2

Der Feldinspektor Meier wartete nicht lange, ob Amanda das gnädige Fräulein nun wirklich von ihrem Wachtposten weggelotst hatte. Er warf nur einen flüchtigen Blick aus dem Fenster in den Mondschein draußen und schaltete, als er niemanden sah, das Licht ein. Wie alle phantasielosen Menschen konnte er sich keine Vorstellung von der ihm drohenden Gefahr machen. Es war ja noch immer alles soweit ganz gut gegangen in seinem Leben, mit Dickfelligkeit kam man weit, und so würde es ja auch dieses Mal wieder gut gehen.

Eigentlich war es gar keine so üble Aussicht, jetzt erst einmal eine Weile den Rentier zu spielen – und für die Zukunft hatte er plötzlich sogar seine Pläne! Wofür so ein Leutnant alles gut ist! Er hatte heute nacht, ehe er hier abtrümmerte, noch einiges zu erledigen, eigentlich mußte er wirklich fix machen. Aber das geht auch wieder nicht so recht, einmal ist sein Kopf noch dumm und dösig, und dann macht das Anziehen der stadtfeinen Kluft mit Oberhemd, Kragen und Schlips ziemliche Schwierigkeiten. Meier stellt fest, daß er einen Tatterich hat. »Muß vom Äther sein«, entscheidet er. »Vom Saufen hab ich doch noch nie ’nen Tatterich gekriegt. Dreckzeug!«

Seufzend macht er sich an das Einpacken. Es ist schon so eine Aufgabe, aus einem verwüsteten, unaufgeräumten Zimmer seine sieben Zwetschen herauszusuchen und die, dreckig und zerknüllt, wie sie sind, in zwei Koffer zu pressen. Reingegangen sind sie mal, angeschafft hat er sich hier in Neulohe nichts, also müssen sie auch wieder reingehen! Mit Pressen, Drücken und Würgen schafft er es schließlich – aufatmend sperrt er die Koffer ab und verschnürt die Riemen – seine nächste, die das Zeug aufzuplätten und zu waschen kriegt, hat nichts zu lachen!

(Wieviel Geld ihm Mandchen wohl mitbringt? Tüchtiges Mädchen, das Mandchen, bißchen viel Angabe, aber sonst ganz nett! Na, laß, viel Geld wird sie schon nicht bringen, viel Geld fährt man auf ’nem Wagen – aber als Zuschuß kann man’s brauchen.)

Wüst fluchend entdeckt der kleine Meier, daß er in Socken im Zimmer steht – und die Schuhe sind im Koffer! Verfluchter Dreck! Er ist es so gewohnt, ganz zum Schluß seiner Anzieherei in die Langschäfter zu fahren, daß er nicht an die Schuhe gedacht hat. Natürlich zieht er zu der Stadtkluft die spitzen Halbschuhe, die rötlichen Tangoschuhe an. In welchem Koffer aber sind sie? Einen Augenblick kommen ihn leise Bedenken an, als ihn aus dem geöffneten ersten Koffer seine Langschäfter ansehen – immerhin ist der Weg nach Grünow mit zwei Koffern in den Flossen ziemlich weit, und die Tangoschuhe sind ziemlich eng. Aber der Gedanke, was er vor den Mädchen in Grünow für eine Figur machen würde, in Stadtanzug und Langschäftern, entscheidet: es müssen die Halbschuhe sein!

Natürlich findet er sie erst im zweiten Koffer. Er kriegt sie ziemlich schwer an. Die weiten sich beim Gehen! tröstet er sich.

Negermeier marschiert, dies vollbracht, ins Büro. Aus Fächern und Mappen sucht er sich seine Papiere heraus; die Angestellten-Versicherung klebt er gleich für alle Fälle ein halbes Jahr voraus. Marken gibt’s ja genug in diesem Stall, und ist das Zeug nachher entwertet, schadet es auch nichts.

Nun schreibt er sich mit Bedacht eine polizeiliche Abmeldung, Herr Hans Meier geht »auf Reisen«. Der Gutsvorsteherstempel wird daruntergedrückt – so, der Kitt ist auch in Ordnung.

