören sie. Den werden wir noch tüchtig melken, sagen sie, das ist einer, den man auf die süße Tour nehmen muß. Sie schnattern durcheinander, es ist ein Höllenlärm. Nun fahren die Wachtmeister dazwischen, denn die Zucht darf nicht aufgegeben werden. Sie sind nicht auf Ferien hier, sie sollen arbeiten! –

Als Herr von Studmann die Tür zum Büro öffnet, sieht er da Herrn von Teschow und den jungen Pagel in trautem Verein sitzen. Die beiden Herren, der älteste und der jüngste Landwirt von Neulohe, scheinen sich ausgezeichnet zu verstehen: sie haben beide sehr vergnügte Gesichter.

»Ich erzähle Ihrem Jüngling grade«, sagt Herr von Teschow dröhnend, »was ich so als angehender Forkenjünger zu fressen kriegte. Schweinskotelett mit Spinat an einem hundsgemeinen Wochentag –? Oje, oje! Dreimal in der Woche aufgebratene Mehlklöße! Schließlich schmissen wir sie an die Decke, und da blieben sie kleben, so kleisterig waren sie. Als ich wegging von dem Gut, klebten sie noch immer da.«

»Und was aßen Sie tatsächlich?« fragt Herr von Studmann höflich, um so höflicher, da er sich schändlich ärgert. Denn von der vorhergegangenen Unterredung mit dem Rittmeister liegen noch alle möglichen Schriftstücke offen auf dem Schreibtisch. Es ist ja nichts Verfängliches, aber der Alte ist schlau, der errät aus einer Andeutung einen ganzen Kriegsplan.

»Wir klauten wie die Raben!« sagt Herr von Teschow. »Speisekammer, Räucherkammer, Apfelkammer – zu jedem Loch hatten wir Nachschlüssel …«

»So daß am Ende Schweinskotelett mit Spinat für den Arbeitgeber doch vorteilhafter ist«, meint Herr von Studmann trocken. »Pagel, wollen Sie so freundlich sein und in die Schnitterkaserne fünfzig Pakete Tabak bringen …«

»Sie fangen ja gut an!« ruft der Geheimrat dröhnend. »Noch keinen Schlag gearbeitet, die Aasbande, und schon fünfzig Pakete Tabak! Bei Ihnen möchte ich auch Arbeiter werden –! Na, ich rede Ihnen nichts rein …«

Pagel entschwindet, dem Geheimrat freundlich mit der Hand zuwinkend. Herr von Studmann sieht Herrn von Teschow auffordernd an, denn der alte Mann hat sich auf Studmanns Platz gesetzt, nämlich an den Schreibtisch, nämlich genau vor die verstreuten Briefe – er sieht den Besitzer Neulohes auffordernd an. Aber der Besitzer sitzt, wo er sitzt. So nimmt Studmann die Briefe vom Tisch und fängt an, sie in die gehörigen Mappen zu schieben.

»Der Kram hätte mich auch nicht weiter gestört«, sagt der alte Herr gönnerhaft. »Wenn ich Briefe nicht beantworten muß, stören sie mich gar nicht. – Aber Sie schreiben wohl gerne?«

Herr von Studmann murmelt irgend etwas, es kann eine Antwort sein, es braucht aber keine zu sein.

»Ich sag immer, ein Landwirt braucht überhaupt nicht schreiben zu können. Ein bißchen lesen, meinethalben, damit er die Vieh- und Kornpreise in der Zeitung lesen kann, aber schreiben – zu was denn? Damit sie Wechsel querschreiben können, he? Die ganze Bildung ist ’ne Erfindung von den Roten! Sagen Sie mal, was hat so ’n Landarbeiter davon, daß er schreiben kann? Daß er unzufrieden wird, das hat er davon!«

»Waren früher alle zufrieden?« fragt Herr von Studmann. Er hat seine Briefe abgelegt und lehnt nun rauchend am Ofen. Eigentlich müßte er unbedingt auf den Hof hinaus und nach der Wirtschaft sehen. Aber er ist entschlossen, geduldig abzuwarten, was der alte Herr will. Denn wenn er es nicht anhört, wird es sich der Rittmeister anhören müssen, und dann geht es bestimmt schief.

»I wo!« sagt der alte Herr. »Zufrieden waren wir früher auch nicht. Der Mensch ist zum Meckern geboren, das sage ich Ihnen, mein lieber Herr von Studmann! Wenn der Mensch geboren wird, dann meckert er gleich los wie ein junges Zicklein, und wenn er stirbt, röchelt er wie ein oller Ziegenbock. Und die ganze Zwischenzeit meckert er feste weiter. Nee, zufrieden waren wir natürlich auch nicht, früher! Aber es ist ein Unterschied, mein Verehrtester. Früher wollte jeder nur mehr haben, als er grade hatte; heute will jeder partout das haben, was der andere hat!«

»Da ist was Wahres dran!« bestätigt Herr von Studmann und überlegt sich in aller Eile, was er gerne hätte, was jetzt andere haben. Es fällt ihm sogar etwas ein.

