9

Als der Rittmeister von Prackwitz am Morgen dieses Tages mit aller Hast der letzten Minute in ein Abteil des Zuges Berlin–Frankfurt/Oder gestiegen war, hatte ihn eine Stimme sehr unwirsch empfangen: »Bitte um Entschuldigung, alles besetzt.«

Obwohl dieser Ausruf eine faustdicke Lüge war, denn von den acht Sitzplätzen im Abteil des nun schon in Fahrt befindlichen Zuges waren nur zwei besetzt, war der Rittmeister nicht wegen dieser Lüge so rot geworden. Sondern er starrte erkennend in das Gesicht des so unhöflichen Ausrufers, machte dann eine Handbewegung und sagte lächelnd: »O nein, mein Herr Leutnant, von überall lasse ich mich nicht so leicht fortweisen wie aus meinem eigenen Walde!«

Auch der Leutnant wurde auffallend rot, und auch er antwortete mit einer Anspielung auf das damalige Erlebnis: »Aus dem Walde Ihres Herrn Schwiegervaters, nicht wahr, Herr Rittmeister?«

Dabei lächelten sich nun beide an, beiden stand recht lebhaft die Szene im Schwarzen Grunde vor Augen, der Pfiff des Postens, dann die scharfe Zurückweisung des Leutnants. Beide Herren kamen sich recht klug und ihrem Gegenüber sehr überlegen vor, der Leutnant, weil er dem Vater das Verhältnis zur Tochter verborgen hatte, der Rittmeister, weil er trotz aller Barschheit des Leutnants das heimliche Vergraben von Waffen erfahren hatte.

Die nächsten Sätze der beiden waren bemerkenswert. Der Leutnant sagte harmlos-freundlich: »Dem Fräulein Tochter geht es gut?«

»Danke«, antwortete der Rittmeister. Er dachte, mit Speck fängt man Mäuse, und fuhr fort: »Im Schwarzen Grunde ist alles in Ordnung?«

»Danke«, sagte der Leutnant trocken.

Das Gespräch war zu Ende.

Jeder der beiden Klugen glaubte erfahren zu haben, was er wissen wollte, der Leutnant, daß die Tochter nicht geschwatzt hatte, der Rittmeister, daß die Waffen noch im Walde lagen. Unwillkürlich sahen die beiden nun zu dem dritten Mann im Abteil hinüber, der schweigend, mit einer Zeitung beschäftigt, in seiner Ecke gesessen hatte. Der dritte Mann ließ die Zeitung sinken und hob den Blick.

Wenn dieser Mann auch, übrigens genau wie der Leutnant, Zivil trug, so verriet doch sein ganzes Gesicht, die Art, wie er sich hielt, einen ständig vom Uniformtragen gestrafften Körper. Trotzdem er in einem viel zu weiten Sakko steckte, sah man ihm sofort den Offizier an – es hätte gar nicht des an einem breiten schwarzen Bande hängenden Einglases und des Hohenzollern im Knopfloch bedurft. Der Herr hob einen schweren, langsamen, durch endlose Erfahrung vorsichtig gewordenen Blick zu den beiden. Das sehr weiße, dünnhäutige Gesicht schien ohne Zwischenlage von Fleisch auf den Knochen aufzusitzen. Das spärlich gewordene, aber noch immer blaßblonde Haar war in langen Strähnen vorsichtig über den Kopf gelegt, trotzdem schimmerte die weiße Haut pergamenten hindurch. Am stärksten fiel an diesem nur notdürftig verkleideten Totenkopf der Mund auf, ein Mund ohne Lippen, wie ein schmaler Strich, dem Schlitz eines Automateneinwurfs vergleichbar – ein Mund, der alle Bitterkeiten geschmeckt zu haben schien.

Den Mann muß ich schon gesehen haben! schoß es dem Rittmeister durch den Kopf, und er überschlug im Geist rasch die Bildseiten der illustrierten Blätter, die ihm in den letzten Wochen vor Augen gekommen waren.

Der verkleidete Offizier hatte mit einer dünnfingrigen, leicht zitternden Kinderhand das Einglas zum Auge geführt. Einen Moment fühlte sich der Rittmeister angesehen, er wollte sich schon vorstellen, als der Blick weiterging zu dem jungen Leutnant.

»Herr Rittergutspächter von Prackwitz-Neulohe, Rittmeister a. D.«, meldete der Leutnant eilig. Man spürte, welchen Ruck ihm dieser Blick gegeben hatte.

»Angenehm«, sagte der andere, nannte aber seinerseits keinen Namen, was den Rittmeister gar nicht störte. Denn er wußte ja, es war eigentlich seine Pflicht, diesen hohen Offizier zu kennen. Das Einglas fiel aus dem Auge, die Mumie sagte: »Aber setzen wir uns doch! Gute Ernte gehabt –?«

Der Rittmeister wie der Leutnant setzten sich dem Sitzenden gegenüber; es war, als müßte man diesen kalten, leblosen Blick immer auf sich spüren, als würde er erst dann ganz unerträglich, wenn er einen ansehen konnte und man wußte es nicht.

»Doch, die Ernte ist nicht ganz schlecht«, antwortete der Rittmeister mit jener unter Landwirten üblichen Vorsicht, die das Lob einer Ernte zur Herausforderung des Himmels macht. Und er setzte hinzu: »Ich war die letzten Wochen nicht in Neulohe.«

»Herr von Prackwitz ist der Schwiegersohn Herrn von Teschows«, erklärte der Leutnant.

