10

»Willst du das Auto nicht zurückschicken?« fragte Frau Eva, als die beiden vom Büro zur Villa hinübergingen.

Das Auto hielt auf dem Hof, der Chauffeur stand rauchend daneben.

Der Rittmeister zögerte einen Augenblick, angesichts der eigenen Frau war es nicht ganz leicht, den Kauf zu beichten. Es würde ein endloses Geschwätz geben.

»Ich behalte den Wagen hier – erst einmal ein paar Tage«, setzte er lächelnd beim Zusammenfahren seiner Frau hinzu. »Übermorgen entscheidet sich allerlei – auch für uns.«

»Finger!« sagte der Rittmeister zum Chauffeur. »Fahren Sie uns zur Villa. – Ich weiß noch nicht recht, wo wir den Wagen die nächsten Tage unterbringen – das wird sich schon finden. Sie wohnen erst einmal bei uns, der Diener wird Ihnen Bescheid sagen.«

»Sehr wohl, Herr Rittmeister!« antwortete der Chauffeur Finger und hielt der gnädigen Frau die Tür auf.

Frau von Prackwitz sah das glänzend lackierte, weichledrige Ungeheuer mit einer Mischung von Abwehr, Angst und Ärger an. »Ich verstehe das nicht«, murmelte sie und stieg ein. Sie drückte sich nicht in eine Ecke, nein, sie saß kerzengrade, obwohl die Kissen zum Anlehnen, Einsinken verlockten.

Der Wagen heulte auf und fuhr sanft wie eine Wiege zwischen den Leutehäusern durch. Da alle Mann wegen des Abzugs der Zuchthäusler, wegen des Ausrückens der Gendarmen auf den Beinen waren, sah jedermann den Wagen, den lächelnden Rittmeister, die steil aufgerichtete gnädige Frau mit einer Falte zwischen den Augenbrauen. Frau Eva hatte im Rücken das unerträgliche Gefühl, daß auch alle Fenster im Schloß besetzt waren.

Ich hätte nie in dieses Teufelsding steigen sollen! dachte sie erbittert. Achim hat wieder eine Dummheit gemacht. Nun denken die Eltern, ich bin mit ihm einverstanden.

Die Wochen der Trennung, der Umgang mit Studmann hatten gewirkt: Auch Frau von Prackwitz hatte sich gewandelt. Früher hatte sie bei jeder Übereilung ihres Mannes gedacht: Wie vertusche ich das? Heute dachte sie: Keiner soll glauben, ich bin einverstanden!

»Gefällt dir der Wagen, Eva?« fragte der Rittmeister lächelnd.

»Willst du mir nicht bitte erklären, Achim«, sagte sie hitzig, »was dies heißen soll?! Ist dieser Wagen –?«

Der Rittmeister tippte dem Chauffeur mit einem Finger auf den Rücken: »Jetzt gradeaus – ja, das helle Haus, vorne rechts …« Dann: »Nachher! – Es ist ein Horchwagen, merkst du, wie sanft er fährt? Er braucht nur zwanzig Liter Brennstoff auf hundert Kilometer, nein, dreißig … das habe ich nun doch vergessen, es ist aber auch egal …«

Der Wagen fuhr hupend bei der Villa vor.

»Hier muß eine Auffahrt hin«, sagte der Rittmeister gedankenverloren.

»Was?!« fuhr Frau Eva hoch. »Für die paar Tage! Ich denke, du hast den Wagen nur für ein paar Tage gemietet.«

Aus dem Hause kam Violet gelaufen.

»Oh, Papa, Papa! Bist du wieder da?!« Sie umfing ihren Vater, er konnte gar nicht schnell genug aus dem Auto kommen. »Hast du das Auto gekauft? Ist das schneidig! Wie heißt es? Wie schnell kann man damit fahren? Hast du auch fahren gelernt? Laß mich mal sitzen, Mama …«

»Siehst du!« sprach der Rittmeister vorwurfsvoll zu seiner Frau. »Das nenne ich Freude! – Violet, sei so gut, bringe Herrn Finger zu Hubert. Er soll vorläufig das kleine Fremdenzimmer im Giebel haben. – Der Wagen kann erst einmal hier stehenbleiben. – Bitte, Eva.«

 

»Also, Achim«, sagte Frau Eva und war wirklich erregt. »Erkläre mir nun bitte, was dies alles heißen soll …« Sie setzte sich und sah ihn unmutig an.