Doch ein Augenblick Nachdenken überzeugt Meier von der Richtigkeit des Satzes, daß doppelt genäht besser hält, und so schreibt er gleich noch eine zweite Abmeldung. Auf ihr ist Meier ein Schmidt geworden, Verzeihung! –: von Schmidt, Hans von Schmidt, Beruf: Administrator, ebenfalls auf Reisen. »So, ihr Quatschköppe, nun sollt ihr mich mal finden!«

Meier grinst höchst befriedigt. Die Befriedigung über seine große Schlauheit vertreibt Kopfdruck und Haarweh – es ist eine herrliche Sache, schlauer zu sein als die andern und sie reinzulegen! Prost!

Meier klappt die Schreibmaschine auf und macht sich daran, auf einem Briefbogen der Gutsverwaltung Neulohe ein Zeugnis für sich zu tippen. Natürlich ist er die Perle aller Beamten, weiß alles, kann alles, tut alles – und ehrlich, zuverlässig, fleißig ist er auch noch! Es ist eine Wonne, sich dies alles schriftlich zu geben. Aus den Zeilen dieses Zeugnisses steigt ein Meier auf, wie Meier ihn gerne kennte, wie Meier gerne ein Meier wäre, ein untadeliger, tüchtiger Meier mit einer schönen, aussichtsreichen Zukunft, wirklich geeignet für eine Administratorstelle, kurz, der Meier aller Meier!

Dies Zeugnis ist eigentlich zu schön – es ist nicht recht verständlich, warum man einen solchen Beamten je gehen läßt, man müßte ihn behalten bis an sein Lebensende! Aber der kluge, der weise, der witzige Meier ist auch dieser Lage gewachsen. »Wegen Aufgabe der Pachtung«, schreibt er hin – siehste wohl, da gibt es dann auch keine Rückfragen des neuen Chefs an den alten. Hat ja die Pachtung aufgegeben, weiß nicht, wohin er jetzt gezogen ist. Nun noch Stempel der Gutsverwaltung, Unterschrift: Joachim von Prackwitz, Rittmeister a. D. und Rittergutspächter – noch einen Stempel des Gutsvorstehers zur Unterschriftsbeglaubigung – Stempel sind immer gut. Knorke sieht das Dings aus – darauf fängt sich der geschliffenste Fuchs!

Rein mit den Papieren in die Brieftasche. Die vorrätigen Briefmarken stecken wir gleich dazu, Marken kann man immer brauchen – zu was soll das Zeug hier liegen –? Der Geldschrank ächzt nicht sehr laut, wie gesagt, es ist nicht übermäßig viel, aber für ’ne Weile langt es. Und wenn Mandchen noch fleißig zubuttert, kann ich ein paar Wochen fett leben! Gott, ich bin der richtige geschwollene Oskar, rechts die Papiere, links das Geld – Busen, Busen, mein Kind, muß man haben! Busen ist die große Mode – nee, eigentlich gar nicht! Aber von mir aus ist Busen immer nett. Nun noch den Geldschrank zu, es sieht besser aus morgen früh …

»Lassen Sie ’n offen, Liebling! Immer offenlassen, junger Mann – es sieht besser aus. Der Rittmeister ist dann morgen früh gleich im Bilde!« ruft der Leutnant von der Tür her.

Einen Augenblick verzieht sich Meiers Gesicht. Aber es ist wirklich nur ein Augenblick. »Das mach ich genau, wie ich will«, sagt er frech und schließt die Tür. »Und übrigens haben Sie nachts hier gar nichts zu suchen … Vorhin haben Sie mir schon in meinem Zimmer einen Brief geklaut …«

»Jungchen!« sagt der Leutnant drohend und tritt zwei Schritte näher. Aber etwas fassungslos ist er doch über diese sagenhafte Frechheit. »Jungchen, sehen Sie dies?«

»Natürlich seh ich das Dings«, erklärt Meier, und kaum ein Zittern seiner Stimme verrät, wie ungemütlich ihm der Anblick der Pistole ist. »Und ich hätt mir ja auch so eine Kanone nehmen können, da im Schub liegen genug. Aber ich denk immer, es wird auch so gehen. – Ich habe ja gewußt, daß Sie kommen!« setzt er etwas prahlerisch hinzu.