»Begreiflich«, sagte das Gespenst rätselhaft. Es blieb unbegreiflich, worauf sich dieses »Begreiflich« bezog, ob auf die Abwesenheit von Neulohe oder auf das verwandtschaftliche Verhältnis. Oder auch auf die Ernte.

Der Leutnant, dessen Name – dem Rittmeister fiel es eben ein – auch noch nicht genannt worden war, half wieder: »Herr von Prackwitz ist der Pächter seines Schwiegervaters.«

»Tüchtiger Mann«, sagte der Mann mit dem Einglas. »Hat mich die letzte Zeit ein paarmal besucht. Sie wissen davon –?«

Der Rittmeister wußte nichts davon. Er konnte sich nicht denken, was sein lodener Schwiegervater mit diesem pergamentenen Militär zu tun haben sollte.

»Ich habe keine Ahnung«, sagte er verwirrt. »Wie gesagt, ich war verreist.«

»Tüchtig«, knarrte der andere wieder. »Gehört zu den Leuten, die immer erst zahlen wollen, wenn sie die Ware in der Hand halten – verwandtschaftliche Gefühle verletzt?«

»Aber nein!« protestierte der Rittmeister. »Ich habe auch ständig Schwierigkeiten …«

»Wer mitfahren will«, verkündete der Offizier mit einer ganz unbegreiflichen, durch kein Wort der Unterhaltung gerechtfertigten Bitterkeit, »muß Karte vorher lösen. Weiß vielleicht nicht mal, wohin die Reise geht – verstanden?«

Der Rittmeister hatte nicht verstanden, aber er nickte tiefsinnig mit dem Kopf …

Der Fremde, auf dessen Namen er nicht kam, sah den Leutnant an. Der Leutnant erwiderte den Blick, aber ohne ein Zeichen der Bejahung …

»Stelle mir vor«, sagte der Offizier trotzdem, »Sie haben ein Auto …«

»Ich habe keines«, erklärte der Rittmeister. »Aber ich will mir eins kaufen …«

»Heute? Morgen?«

»Jedenfalls in allernächster Zeit …«

»Heute oder morgen, sonst hat’s keinen Sinn«, sagte der Offizier mit Hartnäckigkeit, griff aber schon wieder nach seiner Zeitung.

»Ich weiß nicht«, meinte der Rittmeister zögernd. – Sollte dieser Einglasmann Vertreter einer Autofabrik sein? – »Eine immerhin erhebliche Summe … Ich weiß nicht, ob das Geld …«

»Geld –?!« rief der andere verächtlich und knitterte sehr mit der Zeitung. »Seit wann bezahlt man für Autos Geld –? Wechsel!« Und er verschwand hinter seiner Zeitung.

Diesmal half der junge Leutnant nicht wieder ein. Er saß mit einem ablehnenden Gesicht in einer Ecke und starrte so gefesselt in den Rauch der Zigarette, daß der Rittmeister sich in das andere Ende des Abteils zurückzog und auf die eigenen Zeitungen besann, mit denen er nun auch kräftig zu knittern anfing. Zu einem richtigen Lesen kam er aber nicht; er mußte immer weiter über die rätselhaften Reden des Offiziers nachdenken, über diese orakelhaften Sprüche vom tüchtigen, zu tüchtigen Schwiegervater, von der Fahrkarte, die man vorher bezahlen muß, und von dem Auto, das man nicht bezahlen soll … Ein recht lebhafter Ärger faßte den Rittmeister schon wieder trotz seiner langwöchigen Sanatoriumsruhe; wenn er daran dachte, wie der junge Mann ihn im Walde behandelt hatte, fand er, dieser Fall war noch gar nicht bereinigt, und wenn er dazurechnete, wie ihn der pergamentene Mann heute behandelt hatte, so fand er wiederum, es mußte irgend etwas geschehen …

Die beiden dort drüben fingen miteinander zu flüstern an; der Rittmeister fand Flüstern unfein, besonders, da sie natürlich über ihn flüsterten. Schließlich war er kein dummer Junge, sondern ein verdienter Offizier und erfolgreicher Landwirt. Wenn man vor Damen solche Dinge nicht bespricht, so flüstert man erst recht nicht vor älteren Herren! Der Rittmeister hatte gut eingeheizt, er versetzte seiner Zeitung einen kräftigen Schlag, trotzdem es die »Deutsche Tageszeitung« und kein Asphaltblatt war. Die beiden Herren sahen hoch, der Streit konnte beginnen – da fuhr der Zug langsamer. Schon waren sie in Frankfurt, der Rittmeister mußte hinaus, umsteigen – man sollte auch seinen Zorn schneller in Gang setzen.

»Sie steigen aus, Herr Rittmeister?« fragte der Leutnant höflich und angelte nach des Rittmeisters Koffer.

»Ich steige um!« rief der Rittmeister zornig. »Bitte, bemühen Sie sich nicht!«

Trotzdem turnte der Leutnant den Koffer aus dem Netz auf die Bank.

»Ich bin beauftragt, Ihnen mitzuteilen«, sagte er dabei leise und sah den Rittmeister nicht an, »daß wir übermorgen, am ersten Oktober, eine Art Kameradschaftstreffen in Ostade haben. Bitte morgens sechs Uhr. In Uniform. Etwaige Waffen sind mitzubringen.«

Jetzt sah er den Rittmeister an, der Rittmeister war überwältigt. Er war so überwältigt, daß er »Zu Befehl!« sagte.