Je schlechter das Gewissen des Rittmeisters war, um so liebenswürdiger konnte er sein. Er, der nicht ein gereiztes, auch nur hastiges Wort in seiner Umgebung ertragen mochte, war jetzt die Sanftmut selbst bei der üblen Laune seiner Frau. Aber grade dies machte den Fall für Frau Eva um so bedenklicher.

»Was das heißen soll?« fragte er lächelnd. »Übrigens haben wir uns noch gar nicht richtig guten Tag gesagt, Eva. Im Büro starrte dich ewig der Schulmeister an.«

»Herr von Studmann! Ja, er sieht mich gerne an, und er ist nie unhöflich. Er schreit auch nicht …« Frau Evas Augen funkelten gefährlich.

Der Rittmeister hielt es für besser, im Moment nicht auf einer zärtlichen Begrüßung des wiedervereinten Ehepaares zu bestehen. »Ich schreie jetzt auch gar nicht mehr«, sagte er lächelnd. »Ich habe seit Wochen nicht mehr geschrien. Ich habe mich überhaupt glänzend erholt …«

»Und warum kommst du so plötzlich?«

»Ja, siehst du, Eva«, sagte der Rittmeister. »Ich ahnte ja nicht, daß ich dich hier stören würde. Mir fiel plötzlich ein, daß der erste Oktober ja immerhin ein wichtiger Tag ist; ich dachte, ihr könntet mich vielleicht hier brauchen –?«

Es klang sehr liebenswürdig und sehr bescheiden, aber grade darum mißfiel es der Frau.

»Keinerlei Ankündigung –« sagte Frau Eva. »Du hast dich sehr plötzlich auf diesen ersten Oktober besonnen –?«

»Ach, weißt du«, sagte er, ein wenig ärgerlich. »Ich bin ja nie sehr für Schreiben gewesen, und dann gab es da einen kleinen Ärger … Dieser Baron von Bergen, du erinnerst dich, der Studmann reingelegt hat, nun gut, er hat mich auch eingeseift. – Nicht schlimm, ein paar Mark. Aber er riß aus damit, und der Sanitätsrat regte sich schrecklich darüber auf …«

»Und da besannst du dich auf den ersten Oktober, ich verstehe«, sagte Frau von Prackwitz trocken.

Der Rittmeister machte eine wütende Bewegung.

Rasch stand sie auf, sie faßte ihn an den Aufschlägen seines Rockes, sie schüttelte ihn sanft. »Ach, Achim, Achim!« rief sie traurig. »Wenn du dir doch nur nicht immer selbst etwas vormachen wolltest! Das geht nun schon so viele Jahre, und immer denke ich: Jetzt hat er was gelernt, jetzt wird er anders – und ewig, ewig ist es dasselbe!«

»Was mache ich mir denn vor?« fragte er verdrießlich. »Bitte, Eva, laß meinen Rock los. Er ist ganz frisch gebügelt.«

»Verzeih … Was du dir vormachst –? Nun, Achim, du bist dort einfach weggeschickt worden, wegen irgendeiner Torheit oder Unüberlegtheit. Und weil es dir peinlich war, mir das zu gestehen, und weil dir im Zuge hierher eingefallen ist, daß am ersten Oktober die Pacht fällig wird – darum machst du dir und mir nun blauen Dunst vor …«

»Wenn du’s so auslegst«, sagte er gekränkt. »Also, bitte, ich bin dort weggeschickt worden und bin nun hier. Oder soll ich nicht hiersein –?«

»Aber, Achim, wenn es nicht so ist, sage doch ein Wort! Wie denkst du dir denn deine Hilfe? Willst du das Geld beschaffen? Hast du irgendwelche Pläne? Du weißt doch, daß Papa zur Bedingung gemacht hat, daß du erst einmal längere Zeit wegbleibst, und du kommst ohne jede Ankündigung hier an – wir konnten die Eltern nicht einmal vorbereiten …«

»An die Gefühle meines Schwiegervaters habe ich allerdings nicht gedacht. Ich dachte einfach, du würdest dich freuen …«

»Aber, Achim!« rief sie verzweifelt. »Sei doch kein Kind! Worüber soll ich mich denn freuen? Wir sind doch keine jungverheirateten Leutchen mehr, daß ich schon strahle, wenn ich dich nur sehe –!«

