7

Wolfgang Pagel sah die dunkle Straße in der Nähe des Wittenbergplatzes auf und ab. Wenige eilige Fußgänger passierten sie noch. Es war kurz nach Mitternacht. Dort hinten, wo weißlich leuchtend der Platz sich weitete, lehnte irgendein männliches Individuum gegen eine Hauswand, mit Schiebermütze und Zigarette und, trotz der sommerlichen Hitze, die Hände in den Taschen – alles, wie es sich gehörte.

»Das ist er«, sagte Wolfgang und nickte. Plötzlich fror ihn – er war so nahe am Ziel. Spannung und Erwartung hatten ihn gefaßt.

»Wer ist das?« fragte von Studmann, ziemlich uninteressiert. Es war eine langweilige Sache, nachts durch halb Berlin geschleppt zu werden, todmüde, um schließlich einen Kerl mit Schiebermütze anschauen zu dürfen.

»Der Spanner!« sagte Wolfgang, ohne jedes Gefühl für die Müdigkeit seiner beiden Begleiter.

»Ihre Kenntnis Berlins in allen Ehren!« schalt der Rittmeister von Prackwitz. »Hochinteressant zweifelsohne, daß man solchen Kerl einen Spanner nennt – aber wollen Sie uns nicht endlich erklären, was Sie eigentlich vorhaben?!«

»Gleich!« sagte Pagel und spähte weiter.

Der Spanner pfiff und verschwand in die Helle des Wittenbergplatzes hinaus. Ganz in der Nähe der drei Herren knackte ein Schlüssel in einem Haustor, aber es erschien niemand.

»Sie haben die Haustür abgeschlossen; es ist noch immer das alte Haus, Nummer 17«, erklärte Pagel. »Jetzt kommt Schupo. Wir wollen unterdes einmal ums Viereck gehen.«

Aber der Rittmeister wurde rebellisch. Er stampfte mit dem Fuß auf und rief hitzig: »Ich weigere mich, Pagel, diesen Quatsch länger mitzumachen, wenn Sie uns nicht sofort erklären, was Sie vorhaben. Wenn es lichtscheue Sachen sind, dann danke ich bestens! Ich sehne mich offen gestanden nach einem Bett, und Studmann wird es nicht anders gehen.«

»Was ist ein Spanner, Pagel?« fragte Studmann sanft.

»Ein Spanner ist jemand«, erklärte Pagel bereitwillig, »der spannt, ob die Schupo kommt und ob überhaupt die Luft rein ist. Und der die Haustür eben schnell abschloß, das war der Schlepper, der schleppt die Gäste rauf …«

»Es handelt sich also um etwas Verbotenes!« rief der Rittmeister noch hitziger. »Danke schön, mein verehrter Herr Pagel, da mache ich nicht mit! Ich will nichts zu tun haben mit der Polizei, darin bin ich wieder mal altmodisch …«

Er brach ab, denn die beiden Schupos waren herangekommen. Sie schlenderten nebeneinander, ein stämmiger Großer und ein dicker Kleiner, den Sturmriemen des Tschakos unter dem Kinn; leise klirrten die Kettchen, an denen die Gummiknüttel hingen. Der Lärm ihrer eisenbeschlagenen Schuhsohlen hallte von den Hauswänden wider.

»Guten Abend«, sagte Pagel halblaut, höflich.

Nur der Große, der am nächsten an den dreien vorüberging, wandte ein wenig den Kopf. Aber er antwortete nicht. Langsam gingen die beiden Hüter der Ordnung vorüber, die Straße hinab. Ferner schallte der Lärm ihrer Schuhnägel in die Stille der drei hinein. Dann bogen die Schupos in die Augsburger Straße ein, und Pagel machte eine kleine, erleichterte Bewegung.

»Ja«, sagte er und fühlte, daß das Herz wieder ruhiger klopfte, denn er hatte doch gefürchtet, es könnte in letzter Minute noch ein Hindernis geben. »Jetzt sind sie weg, jetzt können wir gleich hinauf.«

»Fahren wir also nach Haus, Studmann!« sagte der Rittmeister ärgerlich.