»Gepäckträger!« rief der Leutnant aus dem Abteilfenster und beschäftigte sich mit des Rittmeisters Gepäck. Nun, wo es interessant wurde, mußte der Rittmeister aus dem Zug.

Er sah den Herrn in der Ecke an, der Herr in der Ecke hatte die Beine weit von sich gestreckt, das Einglas baumelte am Band, die Augen waren geschlossen, er schien zu schlafen. Unentschlossen, aber respektvoll stieg der Rittmeister über die schlafenden Beine fort, er murmelte: »Guten Morgen!«

»Aber mit ’nem Auto, verstanden?!« murmelte die Mumie und schlief schon wieder.

Der Rittmeister stand halb betäubt auf dem Bahnsteig; der Gepäckträger erkundigte sich zum dritten Male, wohin er das Gepäck denn tragen solle. Erst meinte der Rittmeister, nach Neulohe, dann, nach Ostade.

»Ach, nach Ostade wollen Sie fahren«, sagte der Gepäckträger. »Da sind Sie aber falsch, da hätten Sie die Landsberger Strecke fahren müssen.«

»Nein, nein!« rief der Rittmeister ungeduldig. »Ich will ein Auto haben! Gibt’s hier Autos zu kaufen?«

»Hier –?« fragte der Gepäckträger und sah erst den Rittmeister und dann den Bahnsteig an. »Hier?!!«

»Ja, hier in Frankfurt!«

»Aber natürlich gibt’s hier Autos zu kaufen, Herr«, sagte der Gepäckträger beruhigend. »Das können Sie hier alles haben. Das machen sie meistens so, die Berliner kommen mit ’m Zug hierher und kaufen sich in Frankfurt ihre Autos …«

Der Rittmeister ließ den Mann reden, er ging ihm sogar nach. Alles war ihm klargeworden: Er hatte den Offizier gesehen, der ihm hundertmal beschrieben worden war, den er aber nie zu Gesicht bekommen hatte: den Major Rückert, der den großen Putsch gegen die Regierung vorhatte. Übermorgen früh um sechs sollte es losgehen, in Ostade, und der Rittmeister sollte mit dabeisein, in einem Auto!

Der Schwiegervater war ein zu tüchtiger Mann, er wollte erst den Putsch und den Erfolg des Putsches sehen, ehe er sich seine Fahrkarte kaufte. Der Rittmeister war nicht so geschäftstüchtig, er würde sich sofort das Auto kaufen, auf Wechsel! Es war nicht geschäftstüchtig, aber es war richtig!

Willenlos ließ sich der Rittmeister von seinem Gepäckträger in den Wartesaal führen, gedankenvoll setzte er sich hin, gab dem Manne Geld und bestellte sich einen Kaffee. Was ihn jetzt beschäftigte, war nicht mehr der Putsch mit dem Major Rückert und dem unhöflichen Leutnant. Diese Sache war abgemacht und erledigt; er würde übermorgen um sechs Uhr in Ostade sein. Das würde schon klappen, darüber gab es überhaupt keinen Gedanken, er war ja nicht der übervorsichtige, listenreiche Geheimrat Horst-Heinz von Teschow, er war der Rittmeister von Prackwitz! Und wenn dem ein Kamerad sagte: Mach mit!, so machte er mit, ohne Fragerei. Er hatte wenig gehört, aber er hatte genug gehört, Reichswehr und Schwarze Reichswehr machten mit, altes und junges Militär also – und es ging gegen die Regierung, die das Schweinegeld druckte, den Ruhrkampf aufgegeben hatte und sich mit den Franzosen »einigen« wollte – über alle diese Dinge brauchte man nicht nachzudenken, sie waren in Ordnung!

Worüber der Rittmeister nachdachte, während er gedankenverloren in seinem Kaffee rührte, das war sein Auto! Natürlich war es schon »sein« Auto, obwohl er noch nicht einmal wußte, wie es aussehen sollte. Aber er hatte sich schon zu lange ein Auto gewünscht! Es war nur immer kein Geld dafür dagewesen – und jetzt war ja eigentlich auch kein Geld da, im Gegenteil, er fuhr nach Neulohe, um zu dem schwierigen Pachtzahlungstermin am ersten Oktober, also übermorgen, zur Stelle zu sein. Der Rittmeister war wie ein Kind: Wenn ein Kind es zehnmal fertiggebracht hat, sich nicht die Schuhe und Strümpfe auszuziehen und im Wasser zu planschen, dann braucht beim elftenmal der Junge von nebenan nur zu sagen: »Ach, heute ist’s doch warm!« – schon ist das Kind barbeinig und planscht, gegen alle Verbote. Der Major hatte gesagt, der Rittmeister müsse sich ein Auto kaufen; das Geld war noch immer knapp, es war knapper als je, das Auto sollte sofort ein gefährliches Abenteuer bestehen – aber an all das dachte der Rittmeister gar nicht. Er dachte nicht einmal mehr an den Putsch und die zu stürzende Regierung, er dachte nur daran, daß er sich nun ein Auto kaufen durfte! Dieser Putsch war eine großartige Sache, er verschaffte ihm ein Auto!

