7

»Also, da bist du wirklich, Pagel«, sagte Herr von Zecke. »Halb und halb hatte ich dich erwartet.« Und als Wolfgang eine Bewegung machte: »Nicht grade heute – aber du warst fällig, nicht wahr?«

Und Zecke lächelt überlegen, Wolfgang Pagel aber ärgert sich. Ihm fällt ein, daß Zecke schon immer diese wichtigtuerische Geheimniskrämerei liebte, daß er schon immer dieses überlegene Lächeln gehabt hat und daß er, Pagel, sich schon immer darüber geärgert hat. Zecke lächelte so, wenn er sich besonders schlau vorkam.

»Na, ich meine ja bloß«, grinst Zecke also. »Schließlich sitzt du ja wirklich hier bei mir – das wirst du wohl nicht bestreiten wollen. Na, laß man. Ich weiß, was ich weiß. Trinken wir einen Schnabus, nimm ’ne Zigarette und schauen wir uns meine Bilder an, was?«

Pagel hat die Bilder längst gesehen. Sie sitzen in einem großen, sehr anständig eingerichteten Gartenzimmer. Ein paar Türen zu der sonnenüberglühten Terrasse stehen offen, man sieht Sonne und Grün, aber es ist doch angenehm kühl hier drinnen. Ein schönes Licht, das durch die grünlichen Jalousien vor den Fenstern kommt, hell und dunkel zugleich und vor allem kühl.

Sie sitzen in schönen Sesseln, nicht in diesen schrecklichen, glatten, kalten Ledersesseln, die man jetzt überall sieht, sondern in tiefen, geräumigen Gehäusen, die mit irgendeinem blumigen, englischen Stoff bespannt sind – Chintz vermutlich. Bücher bis zu einem Drittel Höhe der Wand, darüber Bilder, gute moderne Bilder, Pagel hat es gleich gesehen. Aber er reagiert nicht auf Zeckes Frage, er hat schon gemerkt, daß die Atmosphäre ihm gar nicht ungünstig ist, daß dem Herrn von Zecke sein Besuch irgendwie zupaß kommt. Natürlich will Zecke was von ihm, und so kann man geruhig abwarten und ein bißchen pampig sein. (Mein Geld kriege ich schon!)

Pagel zeigt auf die Bücher. »Feine Bücher. Du liest viel –?«

Aber so dumm ist von Zecke nun auch wieder nicht. Er lacht herzhaft. »Ich und lesen –?! Immer noch der kleine Schäker? Das möchtest du wohl, daß ich ja sage, und du ödest mich dann an, was in dem Nietzsche da steht!« Plötzlich ändert sich sein Gesicht, es wird nachdenklich. »Ich glaube, das ist ’ne ganz gute Kapitalsanlage. Volledereinband. Man muß ja sehen, daß man sein Geld irgendwie wertbeständig anlegt. Ich verstehe nichts von Büchern – Salvarsan ist einfacher. Aber ich habe da so einen kleinen Studenten, der berät mich …« Er denkt einen Augenblick nach, wahrscheinlich darüber, ob der kleine Student das Geld wert ist, was er ihm zahlt. Dann fragt er wieder: »Na – und die Bilder?«

Aber Pagel will einfach nicht. Er zeigt auf ein paar Plastiken, die da stehen: Apostelfiguren, eine Madonna mit dem Kind, ein Kruzifix, zwei Beweinungen. »Mittelalterliche Holzplastik sammelst du auch?«

Zecke macht ein kummervolles Gesicht. »Nicht sammeln, nein. Geld anlegen. Aber ich weiß nicht, wie es kommt, es macht mir plötzlich auch Spaß. Guck mal hier, den Burschen hier mit dem Schlüssel, Petrus, richtig. Den habe ich aus Würzburg. Ich weiß nicht, ich verstehe nichts davon, es macht ja wirklich nicht viel her, gar nicht pompös und so – aber es gefällt mir. Und dieser Leuchterengel – der Arm ist ja sicher ergänzt, glaubst du, daß ich angeschwindelt bin –?«

