6

Geflügelmamsell Amanda Backs hätte sich gerne, wie so manches Mal schon, von dem Besuch dieser Abendandacht gedrückt – wenn sonst aus den mehr allgemeinen Gründen der Langeweile und des Wasanderesvorhabens, so diesmal, weil sie sich sehr genau denken konnte, wohin die Gnädige mit ihren Buß- und Betgedanken zielen würde. Aber die dicke Mamsell und die schwarze Minna ließen Amanda nicht aus den Augen.

»Komm, Manding, jetzt helfen wir dir schnell noch die Hühner durchzählen, und dann hilfst du uns die Pötte scheuern!«

»Ich versteh immer Bahnhof«, sagte Amanda mit der beliebtesten Redensart der Zeit, und das meinte genau das gleiche, was ihre Mutter mit »Nachtigall, ich hör dir trapsen!« gemeint hatte.

Aber die beiden gingen einfach mit, todsicher hatte ihnen die Gnädige schon einen Vers vorgepfiffen.

»Immer dieselben!« schalt Amanda Backs die paar verspäteten Hühner, die eilfertig, unter aufgeregtem Gegacker, von der Wiese dem Hühnerhaus zustrebten. »Aber ich mach euch noch mal den Schlag vor der Nase zu, und dann könnt ihr sehen, wie euch der Fuchs gute Nacht sagt! – Und du solltest überhaupt nicht so dämlich tun, Minna! Was die Mamsell angeht, mit ihren netto zwei Zentnern, da wird es mit den Männern ja schon schwierig, und sie kann nichts dafür, wenn sie ewig dasteht wie ein Engel aus Waschseife! Aber du mit deinen sechs Rotzneesen, die mindestens zehn verschiedene Väter haben – –«

»Huch, Mandchen! Sei bloß nicht so gemein!« hatte die schwarze Minna protestiert. »Die gnädige Frau meint es doch wirklich so gut mit uns!«

»Ich versteh immer Bahnhof«, hatte Amanda Backs wiederum gesagt und die Debatte abgebrochen. Denn mit der schwarzen Minna – daß die Gnädige ausgerechnet die ihr zur Aufpasserin bestellt hatte, das war nun wirklich zu lächerlich. Aber man wußte ja, wie kindisch sich die alte Gnädige mit diesem verzottelten, ältlichen Frauenzimmer hatte! Wenn wieder so ein Unfall passierte – und die Gnädige merkte es wirklich immer erst, wenn die Hebamme schon da war, obwohl es doch schon lange vorher bei dem dürren, knochigen Weibsbild für jedes Auge sichtbar war –, dann geriet die Gnädige in hellen Zorn und beschimpfte die schwarze Minna und verstieß sie für immer und ewig aus ihren Augen und aus dem Neuloher Armenkaten – als gänzlich unverbesserlich.

Dann schrie die schwarze Minna und spektakelte, aber sie lud auch weinend ihr bißchen Kram auf ein Handwägelchen – beileibe aber nicht alles, nur so viel, daß die Gnädige einen schönen Anblick hatte. Vor allem aber ihre sämtlichen Gören. Und so zog dann dieses Weib heulend und Gesangbuchlieder singend durch das Dorf. Und vorm Schloß hielt sie noch einmal an, drückte auf den messingnen Klingelknopf und bat den Diener Elias unter vielen Tränen, er möge doch der lieben, guten gnädigen Frau ihre Segenswünsche sagen und ihren herzlichen Dank dazu! Und ob sie ihr nicht zum Abschied noch die Hand küssen dürfe –?

Der Elias, der dies Theater auch schon kannte, sagte dann immer nein. Da weinte die schwarze Minna noch bitterlicher und zog ab in die wilde, weite Welt, mit ihren vaterlosen Kindern – bis zum Prellstein an der Einfahrt zum Schloß. Da saß sie und weinte und wartete, und je nach dem Zorn, den die Gnädige auf sie hatte, mußte sie ein, zwei oder auch fünf Stunden warten, und manchmal sogar einen halben Tag.

Daß sie aber nicht umsonst warten würde, das wußte sie, und wenn sie’s nicht aus Erfahrung gewußt hätte, dann sah sie’s – nämlich an den Gardinen im Schloß. Denn die schob die alte Dame mit zitternden Händen hin und her und konnte es nicht lassen, auf ihr verirrtes Lieblingslamm zu schauen.

