5

Was der junge Wolfgang Pagel in den vier Monaten seiner Neuloher Tätigkeit an Achtung und Freundschaft bei den Leuten gewonnen hatte, das verlor er auf einmal in den vier letzten Tagen seines Dortseins. Noch lange hinterher erzählten sie sich, daß der kleine Negermeier schlimm genug gewesen sei, aber so ein abgründiger, scheinheiliger, rücksichtsloser Bursche wie der Pagel – nein, so etwas würden sie wohl nicht so leicht wieder erleben! Ein Bursche, der sich überhaupt nicht schämte. Er stiehlt ja vor aller Augen – am hellerlichten Tage!

»Ich werde mich nicht ärgern«, sprach Pagel entschlossen am Abend des zweiten Tages zu Amanda Backs. »Aber in die Luft gehen möchte ich manchmal doch! Bringt doch wahrhaftig der alte Trottel, der Kowalewski, es fertig, wie ich die fünf Sauen an den Fleischer verkaufe, zu sagen: ›So was sollten Sie doch lieber nicht machen, Herr Pagel. Wenn der Gendarm davon erfährt!‹ – Er hat es grade nötig!«

»Ärgern Sie sich nur, ärgern Sie sich nur tüchtig!« sprach Amanda Backs. »Warum sind Sie immer nett und freundlich gewesen zu allen? Da haben Sie Ihren Dank weg! Mich haben sie heute auch im Dorfe gefragt, wie sich’s denn im Bett von der gnädigen Frau schläft und ob ich nicht auch bald die Kleider von der Gnädigen trage …«

»Es ist schon eine bescheidene Welt!« schalt Pagel ärgerlich. »Jede Schlechtigkeit trauen sie einem auf der Stelle zu. Ohne weiteres glauben sie, daß ich hinter dem Rücken der Herrschaft das Vieh für meine Tasche verkaufe und daß wir beide hier frech und verboten unsern Einzug in die Villa gehalten haben. Kommt denn kein Aas auf die Idee, daß ich zufällig einen Auftrag von der Herrschaft habe? Ich kann doch nicht jedem Waschweib meine Vollmacht unter die Nase halten!«

»Sie wollen es gar nicht anders wissen«, sagte Amanda triumphierend. »Wenn Sie täten, was Ihnen die gnädige Frau aufgegeben hat, so ist das bloß selbstverständlich und langweilig. Aber wenn Sie am hellen Tage das halbe Gut verschieben, so ist das eine großartige Sache – und die haben zu reden, noch und noch!«

»Amanda! Amanda!« sprach Pagel prophetisch. »Mir ist doch verdammt mulmig zumute. Wenn der olle Geheimrat ankommt und sieht, was ich hier angerichtet habe, und seine Gnädige hört, was sich die Weiber erzählen – ich weiß nicht, ob der Wisch in meiner Brieftasche kräftig genug ist. Ich fürchte, ich fürchte: Unter Donner und Blitz werde ich aus Neulohe scheiden!«

»Warten Sie’s alles nur in Ruhe ab, Herr Pagel«, schlug Amanda tröstlich vor. »Bis jetzt ist es doch noch immer so gewesen, daß Sie den meisten Ärger von allen hatten – und warum sollte das zum Schluß anders sein?«

»Richtig«, sagte Pagel. »Sie hat heute zweimal von Berlin angerufen, wo Geld bleibt – sie sagt, sie braucht noch viel. Ich glaube, sie will sich ein Geschäft kaufen – trotzdem ich mir das Geschäft noch nicht recht vorstellen kann, in dem Frau Eva von Prackwitz hinter einem Ladentisch steht. Ich fürchte sehr, ich werde mich entschließen müssen, morgen die Dreschmaschine zu vermöbeln – und was der alte Herr dann sagt …«

Erst sagte einmal ein anderer was –: Am nächsten Tage kam der örtlich zuständige Gendarm auf den Hof, in den Dreschmaschinenhandel hineingetrampelt mit seinem Fahrrad, und der war so verlegen höflich und so falsch liebenswürdig zu Pagel, daß über seine schlimmen Absichten gar kein Zweifel sein konnte. So wurde es Pagel nicht schwer, sehr unliebenswürdig zu sein, und als der Beamte schließlich damit herausrückte, daß er gerne einmal die Adresse der Herrschaft gehabt hätte, da verweigerte sie ihm Pagel rundweg.