»So, das haben Sie gewußt –?« sagt der Leutnant leise und sieht den kleinen, häßlichen, boshaften Menschen aufmerksam an.

»Sie wollen ein Verschwörer sein?! Sie wollen einen Putsch machen?« höhnt der kleine Meier und fühlt sich schon wieder ganz sicher und obenauf. »Und Sie merken nicht mal, daß ein Mädchen die ganze Zeit hier im Nebenzimmer gestanden hat, hier im Büro, wie Sie in meinem Zimmer waren. Und sie hat alles mit angehört, was Sie und die Weio geredet haben – ja, da staunen Sie!«

Aber es sieht nicht so aus, als staunte der Leutnant. »So«, sagt er ruhig, »da ist also ein Mädchen hier versteckt gewesen? Und wo ist das Mädchen jetzt? Wieder im Nebenzimmer?«

»Nee!« sagt Meier kühn. »Diesmal nicht. Wir sind ganz unter uns, deswegen brauchen Sie sich nicht zu genieren. Ihr Fräulein Braut geht mit meinem Fräulein Braut noch ein bißchen spazieren. – Aber Sie können sich natürlich denken«, setzt er warnend hinzu, als er eine unbeherrschte Bewegung des Leutnants sieht, »was mein Mädchen morgen erzählt, wenn mir was passiert ist. – Oder wollen Sie uns beide totschießen?!« sagt er kühn, freut sich seiner Frechheit und lacht.

Der Leutnant wirft sich in einen Stuhl, schlägt die braunen Gamaschenbeine übereinander und brennt sich bedachtsam eine Zigarette an. »Dumm sind Sie nicht, mein Junge«, sagt er. »Fragt sich nur, ob Sie nicht zu schlau sind. – Darf man sich nach Ihren Plänen erkundigen?«

»Das dürfen Sie!« sagt Meier bereitwillig. Nachdem er nun den Leutnant davon überzeugt hat, daß es klüger ist, ihm nichts zu tun, hat er nur den Wunsch, mit dem Manne im guten auseinanderzukommen. »Ich hau hier ab!« sagt er. »Hab schon Feierabend gemacht – na, Sie haben es ja gesehen, vorhin am Geldschrank …« Er sieht den Leutnant an, aber der Leutnant zuckt nicht.

»Das ist mein gutes Recht, daß ich mir das Geld genommen habe. Erst mal krieg ich noch Gehalt, und dann, was denken Sie, was der mir hier für einen Schandlohn durch die Entwertung bezahlt hat!?! Wenn ich mir ein bißchen nehme, ist es noch lange nicht so viel, wie der Rittmeister mir gestohlen hat.«

Er sieht den Leutnant auffordernd an, als solle der zustimmen.

Aber der meint nur: »Das interessiert mich nicht. – Wo wollen Sie denn hin?«

»Ein bißchen weiter weg«, sagt Meier und lacht. »Ich find, die Gegend hier riecht sauer. Ich hab gedacht, Schlesien oder auch Mecklenburg …«

»Schönschön«, sagt der Leutnant. »Ganz vernünftig. Schlesien ist nicht schlecht. – Aber wo wollen Sie jetzt hin?«

»Jetzt –?«

»Na ja«, sagt der Leutnant etwas ungeduldig. »Daß Sie morgen früh nicht von der Kreisstadt aus fahren, wo Sie jeder kennt, das kann ich mir eigentlich denken. Wo wollen Sie also jetzt hin?«

»Jetzt –? Ach, bloß hier auf ein Dorf in der Nähe.«

»So, auf ein Dorf? Welches denn zum Beispiel?«

»Was geht das eigentlich Sie an?!« fragt Meier, denn diese Ausfragerei, hinter der irgend etwas Verborgenes steckt, macht ihn ganz nervös.

