2

Nach ihrem vorzeitigen Erwachen noch vor Sonnenaufgang war Frau Eva noch einmal so fest eingeschlafen, daß sie zum zweitenmal an diesem Tage ganz ungläubig auf ihren Wecker schaute: es war halb zehn. Nach einem bewährten Satz soll man seine Schlafmittel ausschlafen. Frau Eva hatte zwölf Stunden im Bett gelegen, das hätte für eine Veronaltablette genug sein müssen.

Aber als sie jetzt aus dem Bett stieg und sich an Waschen und Anziehen machte, waren die Glieder schwer, ein dumpfer Druck lag in ihrem Kopf. In ihren Augen saß ein Gefühl, als habe sie eben geweint oder müsse gleich weinen. Während sie sich hastig und immer ärgerlicher anzog, schalt sie bei sich auf das »Dreckzeug«, das sie nie wieder nehmen würde. Sie schalt aber auch auf ihren Mann, auf Weio, die Mädchen, Hubert, daß man sie so ohne Wecken in den Tag hinein hatte schlafen lassen …

Und bei alledem hatte sie ein todestrauriges Gefühl, eine Vorahnung, daß dieser Tag, der ohne Regen naß von den Bäumen triefte, nichts taugte, daß er ihr nicht und keinem etwas Gutes bringen würde …

Auf dem Frühstückstisch lag nur ein Gedeck – von Achim und Violet war nichts zu sehen. Sie drückte auf den Klingelknopf; aber sie mußte das ein paarmal tun, ehe statt Hubert Armgard mit dem Kaffee und den Eiern kam – Armgard mit einem Lächeln, das Frau Eva gar nicht gefallen wollte.

»Herr Rittmeister und Fräulein Violet haben schon gefrühstückt?« fragte Frau von Prackwitz, während Armgard etwas sehr umständlich den Kaffee eingoß.

»Schon um sieben Uhr, gnädige Frau«, berichtete Armgard überraschend eifrig. »Herr Rittmeister und Fräulein Violet sind schon vor halb acht mit dem Automobil fortgefahren.«

Die Art, wie sie das Wort Automobil voll aussprach, zeigte, daß diese Neuerwerbung ihre volle Anerkennung hatte, daß der Horch auch in die Küche der Villa Glanz und Stolz getragen hatte. Vermutlich war man dort der Ansicht, daß man erst jetzt eine wirklich »feine Herrschaft« hatte.

»Warum bin ich nicht geweckt worden?« fragte Frau Eva mit einiger Schärfe.

»Der Herr Rittmeister haben es doch ausdrücklich verboten!« antwortete Armgard ein wenig gekränkt. »Der Herr Rittmeister und Fräulein Violet haben sich doch so in acht genommen, die gnädige Frau nicht zu stören. Auf Zehenspitzen sind sie die Treppe heruntergekommen, und auch hier im Frühstückszimmer haben sie immer nur geflüstert …«

Frau von Prackwitz konnte sich ihre beiden Helden recht gut vorstellen, die aus lauter Rücksichtnahme die Mama nicht weckten! Denn die hätte ja die Fahrt verhindern, die hätte ja vielleicht sogar mitfahren können! Diese Feiglinge –!

»Dann war ja freilich der große Lärm …«, sagte Armgard sanft, mit sehr scheinheiligem Gesicht.

Frau von Prackwitz zog vor, dies zu überhören. Sie hatte gestern alle Arten von Lärm genossen, sie wollte keinen Lärm mehr hören, sie wollte auch nichts über Lärm hören.

»Hat mein Mann etwas gesagt, wann er zurück sein wird?« fragte sie.

»Der Herr Rittmeister meinte, er würde wohl nicht zum Essen zurück sein«, antwortete Armgard und sah die gnädige Frau abwartend an. Es war klar, auch dies Mädel wußte schon von dem Streit mit Achim; wahrscheinlich wußte schon das ganze Dorf, die Eltern eingeschlossen, davon. Man würde sich daran gewöhnen müssen, daß jedermann einen in der nächsten Zeit ansah, als sei man halb Witwe, halb verlassene Frau …

»Schön, Armgard«, sagte Frau Eva, gegen ihren Willen von all diesen kleinen Albernheiten etwas erheitert. »Dann können Sie das Filet vom Sonntag kalt aufschneiden, mit grünen Bohnen. Für uns paar Menschen reicht das …« Sie zählte an den Fingern ab: »Ich, Lotte, Sie, macht drei, Hubert vier – das reicht vollkommen.«

Eine kleine Pause, das Mädchen Armgard sah seine Herrin wortlos an. Frau von Prackwitz erwiderte den Blick, er war wirklich eine Spur ungemütlich. Frau Eva wollte lächeln, aber dann setzte sie die Tasse ab, sie setzte die Tasse mit einem Ruck hin – so wollte sie aber keinesfalls angesehen werden!

