4

»Gnädige Frau«, hatte Herr von Studmann gesagt und Frau von Prackwitz den Schreibtischstuhl zurechtgerückt, den der Rittmeister seiner Frau gerne einräumte. »Entschuldigen Sie, wenn ich Sie rief. Aber wir haben hier eine Besprechung, bei der Sie dabeisein müßten. Wir reden nämlich vom Geld …«

»Wirklich?« sagte Frau Eva, nahm den Rasierspiegel auf und betrachtete sich prüfend darin. »Das ist freilich ein ganz neues Thema für mich! Achim redet davon nicht häufiger als jeden Tag …«

»Ich bitte dich, Eva!« rief der Rittmeister.

»Und warum redet mein Freund Prackwitz alle Tage von Geld? Weil er keines hat. Weil die kleinste Rechnung ihn schon in Aufregung bringt. Weil die Pachtzahlung am ersten Oktober wie ein Alpdruck auf ihm lastet. Weil er immer daran denkt, ob er es auch schaffen wird …«

»Sehr richtig, Studmann, ich mache mir eben Sorgen. Ich bin ein vorsorglicher Kaufmann …«

»Wir wollen uns einmal deine finanzielle Situation ansehen. Reserven hast du keine, die laufenden Ausgaben werden aus laufenden Einnahmen bezahlt, das heißt aus Viehverkäufen, aus Frühkartoffelverkäufen, aus der Ernte … Reserven hast du keine …«

Studmann rieb sich nachdenklich die Nase. Die gnädige Frau bespiegelte sich. Der Rittmeister lehnte am Ofen, war gelangweilt, hoffte aber inbrünstig, daß Studmann (»dieses ewige Kindermädchen!«) wenigstens so viel Takt besitzen würde, nicht von den Spielschulden anzufangen. –

»Nun kommt der erste Oktober«, sagte von Studmann, immer noch sehr nachdenklich. »An diesem ersten Oktober ist die Jahrespacht bar auf den Tisch des Herrn Geheimrats von Teschow zu legen. Die Jahrespacht beträgt, wie bekannt sein dürfte, dreitausend Zentner Roggen. Soweit ich mich unterrichtet habe, ist etwa ein Preis von sieben bis acht Goldmark pro Zentner anzusetzen, das wäre eine Summe von zwanzig- bis fünfundzwanzigtausend Goldmark, in Millionen und Milliarden nicht ausdrückbar. Schon darum nicht, weil uns der Roggenpreis in Papiermark am ersten Oktober nicht bekannt ist …«

Von Studmann sah seine Opfer versonnen an, aber sie merkten noch nichts.

Sondern der Rittmeister sagte: »Ich finde es sehr dankenswert, Studmann, daß du dich mit allen diesen Dingen beschäftigst. Aber sie sind uns – verzeih! – bekannt. Die Pacht ist etwas hoch, aber ich habe ja eine ganz nette Ernte draußen stehen, und da ich jetzt die Leute bekomme …«

»Entschuldige, Prackwitz«, unterbrach Studmann, »du siehst das Problem noch nicht. Du hast am ersten Oktober Herrn von Teschow den Wert von dreitausend Zentnern Roggen zu übergeben. Da die Goldmark ein fiktiver Begriff ist, in Papiermark, zum Roggenpreis am ersten Oktober …«

»Das verstehe ich alles, lieber Studmann, es ist mir bekannt, daß …«

»Du kannst aber«, fuhr der unerbittliche Studmann fort, »nicht dreitausend Zentner Roggen an einem Tage dem Händler abliefern. Du brauchst, nach deinen Arbeitsbüchern zu urteilen, etwa vierzehn Tage dazu. Sagen wir also, du lieferst am zwanzigsten September dreihundert Zentner Roggen ab. Der Händler gibt dir, sagen wir mal, dreihundert Milliarden dafür. Du legst die dreihundert Milliarden in deinen Geldschrank für die Zahlung am ersten Oktober. In der Zeit vom zwanzigsten September bis zum dreißigsten fällt die Mark weiter, wie wir es in der letzten Zeit erlebt haben. Für die dreihundert Zentner am dreißigsten September bekommst du vom Händler, sagen wir mal, sechshundert Milliarden. Dann stellen die dreihundert Milliarden in deinem Geldschrank nur noch den Wert von hundertfünfzig Zentnern Roggen dar. Du müßtest noch einmal hundertfünfzig Zentner nachliefern … Das ist doch klar?«