Wenn aber der Fall wieder einmal ganz schlimm lag, und Frau von Teschow wußte es vom Schulzen Haase über ihren Mann, daß dieses Mal bestimmt drei Männer in Frage kamen, und vielleicht waren es sogar fünf, nicht zu reden von denen, die die schwarze Minna aus »Sympathie« verheimlichte (denn die schwarze Minna unterschied bei ihrem Umgang genau zwischen »sympathischen« Männern und belanglosen Mitläufern) – dann verhärtete die Gnädige ihr weiches, weltunerfahrenes Herz und bedachte all dies Sodom und Gomorrha und erinnerte sich, wie oft die schwarze Minna ihr schon Besserung gelobt hatte.

Und sie ließ die Gardine aus ihrer Hand und sagte zu ihrer Freundin, dem alten Fräulein von Kuckhoff, die immer bei ihr lebte: »Nein, Jutta, diesmal lasse ich mich nicht wieder erweichen. Und ich will auch nicht mehr aus dem Fenster nach ihr sehen …«

Und das alte Fräulein von Kuckhoff, mit dem schwarzen Samtband um den Hals, nickte energisch mit ihrem alten, kleinen Raubvogelkopf und sagte in ihrer blumigen, aber deutlichen Art: »Gewiß, Belinde – ein Kamel säuft schließlich auch einen Brunnen aus.«

Ja, und dann verging sicher keine halbe Stunde, daß es sanft an die Tür klopfte und der alte Elias meldete: »Halten zu Gnaden, gnädige Frau, aber ich soll es ja melden: Jetzt macht sie sich frei.«

Und richtig, wenn dann die beiden Damen jede an ein Fenster stürzten, da saß dann diese arme, heimatlose Person auf dem Prellstein, hatte die Bluse aufgeknöpft und nährte ihre jüngste Sündenfrucht.

Dann sagte die Gnädige seufzend: »Ich glaube, Jutta, wir können dies neue Ärgernis nicht verantworten.«

Und Jutta erwiderte dunkel: »Es sind die schlechtesten Früchte nicht, an denen solche Wespen nagen!«, was Frau von Teschow aber als eine Billigung ihrer Absichten auffaßte.

»Nein, Elias, ich gehe selbst«, sagte sie eilig, denn wenn Elias auch schon hoch in den Sechzigern hielt, ob er einem solchen Anblick gewachsen war, blieb ungewiß. So ging die alte Frau von Teschow persönlich zu der Sünderin hinunter, die eilig die Bluse schloß, wenn sie nur die Gnädige aus dem Schloß treten sah. Denn vielleicht merkte die es doch, daß dies Nähren bloß Theater war; die schwarze Minna konnte nämlich gar nicht nähren und hatte alle ihre Kinder mit der Flasche aufgezogen. Das aber brauchte die Gnädige nicht zu wissen.

So zogen denn die beiden wieder in den Arme-Leute-Katen ein, und die alte Frau ging neben der lächerlichen Fuhre einher und kam gar nicht auf den Gedanken, daß die Leute über sie spotten oder lachen könnten. Sondern sie erweichte ihr Herz und machte es demütig und erinnerte sich daran, wie auch sie einmal fast der Versuchung unterlegen wäre, als der schneidige Leutnant von Pritzwitz ihr hinter der Tür vor nun über vierzig Jahren hatte einen Kuß geben wollen – und sie war damals doch schon mit Horst-Heinz so gut wie verlobt gewesen!

Und wenn sie dann mit der schwarzen Minna über die Türschwelle des Leutekatens trat, war sie soweit, alles zu verstehen und alles zu verzeihen, und wenn sie auch nicht dumm genug war, die Tränen der Sünderin völlig für bare Münze zu nehmen, so dachte sie doch in ihrem Herzen: Ein ganz klein bißchen ehrlich meint sie es ja doch, und ein ganz klein bißchen leid tut es ihr doch – und was weiß ich, wieviel Reue Gott von uns verlangt!

So dachte die alte Frau von Teschow, und so handelte sie – und selbst Amanda Backs hätte das ja ganz nett und freundlich finden können, wenn das gute Herz der gnädigen Frau nur allen Sündern so liebreich verzeihend geneigt gewesen wäre. Aber der Menschen Herzen sind alle wunderlich – und warum sollte da das Herz der alten Frau anders sein? Was sie einem durchtriebenen Frauenzimmer wie der schwarzen Minna zehnmal verzieh, das wollte sie einem jungen Mädchen nicht einmal nachsehen.