»Nun? Was sehen Sie mich so an, Armgard?« fragte sie energisch.

»O Gott, gnädige Frau!« rief Armgard und wurde rot. »Den Hubert brauchen gnädige Frau doch nicht mitzurechnen – den Hubert hat der Herr Rittmeister doch heute früh entlassen. Deswegen war doch solcher Lärm! Wir haben es bis in die Küche gehört. Wir wollten gar nicht, aber …«

»Wo ist Hubert?« fragte Frau von Prackwitz und winkte dem Gerede ab. »Ist er schon fort?«

»Aber nein, gnädige Frau! Er ist unten und packt seine Sachen!«

»Schicken Sie ihn zu mir. Sagen Sie ihm, ich möchte ihn sprechen.«

»Gnädige Frau, aber der Hubert hat dem Herrn Rittmeister gedroht, daß er …«

»Armgard! Ich wünsche keine Erzählungen von Ihnen, Sie sollen Hubert rufen!«

»Jawohl, gnädige Frau!«

Sehr gekränkt zieht sich Armgard zurück, wartend geht Frau Eva auf und ab. Mit dem Frühstück ist es natürlich schon wieder vorbei, sie hat gleich gewußt, als sie aufstand, daß dieser Tag nichts taugte.

Frau Eva geht auf und ab, auf und ab. Es ist wieder das Gefühl aus der Nacht, daß alles zerfällt, sich auflöst, daß man machtlos danebensteht, aber nichts dagegen tun kann. Es ist wahrhaftig nicht dieser lächerliche Hubert! Sie war nie seine Freundin, sie hatte schon zehnmal Lust gehabt, diesen schrulligen Querkopf vor die Tür zu setzen! Außerdem hatte sie eine körperliche Abneigung gegen ihn; auch ohne das Geschwätz der Mädchen von einem »Unhold« hatte sie als gesunde Frau immer gespürt, daß dieser Bengel nicht sauber war.

Also gut, er war entlassen, wahrscheinlich wegen einer Riesensache, wegen eines zu hart gekochten Eies oder wegen eines fallen gelassenen Teelöffels – in Achims jetziger Stimmung konnte alles Anlaß zu einem Wutausbruch werden. Aber daß alles so plötzlich ging, ohne Vorbereitung, daß nichts Neues im Leben mehr dazukam, nur Altes fortging, immer fortging …

Es war ja, als säße man auf einer Eisscholle, und Stück für Stück bröckelte von der Scholle ab, bald war nichts mehr da … Man hatte einst Eltern gehabt, mit denen man nicht gut, aber erträglich stand – man hatte keine Eltern mehr. Man hatte einen Mann gehabt und eine Tochter – man hatte sie nicht mehr. Man hatte Verkehr im Lande gehabt – wann waren sie das letztemal ausgegangen? Man hatte ein gemütliches Heim gehabt – nun ja, jetzt saß man allein am Frühstückstisch, der Diener war entlassen, und nachts wurden die Türen zwischen den einzelnen Schlafzimmern sorgfältig verschlossen – so sah heute ein Heim aus!

Ein Gefühl verzweifelter Ohnmacht, eine verhängnisvolle, lähmende Trauer steigt aus alldem auf – hatte es je eine Zeit gegeben, in der es sich so wenig zu leben verlohnte?! Es juckte einen in allen Fingern: man mußte doch irgend etwas tun können, um aus diesem Sumpf herauszukommen! Aber alles, was man tat, führte auf geheimnisvollen Wegen nur tiefer hinein. Jede Tat kehrte sich gegen den Täter!

Das Mädchen Armgard steht wieder in der Tür. Sie meldet halb verlegen, halb trotzig: »Hubert sagt, er ist nicht mehr im Dienst. Er sagt, er hat es nicht nötig, zu kommen.«

»Das wollen wir doch mal sehen!« ruft Frau von Prackwitz zornmutig und ist mit fünf Schritten auf der Diele.