»Erlaube mal«, sagte der Rittmeister verwirrt. »Wie war das? Dreihundert Zentner sind plötzlich nur hundertfünfzig Zentner …«

»Herr von Studmann hat ganz recht«, rief Frau von Prackwitz lebhaft. »Aber das ist ja schrecklich. Das kann ja kein Mensch leisten …«

»Es ist durch vierzehn Tage ein Wettlauf mit der Inflation«, sagte Herr von Studmann. »Und uns wird dabei der Atem ausgehen.«

»Aber die Inflation braucht doch nicht immer so weiterzugehen!« rief der Rittmeister empört.

»Nein, natürlich nicht. Aber das weiß man nicht. Es hängt von so vielem ab: von der Haltung der Franzosen an der Ruhr, der Festigkeit der jetzigen Regierung, die den Ruhrkampf unter allen Umständen fortsetzen will, also Geld über Geld braucht, von der Haltung Englands und Italiens, die jetzt noch gegen das Ruhrabenteuer Frankreichs sind. Von tausend Dingen also, auf die wir keinen Einfluß haben – aber wir müssen jedenfalls am ersten Oktober zahlen.«

»Und man kann das, Herr von Studmann?«

»Man kann das, gnädige Frau.«

»Sieh da!« rief der Rittmeister halb lachend, halb ärgerlich. »Unser lieber Studmann! Erst ängstigt er uns, und nun hat er die Rettung in der Hand!«

»Es gibt nämlich«, sagte Studmann ganz ungerührt, »Leute, die an einen bodenlosen Fall der Mark glauben, die auf Baisse spekulieren, wie man so sagt. Die sind bereit, dir schon heute dein Korn abzukaufen, Prackwitz, zahlbar am ersten Oktober, lieferbar Oktober – November … Ich habe da ein paar Angebote …«

»Ein Heidengeld werden die Brüder an meinem Korn verdienen!« rief der Rittmeister erbittert.

»Aber du kannst Papa die Pacht pünktlich und richtig geben, Achim! Darauf kommt es doch an.«

»Gib mir die Wische, Studmann«, sagte Prackwitz grämlich. »Ich seh sie mir mal durch. So eilig wird es ja nicht sein. Jedenfalls bin ich dir sehr dankbar …«

»Die zweite Frage ist die«, begann Herr von Studmann nun, »ob es überhaupt einen Zweck hat, die Pachtung zu bezahlen …«

Er schwieg und sah die beiden an. Aus den Wolken gefallen, dachte er. Wie die Kinder …

»Aber wie –?« fragte Frau von Prackwitz verwirrt. »Papa muß doch sein Geld haben?«

»Was du dir da wieder ausgedacht hast, Studmann!« widersprach der Rittmeister sehr ärgerlich. »Als wenn es nicht schon ohnedies Schwierigkeiten genug gäbe! Sich auch noch Schwierigkeiten ausdenken –!«

»Es steht doch im Vertrage«, rief Frau von Prackwitz wieder, »daß wir die Pachtung sofort verlieren, wenn nicht pünktlich und vollständig gezahlt wird!«

»Ich erfülle meine Verpflichtungen –!« erklärte der Rittmeister eisern.

»Wenn du es kannst!« meinte Herr von Studmann. Und eifriger: »Höre zu, Prackwitz, unterbrich mich mal nicht. Hören Sie bitte auch zu –. Es wird ein wenig peinlich, ich muß von Ihrem Herrn Vater sprechen … Nun, reden wir von Verpächter und Pächter. Denn auch für dich wird einiges Bittere abfallen, mein lieber Prackwitz, für dich, den Pächter …

Das Studium dieses Pachtvertrages ist nicht uninteressant. Wenn man sich hineinvertieft, wird man an den Vertrag von Versailles erinnert, über dem die Devise steht: ›In die Hölle mit dem Besiegten!‹ Über diesem Pachtvertrag stehen die Worte: ›Wehe dem Pächter!‹«