Wolfgang Pagel sieht von Zecke prüfend an. Zecke ist ein kleiner Mann, trotz seiner vier- oder fünfundzwanzig Jahre wird er schon rundlich und die Stirn infolge Haarschwund hoch. Auch ist er dunkel – und all dies mißfällt Wolfgang. Es mißfällt ihm auch, daß von Zecke an Holzplastiken Gefallen findet und daß ihm seine Bilder anscheinend wirklich anteilvolle Sorge bereiten. Zecke ist ein roher Schieber, weiter nichts, und so hat er zu bleiben. Interesse an Kunst bei ihm wirkt lächerlich und empörend. Am meisten aber empört es Wolf, daß er diesen verwandelten Zecke um Geld angehen soll. Der ist imstande und gibt es aus Anstand –! Nein, Zecke hat ein Schieber zu sein und zu bleiben, und wenn er Geld verleiht, hat er Wucherzinsen zu nehmen, sonst mag Wolfgang nichts mit ihm zu tun haben. Von einem Zecke will er kein Geld geschenkt.

So sagt denn Pagel und sieht den Leuchterengel mißbilligend an: »Also jetzt sind es Leuchterengel – mit Varieténutten handelst du nicht mehr –?«

Pagel sieht sofort aus der Reaktion Zeckes, daß er es zu weit getrieben, daß er einen entscheidenden Fehler gemacht hat. Sie sind nicht mehr auf der Schule, wo man plumpe Vertraulichkeiten ertragen mußte, wo sie gradezu Sport waren. Zeckes Nase wird weiß, das kennt Pagel noch von früher, während das Gesicht stark gerötet bleibt.

Aber wenn von Zecke auch immer noch nicht gelernt hat, Bücher zu lesen, sich zu beherrschen hat er gelernt (und ist in diesem Punkte Pagel weit voraus). Er scheint nichts gehört zu haben. Langsam setzt er den Leuchterengel wieder hin, streichelt noch einmal nachdenklich über den wohl ergänzten Arm und sagt: »Jaja, die Bilder. Ihr müßt auch noch ganz schöne zu Haus haben – von deinem Vater.«

Aha! Das möchtest du also! denkt Pagel tief befriedigt. Und laut sagt er: »Ja, doch, einiges sehr Gutes ist noch da.«

»Weiß ich«, sagt Zecke, gießt noch einen Schnaps ein, erst in Pagels Glas, dann in sein Glas. Er setzt sich gemütlich. »Wenn du also einmal Geld brauchst – du siehst, ich kaufe Bilder …«

Das war ein Hieb, erste Antwort auf die Frechheit eben, aber Pagel läßt sich nichts merken. »Ich glaube nicht, daß wir jetzt verkaufen.«

»Da bist du nicht ganz unterrichtet«, lächelt Zecke ihm liebenswürdig zu. »Letzten Monat erst hat deine Mutter ›Bäume im Herbst‹ nach England an die Galerie in Glasgow verkauft. Na, denn prost!« Er trinkt, lehnt sich dann zufrieden zurück und sagt harmlos: »Na ja, wovon soll denn die alte Frau schließlich leben? Was sie an Papieren hatte, ist heute doch nur Dreck.«

Zecke grinst zwar nicht, aber Pagel hat doch sehr stark das Gefühl, daß die Bezeichnung »guter Freund«, die er heute früh noch für ihn gebraucht hat, reichlich übertrieben ist. Zwei Hiebe hat Pagel weg, und der dritte wird kaum auf sich warten lassen. Richtig, eine Giftkröte war von Zecke immer gewesen, ein schlimmer Feind. Also ist es schon besser, ihm auf halbem Wege entgegenzukommen – dann ist die Sache wenigstens erledigt und vorbei. Er sagt und versucht, es so leicht wie nur möglich zu sagen: »Ich bin ein bißchen in der Klemme, Zecke. Könntest du mir mit ein wenig Geld aushelfen?«

»Was nennst du ein wenig Geld?« fragt Zecke und betrachtet sich seinen Pagel.