»Herr und Frau von Prackwitz wünschen keine Störung. Ich bin ihr Beauftragter; was Sie ihnen zu sagen haben, das sagen Sie bitte mir.«

Was der Gendarm nun auch wieder nicht wollte. Recht ärgerlich zog er ab.

Und Pagel verhandelte weiter wegen der Dreschmaschine. Es war ein schöner Kasten, aber der Maschinenhändler aus der Kreisstadt wollte nicht den zehnten Teil des wirklichen Wertes zahlen, einmal, weil Geld in diesen Tagen unendlich knapp war, zum andern, weil es sich schon in der Gegend herumgesprochen hatte, ein verrückter Hund verramsche Neulohe für ein Butterbrot.

»Einen Augenblick mal, Sie!« sprach es da sehr empört. »Sie wollen wohl den Dreschkasten verkaufen?«

»Wollen Sie ihn kaufen?« fragte Pagel und sah sich interessiert den Herrn in Schilfleinen und mit Gamaschenbeinen an. Er konnte sich so ungefähr denken, wer das war. Ein einstmals vielbesprochenes Rennauto hielt ja dahinten.

»Erlauben Sie!« rief der Herr. »Ich bin der Sohn von Herrn Geheimrat von Teschow!«

»Dann sind Sie also der Bruder von Frau von Prackwitz«, stellte Pagel zufrieden fest und wandte sich wieder an den Maschinenonkel. »Also sagen Sie jetzt ein vernünftiges Wort, Herr Bertram, oder der Kasten bleibt hier!«

»Jawohl bleibt der Kasten hier!« rief zornig der Erbe. »Wenn Sie ein Wort sagen, Herr Bertram, mache ich nie wieder ein Geschäft mit Ihnen!«

Der Maschinenonkel sah verschüchtert von einem zum andern. Pagel lächelte nur. So murmelte Herr Bertram verwirrt den erleuchteten Satz: »Ja, wenn es so ist …« und verschwand von der Scheunentenne.

»Achthundert Rentenmark futsch!« sprach Pagel bedauernd. »Auf achthundert Rentenmark hätte ich ihn noch getrieben. Das wird Ihre Frau Schwester sehr bedauern!«

»Einen Dreck wird sie!« schrie der andere. »Achthundert Rentenmark für eine fast neue Schütte-Lanz, die so, wie sie da steht und geht, ihre sechstausend wert ist. Sie sind ja …«

»Ich hoffe, Sie schreien nicht mich an, Herr von Teschow«, sprach Pagel freundlich. »Sonst würde ich Ihnen nämlich nicht die Aufklärungen geben, wegen deren Sie doch sicher gekommen sind, sondern müßte Sie vom Hof jagen!«

»Mich von meines Vaters Hof jagen?!« sprach der Sohn verblüfft und starrte Pagel an. Aber in Pagels Auge lag etwas, das ihn ruhiger sagen ließ: »Also, wo können wir über die Kiste sprechen?« Und drohend: »Aber dummschmusen lasse ich mich von Ihnen nicht, Herr …!«

»Pagel«, half Pagel, wo keine Hilfe gewünscht wurde, und schritt voran zum Büro.