»Mein Vater …«

»Der Verpächter, gnädige Frau, nur der Verpächter. Ich will nicht von all den kleinen niederträchtigen Bestimmungen reden, die sich zu Katastrophen auswachsen können. Der Fall mit dem elektrischen Licht hat mir die Augen geöffnet. Mein lieber Prackwitz, wäre ich nicht gewesen, du wärest schon über diese Kleinigkeit gestürzt, und du solltest darüber stürzen. Aber ich war da, und der Gegner zog sich zurück. Er wartet, daß du über die Pachtzahlung fallen sollst, und du wirst darüber fallen …«

»Mein Schwiegervater …«

»Mein Vater …«

»Der Verpächter«, sprach von Studmann mit starker Stimme, »hat den Pachtpreis mit anderthalb Zentner Roggen pro Morgen festgesetzt. Erste Frage: Ist das eine tragbare Pacht?«

»Sie ist vielleicht ein bißchen hoch …«, fing der Rittmeister wieder einmal an.

»Die staatlichen Domänen hier in der Nähe zahlen sechzig Pfund Roggen pro Morgen, du zahlst weit über das Doppelte. Und wohlgemerkt: Die Domänenpächter hatten zum letzten Termin nur Abschlagszahlungen zu leisten und werden beim kommenden Termin wahrscheinlich gar nichts zahlen. Sie verlieren darum ihre Pachtung nicht; du aber, wenn du nicht pünktlich und vollständig zahlst, nun, du weißt ja, deine Frau hat es eben gesagt …«

»Mein Bruder in Birnbaum …«

»Richtig, gnädige Frau, Ihr Herr Bruder in Birnbaum zahlt, wie er überall stöhnend erzählt, dem Verpächter die gleiche Pacht. Aber, was dem einen Kinde recht ist, ist dem andern Kinde – zu teuer. Man hört nämlich überall, daß Ihr Bruder in Wirklichkeit nur neunzig Pfund bezahlt, seinem Vater aber hat versprechen müssen, nur von hundertfünfzig Pfund zu reden. Warum er das tun soll …«

»Mein lieber Studmann, das wäre ja so etwas wie Betrug. Ich bitte dich sehr …«

»Mein Bruder … mein Vater …«

»Kann man diese Pachtsumme also schon als recht hoch bezeichnen, so könnte ja Neulohe immerhin ein so vorzügliches Gut sein, daß selbst eine ungewöhnlich hohe Pachtsumme berechtigt wäre. Ich habe in diesem Büro«, sagte Herr von Studmann und ließ einen ernsten, mißbilligenden Blick über die Regale schweifen, »keine mustergültige Ordnung vorgefunden. Nein, verzeihe bitte, Prackwitz. Aber eines war mustergültig: nicht ein Buch aus der Zeit deines Vorgängers war mehr aufzufinden, nichts, aus dem man über Erträge Neulohes in früheren Jahren Aufschluß bekommen könnte. Aber schließlich gibt es andere Wege. Der Leutevogt hat Druschlisten geführt, auf dem Finanzamt gibt es Aufzeichnungen, die Händler führen Eingangsbücher – nun, mit einiger Mühe bin ich schließlich zu dem Ergebnis gekommen, daß Neulohe auch in früheren Jahren nur einen Durchschnittsertrag von fünf bis sechs Zentner Roggen auf den Morgen hatte …«

»Viel zu niedrig, Studmann!« rief der Rittmeister triumphierend. »Du bist eben kein Landwirt …«

»Ich habe bei dem – Verpächter eine Stichprobe gemacht. Er wußte ja nicht, warum ich fragte, er wollte mich ein bißchen reinlegen, er denkt wie du, ich bin kein Landwirt … Aber ich bin ein Mann, der rechnen kann; wer reingelegt wurde, war der andere, Herr von Teschow. Der Verpächter hat mir gegen seinen Willen bestätigt: fünf bis sechs Zentner Durchschnittsertrag, mehr darf man nicht annehmen. Es ist eben viel Sand in den Außenschlägen, sagte der Verpächter.«

»Aber dann zahle ich ja …« Der Rittmeister hielt bestürzt inne.