Der Rittmeister ging in Gedanken alle Wagen seiner Freunde und Bekannten durch, er schwankte zwischen Mercedes und Horch. Die billigeren Wagen kamen nicht in Frage; wenn man schon einen Wagen hat, darf man nicht so einen haben wie irgendein Landarzt. Der Wagen muß schon nach etwas aussehen, und wenn man doch einmal auf Kredit kauft, kommt es auf ein bißchen mehr oder weniger nicht an … Nein, auch das Auto war nicht schwierig, schwierig war nur, wo er so schnell einen Chauffeur herbekam, einen Chauffeur, der anständig fahren konnte und der hinter dem Steuer wiederum auch nach etwas aussah, sonst saß man ja doch nur mit halbem Vergnügen auf den Polstern! Schnell mußte es gehen, denn in zwei, drei Stunden spätestens wollte er im eigenen Wagen unterwegs nach Neulohe sein … Und dann war da die Sache mit der Garage – wo richtete man in Neulohe am schlauesten eine Garage ein, recht nahe bei der Villa?

Der Rittmeister ist vollständig in seine Gedanken versponnen. Er ähnelt außerordentlich jenem Rittmeister, der vor einigen Monaten am Spieltisch eines verbotenen Klubs saß und der vor lauter Eifer, nur ja keinen Einsatz zu versäumen, nicht dazu kam, die Spielregeln zu lernen. Der Rittmeister kennt das Spiel wieder einmal nicht, aber er setzt feste, immer weiter, über seine Kräfte – man könnte ja so ’ne Wellblechgarage kaufen, aber die Dinger sehen rein nach gar nichts aus …

»Ach, Herr Rittmeister!« sagt die flehende Stimme am Nebentisch des Wartesaals nun schon zum drittenmal.

»Nanu!« fährt der Rittmeister aus seinen Plänen und Träumen hoch und starrt den Förster Kniebusch, der da in seiner Galauniform hinter einem kleinen Hellen sitzt, überrascht an. »Was machen Sie denn hier in Frankfurt, Kniebusch?«

»Aber ich habe doch Termin, Herr Rittmeister!« sagt der Förster vorwurfsvoll. »In meiner Sache mit dem Bäumer!«

»Na also!« nickt der Rittmeister anerkennend. »Gut, daß der Lump endlich verknackt wird! Was, glauben Sie denn, wird er abkriegen?«

»Aber, Herr Rittmeister!« fleht der Förster förmlich. »Ich bin doch der Angeklagte! Mich wollen sie doch verdonnern! Ich soll ihn doch körperlich verletzt haben!«

»Ist diese Schweinerei denn noch immer nicht erledigt?!« sagt der Rittmeister verblüfft. »Darüber hat mir Herr von Studmann kein Wort geschrieben! Setzen Sie sich an meinen Tisch und erzählen Sie mir mal die Sache. Die Karre scheint ja schön verfahren, aber vielleicht komme ich grade noch zur rechten Zeit, um sie aus dem Dreck zu ziehen!«

»Vielen, vielen tausend Dank, Herr Rittmeister!« atmet der Förster auf. »Ich habe doch immer zu meiner Frau gesagt, wenn der Herr Rittmeister nur da wäre, der würde mich schon raushauen!«

Und nachdem der Förster so nicht unwirksam den alten Soldatengeist seines Herrn angerufen hat, transportiert er vorsichtig die schale Neige seines Bierchens an den rittmeisterlichen Tisch und schüttet langsam und mit viel Wehklagen sein Herz aus. Und der Rittmeister hört zu; mit dem gleichen Elan, mit dem er sich vorher auf das Auto stürzte, stürzt er sich jetzt auf die Strafsache Kniebusch. Er läßt es nicht an bitteren Bemerkungen darüber fehlen, wie doch alles selbst bei den verläßlichsten Leuten liegenbleibt, wenn er nicht da ist; wie er eben alles selber tun muß! Er schimpft auf die Rechtsverdreher, die Wilddiebe, die scheißrotgelbe Republik, den Dollar und die Sozis – er vergißt aber auch nicht, den Förster Kniebusch recht deutlich darauf aufmerksam zu machen, daß sein Arbeitgeber ja eigentlich der Geheimrat von Teschow ist und daß ihn, den Rittmeister, die Sache eigentlich einen Dreck angeht.

»Hören Sie, Kniebusch!« sagt er schließlich. »Um halb elf haben Sie Termin? – Ich habe ja eigentlich noch viel vor – ich will mir nämlich ein Auto kaufen, und einen Chauffeur muß ich auch noch engagieren …«

»Ein Auto!« ruft der Förster. »Da wird sich die gnädige Frau aber freuen!«

Der Rittmeister ist sich dessen nicht so sicher; er geht nicht näher auf diesen Punkt ein. »Ich gehe also jetzt mit Ihnen aufs Amtsgericht und werde den Herren mal ganz gründlich meine Meinung sagen. Die Sache ist in zehn Minuten erledigt, verlassen Sie sich darauf, Kniebusch. Man muß das alles nur im richtigen Licht darstellen, und überhaupt müssen die Verfolgungen des Großgrundbesitzes jetzt endlich aufhören! Na, übermorgen wird sich das alles ändern, Sie werden staunen, Kniebusch …«

Der Kniebusch horcht mit gespitzten Ohren.

