6

Der Diener Hubert Räder ist schon auf und an der Arbeit, als Weio mit hochroten Backen in der Villa ankommt.

»Morgen, Hubert!« ruft sie. »Gott, machen Sie wieder so verrückt sauber –?! Mama hat Ihnen das doch schon so oft verboten!«

»Davon verstehen Frauen nichts!« stellt Räder unerschüttert fest und betrachtet sein Werk mit ernstem, aber billigendem Auge.

Da heute der Herr Rittmeister zurückkommt, muß sein Zimmer gründlich gesäubert werden. Der Diener Räder verfährt dabei so, daß er erst einmal die eine Seite des Raumes kehrt, aufwischt, einwachst, bohnert, staubwischt – dann erst beginnt er mit der andern Hälfte. Er bringt damit Frau von Prackwitz völlig zur Verzweiflung, die ihm immer wieder erklärt, die saubere Seite staube ja vom Reinigen der andern Hälfte immer wieder voll …

»Jawohl, gnädige Frau«, sagt der Diener Räder dann gehorsam. »Aber wenn ich abgerufen werde zu einer andern Arbeit, haben der Herr Rittmeister doch wenigstens eine saubere Seite, auf der Herr Rittmeister wohnen können …«

Und er reinigt, eigensinniger als ein Maulesel, auf seine Art weiter.

Auch jetzt hat er wieder gesagt: »Davon verstehen Frauen nichts«, und setzt nachdrücklich hinzu: »Die gnädige Frau haben schon zweimal geniest, gnädiges Fräulein!«

»Jaja, Hubert«, sagt Weio eifrig. »Ist ja schon gut. Ich gehe gleich auf mein Zimmer und wasche mich ein bißchen und zieh mich um. Und eine Kute dreh ich auch schnell in mein Bett, als hätt ich drin gelegen. – Ach Gott, nein! Das brauch ich ja gar nicht, ich brauch ja gar nicht im Bett gelegen zu haben, wenn Mama und Papa hören, was heute nacht alles passiert ist –!«

»Machen Sie man schnell«, sagt Räder und bewegt den Bohner mit liebevoller Bedachtsamkeit. »Wenn die gnädige Frau geniest hat, steht sie immer gleich auf.«

»Ach, Hubert, sei doch nicht so dumm!« ruft Weio vorwurfsvoll. »Du platzt doch auch vor Neugierde! – Denken Sie sich, der kleine Meier ist mit der Kasse durchgebrannt. Jetzt ist er aber wieder da. Und der olle Kniebusch hat den Bäumer verhaftet, er hat ihn aber noch nicht hier, er liegt gefesselt im Walde, und Kutscher Hartig hat angespannt, und jetzt sind sie raus, Hartig und Kniebusch und Meier, ihn zu holen – er ist aber bewußtlos. – Stehen Sie doch nicht so dumm da, Hubert!« schreit Weio wütend. »Lassen Sie doch den Bohnerbesen los! – Was sagen Sie bloß zu so was, Hubert?!«

»Sie haben zweimal du zu mir gesagt, gnädiges Fräulein«, sagt der Diener Räder kühl. »Sie wissen, der Herr Rittmeister will das gar nicht haben, und mir ist es auch nicht ganz recht …«

»Ach, du alter Schafskopf!« ruft sie. »Das ist mir ja ganz egal, wie ich zu Ihnen sage! Einen ollen Schellfisch rede ich auch nicht mit Sie an. Ja, das sind Sie – ein oller Schellfisch sind Sie! Ein oller Stockfisch! Passen Sie lieber auf das, was ich Ihnen erzähle, Sie sind doch auch dabeigewesen! Daß Sie nicht alles verquatschen; wenn Mama Sie fragt …«

»Entschuldigen, gnädiges Fräulein, ich bin nicht dabeigewesen! Wenn so was Wildes vorkommt, bin ich nicht dabei. Ich muß auch an meinen Ruf denken. Ich bin herrschaftlicher Diener – ich habe mit Kassendieben und mit Wilddieben nichts zu tun. Das ist genau wie mit Uniformen – da mische ich mich nicht rein!«

»Aber, Hubert!« sagt Weio vorwurfsvoll. »Sie wissen doch, Mama hat gesagt, Sie sollten mitgehen. Sie werden uns doch nicht reinreißen.«

»Tut mir leid, gnädiges Fräulein, es geht nicht. – Würden Sie bitte von dem Perser gehen, ich muß die Fransen auskämmen. Warum die Leute wohl überhaupt solche Fransen in die Teppiche machen? Immer sehen sie unordentlich und verfizzelt aus, bloß, damit man mehr Arbeit hat …«

»Hubert!« sagt Weio sehr bittend und ist plötzlich ganz kleinlaut. »Sie werden doch Mama nicht sagen, daß Sie wegen der wilden Geschichten nicht mitgegangen sind –?«

»Nein, gnädiges Fräulein –!« sagt Hubert und glättet seine Fransen. »Ich habe auf dem Hof schon Nasenbluten bekommen und wollte nachkommen und habe Sie nicht gefunden, weil Sie den Weg an den Remisen gegangen sind, und ich bin die Schneise beim Wildfutterplatz hoch gegangen …«