»Und ob da was Wahres dran ist!« sagt der Alte triumphierend. Er ist jetzt ganz zufrieden. Der junge Pagel hat ihm gutgetan, und der Herr von Studmann hat ihm auch gutgetan. Es sind beides umgängliche Leute – nicht so was wie sein Schwiegersohn.

»Hören Sie zu, Herr von Studmann«, meint er darum gemütlich. »Wir sprechen vom Meckern. Nun, was meine Gnädige ist, die meckert auch. Und darum sitze ich hier.«

Herr von Studmann sieht ihn fragend an.

»Ja, mein lieber Herr von Studmann, Sie haben Schwein, Sie sind Junggeselle. Aber ich alter Mann –! Diesmal sind es Ihre Teufelshusaren –!«

»Wer?!«

»Na, die Zuchthäusler dort, sie nennen sich doch selber so! Seit sie vor gut einer Stunde angekommen sind, gibt es keine Ruhe: ›Horst-Heinz, ich ertrage es nicht, in unserm lieben Neulohe Zuchthäusler! Und wenn ich aus dem Fenster sehe, dann sehe ich sie, und es sind doch alles Mörder und Räuber, und nun singen sie auch noch – Mörder dürften doch nicht singen‹ …«

»Soviel ich gehört habe, singen sie aber ganz einwandfreie Lieder.«

»Was ich ihr gesagt habe, mein verehrter Herr von Studmann! Genau meine Worte! Singen ja sogar die ›Rasenbank am Elterngrab‹, habe ich ihr gesagt. Aber nein, ihr will es nicht in den Kopf, daß Mörder singen. Mörder müssen ihr ganzes Leben lang bereuen, denkt sie.«

»Es sind gar keine Mörder darunter!« sagt Herr von Studmann, eine Spur ärgerlich, denn er merkt, daß dieses Geschwätz doch auf etwas Ernsteres hinauswill. »Es sind Diebe und Betrüger, alles verhältnismäßig Kurzstrafige mit guter Führung …«

»Meine Worte, Herr von Studmann, genau, was ich der Frau gesagt habe! Aber sagen Sie einer Frau was, wenn sie etwas anderes im Kopf hat! ›Warum sind sie denn im Zuchthaus, wenn sie keine Mörder sind?‹ sagt sie. ›Für die Diebe sind doch die Gefängnisse da.‹ Ich kann der Frau doch nicht das ganze Strafgesetzbuch auseinanderpolken!«

»Und was soll werden?« fragt Herr von Studmann. »Was wünscht die gnädige Frau?«

»Und dann ist da noch die Sache mit unserer Waschküche«, fährt der Geheimrat fort. »Nun ja, meine Frau hat sie zur Verfügung gestellt fürs Essenkochen. Aber nun will sie plötzlich nicht mehr. Sie kennen das nicht so, Sie sind Junggeselle. Nun jammert sie über ihre schönen Kessel, in denen sonst unsere Wäsche kocht, und nun das Essen für Ihre Brüder. – Entschuldigen Sie bloß, so habe ich das nicht gemeint, Ihre Brüder sind’s natürlich nicht. Aber mit der Backs ist es ihr auch nicht mehr recht, daß die nur noch halb fürs Geflügel da ist. Heute morgen wären’s schon weniger Eier als gestern …«

»Die Hühner haben heute morgen aber bestimmt noch nicht gewußt, daß die Zuchthäusler kommen!« meint Herr von Studmann lächelnd.

»Da haben Sie recht! Hähähä!« lacht der bärtige Greis und haut knallend auf den Schreibtisch. »Das muß ich meiner Frau erzählen! Das wird sie mächtig ärgern. Großartig! Die Hühner haben’s noch nicht gewußt! Meine Frau hat sonst ein Faible für Sie, Herr von Studmann – na, das wird sie kurieren! Wirklich ausgezeichnet!«

Herr von Studmann ärgert sich schändlich über seinen Fehler. Der Alte ist in seiner Biedermännischkeit ein so ungeheuerliches Aas, er nützt jede Blöße, die sich der andere gibt, so rücksichtslos aus – nun, man muß eben noch viel mehr aufpassen. Und nie die Geduld verlieren, denn das will er ja bloß.