»Jawohl«, sagte Studmann unbeugsam, »du zahlst fünfundzwanzig bis dreißig Prozent deiner Roherträge als Pacht. Das dürfte wohl kaum tragbar sein. – Wenn Sie sich erinnern wollen, gnädige Frau«, erklärte Herr von Studmann freundlich, »damals, im Mittelalter, zahlten die Bauern an ihren Grundherrn den ›Zehnten‹, den zehnten Teil ihrer Roherträge also. Das war nicht tragbar, schließlich empörten sich die Bauern und schlugen ihre Herren tot. Ihr Herr Gemahl zahlt nicht den Zehnten, nein, er zahlt den Vierten – aber einem Totschlag möchte ich doch widerraten.«

Herr von Studmann lächelte, er war glücklich. Das Kindermädchen konnte erziehen, der Lehrer durfte belehren – er vergaß darüber ganz die Verzweiflung seiner Hörer. Ein Kind, dem sein Spielzeug entzweigegangen ist, findet es nicht sehr tröstlich, wenn es darüber belehrt wird, wie es dieses Entzweigehen hätte vermeiden können …

»Aber was sollen wir tun?« flüsterte die gnädige Frau tonlos. »Was sollen wir bloß anfangen –?«

»Mein Schwiegervater hat sicher keine Ahnung von alldem«, sagte der Rittmeister. »Man muß ihm das einmal vorstellen. Du bist so geschickt und ruhig, Studmann …«

»Und das Schweigegebot an den Sohn in Birnbaum?«

Der Rittmeister verstummte.

Von neuem begann Herr von Studmann: »Bis hierher kann man noch immer an einen Verpächter glauben, der sehr gern Geld verdient. Zu gerne. Etwas gierig, nicht wahr? Aber leider ist es noch schlimmer …«

»Bitte nicht, Herr von Studmann! Es ist jetzt wirklich genug.«

»Nein, höre wirklich auf …«

»Man muß alles wissen, sonst handelt man falsch. Die Roggenpacht beträgt dreitausend Zentner – anderthalb Zentner pro Morgen –, sie entspricht einer Gutsgröße von zweitausend Morgen. Und als so groß ist das Gut auch im Pachtvertrag angegeben …«

»Stimmt das auch wieder nicht?«

»Ich habe immer gehört, daß Neulohe zweitausend Morgen groß ist, schon viel früher«, sagte die gnädige Frau.

»Es ist auch richtig, Neulohe ist zweitausend Morgen groß«, bestätigte Herr von Studmann.

»Na also –!« rief der Rittmeister aufatmend.

»Neulohe ist zweitausend Morgen groß – aber wie groß ist die Fläche, die du bestellst, Prackwitz? Von den zweitausend Morgen gehen Wege und Unland ab, Feldraine, Wasserlöcher in den Schlägen, Steinhaufen. Es gehen auch ein paar Stücke ehemaliges Ackerland ab, die mit Fichten aufgeforstet sind – da kannst du dir einen Weihnachtsbaum holen, Prackwitz, ohne den Forstbesitzer fragen zu müssen …«

»Na ja, so Kleinigkeiten. Ich weiß, die eine Kuschelecke …«

»Es geht aber auch ab: der Riesenhofplatz, die Leutehäuser, hier das Beamtenhaus, deine Villa mit Garten, es geht auch ab –: das Schloß und der Park –! Ja, mein lieber Prackwitz, du zahlst deinem Schwiegervater Roggenpacht noch für das Haus, in dem er wohnt!«

»Der Teufel soll mich holen, wenn ich das tue!« schrie der Rittmeister.

»Sachte, sachte – das wäre ein bequemer Weg für dich, aus allen Schwierigkeiten zu kommen. Das möchtest du wohl. Ich habe es mir auf der Flurkarte ausgerechnet, die Größe des tatsächlich genutzten Bodens beläuft sich auf wenig über tausendfünfhundert Morgen, in Wirklichkeit zahlst du also zwei Zentner Roggenpacht.«

»Ich fechte den Vertrag an! Ich verklage den Kerl!« schrie der Rittmeister und schien aus der Tür fahren zu wollen, wie er ging und stand, hin zum nächsten Gericht.

»Ach, Achim!« klagte Frau von Prackwitz.