Und der Amanda Backs schon gar nicht! Denn die war frech und schamlos in ihren Worten; alle Männer lachte sie vergnügt an; trug Röcke, so kurz, daß es schon keine Röcke mehr waren; weinte nie über ihre Fehler; bereute nie und sang nie ein frommes Lied, aber sehr laut schreckliche Schlager wie: »Was machst du mit dem Knie, lieber Hans –?« und »Was eine Frau im Frühling träumt …«

Nein, die Amanda wußte wohl, was ihr in der heutigen Abendandacht bevorstand! Daß ihr aber grade die schwarze Minna als Aufsicht beigegeben war, das empörte sie besonders, und sie erwog einen Augenblick ernstlich, die beiden in den Hühnerstall einzusperren und sich zum Hänseken zu verdrücken – es wäre ein herrlicher Witz gewesen!

Aber so vorlaut und frech die Amanda auch mit ihrem Mundwerk war, so überlegt und besonnen war sie schließlich in ihren Taten – was eine Geflügelmamsell ja überhaupt sein muß. Denn Geflügel ist das schwierigste Viehzeug von der Welt, zehnmal schwieriger als ein Zirkus voller wilder Tiere, und pariert nur einer besonnenen Natur. Ja, aus dem Fenster Meiers gestern abend, da hatte Amanda in der Rage groß angegeben und hatte der Gnädigen mit Fortzug drohen können – aber am Ende hatte sie doch (der Menschen Herzen sind alle wunderlich) ihr kleines, wulstlippiges Hänseken aufrichtig lieb, und der Garten Eden selbst wäre ihr öde erschienen ohne ihren Negermeier.

So schlug sie die Tür vom Hühnerstall nicht zu – sie jagte nur die beiden ungeflügelten Hühner hinaus und brachte mit Putt und Schnutt ihr Volk zur Ruhe und zählte die Häupter und fand, daß ihr nicht eines abging. Dann sagte sie ganz unmißverständlich: »So, ihr Hühner, und nun, wo ihr mir so mächtig geholfen habt, will ich euch auch eure Pötte schrubben.«

»Gott, Mandchen«, stöhnte die dicke Mamsell und krachte mit ihrem Fischbeinkorsett, »wenn man nicht wüßte, daß du bloß Spaß machst …«

»Und woher weißt du denn das?!« fragte Amanda Backs sehr kriegerisch, und kriegerisch ging sie zwischen den beiden Verstummten, kriegerisch wippte sie in ihrem kurzen Röckchen.

Denn sie war blutjung, und die bitteren Jahre ihrer Kindheit hatten ihr nichts von dem Lebensappetit und der Frische ihrer Jugend rauben können, und Jungsein machte ihr Spaß, und Krieg machte ihr Spaß, und Liebe machte ihr Spaß – und wenn die Gnädige sich einbildete, sie könnte ihr mit Singen und Beten diesen Spaß austreiben – so hatte da ein Uhl gesessen!

Solche Gedanken wie die Amandas mögen ganz gut über das Schrubben auch des verrußtesten Topfes hinweghelfen, für eine Abendandacht im Neuloher Schloß waren sie nicht richtig. Da saßen sie nun schon eine ganze Weile, die gewohnte Schar, eine recht stattliche Schar. Denn die Gnädige hielt nicht nur darauf, daß alle, die bei ihr in Lohn und Brot standen, mit Kind und Kegel zu diesen Andachten kamen, sondern auch jeder aus dem Dorf, der im Winter mal ein paar Meter Holz umsonst haben, der im Sommer in der Teschowschen Forst Beeren und Pilze sammeln wollte, mußte sich an manchem Abend das Anrecht darauf ersitzen. Der alte Pastor Lehnich hatte am Sonntag oft nicht so viel Pfarrkinder in der Kirche wie die gnädige Frau Abend für Abend in ihrem Betsaal.

»Und du, Amanda?« hatte Frau von Teschow gefragt, und Amanda war aus ihren sündigen Gedanken hochgefahren, hatte um sich gestarrt und von nichts was gewußt. Die Gänschen auf der hinteren Bank, die Vierzehn-, Fünfzehnjährigen, die über alles lachten, hatten natürlich gleich zu gniggern angefangen. Die Gnädige aber hatte ganz milde noch einmal gefragt: »Und dein Vers, Amanda?«

Ach ja, sie machten »Reihum-Singen«! Dabei hatte jeder einen Vers aus dem Gesangbuch zu nennen, den sie dann alle gemeinsam sangen. Das ging oft wild durcheinander mit Abendliedern, Sterbeliedern, Lobliedern, Buß- und Kreuzliedern, Jesusliedern und Taufliedern. Es machte aber allen meistens Spaß und brachte Fahrt in die verschlafene Abendlangeweile. Selbst die gnädige Frau bekam rote Bäckchen an ihrem Harmonium, so rasch mußte sie in ihrem Notenbuch umblättern und so flink von einer Melodie in die andere springen.