»Wir wollen gewiß Ihrer Frau Gemahlin mit unsern Leuten nicht lästig fallen«, sagt er höflich. »Wir werden tun, was wir können. Die Waschküche wird geräumt werden. Die Kocherei wird sich auch irgendwo anders einrichten lassen, in der Futterküche oder in der Villa, ich werde sehen. Die Backs wird abgelöst. Ich werde zu der Kowalewski noch die Hartig nehmen …«

»Die Sophie –?!« ruft der alte Herr erstaunt aus. »Das wissen Sie noch nicht?! Na, Sie wissen ja großartig in Ihrem eigenen Betrieb Bescheid, muß ich sagen. Wie ich hier hinüberlatsche, stand doch die Sophie im Kellergang und heulte, Ihr Wachtmeister hätte sie beleidigt, sie machte nicht mehr mit … Ich hab ihr natürlich zugeredet, aber Sie wissen ja, wie so Mädchen sind …«

»Jedenfalls danke ich Ihnen bestens, daß Sie ihr zugeredet haben, Herr Geheimrat«, sagt Herr von Studmann ein wenig schärfer. »Auch für Sophie Kowalewski wird sich Ersatz finden. Das Singen in der Schnitterkaserne werde ich untersagen. – Damit wären also alle Mängel behoben, nicht wahr?«

»Reizend von Ihnen!« ruft der alte Herr strahlend. »Mit Ihnen kann doch ein vernünftiger Mensch noch verhandeln! Wenn das mein Schwiegersohn gewesen wäre! Fett und Feuer!! Aber – aber –«, der Geheimrat schüttelt betrübt den Kopf, »es ist ja leider noch immer nicht alles, mein lieber Herr von Studmann. Wenn meine Frau am Fenster sitzt – und dann sieht sie diese Zuchthäuslertracht … Sie erträgt es nicht, Verehrtester, es regt sie ständig auf, es ist ’ne alte Frau, ich muß auf sie Rücksicht nehmen …«

»Ich darf die Leute leider nicht anders einkleiden«, sagt Herr von Studmann. »Seien Sie überzeugt, ich würde sonst auch das tun! Aber das Schloß hat vier Fronten – wenn Ihre Frau Gemahlin vielleicht ein Fenster an einer der drei andern Fronten wählen würde?«

»Mein verehrter Herr von Studmann«, antwortet der Geheimrat, »meine Frau hat, sagen wir, netto fünfzig Jahre an ihrem Fenster gesessen. Da können Sie wirklich nicht erwarten, daß sie auf ihre alten Tage noch umzieht, bloß weil Sie Zuchthäusler nach Neulohe importieren!«

»Und was wünschen Sie, das wir tun?« fragt Herr von Studmann.

»Aber Herr von Studmann!« sagt der Geheimrat strahlend. »Diese Leute dahin zurückschicken, wohin sie allein gehören: ins Zuchthaus! – Und am besten heute noch!«

»Und die Ernte –?!« rief Herr von Studmann entsetzt.

Der Geheimrat hob lächelnd die Achseln.

»Sie verlangen es nicht im Ernst?!« fragte Studmann ungläubig.

»Mein lieber Herr!« sagte der Geheimrat grob. »Glauben Sie, ich stell mich in der Mittagszeit ’ne halbe Stunde hin und quassele aus Spaß mit Ihnen?! Die Leute kommen weg aus Neulohe, und das heute noch!«

Der Geheimrat war aus seinem Sessel aufgestanden und sah Herrn von Studmann böse funkelnd an.

Aber da es nun ein Kampf sein sollte, war der ehemalige Oberleutnant ruhig. »Herr Geheimrat«, sagte er, »Ihr Einwand kommt zu spät. Sie wissen seit vierzehn Tagen von unserm Vorhaben, ein Zuchthauskommando kommen zu lassen. Sie haben keine Einwendungen dagegen erhoben. Im Gegenteil: Sie haben uns Ihre Waschküche und Ihre Geflügelmamsell dafür zur Verfügung gestellt. Damit haben Sie Ihr Einverständnis erklärt …«

»Kieke da!« spottete der Geheimrat. »Der kleine Rechtsanwalt in der Westentasche! Aber wenn andere schlau sind, ich bin noch schlauer. Nach Paragraph 21 des Pachtvertrages hat der Pächter jede Beeinträchtigung des Wohnrechtes des Verpächters sofort abzustellen. Ihre Verbrecher sind eine Beeinträchtigung des Wohnrechtes. Sofort, als sich diese Beeinträchtigung herausstellte, habe ich bei Ihnen Abhilfe verlangt. Nun her mit der Abhilfe! Und weg mit den Leuten!«

»Wir weigern uns!« sagte Herr von Studmann. »Wir werden den Nachweis führen, daß eine mit polnischen Schnittern, ihren Weibern und Kindern besetzte Kaserne sehr viel störender wirkt als die unter strammer Zucht stehenden Strafgefangenen. Wir werden weiter nachweisen …«

