2

Der Rittmeister kam auf das Büro gestürmt.

»Hallo!« sagte von Studmann. »Das heiße ich eilig! Kommen die Leute –?«

»Die Leute können mir im Mondschein begegnen!« schrie der Rittmeister, dem sein Sturmlauf frischen Zornesmut gegeben hatte. »Wo ist mein Brief? Ich will meinen Brief haben!«

»Du mußt nicht so schreien!« meinte Studmann kühl. »Ich höre noch immer ausgezeichnet. Was für ein Brief –?«

»Das wäre ja noch schöner!« schrie der Rittmeister lauter. »Mir werden meine Briefe unterschlagen, und ich soll nicht einmal meine Meinung sagen dürfen?! Ich verlange meinen Brief –.«

»Herr Pagel, bitte, seien Sie so freundlich und schließen Sie die Fenster. Es braucht ja schließlich nicht ganz Neulohe zu hören, was wir hier …«

»Pagel, Sie lassen die Fenster offen! Sie sind mein Angestellter, verstanden?! Ich will endlich den Brief haben – drei, vier, fünf Wochen ist er alt …«

»Ach so, den Brief meinst du, Prackwitz …«

»Mir werden also noch mehr Briefe unterschlagen?! Du hast Heimlichkeiten mit meiner Frau, Studmann!«

Hier platzte der junge, leichtfertige Pagel heraus.

Der Rittmeister stand starr. Erst faßte er es nicht. Der junge Pagel hatte gelacht. Man hätte das Sirren einer Mücke auf dem Büro gehört, so still war es.

Der Rittmeister machte zwei lange Schritte auf Pagel zu. »Sie lachen? Sie lachen, Herr Pagel, wenn ich zornig bin –?«

»Verzeihen, Herr Rittmeister – es klang nur so komisch … ich habe nicht über Herrn Rittmeister gelacht … Nur, es klang so komisch … Herr Studmann hat Heimlichkeiten mit der gnädigen Frau …«

»So. – So!« Eiskalter Blick, mustern von oben bis unten. »Sie sind entlassen, Herr Pagel. Sie können sich von Hartig zum Dreiuhrzug auf die Bahn fahren lassen.« Lauter: »Keine Widerworte, bitte! Verlassen Sie das Büro. Ich habe hier geschäftliche Verhandlungen.«

Ein wenig weiß, doch in guter Haltung verließ der junge Pagel das Büro.

Herr von Studmann lehnte jetzt gegen den Kassenschrank, geärgert, mit gerunzelter Stirn sah er aus dem Fenster hinaus. Der Rittmeister betrachtete ihn von der Seite. »Das ist ein ganz unverschämter Bengel!« knirschte er probeweise, aber Herr von Studmann reagierte nicht.

»Ich bitte jetzt endlich um meinen Brief«, sagte der Rittmeister.

»Ich habe den Brief bereits Herrn von Teschow zurückgegeben«, berichtete von Studmann kühl. »Ich habe den Herrn Geheimrat davon überzeugen können, daß seine Forderung unberechtigt war. Er bat um Rückgabe des Briefes, damit die Sache wie nicht gewesen sei …«

»Das glaube ich!« lachte der Rittmeister bitter. »Hast dich von dem alten Fuchs reinlegen lassen, Studmann! Hat sich blamiert, und du gibst ihm den Beweis seiner Blamage zurück. Köstlich!«

»Die Verhandlung mit Herrn Geheimrat von Teschow war nicht ganz leicht«, sagte Studmann. »Wie immer konnte er sich formaljuristisch auf diesen unseligen Pachtvertrag berufen. Was ihn schließlich bestimmte, waren Erwägungen wegen seines Rufs, euer verwandtschaftliches Verhältnis …«

»Verwandtschaftliches Verhältnis! Ich bin überzeugt, du hast dich einseifen lassen, Studmann.«

»Bitte, er hängt anscheinend sehr an Tochter und Enkelin. – Und wie habe ich mich einseifen lassen können, da alles beim alten geblieben ist?«

»Das ist mir ganz egal«, erklärte der Rittmeister trotzig. »Ich hätte den Brief lesen müssen.«

»Ich glaubte mich bevollmächtigt. Du hast mich ausdrücklich gebeten, dir alles Unangenehme fernzuhalten.«

»Wann hätte ich das gesagt?«

»Gelegentlich der festgestellten Felddiebe …«

»Studmann! Wenn ich mich nicht mit diesen kleinen Diebereien abgeben will, so heißt das noch nicht, daß du mir Briefe vorenthalten darfst!«

»Gut«, sagte von Studmann. »Es wird nicht wieder vorkommen.« Er lehnte am Kassenschrank, kühl, ein wenig zurückhaltend, aber doch nicht unverbindlich. »Ich habe mir eben die Kocherei in der Waschküche angesehen. Das scheint zu klappen. Die Backs ist wirklich tüchtig.«