»Nein, wahrhaftig, das tust du nicht!«

»Wir kämpfen doch hier um die Pachtung. Die Pachtung ist ja das einzige, das uns ein bißchen Einkommen sichert, wie wir es gewohnt sind! Was sollen wir denn anfangen, wenn wir sie verlieren? Ich habe nichts gelernt, und ich kann nichts – und du …«

»Ich kann natürlich auch nichts!« sagte der Rittmeister bitter. »Was ist nur in dich gefahren, Eva –?! Du bist vollkommen verändert! Schön, ich bin etwas voreilig zurückgekommen, es war vielleicht unbesonnen. Nun gut, aber ist das ein Anlaß, mir zu sagen, daß ich nichts gelernt habe und nichts kann?!«

»Du vergißt das Auto vor der Tür, Achim!« rief sie. »Du weißt, wir sitzen in Geldnot bis da, aber vor der Tür steht ein funkelnagelneues Auto, das sicher zehntausend Goldmark gekostet hat –«

»Siebzehn, Eva! Siebzehntausend!«

»Gut, also siebzehntausend. Es ist so weit, daß ich sage, es ist ganz gleich, ob es zehntausend oder siebzehntausend gekostet hat. Wir können beides nicht bezahlen. Was ist also mit dem Auto, Achim?«

»Mit dem Auto ist alles in Ordnung, Eva«, erklärte der Rittmeister.

Die Nähe der schlimmsten Gefahr gab ihm seine Ruhe wieder. Er wünschte nicht wieder eine Szene. Er wollte sich nicht wieder unangenehme Dinge sagen lassen, er hatte das Recht, zu tun, was er tat. Ein Ehemann, dem seine Frau zwanzig Jahre lang den Willen getan hat, wird nie begreifen, warum sie nun plötzlich nicht mehr so will wie er. Die Frau, die zwanzig Jahre geschwiegen, gelächelt, verziehen, geduldet hat, ist in seinen Augen eine Rebellin, wenn sie die Geduld verliert und im einundzwanzigsten Jahr reden, klagen, anklagen, Rechtfertigung will. Sie ist eine Empörerin, gegen die jede Kriegslist erlaubt ist. Zwanzig Jahre Duldung geben ihr nur das Recht, auch im einundzwanzigsten Jahre duldsam zu sein …

Und dann hatte es der Rittmeister so einfach. Sein beweglicher Geist, sein grenzenloser Optimismus ließen ihn die Dinge im rosigsten Lichte sehen. Er brauchte ja nicht einmal eine unwahre Darstellung dieses Autokaufs zu geben, um seine Frau ins Unrecht zu setzen; er brauchte nur zu sagen, wie dieser Autokauf etwa zustande gekommen sein konnte. Eine Frau versteht von diesen Dingen doch nichts.

»Mit dem Auto ist alles in Ordnung, Eva«, sagte er darum. »Ich darf eigentlich noch nicht davon reden, aber ich kann dir sagen, ich habe das Auto gewissermaßen auf höhere Weisung gekauft.«

»Auf höhere Weisung? Was heißt das?«

»Nun, im Auftrag, für jemand anders. Kurz gesagt: für die Militärbehörde.«

Frau von Prackwitz sah ihren Mann grübelnd an. Ihr untrüglicher Wirklichkeitssinn, die unbestechliche Waffe der Frau, sagte ihr, daß hier etwas nicht stimmte.

»Für die Militärbehörde?« fragte sie nachdenklich. »Warum kauft sich denn die Militärbehörde ihre Autos nicht selbst?«

»Mein liebes Kind«, erklärte der Rittmeister überlegen, »das Militär ist heute durch tausend Dinge gebunden. Durch die Schwatzbude in Berlin, die ihm keine Gelder bewilligen will. Durch den Versailler Vertrag. Durch die Schnüffelkommission. Durch hundert Spione. Es muß leider heimlich tun, was es für unerläßlich hält.«

Frau von Prackwitz sah ihren Mann scharf an. »So ist der Wagen also von der Militärbehörde bezahlt worden?« fragte sie.