»Gnädige Frau! Ach, bitte, gnädige Frau!« ruft das Mädchen hinter ihr beschwörend.

»Was ist denn noch?« fragt sie ärgerlich. »Kein Getratsch mehr, Armgard!«

»Aber gnädige Frau müssen doch wissen!« sagt Armgard und tritt ganz nahe heran, um leise reden zu können. »Hubert hat dem Herrn Rittmeister doch so gedroht! Von einem Waffenlager war die Rede. Herr Rittmeister war ganz weiß …«

»Und das haben Sie von der Küche im Souterrain aus gesehen, Armgard?« fragt Frau Eva spöttisch.

»Wo doch die Tür zum Speisezimmer aufstand, gnädige Frau!« Armgard ist schwer beleidigt. »Ich ging doch grade rauf, um einen Rollschinken zu holen, und die Tür stand eben auf. Ich bin nicht neugierig, gnädige Frau, ich meine es bloß gut …«

»Schön, schön, Armgard« sagt Frau von Prackwitz und will wieder gehen.

»Aber, gnädige Frau, Sie wissen doch noch nicht …«, wird sie wiederum beschworen. »Und dann hat der Hubert noch von einem Brief geredet, von einem Brief von dem gnädigen Fräulein, und der hat auch mit dem Waffenlager zu tun …«

»Quatsch!« sagt Frau von Prackwitz gänzlich ungeniert und steigt hinunter in das Souterrain, ohne weiter auf Armgard zu achten. Alles Quatsch und Schlüssellochguckerei und Türenhorcherei. Der Hubert hat natürlich gestern nachmittag an der Tür gelauscht, als sie mit ihrem Mann von der Autoanschaffung und dem Putsch geredet hat – und nun er hinausgeworfen ist, will er sich rächen. Sie wird ihm schon den Kopf zurechtsetzen! Daß nun aber gar Weio Briefe über Waffenlager schreiben sollte, das ist solch blühender Blödsinn, richtiges Ergebnis einer Schlüssellochlauscherei …!

Der Diener Räder steht über einen auf dem Bett liegenden Handkoffer gebeugt, in den er mit peinlicher Pedanterie eine sorgfältig zusammengelegte Hose packt. Er berücksichtigt sozusagen jedes Millimeter. Das Bett, auf dem der Handkoffer liegt, ist bereits abgezogen. In ihre Kniffe gelegt, hängt die Bettwäsche über einem Stuhl, aber trotzdem ist unter dem Handkoffer zur Schonung des Bettes ein großer Bogen Packpapier ausgebreitet. Minutiöse Genauigkeit bis zur letzten Minute – ganz Hubert Räder!

Bei diesem Anblick und noch mehr beim Anschauen des fischigen, grauen, unbewegten Gesichts vergeht der gnädigen Frau alle Lust, zu schelten. Mit einigem Humor sagt sie: »Also Sie wollen uns verlassen, Meister Hubert?«

Hubert hat jetzt eine Weste in der Hand. Er hält sie prüfend gegen das Licht, dann legt er sie zusammen, den Stoff nach innen, das Futter nach außen, ganz wie es sich gehört. Aber daß er überhaupt nicht antwortet, das gehört sich wirklich nicht!

»Nun, Hubert?« fragt Frau Eva lächelnd. »Keine Antwort? Sind Sie auch mit mir böse?«

Hubert legt die Weste in den Koffer und macht sich an das Jackett. Ein Herrenjackett ist sehr schwierig zusammenzulegen. Er bückt sich tief darüber und spricht kein Wort.

»Hubert!« sagt die gnädige Frau schärfer. »Seien Sie doch nicht albern! Wenn Sie auf Herrn Rittmeister ärgerlich sind, brauchen Sie doch nicht unhöflich zu mir zu sein!«

»Gnädige Frau!« erklärt Hubert feierlich und hebt sein graues, trübes Auge. »Herr Rittmeister hat mich behandelt wie einen Sklaven …«

»Nun, und Sie werden meinem Mann auch nicht grade freundliche Dinge gesagt haben! Sie sollen ihm ja sogar gedroht haben.«

»Jawohl, gnädige Frau. Es stimmt. Armgard hat gelauscht, aber es stimmt doch. Doch ich bedaure es. Wenn gnädige Frau so gütig sein wollen, Herrn Rittmeister bei seiner Rückkunft zu sagen, daß ich es bedaure. Ich habe es nur in der Leidenschaft gesagt.« (Er sieht so leidenschaftlich aus wie ein Stück Holz.)