»Was ist da oben?« fragte Studmann und nickte mit dem Kopf gegen das dunkle Haus.

»Nachtklub«, sagte Pagel und sah nach dem Wittenbergplatz. Der Spanner enttauchte neu der Helle und kam langsam, die Hände in den Taschen, die Zigarette im Mundwinkel, die Straße herunter.

»Pfui Deubel!« schrie der Rittmeister. »Ausgezogene Weiber, gepanschter Sekt, Nackttänze, ich sage es ja! Ich habe es gleich gesagt, als ich Sie sah! Kommen Sie, Studmann!«

»Nun, Pagel?« fragte Studmann, ohne auf den Rittmeister zu achten. »Ist das so?«

»Keine Ahnung!« antwortete Pagel. »Roulett! Bloß ein bißchen Roulett!«

Der Spanner war fünf Schritt von ihnen unter einer Laterne stehengeblieben und sah tiefsinnig, »Mucki, sag doch Schnucki zu mir!« flötend, ins Licht. Pagel wußte, daß der Kerl zuhörte, er wußte, daß er, der schlechteste Kunde aller Spielklubs, erkannt worden war, er zitterte, daß ihm der Einlaß verweigert werden würde.

Unwillig über die Verzögerung, schwenkte er das Geldpaket in der Hand.

»Roulett!« rief der Rittmeister erstaunt und trat wieder einen Schritt näher. »Ja, ist denn das erlaubt –?!«

»Roulett!« sagte auch von Studmann überrascht. »Und mit dieser Nepperei stellen Sie Fragen an das Schicksal, Pagel –?!«

»Es wird fair gespielt«, widersprach Pagel halblaut, das Auge auf dem Spanner.

»Es hat noch keinen gegeben, der zugab, daß er sich betrügen ließ«, wandte Studmann ein.

»Ich habe früher mal Roulett gespielt, als blutjunger Leutnant«, sagte der Rittmeister träumerisch. »Vielleicht sieht man es sich einmal an, Studmann. Natürlich setze ich keinen Pfennig!«

»Ich weiß nicht!« meinte Studmann zögernd. »Es muß ja Nepp sein. Diese ganze düstere Aufmachung. – Verstehst du, Prackwitz«, erklärte er etwas verlegen, »ich hab natürlich auch dann und wann Glücksspiele mitgemacht. Und ich möchte nicht gerne … weiß der Henker, wenn man da erst Blut geleckt hat, und in der Verfassung, in der ich heute bin …«

»Ja, natürlich …«, sagte der Rittmeister, ging aber nicht.

»Also, gehen wir –?« fragte Pagel die beiden Unentschlossenen.

Die beiden sahen sich fragend an, wollten, wollten nicht, fürchteten sich vor dem Nepp, mehr noch vor sich selbst.

»Sie können sich’s ja ansehen, meine Herren!« sagte der Spanner und schlenderte, die Mütze nachlässig aus dem Gesicht schiebend, näher. »Entschuldigen Sie, daß ich mich einmische.«

Er stand da, das bleiche Gesicht zu ihnen erhoben. Die kleinen, dunklen Mausaugen liefen musternd von einem zum andern.

»Ansehen kostet nischt. Kein Spielgeld, meine Herren, keine Garderobe, kein Alkohol, nischt von Weibern … Bloß solides Spiel …«

»Also, ich geh jetzt rauf«, sagte Pagel entschlossen. »Ich muß heute spielen.«

Er ging hastig – er konnte es nicht mehr erwarten – zur Haustür, wurde eingelassen.

»Warten Sie doch, Pagel!« rief der Rittmeister ihm nach. »Wir kommen auch gleich …«

»Sie sollten wirklich mit Ihrem Freund mitgehen«, sagte der Spanner überredend. »Der ist doch helle, der weiß doch, was gespielt wird. Da ist kein Abend, wo der nicht mit seinem Gewinn abgeschoben ist … Den kennen wir doch alle …«

»Den Pagel?« rief der Rittmeister erstaunt.