»Wir werden einen schönen Stunk mit diesen Zuchthäuslern erleben! Ich hätte mich nie darauf einlassen sollen! Aber wenn alle auf einen einreden! Zehnmal lieber hätte ich die Berliner Leute genommen! Da hätte ich doch aus meiner Schnitterkaserne keine Kasematte zu machen brauchen. Was das alles gekostet hat! – Und nun auch Frechheiten von diesen Berliner Kerls! Da, lies mal –!«

Und er zog den Brief aus der Tasche, reichte ihn Studmann. Der las ihn unbewegt, gab ihn Prackwitz zurück und sagte: »So etwas war zu erwarten!«

»Das war zu erwarten –?!« schrie der Rittmeister fast. »Du findest das noch selbstverständlich! Siebenhundert Goldmark verlangt der Kerl für die Jammerlappen, die ich nicht mit der Kohlenzange anfassen möchte! Und das findest du selbstverständlich?! Studmann, ich bitte dich …«

»Die Aufrechnung liegt ja dabei: zehn Goldmark Vermittlungsprovision pro Kopf macht sechshundert Mark, sechzig Stunden Zeitversäumnis zu einer Mark, sonstige Kosten vierzig Mark …«

»Aber du hast sie doch gesehen, Studmann, das waren doch keine Arbeiter! Siebenhundert Goldmark für eine Botanisiertrommel mit Säugling – nein, dem Kerl mußt du einen Brief hinfetzen, Studmann!«

»Natürlich, was wünschest du, das ich schreibe?«

»Aber das weißt du doch selber am besten, Studmann!«

»Ich soll die Forderung zurückweisen?«

»Natürlich!«

»Ganz –?«

»Ganz und gar! Nicht einen Pfennig zahle ich dem Kerl!«

»Gemacht«, sagte Studmann.

»Du bist doch einverstanden?« fragte der Rittmeister argwöhnisch.

»Ich einverstanden? Nein, nicht die Spur, Prackwitz. Du verlierst den Prozeß bestimmt!«

»Ich verliere den Prozeß … Aber, Studmann, das waren doch keine Leute, keine Landarbeiter …«

»Einen Augenblick, Prackwitz …«

»Nein, einen Augenblick, Studmann …«

»Also bitte …«

Herr Rittmeister von Prackwitz war seinem Freunde von Studmann doch recht böse, als der ihn am Ende davon überzeugt hatte, man müsse versuchen, zu einem Vergleich zu kommen.

»Das kostet alles ein Geld …«, seufzte er.

»Leider werde ich dich heute noch um mehr Geld bitten müssen …«, sagte Herr von Studmann. Er hatte sich über einen Rechenblock gebeugt und warf eilig Zahlen hin, endlose Zahlen mit sehr vielen Nullen.

»Wieso Geld? Ich habe nichts Nennenswertes da. Die Rechnungen haben Zeit«, sagte der Rittmeister, schon wieder ärgerlich.

»Da du den jungen Pagel entlassen hast«, sagte Herr von Studmann und schien sehr mit seinen Zahlen beschäftigt, »wirst du deine Spielschuld regulieren müssen. Ich habe es eben ausgerechnet: nach dem gestrigen Dollarkurs würden es siebenundneunzig Milliarden zweihundert Millionen Mark sein. Man kann schon sagen: hundert Milliarden.«

»Hundert Milliarden!« rief der Rittmeister atemlos. »Hundert Milliarden! Und du sagst so hin: Prackwitz, ich werde dich um Geld bitten müssen …« Er brach wieder ab, völlig fassungslos. – Dann, in einem ganz andern Ton: »Studmann! Mensch! Alter Gefährte! Ich habe jetzt immer das Gefühl, du bist irgendwie böse mit mir …«

»Ich böse mit dir –? Eben sah es ganz so aus, als seiest du böse mit mir!«

Der Rittmeister überhörte es: »Als machtest du mir absichtlich Schwierigkeiten –!«

»Ich – dir – Schwierigkeiten –?«

»Aber, Studmann, überlege doch einmal ruhig: wo soll ich denn das Geld hernehmen?! Eben erst diese wahnsinnigen Ausgaben für den Umbau der Schnitterkaserne, nun dieser Berliner Kerl mit siebenhundert Goldmark, dem ich deiner Ansicht nach auch was geben soll, und schon wieder Pagel … Ja, lieber Studmann, ich bin doch nicht aus Geld gemacht! Ich kann dir schwören, ich besitze keine Banknotenpresse, ich habe keinen Dukatenkacker irgendwo rumstehen, ich kann kein Geld aus den Rippen schwitzen – und du kommst mit derartig exorbitanten Forderungen –! Ich verstehe dich nicht …«

»Prackwitz!« sagte Studmann eifrig. »Prackwitz, setze dich sofort hier in den Schreibtischsessel. So – du sitzt gut? Schön, warte einen Augenblick. Gleich wirst du etwas sehen –! Ich muß nur mal in Pagels Zimmer nachschauen …«

»Aber was soll das?!« fragte der Rittmeister völlig verwirrt.