»Schön, Hubert. Ich werde es ausrichten. Und nun erzählen Sie mir einmal, was war denn eigentlich los –?«

»Und auch der Brief vom gnädigen Fräulein wird nicht benutzt werden«, fährt Hubert unbeirrbar fort. »Ich verspreche das. Wenn ich ihn auch nicht verbrennen werde, noch nicht.«

»Hubert!« sagt Frau von Prackwitz. »Nun seien Sie einmal nett, denken Sie daran, daß ich nicht nur eine Dienstherrschaft bin, an der Sie natürlich immer etwas auszusetzen haben, sondern auch eine Mutter, die sich manchmal sehr viel Sorgen macht. Was ist das mit einem Brief von der Violet, den Sie haben? Erzählen Sie mir einmal alles richtig, lassen Sie einmal Ihre Faxen, Hubert …«

»Entschuldigen, gnädige Frau, es sind keine Faxen«, erklärt Hubert ganz unbewegt. »Ich bin so.«

»Also schön, sagen Sie es mir dann auf Ihre Art, ich werde es schon verstehen. Aber bitte sagen Sie mir, Hubert, was Sie wissen!«

Hubert sieht mit seinen kalten, toten Augen die gnädige Frau aufmerksam an. Vielleicht empfindet dieses Gespenst ein wenig Glück, da er die Frau bittend vor sich sieht, aber anzusehen ist es ihm nicht.

Nach einer langen Weile stummen Anschauens schüttelt er den Kopf und sagt: »Nein.«

Er wendet sich wieder seinem Jackett zu.

»Hubert«, bittet Frau von Prackwitz wieder, »aber warum denn nicht? Sie gehen doch jetzt weg von uns, es kann Ihnen keinen Schaden bringen, wenn Sie mir alles erzählen. Und vielleicht bringt es soviel Nutzen …«

Hubert Räder ist nur mit seinem Jackett beschäftigt, es sieht so aus, als habe er nichts gehört. Aber nach einer langen Zeit entschließt er sich dann doch, wiederum nein zu sagen.

»Aber warum nicht?« flüstert sie. »Ich verstehe das nicht! Was ist nur? Hubert, seien Sie nett, ich will Ihnen eine glänzende Empfehlung geben, ich will bei meinen Verwandten nach einer Stellung für Sie fragen …«

»Ich gehe nicht wieder in Stellung«, erklärt das Gespenst.

»Also, Hubert! Sie haben gesagt, Sie wollen den Brief noch nicht verbrennen, das heißt, Sie wollen ihn vielleicht benutzen, Sie wollen vielleicht Geld für ihn. Weio hat wohl eine Dummheit gemacht. Nun gut, Hubert, ich kaufe Ihnen den Brief ab, ich zahle Ihnen dafür, was Sie wollen … hundert Goldmark … fünfhundert Goldmark … tausend Goldmark … Hören Sie, Hubert, tausend Goldmark für den dummen Brief eines jungen Mädchens!«

Sie hat jetzt fieberhaft gesprochen, sie sieht ihn mit fieberhafter Spannung an. Kaum überlegt sie noch, was sie sagt; sie kann auch nicht mehr übersehen, was das denn eigentlich für ein Brief sein mag … Eine geheimnisvolle, drohende Spannung hat sie gefaßt, hier in der kahlen Bude dieses entsetzlichen Kerls – wie hat sie ihn nur so lange im Hause ertragen können? Unheil! Unheil!

Hubert Räder zieht die Lippen von den Zähnen zurück, es soll dies wohl eine Art Lächeln bedeuten. Er sieht Frau von Prackwitz an – und vor diesem bösen, drohenden Blick, der doch triumphiert, vergeht ihre Erregung und macht einer dumpfen Verzweiflung Platz.

Er schüttelt langsam den Kopf, zum drittenmal sagt er nein. Dann sieht er das Jackett vor sich auf dem Bett an, als verstünde er nicht ganz, was es damit für eine Bewandtnis hat.