»Gott sei Dank!« atmet Weio auf. »Ein anständiger Kerl sind Sie eben doch, Hubert!«

»Und ich würde mir überhaupt einen Augenblick lang überlegen«, fährt Hubert unerschüttert fort, »was Sie der gnädigen Frau erzählen wollen. Von dem Herrn Inspektor Meier würde ich nicht so viel sprechen – und wie ist es denn mit dem Wilderer, dem Bäumer –? Wenn den der Förster gefangen hat, müssen gnädiges Fräulein doch dabeigewesen sein –! Was haben Sie denn mit dem Förster verabredet?«

»Aber gar nichts, Hubert! Er ist doch gleich wieder in den Wald raus – mit dem Inspektor!«

»Sehen Sie! Und haben Sie denn nun den Bock geschossen, oder hat er ihn geschossen? Oder ist er gar nicht geschossen –? Es war mir doch so, als hätte ich einen Schuß gehört, heute gegen Morgen.«

»Oh, Hubert, Hubert – das ist doch grade das Tollste, das habe ich Ihnen noch gar nicht gesagt! Da hat doch wirklich der kleine Meier auf die Geflügelmamsell, die Amanda Backs, geschossen –!«

»Gnädiges Fräulein!« sagt Hubert streng und richtet seine ausdruckslosen Fischaugen auf sie. »Das habe ich nicht gehört, von all so was Wildem weiß ich nichts …«

»Aber er hat sie doch nicht getroffen! Er war doch dun!«

»Gehen Sie jetzt auf Ihr Zimmer und ziehen Sie sich um«, sagt Hubert Räder und ist so erregt, wie er nur sein kann. »Nein, Sie müssen jetzt hier rausgehen, ich muß hier saubermachen, Sie stören mich …«

»Hubert, werden Sie nicht frech –! Wenn ich hier sein will, bleibe ich hier …«

»Und ich würde mir genau überlegen, was ich sage – und am besten erzählen Sie gar nichts, sondern sind mit mir umgekehrt, als ich Nasenbluten bekam … Aber das bringen Sie doch nicht fertig – und so wird heute nachmittag schon das schönste Gerede im Gange sein, und heute abend haben wir die Polizei im Haus … Aber ich habe für mich vorgesorgt, ich habe zwei blutige Taschentücher, und um halb zwei habe ich bei der Armgard geklopft und habe sie gefragt, was die Uhr ist, weil mein Wecker stehengeblieben war, er war aber nicht stehengeblieben … Ich weiß also von nichts, und mit Ihnen geredet habe ich hier auch nicht – seit ich Nasenbluten bekam, habe ich Sie nicht gesehen … Guten Morgen, gnädige Frau, wünsche wohl geruht zu haben. Ja, ich mache hier gründlich rein, bloß, der Staubsauger ist entzwei, aber das ist Armgard gewesen, gnädige Frau, doch es geht auch so … Und ich bitte um Verzeihung, daß ich das gnädige Fräulein nicht in den Wald begleitet habe … Bloß, ich bekam solches Nasenbluten, weil ich die Schlaflosigkeit nicht vertrage … Das habe ich schon als Kind gehabt, wenn ich zuwenig Schlaf …«

»Bitte, Hubert, hören Sie jetzt gefälligst auf. Ich sage es ja, wenn Sie einmal den Mund auftun –. Und du, Weio, noch im Jagdkleid –. Darf man denn Weidmanns Heil sagen, oder war der Ansitz umsonst –?«

»Ach, Mama, was wir alles erlebt haben! Es war großartig! Ja, der Bock ist geschossen, aber nicht von mir, sondern, denke dir mal – aber das rätst du ja doch nie –, der Bäumer hat ihn geschossen – aber du weißt doch, Mama, der Wilddieb aus Altlohe, über den Großvater immer so schimpft … Und Kniebusch hat ihn verhaftet, den Bäumer natürlich, aber den Bock haben wir auch … Und jetzt sind sie in den Wald, ihn holen, er ist aber bewußtlos. Und Inspektor Meier …«

»Darf ich jetzt hier weiter rein machen?« unterbricht der Diener Räder mit ganz ungewohntem Nachdruck.

Und die gnädige Frau: »Also, Weio, komm rüber zu mir. Das mußt du mir alles ganz genau erzählen … Und du bist bei so was dabeigewesen, hinterher kriege ich ja doch noch einen Schreck … Aber Papa wird sich auch freuen, daß der Bäumer erledigt ist. Wieso ist er denn bewußtlos –? Hat Kniebusch denn auf ihn geschossen? Ich sage ja immer zu Vater, Kniebusch ist eben doch besser …«

Sie sind fort – der Diener Räder steht da und nickt ernst. Vorläufig geht alles gut, vorläufig redet noch die gnädige Frau …

Aber wenn der Rittmeister kommt und fragt –? Was dann?

Wolf unter Wölfen
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