»Oh, das geht mich schon ein bißchen an, mein Junge«, antwortet der Leutnant kühl.

»Wieso denn –?«

»Nun, wo zum Beispiel einer sitzt, der von meinen Beziehungen zu Fräulein von Prackwitz weiß. In Schlesien interessiert das kein Aas, aber hier in der Nähe könnte der ja auf die Idee kommen, aus seiner Wissenschaft Geld zu schlagen.«

»Auf die Idee wär ich nie gekommen!« empört sich Meier. »Nee, so ein Schwein bin ich nun doch nicht! Da dürfen Sie ganz sicher sein, Herr Leutnant! Ich halte dicht, in solchen Sachen bin ich Kavalier!«

»Ja, ich weiß«, sagt der Leutnant ungerührt. »Also – wie heißt das Dorf?«

»Grünow«, sagt Meier zögernd und weiß eigentlich gar nicht, warum er den Namen nicht nennen soll, wo der Leutnant doch schon alles weiß.

»So, Grünow«, sagt der Leutnant. »Wieso grade Grünow! Sie meinen doch das Grünow bei Ostade?«

»Ja, das hat mir mein Mädchen so vorgeschlagen. Sie will da am Sonntag zu mir zum Tanz kommen.«

»Tanzen wollen Sie da auch? Sie wollen da wohl länger bleiben?«

»Bloß ein paar Tage. Montag hau ich dann ab – von Ostade aus. Sie können sich darauf verlassen, Herr Leutnant.«

»Ja, kann ich das?« sagt der Leutnant gedankenvoll, steht auf und geht auf die Schublade zu, die ihm Meier vorhin bezeichnet hat. Er zieht sie auf und betrachtet ihren Inhalt. »Na, da haben Sie ja ein paar ganz nette Donnerbüchsen«, sagt er gönnerhaft. »Wissen Sie was, Herr Meier, ich würde mir doch so ein Dings einstecken.«

Aber der wehrt ab. »Was soll ich denn damit? Nee, danke schön!«

»Sie gehen durch den Wald, Herr Meier, und Gesindel treibt sich jetzt genug herum. Ich würde das Dings mitnehmen, Herr Meier, ich gehe nie ohne Schußwaffe. Besser ist besser!«

Der junge Leutnant – er ist ganz redselig geworden, so besorgt ist er um das Leben seines Freundes Meier.

Aber der bleibt abwehrend. »Mir tut doch keiner was!« sagt er. »Mir hat noch nie einer was getan. Das olle Dings reißt einem ja bloß die Taschen kaputt.«

»Meinetwegen! Tun Sie, was Sie wollen!« sagt der Leutnant plötzlich ärgerlich und legt die Pistole offen auf den Schrank.

Er nickt dem kleinen Meier kurz zu, sagt »’n Abend!« und ist schon aus dem Büro, ehe der noch antworten kann.

»Komisch«, sagt Meier und starrt auf die Tür. Richtig komisch war der zum Schluß. Na, tröstet er sich dann, so sind diese Brüder alle. Erst groß angeben und dann nischt dahinter.

Er dreht sich um und betrachtet die Pistole.

Nee, entscheidet er sich, mit solchen Dingern will ich nichts zu tun haben. Die kann einem ja mal in der Tasche losgehen. – Wo bloß Mandchen bleibt? Ich muß mal nachsehen. Ein Stück weit kann sie die Koffer gut tragen …

Er geht zur Tür.

Nee, erst die Pistole wieder weglegen. Das sieht sonst so dämlich aus, morgen früh.

Er hat die Waffe in der Hand, und wieder zögert er.

Eigentlich hat er ja recht, schießt es ihm durch den Kopf, eine Waffe ist immer gut.

Er geht zur Tür, schaltet das Licht aus, tritt aus dem Beamtenhaus. Bei jedem Schritt merkt er das Gewicht der Pistole in seiner Gesäßtasche.

Komisch – gibt doch ein Gefühl von Kraft, so ein Dings, denkt er, nicht unzufrieden.

Wolf unter Wölfen
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