»Befiehl du deine Wege …«, rief Amanda rasch, ehe noch aus dem Gniggern ein Lachen wurde.

Die gnädige Frau nickte: »Ja, das solltest du tun, Amanda!«

Amanda aber biß sich auf die Lippen, daß sie grade so einen Liedanfang genannt und es der Gnädigen so leicht gemacht hatte. Sie war ein bißchen rot, als sie sich setzte.

Aber es gab wenigstens keine Pause, denn dieses Lied kannte Frau von Teschow aus dem Kopf. Gleich setzte das Harmonium ein, und gleich sangen alle. Und nun kam die schwarze Minna neben Amanda dran, und die Scheinheilige wählte natürlich wieder: »Aus tiefer Not schrei ich zu dir …«

Und schon sangen sie wieder.

Amanda Backs aber erlaubte sich nun keine Träume mehr, sondern sie saß aufrecht da und wachsam, denn sie wollte sich nicht noch einmal auslachen lassen. Eine ganze Weile geschah gar nichts. Es wurde immer weiter gesungen – zuletzt ohne jeden Schwung, weil es den Leuten langweilig wurde und weil auch die müde Gnädige auf dem Harmonium immer häufiger danebengriff und aus dem Takt geriet. Dann fing das Harmonium an, seltsam zu pfeifen, zu flöten und zu ächzen, die Gänschen auf der hinteren Bank gniggerten wieder, und Frau von Teschow wurde rot, bis sie ihr Instrument von neuem an die Kandare genommen hatte.

Sie wird müde, dachte Amanda. Viel ist sie ja überhaupt nicht mehr. Vielleicht ist ihr jetzt schon die Lust vergangen, ein langes Gequatsche um die Geschichte zu machen, und ich komme rasch zu meinem Hänseken!

Aber davon hatte Amanda Backs keine Ahnung, wie warm eine alte Frau die Sünden der andern machen können, wie sie wieder aufleben kann unter den Fehltritten ihrer Schwestern. Einen Augenblick lang sah es freilich so aus, als wollte die gnädige Frau Schluß machen. Aber dann besann sie sich. Sie trat vor ihre kleine Gemeinde, räusperte sich und sagte ein bißchen eilig und ein bißchen verlegen: »Ja, liebe Kinder, nun könnten wir wohl unser Schlußgebet sprechen und jedes von uns ruhig nach Haus und schlafen gehen, in dem guten Bewußtsein, daß wir unsern Tag recht beschlossen haben. Aber haben wir das wirklich –?«

Die kleine alte Frau sah von einem Gesicht zum andern, ihre Verlegenheit war schon wieder verflogen. Sie hatte auch schon die Regungen ihres bösen Gewissens unterdrückt, das ihr sagte, sie habe etwas vor, was ihr streng untersagt worden war.

»Ja, haben wir das wirklich –? Wenn wir nach Neulohe sehen, und nun gar nach Altlohe, wo sie womöglich noch in der Schenke sitzen, da können wir wohl mit uns zufrieden sein. Aber wenn wir in uns schauen, wie steht es dann mit uns –? Wir Menschen sind schwach, und jeder von uns sündigt jeden Tag. Da ist es gut, wir bekennen es immer wieder einmal öffentlich und sagen vor unsern versammelten Mitchristen, was wir gesündigt haben. Nur die Sünden von einem Tag – und ich selbst will den Anfang machen …«

Damit kniete die alte Frau von Teschow schnell hin, und schon bereitete sie sich mit stillem Beten auf ihr lautes Sündenbekenntnis vor. Durch ihre Schäflein aber ging eine kaum unterdrückte Bewegung, denn es war nicht eines darunter, das nicht wußte, Herr Pastor Lehnich und sogar der Herr Superintendent in Frankfurt hatten der gnädigen Frau das öffentliche Sündenbekennen streng untersagt. Denn es sei ganz wider Christi und Lutheri Geist und rieche nach Heilsarmee, Baptistentum und vor allem nach der verwerflichen Ohrenbeichte der katholischen Kirche!