Doch war Studmann schon in Pagels Zimmer entschwunden. Der Rittmeister hörte ihn dort rumkramen. Was hat er bloß? dachte er. Jetzt stehe ich aber auf! Ernste geschäftliche Unterredung, und er fängt irgendeinen Quatsch an …

»Nein, bleib sitzen!« rief Studmann herbeieilend. »Jetzt sollst du etwas sehen! – Was ist das –?!«

Ein wenig blöde sagte der Rittmeister: »Ein Rasierspiegel! Vermutlich Pagels. Aber was in aller Welt …«

»Halt, Prackwitz! Wen siehst du in dem Spiegel?«

»Na, mich.« Der Rittmeister sah sich wirklich an. Wie alle Männer strich er mit dem Finger am Kinn entlang und horchte auf das leise Knirschen der Stoppeln. Dann rückte er an seinem Schlips. – »Aber …«

»Und wer ist das, ›mich‹? Wer bist du?«

»Nun sage aber mal, Studmann …«

»Da du es noch immer nicht weißt, Prackwitz, will ich es dir sagen: Der dich aus dem Spiegel anschaut, ist der geschäftsunerfahrenste, kindlichste, geld- und weltfremdeste Mann, der mir in meinem ganzen Leben begegnet ist!«

»Ich muß doch sehr bitten«, sagte der Rittmeister mit gekränkter Würde. »Ich will ja deine Verdienste gewiß nicht unterschätzen, Studmann, aber immerhin habe ich Neulohe auch vor deiner Zeit recht erfolgreich geleitet …«

»Sieh ihn an!« sagte Studmann eifrig. »Um der Sache alles Kränkende zu nehmen (denn wahrhaftig, wenn ich nicht dein wirklicher Freund wäre, Prackwitz, ich würde noch in dieser Stunde mein Bündel schnüren und von hinnen gehen), wollen wir also den bewußten Herrn Herrn Spiegel nennen. Herr Spiegel begibt sich erstens nach Berlin, um Leute zu engagieren. Er gerät in eine Spielhölle. Gegen den Rat seines Freundes spielt er. Er borgt sich, als er ratzekahl ist, von einem jungen Menschen an die zweitausend Goldmark und verspielt die auch. Der junge Mensch wird Herrn Spiegels Angestellter; er ist anständig, er mahnt nicht wegen des Geldes, trotzdem er Geld wahrscheinlich sehr nötig hat, denn seine Zigaretten werden alle Tage schlimmer, Prackwitz. Da setzt Herr Spiegel den jungen Mann raus und beschwert sich darüber, daß er nun zahlen muß.«

»Aber er hat doch über mich gelacht, Studmann! – Studmann! Nimm wenigstens den verdammten Spiegel weg!«

»Herr Spiegel«, fuhr Studmann erbarmungslos fort und folgte mit dem Spiegel dem ausweichenden Kopf des Rittmeisters, »Herr Spiegel engagiert in Berlin Leute, er sagt dem Vermittler ausdrücklich: Ganz egal, wie sie aussehen, ganz egal, was sie gelernt haben! Aber als Herr Spiegel dann die Leute sieht, bekommt er doch einen Schreck, und mit Recht. Statt nun aber einen Vergleich mit dem Vermittler zu suchen, drückt Herr Spiegel sich vor der Auseinandersetzung, flieht vor dem Feind, scheut die offene Feldschlacht …«

»Studmann!«

»… und macht aller Welt, nur sich nicht, Vorwürfe, daß er nun zahlen muß.«

»Ich mache dir doch keine Vorwürfe, Studmann. Ich frage dich nur, woher ich das Geld nehmen soll!«

»Aber das sind Lappalien«, sagte Studmann, den Spiegel niederlegend. »Das Wichtige, das Unangenehme kommt erst.«

»O Gott, Studmann! Nein, bitte jetzt nicht! Du kannst mir glauben, für einen Vormittag ist mein Bedarf an Ärger völlig gedeckt. Außerdem müssen die Leute gleich kommen …«

»Die Leute können uns –«, sagte auch Herr von Studmann energisch. »Kreuzweis! Du mußt jetzt zuhören, Prackwitz. Es hilft nichts, wenn du dich windest, du kannst nicht wie ein blindes Huhn in der Welt herumlaufen.« Studmann ging ans Fenster, er rief: »Ach, bitte, gnädige Frau, können Sie einen Augenblick hereinkommen?«

Frau von Prackwitz sah zweifelnd erst Weio, dann Herrn von Studmann an. »Ist es so wichtig?«

»Meine Frau ist ganz überflüssig«, protestierte der Rittmeister. »Sie versteht überhaupt nichts von Geschäften.«

»Sie versteht mehr davon als du!« flüsterte Studmann zurück. »Ach, Pagel, nehmen Sie sich ein bißchen des gnädigen Fräuleins an. Nett. Also bitte, gnädige Frau!«

Ein wenig widerstrebend, ein wenig zweifelnd ging Frau von Prackwitz auf das Büro. Von der Schwelle sah sie noch einmal zurück auf das Paar.

»Wohin befehlen gnädiges Fräulein?« fragte Pagel.

»Ach, hier so ein bißchen vor den Fenstern auf und ab.«

Frau von Prackwitz trat in das Büro.

Wolf unter Wölfen
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