»Nun, wirklich nicht viel, eine Kleinigkeit für dich«, sagt Pagel. »Was meinst du zu hundert Millionen?«

»Hundert Millionen«, sagt Zecke träumerisch. »So viel habe ich an den ganzen Varieténutten nicht verdient …«

Dritter Schlag, und diesmal scheint es Knockout gewesen zu sein. Aber so leicht läßt sich Wolfgang Pagel nicht niederschlagen. Er fängt an zu lachen, ganz herzhaft und unbekümmert zu lachen. Dann sagt er: »Recht hast du, Zecke! Großartig! Und ich bin das Kamel. Quatsche große Töne, und will mir doch Geld von dir pumpen. Werde pampig. Aber weißt du, irgendwie hat es mich gleich geärgert, wie ich hier reinkam … Ich weiß nicht, ob du das verstehst … Ich hause da in so ’ner Höhle am Alex …« Zecke nickt, als wisse er es. »… habe gar nichts … und dann hier so rin in die Pracht! Gar nicht wie bei Neureichs und Raffkes, wirklich schön – und ich glaube auch nicht einmal, daß der Arm ergänzt ist …«

Er bricht ab und sieht prüfend auf Zecke. Mehr kann er nicht tun, mehr bringt er einfach nicht über sich. Aber als sich Zecke auch jetzt nicht rührt, sagt er: »Na schön, gib mir auch kein Geld, Zecke. Verdient habe ich das, blöd, wie ich war.«

»Ich sage ja nicht nein«, erklärt Zecke. »Ich möchte bloß mal so hören. Geld ist Geld, und du willst es doch nicht geschenkt –?«

»Nein, sobald ich kann, kriegst du es wieder.«

»Und wann kannst du?«

»Unter Umständen, wenn es gut geht, schon morgen.«

»So«, sagt Zecke, nicht sonderlich begeistert. »So. – Na, trinken wir noch einen Schnabus. – Und wozu brauchst du das Geld –?«

»Ach«, sagt Pagel, wird verlegen und fängt an, sich zu ärgern. »Ich habe da so ein paar Schulden bei meiner Wirtin, Kleinigkeiten eigentlich – weißt du, hundert Millionen klingt gewaltig viel, aber am Ende ist es doch nicht viel mehr als hundert Dollar, nichts so Überragendes …«

»Also Schulden bei der Wirtin«, sagt Zecke ganz ungerührt und sieht den Freund aus dunklen Augen aufmerksam an. »Und was sonst noch?«

»Ja«, sagt Pagel verdrießlich, »ich habe auch noch was versetzt beim Onkel …«

Im gleichen Augenblick fällt ihm ein, daß dies nun wirklich nicht wahr ist. Aber er hat im Moment nicht daran gedacht, daß verkauft nicht versetzt ist, und so läßt er es dabei. Es kommt ja wirklich nicht so genau darauf an …

»So, versetzt beim Onkel«, sagt von Zecke und sieht weiter dunkel und prüfend aus. »Weißt du, Pagel«, sagt er dann, »ich muß dich noch was fragen – entschuldige bitte. Geld ist ja schließlich Geld, und selbst sehr wenig Geld (hundert Dollar zum Beispiel) ist für manchen sehr viel Geld – zum Beispiel für dich.«

Pagel hat beschlossen, diese Stiche nicht mehr zu beachten, schließlich ist ja die Hauptsache, daß er sein Geld bekommt. Er sagt mürrisch: »Also frag schon.«

»Und was tust du?« fragt Zecke. »Ich meine, wovon lebst du? Hast du ’ne Stellung, die dir was einbringt? Vertreter gegen Provision? Angestellter mit Gehalt?«

»Im Moment habe ich nichts«, sagt Pagel. »Aber ich kann jeden Augenblick als Taxichauffeur eintreten.«

»Ja so, dann natürlich!« sagt Zecke und scheint ganz befriedigt. »Wenn du noch einen Schnabus magst, bitte! Ich habe für den Vormittag genug. – Also Taxichauffeur …«, fängt er wieder an zu bohren, dieses Aas, dieser Schieber, dieser Menschenschinder, dieser Verbrecher. (Sand statt Salvarsan!) »Taxichauffeur – sicher ein schönes Brot, auskömmlicher Verdienst …« (Wie er höhnt, dieser bösartige Affe!) »… aber doch sicher nicht so auskömmlich, daß du mir morgen mein Geld zurückgeben könntest. Du erinnerst dich doch, du sagtest, wenn es gut geht, schon morgen?! So gut geht Taxifahren doch nicht?«

»Mein lieber Zecke«, sagt Wolfgang und steht auf. »Du möchtest mich ein bißchen quälen, was? Aber so wichtig ist mir das Geld nun doch wieder nicht –«

Er zittert beinahe vor Zorn.