Der Rittmeister hätte gerne ja gesagt, aber er wußte, daß eine Anzahlung von fünftausend Goldmark für den zweiten Oktober ausbedungen war. Doch wagte er einiges. »Das nicht«, sagte er. »Aber ich werde das Geld zurückbekommen.«

»So?« sagte sie. »Und da das Militär heimlich vorgehen muß, gibt es wahrscheinlich auch keine schriftliche Abmachung deswegen?«

Es war das Schlimme bei dem Rittmeister, daß er aller Dinge, also auch seiner Lügen, so rasch überdrüssig wurde. Es war alles so langweilig, so umständlich. »Ich habe einen dienstlichen Befehl«, sagte er ärgerlich. »Und ich bin gottlob noch so weit Offizier, daß ich bedenkenlos ausführe, was mir ein Vorgesetzter sagt.«

»Aber du bist kein Offizier, Achim!« rief sie verzweifelt aus. »Du bist ein Privatmann, und wenn du als Privatmann einen Wagen kaufst, stehst du mit deinem ganzen Privatvermögen dafür ein!«

»Höre zu, Eva«, sprach der Rittmeister, entschlossen, dieser Fragerei endlich ein Ende zu machen. »Ich darf eigentlich nicht davon reden, aber ich will dir alles sagen. Am ersten Oktober, übermorgen, wird die jetzige Regierung gestürzt – von der Reichswehr und anderen militärischen Verbänden. Alles ist vorbereitet. Ich habe den dienstlichen Befehl bekommen, mich am ersten Oktober morgens um sechs Uhr in Ostade einzufinden – mit einem Kraftwagen, mit diesem Kraftwagen!«

»Es wäre schön«, sagte sie, »eine andere Regierung! Nicht mehr dieser Dreck, in den man immer tiefer gerät. Sehr schön wäre das!« Einen Augenblick saß sie so, dann: »Aber …«

»Nein, bitte, Eva!« sagte er entschieden. »Nun kein ›Aber‹, du weißt, um was es geht. Die Sache ist erledigt.«

»Und Herr von Studmann?« fragte sie plötzlich. »Er ist doch auch Offizier! Weiß er denn nichts davon?«

»Das ist mir nicht bekannt«, sagte der Rittmeister steif. »Ich weiß nicht, nach welchen Prinzipien die Herren aufgefordert wurden.«

»Bestimmt weiß er nichts davon«, überlegte sie. »Und Papa –? Einer der reichsten Leute im Kreise? Ist der auch nicht aufgefordert?«

»Von deinem Herrn Papa wurde geredet«, berichtete der Rittmeister bissig. »Leider recht abfällig. Er ist wohl wieder mal der ganz Schlaue gewesen – er will erst den Erfolg sehen, ehe er mitmacht.«

»Papa ist vorsichtig«, überlegte Frau von Prackwitz nachdenklich. Und von einem plötzlichen Gedanken erfaßt: »Und wenn der Putsch mißlingt? Was wird dann? Wer bezahlt dann deinen Wagen?«

»Er wird nicht mißlingen!«

»Aber er kann doch mißlingen«, beharrte sie. »Der Kapp-Putsch ist auch mißlungen. Bedenke: siebzehntausend Mark!«

»Er mißlingt aber nicht!«

»Möglich ist es doch! Wir wären ruiniert.«

»Dann würde ich den Wagen zurückgeben.«

»Und wenn er beschlagnahmt wird? Oder zerschossen? Siebzehntausend Mark!«

»Wenn ich ein Auto kaufe«, sagte der Rittmeister gekränkt, »redest du immer von siebzehntausend Mark. Aber wenn dein lieber Vater Unsummen von uns verlangt, die uns einfach ruinieren, dann sagst du: ›Wir müssen unbedingt zahlen!‹«

»Aber, Achim! Pacht zahlen muß doch sein, ein Auto braucht nicht zu sein!«

»Es ist mir dienstlich befohlen!« Er war hartnäckig wie ein Maulesel.

»Ich verstehe das alles nicht«, grübelte sie. »Du kommst doch grade erst aus dem Sanatorium. Hast doch nur an deine Kaninchenjagd gedacht. Und plötzlich, plötzlich erzählst du von Putsch und Autokauf …«

Sie sah ihn nachdenklich an. Immer wieder warnte sie ihr Instinkt, es stimmte etwas nicht.