Aber der Rittmeister bricht kurz ab. »Und direkt danach kauf ich mir die Karre, Chauffeur her, anständiger Chauffeur ist beim Kauf Bedingung, und dann nehme ich Sie mit nach Neulohe, sparen Sie noch das Reisegeld, Kniebusch!«

Kniebusch dankt überschwenglich, er ist entzückt von diesem Programm, und die Bedenken, die er etwa noch bei sich hegt, daß die Sache vor Gericht vielleicht trotz des rittmeisterlichen Eingreifens nicht so glatt abgehen wird, verschweigt er weise. Der Rittmeister hat es jetzt eilig, er steuert mit seinen langen Beinen so eilig durch die Stadt Frankfurt, als brächte ihn jeder Schritt seinem ersehnten Auto näher. Der Förster Kniebusch trabt prustend einen halben Schritt hinterher.

So ist es, als sie zum Amtsgericht kommen, noch eine Viertelstunde zu früh. Trotzdem dringt der Rittmeister zu dem auf der Ladung bezeichneten Sitzungszimmer vor, sie klopfen, sie lauschen, sie öffnen vorsichtig die Tür: staubig, öde, leer liegt der Raum. Sie fangen einen Gerichtsdiener ab, sie zeigen ihm die Ladung, der sieht von einem zum andern …

»Sind Sie das –?« fragt er den Rittmeister.

Heftig protestiert der. Dies ist ihm wieder nicht recht, so gerne er sich der Sache auch annimmt.

»So – Sie sind das! Na, da warten Sie man noch ein bißchen. Das wird wohl noch ein bißchen dauern. – Die Sache wird aufgerufen.«

Seufzend setzt sich der Rittmeister mit dem Förster auf eine jener Bänke, auf denen kein Mensch ruhig sitzen kann, liege es nun an ihrer Bauart, liege es am Ort ihrer Aufstellung. Der Gang ist öde und leer, er wirkt schmuddelig, obwohl er nicht schmuddelig ist. Manchmal kommen Leute, ihre Schritte hallen von den Steinwänden, dem Steinboden, den Steindecken wider, so vorsichtig sie auch gehen. Kurzsichtig beugen sie ihre Köpfe in dem grauen Tageslicht zu den Nummern an den Türen, sie entschließen sich zu klopfen, sie horchen lange, ehe sie eintreten.

Der Rittmeister starrt wütend ein Schild an der Wand gegenüber an, auf dem Schild steht untereinander: »Rauchen verboten! Spucken verboten!« Unter dem Schild steht ein Spucknapf. Der Rittmeister könnte jetzt draußen in Frankfurt herumlaufen und ein herrliches Auto erwerben, Probefahrten machen, statt dessen sitzt er hier auf diesem öden Gang, aus purer Gutmütigkeit, ihn geht diese Sache eigentlich gar nichts an!

Er sieht prüfend auf die Uhr. »Was das alles dauert!« ruft er ärgerlich. Es ist aber erst fünf Minuten vor halb elf.

Der Förster fühlt die Unruhe seines Begleiters, es kommt ihm sehr darauf an, ihn festzuhalten. Zudem hat er über das nachgedacht, was der Rittmeister angedeutet hat, so sagt er vorsichtig: »Die Waffen liegen noch immer im Schwarzen Grund.«

»Pssst!« macht der Rittmeister so laut, daß ein Herr ganz am Ende des Ganges zusammenfährt und sich fragend umdreht. Der Rittmeister wartet, bis der Herr in seinem Zimmer verschwunden ist, dann fragt er leise: »Woher wissen Sie denn das, Kniebusch?«

»Ich hab gestern nachmittag noch mal nachgesehen«, flüstert der immer neugierige Förster. »Man will doch auch wissen, was im eigenen Walde los ist, Herr Rittmeister.«

»So«, sagt der Rittmeister überlegen. »Und wenn sie heute noch da liegen, übermorgen liegen sie nicht mehr da.«

Der Förster denkt nach, das Wort »übermorgen« hat er jetzt schon zum zweitenmal vom Rittmeister gehört. Er fragt vorsichtig: »Kaufen Herr Rittmeister darum ein Auto?«

Der Rittmeister ist mit einem wichtigen Mann im D-Zug gefahren, mit dem Führer eines Putsches, er weiß eine brandneue Neuigkeit. Es kränkt ihn sehr, daß der Förster ebensoviel wissen will wie er selber. »Was wissen Sie denn von der Geschichte, Herr Kniebusch?« fragt er sehr ungnädig.

»Ach, eigentlich nichts, Herr Rittmeister«, sagt der Förster entschuldigend. Er merkt, daß er etwas falsch gemacht hat, und seine volle Mitwisserschaft möchte er ja auch nicht eingestehen, solange er nicht weiß, woher der Wind weht. »Bloß, die Leute im Dorf reden so viel. Daß bald was losgehen soll, davon reden sie schon lange, aber vom Tag und von der Stunde weiß keiner was. Das weiß wohl nur der Herr Rittmeister!«

»Ich habe nichts gesagt«, stellt der Rittmeister fest, der sich doch geschmeichelt fühlt! »Wie kommen denn die Leute im Dorf auf solche Ideen –?«

»Ach …«, sagt der Förster. »Man weiß ja nicht, ob man davon reden darf.«

»Mit mir schon«, sagt der Rittmeister.