»Aber Pagel –!« ruft Zecke und ist ganz erschrocken. »Ich dich quälen –?! Wie komme ich denn dazu? Sieh mal, du hast mich doch ausdrücklich nicht um ein Geschenk gebeten – dann hättest du die paar Scheine längst. Du willst doch ein Darlehen, hast Angaben wegen der Rückzahlung gemacht – ich frage also danach, erkundige mich, wie du dir das denkst – und du schimpfst?!! Ich verstehe das nicht.«

»Ich kann«, sagt Pagel, »das vorhin nur so hingesagt haben. In Wirklichkeit könnte ich dir das Geld nur in Wochenraten zurückzahlen, etwa zwei Millionen wöchentlich …«

»Spielt keine Rolle, alter Junge!« ruft von Zecke fröhlich. »Spielt gar keine Rolle unter uns alten Freunden, nicht wahr? Die Hauptsache ist doch, daß du das Geld nicht wieder verspielst, nicht wahr, Pagel?«

Die beiden sehen sich an.

»Es hat keinen Zweck, Pagel«, sagt Zecke dann eilig und leise, »daß du schreist. Ich werde so oft angeschrien, es stört mich gar nicht. Wenn du tätlich werden willst, mußt du es sehr schnell tun – sieh mal, jetzt habe ich schon auf den Klingelknopf gedrückt – ach ja, Reimers, dieser Herr wünscht zu gehen. Sie zeigen ihm den Weg, ja? Auf Wiedersehen, Pagel, alter Freund, und wenn du einmal ein Bild von deinem Herrn Vater verkaufen möchtest, ich bin für dich immer zu sprechen, immer … Nanu, bist du verrückt geworden?!« unterbricht Zecke sich plötzlich.

Denn Pagel hat zu lachen angefangen, leicht und völlig vergnügt lacht er.

»Gott, was bist du für ein wunderbares Schwein geworden, Zecke!« ruft Pagel lachend. »Das muß dich doch verdammt geschmerzt haben, was ich von den Varieténutten gesagt habe, daß du daraufhin all deinen Dreck von dir gibst. – Er hat nämlich früher mit Varieténutten gehandelt, Ihr Chef«, sagt er zu dem Manne hinter sich. (Eine Kreuzung von Mann und Herr.) »Er will’s nicht mehr wissen, aber es tut ihm noch weh, wenn man davon spricht. Aber, Zecke«, sagt Pagel plötzlich ganz fachmännisch ernst, »ich neige jetzt doch dazu, daß der Arm von diesem Leuchterengel ergänzt ist, und zwar schlecht. Ich würde es so machen …«

Und ehe Zecke und sein Mann ihn noch haben hindern können, ist der Engel ohne Arm. Von Zecke schreit, als fühle er den Schmerz der Amputation. Der Mann Reimers will auf Pagel eindringen, aber der ist, trotz mangelhafter Ernährung, noch ein kräftiger junger Mann. Mit einer Hand wehrt er den Mann ab, in der andern hält er den amputierten Arm mit der Lichttülle. »Diese grobe Fälschung möchte ich zum Andenken an dich behalten, alter Freund Zecke«, sagt Wolfgang vergnügt. »Weißt du: das Licht erlosch – und so. Auf Wiedersehen und ein gedeihliches Mittagessen allerseits.«

Pagel geht ab, vergnügt und zufrieden, denn wenn von Zecke sich wirklich einmal freuen will, daß er ihm kein Geld gegeben hat, wird er an den Arm des Leuchterengels denken müssen, der in der Pagelschen Tasche steckt. Und der Schmerz wird überwiegen.

Wolf unter Wölfen
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