Er wurde rot unter ihrem Blick. Hastig beugte er sich vor, nahm eine Zigarette aus seinem Etui. Indem er sie anzündete, sagte er: »Entschuldige, davon verstehst du nichts. Die Sache ist lange vorbereitet, schon vor meiner Abreise wußte ich davon.«

»Aber, Achim«, bat sie, »sage das doch nicht! Du hättest mir doch unbedingt davon gesprochen!«

»Ich war zum Schweigen verpflichtet.«

»Ich glaube es dir nicht!« rief sie. »Diese ganze Geschichte ist plötzlich gekommen. Hättest du keinen Streit mit Geheimrat Schröck gehabt, du säßest noch dort und schössest deine Kaninchen, und von Putsch, Autokauf und alledem wäre nicht die Rede.«

»Ich möchte nicht noch einmal hören«, sagte der Rittmeister drohend, »daß du mir etwas nicht glaubst, daß ich also ein Lügner bin! – Im übrigen kann ich dir beweisen, was ich sagte. Erkundige dich bei dem Förster, ob nicht ein ganz Teil Männer in Neulohe nur auf den Ruf loszubrechen warten. Frage Violet, ob nicht ein recht erhebliches Waffenlager in deines Vaters Forst verborgen liegt.«

»Violet weiß auch davon?!« rief sie, tödlich verletzt. »Und das nennt ihr Vertrauen, das soll eine Familie sein?! Ich rackere mich hier ab, ich demütige mich vor Papa, ich rechne und sorge, ich ertrage alles, ich vertusche eure Dummheiten – und ihr habt Geheimnisse vor mir?! Ihr macht Komplotte hinter meinem Rücken, macht Schulden, gefährdet alles, spielt um unsere Existenz, und ich darf nichts wissen?!«

»Eva, ich bitte dich –!« rief er, erschrocken von der Wirkung seiner Worte. Er streckte ihr die Hand hin.

Sie sah ihn mit funkelnden Augen an. »Nein, mein Freund!« rief sie zornig. »Das war nun doch zu kräftig! Kniebusch, ein greisenhafter Schwätzer; Violet, ein unmündiges, unreifes Mädchen, im Komplott mit dir – aber mir gegenüber berufst du dich auf Schweigepflicht. Ich darf nichts wissen, das Vertrauen, das du den beiden schenkst, bin ich nicht wert …«

»Ich bitte dich, Eva!« rief er beschwörend. »Laß dir doch sagen …«

»Nein!« zürnte sie. »Du sollst mir nichts sagen! Ich danke für deine Geständnisse – hinterher! Das kenne ich nun schon unsere ganze Ehe lang. Ich bin dieser Dinge so müde! Ich will nicht mehr! Versteh doch«, rief sie zornig und stampfte mit dem Fuß auf. »Ich will nicht mehr!! Das habe ich nun hundertmal gehört, die Bitten um Verzeihung, die Schwüre, dich zusammenzunehmen, die liebenswürdigen Worte – nein, danke!«

Sie wandte sich zur Tür.

»Eva«, sagte er und ging ihr schnell nach. »Ich verstehe deine Aufregung nicht.« Er kämpfte mit sich. Dann, nach schwerem Entschluß: »Meinethalben – ich schicke das Auto noch diese Stunde nach Frankfurt zurück.«

»Das Auto!« rief sie verächtlich. »Was geht mich das Auto an!«

»Aber du hast doch eben selber gesagt –! Sei doch bitte einmal logisch, Eva!«

»Du hast noch nicht einmal verstanden, von was wir reden! Wir reden nicht von Autos, wir reden von Vertrauen! Von Vertrauen, das du seit zwanzig Jahren als etwas ganz Selbstverständliches verlangst und das du nie zu mir hast …«

»Also, Eva«, sagte er, »bitte, sage mir jetzt präzis, was du eigentlich von mir willst. Ich habe dir schon erklärt, daß ich bereit bin, das Auto sofort nach Frankfurt zurückzuschicken, trotzdem ja eigentlich eine dienstliche Anordnung … Ich wüßte wirklich nicht, wie ich es rechtfertigen sollte …«

Er verwirrte sich schon wieder, wieder wurde er schwach.