»Da ist doch dieser Leutnant … Herr Rittmeister kennen ihn doch auch, der so unhöflich zu Herrn Rittmeister war … Der ist ein paarmal im Dorf gewesen und hat mit den Leuten geredet.«

»So!« sagt der Rittmeister und ist sehr geärgert, daß der Leutnant mit den Leuten und wohl auch mit dem Förster geredet hat und nicht mit ihm. Aber das will er sich nicht merken lassen. »Nun, ich will Ihnen sagen, Kniebusch, daß ich eben mit diesem Leutnant von Berlin hergefahren bin …«

»Von Berlin!« ruft der Förster.

»Sie sind auch nicht sehr helle, Kniebusch«, sagt der Rittmeister herablassend. »Sie haben nicht mal gemerkt, daß diese Unhöflichkeit eine verabredete Sache war, weil wir keine Sicherheit vor Lauschern hatten …«

»Nein –!« ruft der Förster überwältigt.

»Ja, mein lieber Kniebusch«, erklärt der Rittmeister abschließend. »Und da Sie’s morgen doch erfahren werden, kann ich Ihnen ja auch verraten, daß übermorgen um sechs Uhr morgens Kameradschaftstreffen in Ostade ist. – Wir nennen so was Kameradschaftstreffen!«

»Ich sage es ja«, murmelt der Förster. »Man kommt aus der Unruhe nicht heraus …«

»Aber Sie geben mir jetzt auf der Stelle Ihr Ehrenwort, daß Sie keinem Menschen ein Wort davon sagen.«

»Selbstverständlich, Herr Rittmeister, mein heiliges Ehrenwort! Wie könnte ich –?«

Die beiden schütteln sich die Hände. Schon ist es dem Rittmeister nicht recht, daß er geschwatzt hat, und grade zu Kniebusch. Aber schließlich hat er ja nichts gesagt, was der Mann nicht schon gewußt hat. Oder fast nichts. Der Förster ist doch ein Mitverschworener!

Aber ein ungemütliches Schweigen herrscht zwischen den beiden.

Grade zur rechten Zeit kommt ein junger Mann den Gang entlang, so ein richtiger Dandy mit Stöckchen und Schiebermütze, so ein Bursche, dem man auf der Stelle drei Jahre Militärdienst wünschen möchte. Er tippt mit dem Stöckchen gegen seinen Mützenschirm und sagt: »’schuldigen Sie! Wo tritt man denn hier aus der Kirche aus?«

»Was –?!« schreit der Rittmeister fast.

»Wo man austritt aus der Kirche – das muß hier sein.«

»Ja, wozu wollen Sie denn aus der Kirche austreten –?« ruft der Rittmeister, empört über solche Wünsche eines kaum trocken gewordenen Jünglings. »Und Rauchen ist hier übrigens auch verboten!«

»Da haben Sie aber Schwein gehabt, Chef!« sagt der Jüngling herablassend und schlendert den Gang weiter. Er verschwindet in einer Tür, die Zigarette ganz ungeniert im Maul.

»Lümmels gibt das heute!« ruft der Rittmeister empört. »Aus der Kirche austreten! Zigaretten rauchen! Das möchten die!«

Der Rittmeister wurde immer aufgeregter, wütende Blicke schoß er auf das Verbotsschild an der Wand: Wenn es nur ihn bedrohte und solche Schnösel nicht, taugte es nichts.

»Hören Sie mal, Sie!« rief er den Gerichtsdiener an, der grade wieder einmal im Gang gespensterte. »Wann geht denn das hier los bei Ihnen –?!«

»Ich habe Ihnen doch gesagt, es wird noch ein bißchen dauern!« sagte der Diener gekränkt.

»Aber um halb elf sollte es losgehen, und jetzt ist es bald elf!«

»Ich habe Ihnen doch gesagt, die Sache wird aufgerufen.«

»Sie können die Leute hier nicht stundenlang warten lassen!« erbitterte sich der Rittmeister immer mehr. »Meine Zeit ist kostbar …«

»Na ja, ich weiß doch nicht«, sagte der Gerichtsdiener unentschlossen und rückte an seiner Dienstmütze. »Mir haben sie noch nichts Bestimmtes gesagt, vielleicht … Zeigen Sie mir doch mal Ihre Ladung.«

»Ich bin gar nicht geladen!« rief der Rittmeister gekränkt. »Ich komme doch nur so mit.«

»Ach so!« sagte der Gerichtsdiener, nun seinerseits ärgerlich. »Sie sind gar nicht geladen, aber mich schreien Sie hier an. Gehen Sie doch nach Haus, wenn Sie nicht warten können! Das wird ja immer schöner!«

Und kopfschüttelnd schusselte er weiter den Gang entlang.

Die beiden sahen ihm nach.

»Wissen Sie was!« sagte der Rittmeister plötzlich und faßte den Förster sehr freundschaftlich am Arm. »Eigentlich hat der Mann ganz recht. Was soll ich hier noch länger sitzen und warten? Er sagt doch, es kann noch ’ne ganze Weile dauern.«

»Aber, Herr Rittmeister!« rief der alte Mann und faßte nun seinerseits seinen Herrn flehentlich an. »Sie werden mich doch jetzt nicht im Stich lassen! Ich war ja so glücklich, daß ich den Herrn Rittmeister getroffen hatte, und der Herr Rittmeister wollten mich doch auch heraushauen –!«

»Natürlich wollte ich das, Kniebusch!« sagte der Rittmeister mit all der Herzlichkeit, die ein schlechtes Gewissen verleiht. »An mir liegt’s doch nicht! Ich bin doch gleich mitgegangen und gerne!«

