Wenn gegen Abend der Milchwagen von Rittergut Neulohe wieder auf den Hof zurückkommen und der Milchkutscher die Posttasche auf dem Büro abgeben wird, dann wird Herr von Studmann in dieser Tasche auch einen Brief des Geheimrats Schröck finden, der einiges Licht auf die plötzliche Rückkunft des Rittmeisters Joachim von Prackwitz wirft.
»Sehr geehrter Herr von Studmann«, liest Studmann in diesem Brief des bärbeißigen und etwas wilden Behandlers der menschlichen Nerven- und Gemütsleiden. »Gleichzeitig mit diesem Brief wird Ihr Freund Prackwitz wieder bei Ihnen eintreffen, der mein Freund nicht geworden ist. Der Besuch des Herrn von Prackwitz wird mir immer angenehm sein – als zahlender Patient. Um aber Irrtümern vorzubeugen, möchte ich Ihnen schon heute bemerken, daß so labile, zu Depressions- und Erregungszuständen neigende Psychopathen wie der Herr Rittmeister von Prackwitz, mit starkem Geltungsdrang, aber schwacher Intelligenz, nicht eigentlich heilbar sind – zumal nicht im Alter unseres Patienten. In den meisten Fällen wird es sich darum handeln, solchen Menschen den Drang zu einer harmlosen Beschäftigung beizubringen, wie etwa Briefmarken sammeln, schwarze Rosen züchten, Fremdwörterverdeutschungen erfinden – dann richten sie keinen Schaden an und werden sogar ganz erträglich.
Ich hatte Herrn von Prackwitz schon nahe beim fünfhundertsten Kaninchen und winkte sehr stark mit dem Rekord des tausendsten, als ihn – hol ihn der Teufel! – die Idee anfiel, er müsse jetzt meine Kranken heilen und ich machte alles falsch. Er ging los mit der Unternehmungslust der Ahnungslosen! Eine russische Fürstin, die seit acht Jahren bei mir weilt, die sich seit diesen acht Jahren schwanger glaubt und die seit acht Jahren einen Teich im Park umrundet, weil sie des Glaubens lebt, wenn sie zehnmal an einem Vormittage um diesen Teich herumginge, dann würde sie niederkommen – diese ausgezeichnet zahlende und völlig zufriedene Patientin von zweieinhalb Zentner Lebendgewicht hat er tatsächlich zehnmal um den Teich geschleppt, worauf sie zwar nicht nieder-, aber einen Herz- und Gemütskollaps bekam. Eine bildhübsche Schizophrene bat er um eine Locke, worauf sich das Mädchen ratzekahl geschoren hat – und der Besuch ihrer Angehörigen steht in Aussicht. Einen leider anormal veranlagten Herrn, der ihm Anträge machte, hat er mit Faustschlägen von seiner falschen Veranlagung zu heilen versucht. Dem auch Ihnen bekannten Reichsfreiherrn Baron von Bergen hat er in seiner Harmlosigkeit eine neue Flucht ermöglicht – kurz, Herr von Prackwitz hat mich Patienten gekostet, die monatlich etwa dreitausend Goldmark wert sind. So spreche ich: Bis hierher und nicht weiter! Ich habe ihm klargemacht, daß seine Anwesenheit in Neulohe zum ersten Oktober absolut notwendig ist (ich kenne natürlich alle seine Sorgen), und er hat dies auch eingesehen.
Wenn Sie, sehr verehrter Herr Studmann, Umstände durch seine Rückkunft haben sollten, so freue ich mich aufrichtig darüber. Denn ich nehme an, daß Sie dann um so eher zu mir kommen werden. Ihr usw. usw. –«
»Na also!« sagte Herr von Studmann seufzend, zündete langsam ein Streichholz an und ließ den Brief über dem Ofenblech in Flammen aufgehen. So ist er denn also wieder hier, um uns über den ersten Oktober fortzuhelfen. Es wird schon gehen, wenigstens scheint er jetzt nicht mehr so reizbar. Wenn er nur nicht zu schlimme Dummheiten macht –! Starker Geltungsdrang, aber geringe Intelligenz – bitter, doch ich werde es schon schaffen!
Herr von Studmann sollte sich irren, Herr von Prackwitz hatte an diesem Tage einige nicht wiedergutzumachende Dummheiten bereits hinter sich.