Sie sah ihn mit kalten, bösen Augen an. Plötzlich, in einer, in dieser Minute sah sie den Mann, an dessen Seite sie fast ein Vierteljahrhundert gelebt hatte, wie er wirklich war: schwach, ohne jeden Halt, unbeherrscht, töricht, jedem Einfluß preisgegeben, ein Schwätzer … Er ist nicht immer so gewesen! klang es in ihr. Nein, er war anders gewesen, aber damals waren die Zeiten anders gewesen. Er hatte im Glück gesessen, das Leben hatte gelächelt, es hatte keine Schwierigkeiten gegeben, es war so leicht gewesen, nur die guten Seiten zu zeigen! Selbst im Kriege noch: er hatte Vorgesetzte gehabt, die ihm gesagt hatten, was er zu tun hatte, eine Dienstordnung –. Es war die Uniform mit all ihrem Drum und Dran gewesen, die ihn aufrecht gehalten hatte. – Als er die auszog, sackte er zusammen. Es erwies sich, daß er nichts in sich hatte, nichts, keinen Kern, nichts, das ihm Widerstandskraft gab, keinen Glauben, kein Ziel. – Ohne Stern ging er in einer irren Zeit sofort irre …

Aber während all dies blitzschnell durch ihren Kopf zog, in einem Ansehen des altbekannten Gesichtes, dieses Gesichtes, in das sie häufiger geschaut hatte als in jedes andere Menschengesicht, erhob sich eine Stimme in ihr, leise, feierlich, anklagend: Dein Werk! Dein Kind! Deine Schuld!

Alle Frauen, die sich ihren Männern ganz opfern, die ihnen alles abnehmen, alles verzeihen, alles dulden – erleben einmal diese Stunde: ihr Werk kehrt sich gegen sie. Das Geschöpf wendet sich gegen den Schöpfer, sanftes Gewährenlassen und Güte werden zur Schuld.

Sie hörte ihn weitersprechen, aber sie achtete kaum noch auf seine Worte. Sie sah, wie die Lippen sich öffneten und schlossen, sie sah die Linien, die Falten des Gesichtes kommen und gehen: Es war einst glatt gewesen, da sie zum erstenmal hineingeschaut hatte; neben ihr, bei ihr, mit ihr, durch sie war es das Gesicht geworden, das es nun war.

Seine Stimme klang lauter an ihr Ohr; sie verstand wieder, was er sagte.

»Du redest immer von Vertrauen«, erklärte er vorwurfsvoll. »Ich habe doch wahrhaftig Vertrauen genug bewiesen. Seit Wochen habe ich dich hier allein gelassen, ich habe dir das ganze Gut anvertraut. Schließlich bin doch ich der Pächter …«

Plötzlich lächelte sie. »Ja, ja, du bist der Pächter, Achim!« spottete sie leise. »Du bist der Herr, und du hast deine arme, schwache Frau sich ganz allein überlassen … Reden wir im Augenblick nicht weiter von der Sache. Laß meinethalben auch das Auto noch hier, man muß alles bedenken. Ich möchte diese Dinge noch gründlich mit Herrn von Studmann besprechen, vielleicht auch bei Papa einmal auf den Busch klopfen …«

Wieder falsch! Immer wieder verkehrt gemacht! Sobald sie sanfter wurde, wurde er härter.

»Ich möchte keinesfalls«, sagte er, schon ärgerlich, »daß Studmann von diesen Dingen erfährt. Wenn er nicht aufgefordert wurde, so wird das schon seine Ursache haben. Und was deinen Papa angeht …«

»Nun gut«, lenkte sie ein, »lassen wir den Papa. Aber Herr von Studmann muß Bescheid wissen. Er ist der einzige, der eine Übersicht über unsere Geldverhältnisse hat, der sagen kann, ob wir den Wagen vielleicht doch bezahlen können …«

»Verstehst du mich nicht, Eva?!« rief er zornig. »Ich lehne Studmann als Begutachter meiner Maßnahmen ab. Er ist nicht mein Kindermädchen!«

»Es ist nötig, ihn zu fragen«, beharrte sie. »Wenn der Putsch mißlingt …«

»Höre!« rief der Rittmeister zornig. »Ich verbiete dir, ein Wort mit Studmann über die Sache zu sprechen! Ich verbiete es dir!«

»Und mit welchem Recht sprichst du Verbote gegen mich aus? Warum soll ich tun, was du für richtig hältst, da du doch alles, alles falsch machst? Gewiß werde ich mit Herrn von Studmann reden …«

»Du hast bei deinem Freunde Studmann eine Hartnäckigkeit …«, sagte er argwöhnisch.