»Ach, Herr Rittmeister, warten Sie doch noch ein bißchen!« bettelte der Förster. »Vielleicht ist es gleich soweit, und es wäre doch so gut …«

»Aber, Kniebusch!« rief der Rittmeister vorwurfsvoll. »Sie wissen doch, um was es geht! Ich bin hier in Frankfurt doch nicht zu meinem Vergnügen! Ich muß das Auto rechtzeitig besorgen, Sie wissen ja …«

»Aber, Herr Rittmeister …!«

»Nein, jetzt müssen Sie sich zusammennehmen, Kniebusch!« erklärte der Rittmeister energisch und befreite seinen Arm von des Försters Hand, die immer noch flehend darauf lag. »Mann, altgedienter Unteroffizier – und hat Angst vor ein paar klugscheißenden Schwarzröcken. Ich sage Ihnen, Kniebusch, wenn jetzt in dieser Minute die Sache aufgerufen würde, ich ginge doch! Es ist Ihnen nur gut, der Gefahr mal wieder ins Auge zu sehen. Sie sind ja viel zu weich geworden, Mann!«

Damit nickte der Herr von Prackwitz dem Förster Kniebusch kurz, aber nicht unfreundlich zu und ging den Gang hinab. Er bog ein in die Treppenhalle und verschwand.

Kniebusch aber sank auf die Armesünderbank, barg den Kopf in den Händen und dachte verzweifelt: So sind sie alle, die großen Herren! Viel Versprechungen, und alles Wind. Ich habe ihm doch genau gesagt, um was es hier für mich geht, daß ich vielleicht sogar ins Gefängnis komme –! Aber nein, er kann es nicht abwarten, er muß sich sein Auto kaufen! Als ob er das nicht noch heute nachmittag oder morgen früh kaufen könnte! Und für solche Leute riskiert man nun alle Tage seine heilen Knochen und eine Kugel! Ich werde es ihm aber auch nicht vergessen!

»Na, ist er weg, dein langer Bullerjan?« fragte eine freche Stimme den Förster Kniebusch. Und als der ganz verdattert hochsah, stand ein kleiner Kerl vor ihm, scheußlich anzusehen, mit Kugelaugen hinter einer Eulenbrille und mit Wulstlippen. Aber herrlich angezogen in einem kurzen Sportpelz mit Knickerbockern, schottischen Strümpfen und Haferlschuhen!

»Was willst du denn hier auf dem Gericht, Meier?« fragte der Förster erstaunt. Und den kleinen ehemaligen Feldinspektor musternd, sagte er neidisch: »Gott, Meier, wie machst du das bloß?! Jedesmal, wo man dich trifft, bist du feiner in Schale, und unsereiner weiß bald nicht mehr, wo er das Geld zum Stiefelbesohlen hernehmen soll!«

»Tjaha!« grinste Meier. »Köpfchen! Köpfchen!«

Er schlug mit der flachen Hand gegen seinen Birnenschädel, daß es klatschte. »Heute liegt das Geld doch auf der Straße! Brauchst du was, Kniebusch? Ich kann dir mit ein paar Millionen oder Milliarden gerne aushelfen.«

»Ach, Geld …!« jammerte der Förster. »Hilfe hätte ich gebraucht. Ich habe doch heute meinen Termin, ich habe dir doch von meiner Sache mit Bäumer erzählt …«

»Na, Mensch, das weiß ich doch alles!« sagte der kleine Negermeier und legte seine ringeglitzernde Hand dem Förster auf die Schulter. »Deswegen bin ich doch hier. Ich hab’s doch angeschlagen gesehen, schon gestern in der Halle: Strafsache gegen Kniebusch, Privatförster aus Neulohe, Zimmer 18 … Ich habe gedacht, vor hast du nichts, kannst du dem alten Genossen mal in die Seite treten … Ich hätte auch aussagen können, was du für ein tüchtiger Beamter bist …«

»Du bist eben doch ein anständiger Kerl, Meier«, meint der Förster gerührt. »Das hätte ich nie gedacht, daß du um meinetwillen aufs Gericht gehst.«

»Was ist denn weiter dabei, Kniebusch?« sagt der kleine Meier selbstgefällig. »Aber jetzt bin ich natürlich abgemeldet, wo du so große Leute wie den Herrn Rittmeister von Prackwitz als Zeugen anschleifst!«

»Aber der hat mich doch sitzenlassen, Meier!« jammert der Förster. »Der hat keine Zeit, einen Augenblick zu warten, weil meine Sache noch nicht gleich drankommt. Der will sich durchaus noch in dieser Stunde ein Auto kaufen!«

»Siehste, wie das Geld auf der Straße liegt, Kniebusch!« sagt der kleine Meier und kneift die Augen ein. »Jetzt hat sogar der Rittmeister schon Geld, sich ein Auto zu kaufen …«

»Ob er Geld hat, das weiß ich nicht, glaube ich auch nicht«, sagt der Förster wieder. »Oder die haben ihm in Berlin Geld dafür gegeben, das wäre möglich …«

»Welche in Berlin –?«

»Na, die – du weißt doch noch: damals mit dem Leutnant, wie du die Kiefernkuscheln angesteckt hast.«

»Ach, die Sache –!« Meier grinst verächtlich. »Das ist doch alles Quatsch, Kniebusch, da gibt kein Mensch ’ne Papiermark dafür.«