 

»Ja, wenn es freilich so ist!« sprach der junge Herr von Teschow und besah noch einmal die beiden Schriftstücke, die Vollmacht und die Ehrenerklärung. »Dann sind Sie völlig gedeckt, und ich bitte um Entschuldigung. – Meine Schwester aber und mein Schwager müssen ja wahnsinnig sein. Was die hier angerichtet haben, das verzeiht ihnen mein Vater nie. Wozu braucht sie denn soviel Geld? Ein paar hundert Mark würden für die ersten Wochen genügen – und dann einigt sie sich eben mit meinem Vater irgendwie. Ganz blank wird er sie ja auch nicht sitzenlassen.«

»Wie ich gestern Ihre Frau Schwester am Telefon verstand«, sagte Pagel vorsichtig, »scheint sie die Absicht zu haben, ein Geschäft zu kaufen.«

»Ein Geschäft!« rief der Erbsohn. »Ja, will denn Eva Verkäuferin werden?«

»Ich weiß es nicht. Aber jedenfalls scheint sie den Wunsch zu haben, ein kleines Anfangskapital in die Hand zu bekommen. Mir ist selbstverständlich klar, daß das, was ich jetzt für Frau von Prackwitz tue, gesetzlich nicht zulässig ist. Aber sie hat die feste Absicht, nie wieder nach Neulohe zurückzukehren. Sie leistet gewissermaßen auf ihr Erbteil Verzicht, und da habe ich gemeint, man könnte diese Unregelmäßigkeit verantworten.«

»Sie meinen«, rief Herr von Teschow der Jüngere lebhaft, »sie würde Neulohe ausschlagen?«

»Ich glaube das. Nach den Erlebnissen der letzten Zeit …«

»Ich verstehe«, sprach Herr von Teschow. »Gewiß, sehr traurig. – Von meiner Nichte Violet gibt es keine Nachrichten?«

»Nein«, antwortete Pagel.

»Ja, ja«, sagte Herr von Teschow gedankenvoll. »Ja, ja.«

Er stand auf. »Also ich bitte Sie nochmals um Entschuldigung. Blinder Alarm – mir hatte da jemand was in die Ohren geflüstert. – Ich bin – unter uns – ganz Ihrer Ansicht. Sehen Sie, daß Sie für meine Schwester noch ein ordentliches Stück Geld herausschlagen. Es ist ja nun doch egal: Mein Vater wird auf alle Fälle toben, ob die Dreschmaschine da ist oder nicht. Achthundert Rentenmark«, sprach er sinnend. »Ich könnte sie auch dafür nehmen. Aber nein, es geht leider nicht.« Lauter: »Es ist Ihnen natürlich klar, Herr Pagel, daß ich bei meinem Vater nicht die Partei meiner Schwester nehmen kann – ihr Vorgehen ist jedenfalls nicht korrekt.«

Mit fast unverhohlenem Ekel sah Pagel in die Augen des andern. Er meinte, nie etwas so Häßliches gehört zu haben wie die Frage: Von meiner Nichte Violet nichts Neues? – als dem jungen Herrn von Teschow klargeworden war, wieviel es jetzt vielleicht zu erben gab.

Aber Herr von Teschow der Jüngere merkte von diesem Ekel nichts. Er war viel zu beschäftigt, um auf den jungen Mann zu achten. Er sagte verloren: »Na, dann sehen Sie also, daß Sie noch etwas rausschlagen. Ich denke, mein Vater wird erst in drei oder vier Tagen kommen.«

»Schön«, sagte Pagel.

»Na, ob das für Sie grade schön werden wird –? Aber jedenfalls sind Sie gegen das Schlimmste gedeckt. – Sie kennen meinen Vater noch nicht, wenn der richtig tobt …«

»So werde ich ihn also kennenlernen«, sagte Pagel lächelnd. »Ich warte es in Ruhe ab …«

Aber darin irrte sich Wolfgang Pagel. Er sollte es nicht kennenlernen, dieses Toben. Er wartete es nicht in Ruhe ab.

Er war schon weg, als der Geheimrat kam.

»Ausgerissen, so ein schlauer Hund!« lachten die Leute.

Wolf unter Wölfen
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