»Ist er denn nicht auch dein Freund –?«

»Ein Klugschnacker ist er, ein Besserwisser! Ein ewiges Kindermädchen!« rief er zornig. »Wenn du ein Wort mit ihm von dieser Sache sprichst, werfe ich ihn dieselbe Stunde hinaus!« Er machte sich ganz starr, er rief: »Wir wollen doch sehen, wer hier der Herr ist!«

Lange, lange sah sie ihn mit stillem, weißem Gesicht an. Wieder wurde er unsicher unter diesem Blick. »Sei doch vernünftig, Eva«, bat er. »Sieh endlich ein, daß ich recht habe!«

Kein Wort von ihr. Dann plötzlich drehte sie sich rasch um, im Fortgehen sagte sie: »Gut, mein Freund, ich werde Studmann nichts sagen. Ich werde überhaupt nichts mehr sagen.«

Ehe er ihr antworten konnte, war er allein. –

Er sah unzufrieden um sich. Ein Gefühl der Leere war nach diesem langen Streit in ihm geblieben, etwas Unbefriedigtes. Er hatte seinen Willen bekommen, aber das freute ihn diesmal nicht. Er wollte es abschütteln: es war nichts, ein endloser Schwall Worte, Streitigkeiten um gar nichts, warum denn –? Weil er ein Auto gekauft hatte! Wenn er über zwanzigtausend Goldmark Pacht zahlen konnte, konnte er sich auch ein Auto leisten. Es gab Bauern, die hatten einen Wagen! In Birnbaum war ein Bauer, der hatte ein Auto und einen Motorpflug! Es gab einen Bauern, der hatte fünfundzwanzig Nähmaschinen auf der Scheunendiele stehen, bloß um sein Geld anzulegen! Sachwerte!!!

Und er hatte sich nicht einmal den Wagen um seines Vergnügens willen gekauft; hätte Major Rückert es ihm nicht befohlen, hätte er nie daran gedacht. Er hatte es um der guten Sache willen getan! Aber sie verstand das nicht. Sie wollte es nicht verstehen. Sie hatte in ihrem Toilettentisch ein Fach, mindestens einen Meter lang, vierzig Zentimeter tief, ganz voller Strümpfe! Aber alle Augenblicke kaufte sie sich neue Strümpfe! Dafür sollte immer Geld dasein! Er hatte jetzt durch Wochen kaum einen Pfennig ausgegeben – nur die paar Patronen, die er für die Karnickel gebraucht, und der tägliche Wein, den er zu Tisch gehabt hatte – aber bei seiner ersten Ausgabe erhob sie ein Geschrei!

Leise und melodisch rief vor der Tür das Auto, sein Auto, sein so glänzend lackierter Horch! Froh über die Ablenkung, fuhr der Rittmeister von Prackwitz mit seinem Kopf aus dem Fenster. Seine Tochter Violet saß am Steuer und spielte mit dem Druckknopf der Hupe. »Willst du das mal lassen, Weio!« rief er. »Du machst die Pferde scheu!«

»Der Wagen ist knorke, Papa! Du bist doch der Allerbeste. Es ist sicher der schönste Wagen im ganzen Kreis!«

»Er ist auch schön teuer!« flüsterte der Rittmeister, indem er den Kopf zum oberen Stockwerk verdrehte.

Weio kniff lachend die Augen zu. »Keine Angst, Papa! Mama ist auf den Hof gegangen. Sicher wieder mal ins Büro!«

»Ins Büro? So!« ärgerte sich der Rittmeister.

»Wie teuer, Papa –?« fragte Weio wieder.

»Schrecklich! – Siebzehn.«

»Siebzehnhundert? finde ich nicht viel, für so ’nen Klassewagen!«

»Aber, Weio! Siebzehntausend!«

»Na, Papa, dafür haben wir auch den schönsten Wagen im Kreis!«

»Nicht wahr? Das sage ich auch! Wenn man was kauft, soll man auch was Anständiges kaufen!«

»Mama ist wohl nicht ganz einverstanden?«

»Noch nicht ganz! Aber warte man, wenn sie erst einmal darin spazierenfährt, wird sie auch ein anderes Gesicht machen.«

»Du, Papa –«

»Ja? Was denn?«

»Wann darf ich mal drin fahren? Heute noch –?«

Ach –! Beide Kinder hatten gleich viel Lust. Die Kindermädchen waren nicht da, saßen auf dem Büro.