»Nun, Hubert«, sagt die gnädige Frau in plötzlichem Zorn, »der Brief gehört Ihnen nicht. Wir haben grade Gendarmen hier in Neulohe – ich werde einen holen und Ihre Sachen durchsuchen lassen.«

Aber nun ist es wieder wie zu Anfang: Der häßliche Mensch scheint nichts gehört zu haben und beschäftigt sich nur mit seinem Jackett. Unentschlossen sieht sie auf ihn; Bitten, Geld und Drohung sind vergeblich gewesen, was soll sie noch tun? Ihm schmeicheln, sagt sie sich, dieser Mensch muß krankhaft eitel sein. Aber das widerstrebt ihr so, es wird ihr schon übel bei dem Gedanken, sich vor ihm zu erniedrigen … Aber nun denkt sie wieder an ihre Tochter, den rätselhaften Brief, daß einer, daß dieser vielleicht Gewalt über ihr Mädchen hat …

»Sie sollten sich nicht zu solchen Dingen erniedrigen, Hubert!« versucht sie. (Sie hat auch noch »Herr Räder« sagen wollen, aber sie hat es nicht über die Lippen gebracht.) Sie fährt fort: »Ein Mensch, der so auf sich hält wie Sie …«

Sie schaut ihn abwartend an. Langsam löst er den Blick von dem Kleidungsstück und erwidert ihren Blick. Wieder dieses Hochziehen der Lippen von den Zähnen – er hat sie durchschaut, sie kommt sich gedemütigt vor!

»Verzeihung, gnädige Frau, ich glaube, ich halte nicht mehr viel auf mich, darum brauche ich auch kein Geld mehr.« Er sieht sie prüfend an, er scheint von der Wirkung seiner unverständlichen Worte befriedigt. Er denkt nach, dann erklärt er: »Am zweiten Oktober werde ich der gnädigen Frau den Brief senden, mit der Post. Gnädige Frau brauchen nichts dafür zu bezahlen.«

»Übermorgen –?« fragt sie.

Sie weiß, er hat ihr nichts Gutes versprochen, eine dunkle Drohung klingt aus seinen Worten, etwas, das sie nicht abwenden kann. Sie will ihm antworten, aber er macht eine Bewegung, und die gnädige Frau schweigt sofort stille, da der Diener es wünscht.

»Gnädige Frau müssen nicht fragen. Ich sage doch nur, was ich will. Das gnädige Fräulein ist sehr schlecht zu mir gewesen, ich habe sie nie verraten, aber sie hat ihren Vater aufgehetzt, mich rauszuschmeißen … Sie haben gesagt, ich soll mich nicht erniedrigen. Ich weiß, Sie haben es mir nur gesagt, damit ich Ihnen etwas erzähle. Wenn Sie das gnädige Fräulein Violet« (er sagt das mit abgrundtiefer Ironie), »wenn Sie das gnädige Fräulein Violet bis übermorgen früh nicht aus den Augen lassen, dann passiert nichts …«

»Sie ist fortgefahren …« flüstert die Mutter.

Nach der Tochter die Mutter – irgendwie geraten sie beide in den Bann dieses Mannes. Was ist er? Ein Narr, ein alberner, nicht übermäßig tüchtiger Diener, nur mit Spott hat die gnädige Frau ihn ertragen. Aber jetzt denkt sie nicht daran, über ihn zu spotten, sie nimmt ihn völlig ernst. Es sind keine Schrullen mehr, kein Aberwitz – der Geruch von Gefahr, Drohung und Brand, etwas Düsteres, das er allein erst weiß …

»Sie ist fortgefahren …«, hat sie geflüstert.

Er sieht sie an, dann nickt er kurz und bestimmt mit dem Kopf. Er sagt: »Heute abend ist sie zurück. Und dann nicht aus den Augen lassen, gnädige Frau, bis übermorgen früh …«

Er wendet sich wieder seiner Packerei zu. Sie versteht sofort, daß diese Bewegung endgültig ist.

»Alles Gute, Hubert«, sagt sie plötzlich. »Ihre Papiere und Ihr Geld holen Sie sich vom Büro?«

Er antwortet nicht mehr. Er ist in ein peinliches Zusammenlegen seines Jacketts vertieft, ein graues, fischiges Gesicht, ohne erkennbaren Ausdruck. Es ist dieses Bild, das sie von ihm mitnimmt, sie wird es viele Male in ihrem künftigen Leben vor Augen sehen – das letzte Bild von Hubert Räder. Sie wird es nicht vergessen …

Wolf unter Wölfen
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