»Setze dich hin!« rief Herr von Studmann. »Du weißt nun alles. Jetzt wollen wir über den Schuldigen zu Gericht sitzen, nämlich über dich. Ruhig, Prackwitz! Wie hast du diesen Schandvertrag unterschreiben können? Sie haben ihn übrigens mit unterschrieben, gnädige Frau. – Na, sprich, Prackwitz. Du kannst jetzt reden.«

»Wie kann man denken, daß man so gemein hereingelegt wird – unter Verwandten!« rief der Rittmeister unmutig. »Ich habe gewußt, daß mein Schwiegervater knietschig und hinter dem Geld her ist wie der Kater hinter dem Baldrian. Aber daß er seiner eigenen Tochter den Hals abschneidet, nee, Studmann, ich kann es noch immer nicht glauben …«

»Herr von Teschow ist kein dummer Mann«, meinte Herr von Studmann. »Wenn er so einen Vertrag machte, wußte er auch, daß er nicht zu erfüllen war. Er muß doch eine Absicht dabei gehabt haben – kannst du darüber etwas sagen, Prackwitz? Bitte auch Ihre Ansicht, gnädige Frau …«

»Ich weiß doch nicht, was mein Vater sich denkt …«, sagte Frau Eva, aber sie wurde rot unter dem prüfenden Blick Studmanns.

»Ich schmeiße ihm den Krempel vor die Füße!« schrie der Rittmeister. »Ich gehe zum Gericht …«

»Nach Paragraph 17 löst jeder Einwand gegen eine Bestimmung des Vertrages das Pachtverhältnis. Wenn du die Klage eingereicht hast, bist du schon nicht mehr Pächter. – Wie ist der Vertrag zustande gekommen? Er ist doch neu, du wirtschaftest doch schon länger hier …«

»Ach, das sind ja alles olle Kamellen, das hat hiermit gar nichts zu tun. Als ich aus dem Baltikum wiederkam, hatten wir gar nichts. Meine Pension sollte ich nicht kriegen, ich war ja ein Vaterlandsverräter. Da sind wir hier erst als ›Besuch‹ untergekrochen. Ich hatte nichts zu tun. Ich bin mit dem Herrn Schwiegervater über die Felder gelaufen, habe geholfen – tüchtig geschuftet habe ich! Hat mir damals Spaß gemacht. Na, und eines Tages sagte er: ›Ich bin alt, nehmen Sie den Knatsch, wie er steht und geht, mal erbt die Eva doch alles.‹ Und da habe ich eben alleine zu wirtschaften angefangen …«

»Ohne allen Vertrag?«

»Ja, ohne Vertrag.«

»Und was hast du für Pacht gezahlt?«

»Da war gar nichts abgemacht. Wenn er Geld gebraucht hat, habe ich es ihm gegeben, wenn ich welches hatte; und wenn ich keines hatte, hat er eben gewartet.«

»Und weiter?«

»Ja – eines Tages hat er dann gesagt: ›Nun wollen wir einen Vertrag machen.‹ Und da haben wir diesen Schandvertrag gemacht, und nun sitze ich drin!«

»Einfach so gesagt ›Vertrag machen‹ – da muß doch etwas vorgekommen sein?«

»Gar nichts ist vorgekommen!« rief der Rittmeister eilig. »Ich habe mir gar nichts dabei gedacht.«

»Da fehlt was«, beharrte Studmann. »Nun, gnädige Frau –?« Sie war schon wieder rot. »Nun, Achim«, sagte sie zögernd. »Wollen wir es nicht lieber sagen? Es ist doch besser …«

»Ach, die alten Geschichten!« grollte der Rittmeister. »Studmann, du bist ein richtiger Bohrer. Was nützt es dir denn, wenn du das auch noch weißt – davon wird der Vertrag nicht anders.«

»Gnädige Frau!« bat Studmann.