Wenn aber keiner von den Versammelten aufstand und zum Protest hinausging – und das alte Fräulein von Kuckhoff oder der Diener Elias waren die Leute, das ungescheut zu tun –, so war es eben doch, weil einer wie der andere gespannt war, zu hören, was kommen würde. Denn es ist ja wirklich kaum einer, der ganz ohne Prickeln von den Sünden der andern hört. Jeder hoffte, ihn werde es nicht treffen hinter der gnädigen Frau, und jeder überschlug schnell bei sich die Sünden der letzten Zeit, heimliche und an den Tag geratene, und meinte, so schlimm werde es mit ihm wohl nicht werden.

Die eine aber, die wußte, sie werde bestimmt unter den zweien oder dreien sein, die nachher von der Frau von Teschow aufgerufen wurden, und die wußte, diese ganze Übertretung pastörlicher und superintendentlicher Verbote geschah nur um ihretwillen – die eine saß steif und starr da und ließ es sich nicht anmerken. Unmutig und ärgerlich hörte sie auf das Gestammel der alten Frau, die sehr aufgeregt sein mußte, denn sie warf alles durcheinander, und immer wieder fuhr ihr der Hickauf in der Kehle hoch, daß alles ohne die große Spannung gelacht haben würde. Sie zählte aber als ihre Sünden auf, daß sie den schlechten Roman in der Zeitung doch wieder gelesen habe – Hickup! – und daß sie ungeduldig gegen ihren lieben Mann – Hickup! – gewesen sei und ihn »unhöflich« genannt habe – Hickup! Hickup! – und daß sie doch wieder Margarine unter die Butter für die Dienstboten habe kneten lassen … Hickup!

Amanda Backs hörte sich das an und zog einen ungeduldigen, ärgerlichen, abweisenden Flunsch. Da saßen die Leute und hörten auf dies alberne Gestammel, zehnmal gespannter als sie auf Gottes Wort gehört hatten, und es war doch alles nur Lüge! Das Richtige sagte die gnädige Frau auch nicht, so fromm sie tat. Das mit der Margarine hatten sie alle geschmeckt, das mußte ihnen nicht erst erzählt werden. Das mit dem Roman war Quatsch, und wie oft sie sich mit »ihrem lieben Mann« zankte, das wußte jedes hier im Hause. Alles Augenverblendung und Hudelei! Sie sollte mal lieber öffentlich gestehen, daß sie dies ganze Theater nur darum angestellt hatte, um ihr, der Amanda Backs, eins auszuwischen – das wäre eine richtige Sündenbeichte gewesen! Aber daran dachte sie gar nicht!

Trotzdem – die Mamsell hatte vor Aufregung wirklich knallrote Backen bekommen und schnaufte aus ihrer dicken Brust wie ein Dampfkessel, und das Fischbein krachte um sie. Und Minna hatte dumm und düsig das Maul so weit aufgesperrt, als erwarte sie gebratene Hühner!

Auch Amanda Backs bekam rote Backen, aber nicht vor Aufregung und Scham, sondern vor Trotz und Zorn. Jetzt fing die gnädige Frau in ihrer Schamlosigkeit wirklich an, von dem gestrigen Abend zu reden, daß sie ein Mädchen überrascht habe – ach, leider ein Mädchen aus diesem Hause! –, daß sie es überrascht habe, wie es im Dunkeln zu einem Manne ins Zimmer stieg –! (Hickup!)

Es ging ein förmlicher Ruck durch die ganze Versammlung, und Amanda sah, wie die Gesichter dumm und starr wurden vor lauter Staunen und Erwartung: jetzt kommt es! Aber es kam noch nicht, sondern nun klagte sich die gnädige Frau, unterbrochen von manchem Schlucker, an, daß sie den Zorn über sich habe Herr werden lassen und das Mädchen hitzig gescholten und ihm mit Entlassung gedroht habe, statt zu bedenken, daß wir allzumal Sünder sind und daß auch dieses irrende Schaf mit Geduld in des Hirten Stall geführt werden müsse. Reuig bekannte sie, daß sie ihre Pflicht versäumt habe, denn dies junge Mädchen sei ihrer Obhut anvertraut gewesen, und sie bat, daß ER sie stärken möge mit Langmut und Geduld im Kampf gegen das Böse …