»Sag das nicht, Meier, du wirst sehen, schon in den nächsten Tagen! Aber ich sage nichts, ich habe mein Ehrenwort gegeben … ich sage nichts!«

»Sollste auch nicht, Kniebusch! Kein Wort!« ruft Meier. »Trotzdem ich es nicht nett von dir finde, wo du weißt, daß ich auch streng deutschnational bin und lieber heute als morgen gegen die roten Brüder marschiere …«

»Ich habe mein heiliges Ehrenwort gegeben«, beharrt der Förster. »Sei nicht böse, Meier.«

»I wo, Kniebusch! Was werde ich böse sein«, lacht Meier. »Ich lade dich jetzt sogar zu einem Mittagessen ein, du weißt schon, wie damals: Rheinwein, Sekt, Türkenblut … Komm, alter Knabe!«

Und er hakt den Förster unter und will ihn mit sich ziehen.

»Aber, Meier!« ruft der Förster ganz erschrocken. »Ich habe doch meine Sache …!«

»Komm, komm!« beharrt Meier. »Deine Sache? Wegen deiner Sache kannst du dir ruhig die Nase begießen, grade wegen deiner Sache!« Er sieht den Förster triumphierend an. »Ja, du altes Sumpfhuhn, du! Da staunst du! Wenn ich nun so unkameradschaftlich wäre wie du, da hielte ich die Fresse und dächte, laß ihn doch sitzen, den Raben, aber ich bin anders. Komm, Kniebusch, einen saufen –!«

»Aber, Meier …«

»Deine Sache fällt aus, Kniebusch, hat sich vernebelt. Deine Sache ist in die Luft gegangen, Kniebusch, deine Sache ist ausgerissen!«

»Mensch, Meier!« Der Förster schluchzt beinahe.

»Heute morgen um neun ist der Bäumer ausgerissen, Kniebusch …!«

»Meier, Meierchen, du bist der beste Kerl von der Welt, du bist mein einziger Freund!« Die großen Tränen laufen dem Förster über die Backen in seinen Bart, er schluchzt so sehr, daß Meier ihm kräftig auf den Rücken haut. »Ist es auch wirklich wahr, Meier?!«

»Wo ich’s mit eigenen Augen gesehen habe, Kniebusch! Das ist ein schlauer Hund, der Bäumer! Immer hat er den Todkranken gespielt, mit ’nem Krankenwagen wollten sie ihn zum Termin fahren, und wie sie mit der Trage aus dem Krankenhaus rauskommen – nicht mal angeschnallt hatten sie ihn, so krank war der arme Mann –, da macht er einen Satz, die Pfleger fliegen hin mit der Trage, er in den Krankenhausgarten, Geschrei, Gejachter … Ich hab auch immer mitgejachtert, immer nach der falschen Seite, weil ich gedacht habe: Besser für meinen Freund Kniebusch, sie kriegen ihn nicht …«

»Meier –!«

»Es ist natürlich ’ne bestellte Sache gewesen. Der Bäumer hat ja Besuch im Krankenhaus gehabt noch und noch. Ein Auto hat schon auf der andern Seite gewartet – husch die Lerche! Weg!«

»Meier, Mensch, das vergeß ich dir nicht! Von mir kannst du verlangen, was du willst.«

»Gar nichts verlange ich. Mir brauchst du gar nichts zu erzählen. Nur Mittag essen sollst du mit mir.«

»Alles erzähle ich dir – die andern lassen mich sitzen, nur du hilfst mir. Was willst du denn wissen?«

»Gar nichts will ich wissen. Wenn du mich um Rat fragen willst oder Sorgen hast wegen dem Putsch, dann zu! Ich helf dir immer gerne. Aber sonst – von mir aus!«

Meier unterbricht sich. Überlegen sagt der Dreikäsehoch zum Gerichtsdiener: »Hören Sie mal, was machen Sie denn für Geschichten?! Lassen den alten Herrn hier über ’ne Stunde warten und wissen genau, der Hauptbelastungszeuge ist stiftengegangen!«

»Ja, mein Herr«, sagt der Gerichtsdiener. »Das geht nicht so schnell bei uns. Offiziell ist der Termin noch, offiziell ist uns von dem Verschwinden des einen Zeugen noch nichts bekannt …«

»Aber Sie wissen’s doch?«

»Wissen tun wir das schon lange! Die Richter sind doch auch schon wieder weggegangen.«

»Na, hören Sie, Männeken!« sagt der kleine Meier (und der Förster ist ganz hingerissen, wie der kleine Kerl mit einem Gerichtsbeamten umspringt). »Da könnte doch mein Freund nun auch losgehen und sich vor Freude ein bißchen die Neese begießen …«

»Von uns aus!« sagt der Gerichtsdiener. »Wenn ich keinen Dienst hätte, ginge ich sogar mit.«

»Also gehen Sie nach dem Dienst!« sagt Meier wie ein Fürst und holt aus der Tasche seines Sportpelzes eine Kugel lässig zerknitterter Scheine. Er zieht einen aus dem Ball, drückt ihn dem Gerichtsdiener in die Hand, sagt vornehm: »Mahlzeit! – Also komm, Kniebusch!« Und geht mit Kniebusch ab.

Kniebusch folgt begeistert seinem Freunde, dem einzigen Menschen, dem er hier auf der Welt wirklich vertrauen kann.

Wolf unter Wölfen
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