»Eine Weile, ehe das mit dem Vertrag kam«, sagte Frau von Prackwitz leise, »habe ich einen Streit mit Achim gehabt. Er dachte mal wieder, er müßte eifersüchtig sein …«

»Ich bitte dich, Eva, mach dich nicht lächerlich!«

»Doch, Achim, so war es. Nun, Sie kennen Ihren Freund, und ich kenne ihn auch. Er kocht dann gleich über, er macht einen Krach, man denkt, die Welt geht unter. Schreit von Scheidung, Ehebruch – nun, es hört sich nicht schön an. Aber ich bin es ja nun fast zwanzig Jahre gewöhnt und weiß, er denkt sich wirklich nichts dabei …«

»Liebe Eva«, sprach der Rittmeister mit steifer Würde, »wenn du weiter so über mich reden willst, darf ich wohl das Büro verlassen.« Doch blieb er unter der Tür stehen. »Und im übrigen war ich völlig im Recht. Dieser Flirt mit Truchseß …«

»… ist Jahre her«, unterbrach Studmann eilig. »Bitte, setze dich wieder, Prackwitz. Vergiß nicht, wir verhandeln hier wegen deines Geldes …«

»Ich will nichts mehr von diesen Geschichten hören!« rief der Rittmeister drohend, setzte sich aber doch.

»Weiter, gnädige Frau«, bat Herr von Studmann. »Es gab also eine kleine eheliche Auseinandersetzung –?«

»Ja, und leider hörte sie mein Vater mit an, ohne daß wir es wußten. Von da an war er fest überzeugt, daß Achim mich quälte und mißhandelte …«

»Lächerlich!« knurrte der Rittmeister. »Ich bin der ruhigste, friedfertigste Mensch …«

»Wochenlang lag er mir in den Ohren, ich sollte mich von Achim scheiden lassen …«

»Was?!« schrie der Rittmeister und sprang mit einem Satz auf. »Das ist ja das Neueste! Du sollst dich von mir scheiden lassen?!«

»Setze dich, Prackwitz«, mahnte Studmann. »Es sind ja, wie du sagst, ganz alte Geschichten. Deine Frau ist nicht geschieden …«

»Nein, Papa sah ein, daß ich nicht wollte. Er hängt viel mehr an mir, als man denkt.« Sie war wieder sehr rot. »Ja, und da kam schließlich dieser Vertrag …«

»Nun verstehe ich ihn«, sagte Herr von Studmann und war wirklich sehr zufrieden. »Und du verstehst ihn hoffentlich auch, Prackwitz, und weißt, wie du dich verhalten mußt. – Ihr Mann soll die Nerven verlieren, er soll unerträglich werden, er soll wirtschaftlich ruiniert werden, seine Unfähigkeit soll bewiesen werden, er soll Schulden über Schulden haben …«

»Und das Ganze nennt man Schwiegervater!« rief der Rittmeister empört. »Ich habe ihn ja nie leiden mögen, aber ich habe doch immer gedacht: Schließlich ist er in seiner Art ein ganz guter Kerl …«

»Lieber Prackwitz«, sagte Studmann etwas spitz, »manche Leute halten die andern nur deswegen für gut, weil es ihnen so am bequemsten ist. – Wenn du dich jetzt aber nicht zusammennimmst und deinen Schwiegervater etwas von dem merken läßt, was du weißt, dann bist du glatt verloren!«

»Das ist ausgeschlossen!« rief der Rittmeister zornig. »Ich muß ihm meine Meinung sagen können! Wenn ich nur an ihn denke, wird mir schon rot vor Augen!«

»So machst du einfach kehrt, wenn du ihn aus der Ferne siehst. Prackwitz, tu deiner Frau die Liebe, nimm dich zusammen. Versprich uns, daß du dich nicht gehenläßt, keinen Streit anfängst, dich nicht reizen läßt. Geh weg, sag: Herr von Studmann ordnet das – fertig! Das ist deinem Schwiegervater viel unangenehmer, als wenn du loskollerst – das will er ja grade!«

»Ich kollere nicht«, sagte der Rittmeister gekränkt. »Puter kollern – ich bin kein Puter!«

»Also du versprichst es uns – schön! Großartig! Du wirst doch jetzt deine Ernte nicht im Stich lassen –«

»Wenn ich sie ihm doch geben muß …«

»Laß mich das machen! Laß mir alles Geschäftliche. Ich werde schon Wege finden! Jetzt nimmst du doch erst einmal Geld ein, viel Geld, Resultat deiner Arbeit – was wir dann im Winter tun werden, werden wir ja sehen …«

»Herr von Studmann hat recht«, sagte Frau von Prackwitz eifrig. »Dies wäre der falscheste Augenblick, die Pachtung aufzugeben. Überlaß ihm alles …«

»Na ja, ich bin ja nur so ein Trottel«, brummte der Rittmeister. »Das ist ein Mann, der Studmann! Kapiert in drei Wochen mehr als ich in drei Jahren. Ich –«

»Die Leute kommen!« stürzte Weio ins Büro.