Völlig verächtlich und sehr zornig hörte sich Amanda dies Gerede an, und wenn sie erst einen Entschluß gefaßt hatte, so faßte sie jetzt einen andern. Und kaum hatte Frau von Teschow das letzte Amen gesagt und war aufgestanden und hatte noch nicht einmal die Zeit gehabt, mit Wort und Finger den nächsten zu bezeichnen, der auf dem Buß- und Betbänkchen niederknien sollte – da erhob sich schon Amanda mit hochroten Backen, aber mit Augen, die ganz dunkel waren vor Zorn, und sie sagte, die gnädige Frau brauche sich nicht zu bemühen, sie wisse schon, wer mit all diesem Gerede gemeint sei, und da stehe sie nun also und ob die gnädige Frau nun zufrieden sei –?!!

Nach diesen Worten aber fuhr die Amanda Backs herum wie eine wahre Furie und giftete die schwarze Minna an, die mit ihren Händen am Rücken der Amanda schob und drückte, daß sie auch richtig nach vorn vor die Gemeinde trete: »Willst du wohl deine Dreckpfoten von meinem sauberen Kleide nehmen!? Ich lasse mich nicht nach vorn schieben – und von dir schon gar nicht! Und mit dem lieben Gott und mit Reue und Buße hat dies Theater schon gar nichts zu tun!«

Mit diesem zornigen Anpfiff hatte Amanda ihre Gegnerin, die schwarze Minna, klein, und jetzt wandte sie sich wieder an die Versammlung und sagte (denn nun war sie in Fahrt): Jawohl, sie sei die, die gestern abend in ein Fenster geklettert sei, und damit sie auch alles haarklein wüßten – es sei das Fenster im Beamtenhaus gewesen, das vom Inspektor Meier! Und sie schäme sich deswegen gar nicht, und sie könne auf mindestens zehn hier in der Versammlung zeigen, die in noch ganz andere Fenster stiegen, zu noch ganz andern Kerlen –!!!

Und damit hob sie den Finger und fuhr mit ihm auf die schwarze Minna zu, die sich kreischend auf ihrer Bank niederduckte. Und Amanda hob wiederum den Finger, aber ehe sie noch damit gezeigt hatte, stürzte die Bank hinten in der dunklen Ecke um, auf der die Gänseken saßen, die es alle übermäßig eilig mit dem Sichverstecken und Unterducken hatten.

Da fing Amanda Backs an zu lachen (und leider, leider lachte ein ganz Teil Leute mit), aber unversehens wurde bei ihr ein Weinen aus dem Lachen. Wütend rief sie: »Einen anständigen Lohn sollten Sie lieber zahlen!«

Und damit rannte sie haltlos weinend aus dem Saal in den dunklen Park. –

Im Saal aber war nicht nur die Bank umgestürzt, sondern der alten gnädigen Frau war auch viel eingestürzt. Zitternd und erbärmlich schluchzend saß sie in ihrem Sessel, und diesmal stand sogar ihre alte Freundin Jutta von Kuckhoff erbarmungslos vor ihr und sagte streng: »Siehst du, Belinde, wer Pech anfaßt, besudelt sich!«

Die Leute aber machten, daß sie aus dem Betsaal kamen. Jetzt sahen sie freilich sehr still und fast betreten aus, aber es war leider kein Zweifel, daß sie bis in ihr Daheim die Sprache wiederfinden würden. Über wen es dann aber hergehen würde, das konnte auch nicht zweifelhaft sein – die Amanda Backs war es sicher nicht, denn die war als Siegerin aus dem Gefecht hervorgegangen!

Sie freilich, die jetzt noch sehr aufgeregt und verheult im Park herumlief, fühlte sich gar nicht so, und sie schimpfte sich Esel und doofe Nuß, daß sie die eigene und Hänsekens Sache so schlimm verfahren hatte. Einmal blieb sie stehen, weil sie etwas am Zaun fuhrwerken sah, und das war der alte Geheimrat. Sie wollte sich schon ein Herz fassen und ihn um Gnade bitten, aber die Erfahrungen ihres jungen Lebens warnten sie, irgend etwas von irgend jemand zu erbitten.

So lief sie weiter durch den Park, und allmählich wurde sie ruhiger. Sie wusch sich am Teich das Gesicht im kühlen Wasser und ging zu ihrem Hänseken. Sie kam aber grade, als der Geheimrat an das Fenster klopfte und nach dem Inspektor Meier rief. Und hörte, wie drinnen beim Hänseken eine Frau erschreckt aufkreischte.

Wolf unter Wölfen
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