»Vor Gericht, was?« rief der Geheimrat verächtlich. »Rufen Sie nur das Gericht an, mein kluger Herr! Jedes Anrufen des Gerichts löst das Pachtverhältnis! Paragraph 17 des Vertrages! Rufen Sie man an – ich übernehme die Ernte gerne …«

Studmann trocknete sich die Stirne. Oh, mein lieber Prackwitz! dachte er. Wenn du hier stündest! Aber du hast keine Ahnung, und du wirst nie eine Ahnung haben … Er sah nach dem Schreibtisch hin: Der geht aufs Ganze. Er hat sicher die Briefe mit den Angeboten der Getreidehändler gelesen. Pagel ist viel zu achtlos, zu vertrauensselig. Er ist gierig – er will nicht nur den Schwiegersohn weg haben, er möchte jetzt auch noch die Ernte dazu … Es muß mir ein Ausweg einfallen …

»Na, Herr von Studmann«, sagte der alte Herr zufrieden. »Landwirtschaft ist noch was anderes als Hotelbetrieb, wie? Wozu wollen Sie sich hier ärgern? Mein Schwiegersohn dankt Ihnen das bestimmt nicht. Schicken Sie die Leute weg, und wenn Sie vernünftig sind, reisen Sie auch. Das ist hier doch ’ne geplatzte Blase, da kriegen Sie auch keine Luft wieder rein …«

Herr von Studmann stand am Bürofenster. »Einen Augenblick«, sagte er, er sah nach der Kaserne hinüber. Jetzt traten aus der Tür: Pagel; ein, zwei, drei Zuchthäusler; nun ein Wachtmeister … Sie gingen ab, verschwanden den Weg hinunter, wohl zum Geräteschuppen …

Das hat die alte Frau nun auch oben gesehen, dachte er. Da kann man nichts machen. Da gibt’s keinen Ausweg. – Natürlich möchte er vor allem mich weg haben, mit Prackwitz hat er leichtes Spiel, der schmeißt ihm den Kram heute noch vor die Füße und schenkt ihm die schöne Ernte … Nein, nein.

Ein Gedanke kam ihm, gleich verwarf er ihn. Aber er sah schärfer nach der Kaserne. Sie stand mit dem spitzen roten Giebel zu Beamtenhaus und Schloß hin. In dem Giebel saßen Tür und ein Dachfenster, den Anblick der beiden Längsseiten entzogen Flieder- und Schneeballbüsche. Studmann sah, blinzelte. Nein, der Gedanke war doch nicht schlecht, es war der Gedanke …

Er drehte sich mit einem Ruck um.

»Es wurden vier Ausstellungen vom Verpächter gemacht?« sagte er. »Erstens die Backs …«

»Stimmt!« bestätigte der Geheimrat vergnügt.

»Die Backs wird freigegeben. Ist erledigt?«

»Stimmt!« grinste der Alte.

»Die Benutzung der Waschküche wird aufgegeben.«

»In Ordnung!« lachte der Alte.

»Es wird nicht mehr gesungen.«

»Schön schön. Und den vierten hohlen Backenzahn füllen Sie mit all Ihrer Schlauheit nicht, Studmännchen.«

»Ich bin nicht Dentist. Vierter Einwand: die Leute sind vom Schloß zu sehen.«

»Stimmt!« grinste der Herr von Teschow.

»Sonst nichts?« fragte Herr von Studmann.

»Sonst nichts!« lachte der Alte.

»Wird behoben!« sagte Herr von Studmann und konnte nicht hindern, daß Triumph in seiner Stimme klang.

»Nanu?« rief der Alte verblüfft. »Sie werden doch nicht –?«

»Was werde ich nicht?«

»Die Kaserne fortfahren? Geht nicht. Die Leute umlegen? Geht auch nicht, von wegen der sicheren Verwahrung. Und sonst …« Der Alte grübelte …

»Sie entschuldigen mich, Herr Geheimrat«, sprach Herr von Studmann so freundlich-gnädig, wie nur ein Sieger freundlich-gnädig sein kann. »Ich muß sofort die nötigen Anweisungen geben, damit spätestens am Abend der Schaden behoben ist …«

»Da möchte ich doch wissen …«, sagte der alte Herr und ließ sich ohne allen Protest durch Studmann aus dem Büro schieben. »Wenn aber am Abend nicht alles in Ordnung ist –!« rief er mit einem Rückfall in das frühere Drohen.

»Es ist am Abend alles in Ordnung«, erklärte Herr von Studmann vergnügt und schob den Büroschlüssel ostentativ in die Tasche, statt ihn wie üblich in das blecherne Briefkästchen zu legen. »Ich bitte um die besten Empfehlungen an die Frau Gemahlin …« Er entschritt, dem Hofe zu, wie ein Sieger. Der Geheimrat sah ihm verblüfft nach.

Wolf unter Wölfen
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