Langsamer folgte ihr Pagel.

»Also!« sagte der Rittmeister, erfreut, dem verhaßten Büro entfliehen zu können. »Kommen sie endlich! Ich dachte, da gäbe es auch schon wieder Schwierigkeiten! – Lieber Pagel, kümmern Sie sich mal ein bißchen darum, daß die Kerls gleich Essen fassen können, daß das Arbeitsgerät richtig ausgegeben wird und so weiter. Sie brauchen dann heute nachmittag nicht aufs Feld …«

Pagel sah seinen Chef mit hellen Augen freundlich an. »Jawohl, Herr Rittmeister!« Er knallte mit den Absätzen und verließ das Büro.

»Aber, Prackwitz, was machst du denn?!« rief Studmann. »Du hast doch Pagel entlassen! Um drei soll er doch abfahren!«

»Ich Pagel entlassen –? Ach, sei doch nicht albern, Studmann! Du siehst doch, der Junge hat mich ganz richtig verstanden. Mal ein ordentliches Donnerwetter, wenn so ein junger Hund frech wird – und erledigt! Ich bin doch nicht nachtragend!«

»Nein, du nicht!« sagte Studmann. »Na, sehen wir uns mal die Leute an. Ich bin doch gespannt, wie so eine Kollektion von fünfzig Zuchthäuslern aussieht!«

Wolf unter Wölfen
titlepage.xhtml
ccover.html
cinnertitle.html
cimprint.html
cnavigation.html
ctoc.html
c5_split_000.html
c5_split_001.html
c7.html
c8.html
c9.html
c10.html
c11.html
c12.html
c13.html
c14_split_000.html
c14_split_001.html
c16.html
c17.html
c18.html
c19.html
c20.html
c21.html
c22.html
c23_split_000.html
c23_split_001.html
c25.html
c26.html
c27.html
c28.html
c29.html
c30.html
c31.html
c32.html
c33_split_000.html
c33_split_001.html
c35.html
c36.html
c37.html
c38.html
c39.html
c40.html
c41.html
c42_split_000.html
c42_split_001.html
c44.html
c45.html
c46.html
c47.html
c48.html
c49.html
c50.html
c51.html
c52.html
c53_split_000.html
c53_split_001.html
c55.html
c56.html
c57.html
c58.html
c59.html
c60.html
c61.html
c62.html
c63.html
c64_split_000.html
c64_split_001.html
c66.html
c67.html
c68.html
c69.html
c70.html
c71.html
c72.html
c73.html
c74_split_000.html
c74_split_001.html
c76.html
c77.html
c78.html
c79.html
c80.html
c81.html
c82.html
c83.html
c84.html
c85.html
c86_split_000.html
c86_split_001.html
c88.html
c89.html
c90.html
c91.html
c92.html
c93.html
c94.html
c95_split_000.html
c95_split_001.html
c97.html
c98.html
c99.html
c100.html
c101.html
c102.html
c103.html
c104.html
c105.html
c106_split_000.html
c106_split_001.html
c108.html
c109.html
c110.html
c111.html
c112.html
c113.html
c114.html
c115.html
c116.html
c117.html
c118.html
c119.html
c120_split_000.html
c120_split_001.html
c122.html
c123.html
c124.html
c125.html
c126.html
c127.html
c128.html
c129.html
c130.html
c131.html
c132.html
c133_split_000.html
c133_split_001.html
c135.html
c136.html
c137.html
c138.html
c139.html
c140.html
c141.html
c142.html
c143.html
c144.html
c145_split_000.html
c145_split_001.html
c147.html
c148.html
c149.html
c150.html
c151.html
c152.html
c153.html
c154.html
c155_split_000.html
c155_split_001.html
c157.html
c158.html
c159.html
c160.html
c161.html
c162.html
c163.html
c164_split_000.html
c164_split_001.html
c166.html
c167.html
c168.html
c169.html
c170.html
c171.html
c172.html
caboutBook.html
caboutAuthor.html