»Ich weiß was, Papa! Wenn wir schnell mal durch die Forst führen? Da treiben doch die Gendarmen nach den Zuchthäuslern durch. Vielleicht erwischen wir die Kerls. So leise und schnell wie unser Wagen ist! Und dann könnten wir schnell mal in Birnbaum guten Tag sagen. Onkel Egon und die Vettern platzen vor Neid.«

»Ich weiß nicht«, meinte der Rittmeister bedenklich. »Die Mama will vielleicht mit?«

»Ach, die Mama, die sitzt viel lieber auf dem Büro!«

»So –? Was macht der Chauffeur jetzt –?«

»Der ißt in der Küche. Aber er muß gleich fertig sein. Soll ich ihn rufen?«

»Schön! – Hör noch mal, Weio. Rate, wen ich heute in der Bahn getroffen habe?«

»Wen denn? Wie soll ich das denn raten, Papa? Der ganze Kreis kann drin gesessen haben! Onkel Egon –?«

»I wo! Den würde ich dir doch nicht zum Raten aufgeben! – Nein, unsern Leutnant!«

»Wen –??« Violet wurde dunkelrot. Sie senkte den Kopf. In der Verwirrung drückte sie auf den Hupenknopf, daß das Auto laut aufbrüllte.

»Laß, bitte, den Krach, Weio! – Du weißt doch, den Leutnant, Violet, der damals so unhöflich war …« Geflüstert: »Den mit den Waffen …«

»Ach so, den!« flüsterte Violet. Sie hielt noch immer den Kopf gesenkt, sie spielte mit dem Steuerrad. »Ich dachte, du meintest jemand von unsern Bekannten …«

»Nein, das Rauhbein von damals! Du weißt doch noch: ›In Gegenwart von jungen Damen spricht man nicht von solchen Sachen!‹« Der Rittmeister lachte, wurde aber sofort wieder ernst. »Alles, was recht ist, Weio, er scheint ein ziemlich wichtiges Tier zu sein, so jung er noch ist, mächtig tüchtig.«

Ganz leise: »Ja, Papa –?«

»Im Grunde ist er schuld daran, daß ich den Wagen gekauft habe.« Ganz leise, sehr geheimnisvoll: »Violet, die haben eine ganz große Sache vor – und dein Papa wird mitmachen …«

Es war in zwölf Stunden erst das drittemal, daß der Rittmeister von Prackwitz das Geheimnis ausplauderte; darum machte es ihm noch immer Spaß.

»Gegen die Sozis, Papa?«

»Die Regierung wird gestürzt, mein Kind.« (Dies sehr feierlich.) »Übermorgen, am ersten Oktober, fahre ich dazu mit diesem Wagen nach Ostade!«

»Und der Leutnant –?«

»Welcher Leutnant! Ach, der Leutnant! Nun, der macht natürlich auch mit.«

»Wird es denn Kämpfe geben, Papa?«

»Sehr möglich. Höchstwahrscheinlich. – Nein, Violet, du hast doch keine Angst?! Eine Offizierstochter! Ich habe den Weltkrieg überstanden, da werden mir solche kleinen Straßenkämpfe doch nichts tun!«

»Nein, Papa …«

»Na also! Kopf hoch, Violet! Wer nichts wagt, gewinnt nichts! – Und jetzt wird der Chauffeur mit seinem Essen fertig sein. Rufe ihn. Wir wollen zurück sein, ehe es ganz dunkel ist.«

Er sah seine Tochter aus dem Wagen steigen und langsam, mit gesenktem Kopf, nachdenklich in das Haus gehen. Die liebt mich wirklich, dachte er stolz. Wie sie zusammenfuhr, als sie hörte, daß es Kämpfe geben würde. Aber sie nimmt sich fabelhaft zusammen!

Der Rittmeister dachte dies nicht aus Freude über die Liebe seiner Tochter, er dachte es nur, um solche Liebe in Gedanken seiner Frau vorzuhalten, die nicht einen Augenblick an die Gefahren, in die er sich begab, gedacht hatte, sondern nur an Autokäufe, wirtschaftliche Schwierigkeiten, Pachtzahlungen, Vertrauensfragen …

Und während der Rittmeister, stolz auf solche Liebe der Tochter, die noch seinen Wert würdigt, sich zur Fahrt zurechtmacht, steht Weio wie gelähmt auf der kleinen Diele, nur den einen Gedanken im Herzen: Übermorgen! Wir haben uns nicht wiedergesehen, und er kann fallen. Übermorgen!

Wolf unter Wölfen
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