»Wie er richtig heißt, wissen wir natürlich nicht, bei uns stellen sich die Herren nicht vor. Wir nennen ihn bloß den Pari-Panther, weil er immer nur die Parichance spielt … Aber wie! Der ist doch ein Spieler, noch und noch! Den kennt jeder von uns. Lassen Sie ihn ruhig voraus, der findet auch im Dunkeln seinen Weg, ich leuchte Sie rauf …«

»Also er spielt viel?« erkundigte sich von Studmann vorsichtig, denn der Fall Pagel interessierte ihn mehr und mehr.

»Viel –?!« sagte der Spanner mit immer unverkennbarerer Achtung. »Der Mann läßt doch keinen Abend aus! Und immer serviert er den Rahm ab! Eine Wut haben wir manchmal auf ihn –! Aber der ist kalt, sage ich Ihnen, so kalt wie der Mann könnte ich nicht sein! Da muß man bloß staunen, wie der Mann Schluß machen kann, wenn er genug in der Tasche hat! Den darf ich eigentlich gar nicht rauflassen, so geladen sind die oben auf den! Na, heute macht’s nichts, weil Sie dabei sind, meine Herren …«

Von Studmann fing herzlich an zu lachen.

Verständnislos fragte der Rittmeister: »Warum lachst du denn so?«

»Ach, verzeih, Prackwitz«, sagte Studmann, noch immer weiter lachend. »So ein schönes Kompliment höre ich immer gerne. Verstehst du nicht: sie lassen den schlauen, den kalten Pagel rauf, weil er uns Dumme mitbringt. – Komm, jetzt habe ich auch Lust! Wir wollen doch sehen, ob wir beide nicht auch schlau und kalt sein können.«

Und immer noch lachend, faßte er den Rittmeister unter den Arm.

Auch der Spanner lachte. »Da hab ich ja schönen Mist gemacht. Na, Sie nehmen’s nicht übel, meine Herren. Und da Sie nicht so sind, geben Sie mir vielleicht gleich ein kleines Trinkgeld. Ich weiß nicht, so wie Sie beide aussehen: mit einem Rittergut in der Tasche kommen Sie auch die Treppe nicht wieder runter …«

Er leuchtete geschickt auf dem Treppenabsatz die Brieftasche Prackwitzens an, der nach einem Trinkgeld suchte.

»Er traut uns wirklich zu, daß wir ohne einen Pfennig wieder rauskommen, Studmann«, sagte der Rittmeister ärgerlich. »So ein Unglücksrabe!«

»Ein bißchen Miesmachen hat noch immer beim Spiel geholfen«, meinte der Spanner. Und sanft zuredend: »Na, noch einen kleinen Schein, Herr Baron. Ich sehe, Sie kennen unsere Sätze noch nicht. Wo ich doch immer mit einem Bein gewissermaßen im Polizeigefängnis Alexanderplatz stehe!«

»Und ich?!« wollte der Rittmeister aufbrausen, sehr ärgerlich, daß er wieder an das Illegale dieses Unternehmens erinnert wurde.

»Sie?!« sagte der Spanner mitleidig. »Ihnen passiert doch nichts! Wer spielt, wird höchstens sein Geld los. Aber wer zum Spiel verführt, muß brummen. Ich verführe Sie doch, Herr Baron …«

Eine dunkle Gestalt kam die Treppe herunter.

»Psst, Emil! Das sind die beiden Herren zum Pari-Panther. Jeleite sie nach oben, ick jeh spannen. Ick habe heute so ’n dußlijet Jefühl im Magen, es könnte noch wat jeben!«

Die drei stiegen schon höher hinauf. In hohlem Flüstern rief der Spanner ihnen nach: »Du, Emil! Hör noch mal!«

»Ja, wat denn? Du sollst doch keinen Lärm machen!«

»Abkassiert ha’ ick se schon! Daß du mir nich zum zweiten Male melkst!«

»Ach, hau ab – spann lieber dufte!«

»Jemacht, Emil! Spanne ruhig weiter, wenn der Mast auch bricht.«

Er entschwand in die dunklen Regionen.

Wolf unter Wölfen
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