Aviva Steiner und ihre Entdeckungen

Aviva Steiner, 1930 in Budapest, Ungarn, geboren, hatte ihre jugendlichen, naturverbundenen Eltern im Holocaust verloren. Als junge Frau wanderte sie nach dem damaligen Palästina aus. Dort begann sie eine Karriere als Tänzerin. Sie lernte bei Gertrud Kraus (Wien 1901–1977 Israel), trat im Kibbuz, im Theater, in der Oper in Jerusalem und Tel Aviv auf. Vier Jahre lang tanzte sie klassisches Ballett, sieben Jahre Jazz. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Physiotherapeutin und zur Yogalehrerin. Intensiv befasste sie sich mit Heil- und Krankengymnastik sowie verschiedenen anderen Körpertherapien. Durch ihre Körperschulung stieß sie auf viele Fragen.

Wenn jemand mit den Ohren wackeln kann, warum dann nicht auch innere Muskeln betätigen? Wenn Yogis und Yoginis – Yoga übende Männer und Frauen – ihren Herzschlag und die Funktionen der Eingeweide steuern können, dann könnten Frauen möglicherweise ihre Menstruation und Ovulation beeinflussen.

Neugierig geworden folgte Aviva ihren originellen Gedankengängen, war sie doch selbst daran interessiert, ihre Fruchtbarkeit zu lenken. Sie studierte Anatomie-Atlanten, beschäftigte sich eingehend mit dem Körper der Frau und seinen Möglichkeiten. In den 1960er Jahren rührte sie damals noch weitgehend an Tabus.

Als aufmerksame Beobachterin folgte Aviva allen Körperbewegungen im Alltag und betrieb ihre Körperstudien. Sie beobachtete Dirigenten, sah ihrem Sohn beim Motorradsport zu, folgte ihrem Neffen ins Karatestudio. Auf dem Spielplatz registrierte sie die Bewegungen der Mädchen und Jungen. Im Supermarkt notierte sie aufmerksam, wie unterschiedlich Männer und Frauen sich bewegten.

Eingehend erforschte sie ihren Menstruationszyklus, tauschte sich mit Freundinnen darüber aus. An verschiedenen Einrichtungen in Israel gab sie Unterricht in Gymnastik, Tanz und Yoga. Nachdem sie einige Monate lang in einem Altenheim Bewegungsstunden gegeben hatte, kamen einige ältere Damen zu ihr und berichteten stolz: »Ich blute wieder!«

Was für die alten Frauen Ausdruck wiedergewonnener Jugendfrische war, schockierte Aviva zunächst, dann erkannte sie die Chance. Bot sich hier doch die Möglichkeit herauszufinden, inwieweit Eisprung und Blutung durch Bewegung beeinflusst werden können. Sie selbst hatte sich als Kind über Bewegungsfolgen und Haltungen, unterstützt von ihren sportbegeisterten Eltern und mit Hilfe vegetarischer Nahrung, von einem nicht diagnostizierbaren Fieber geheilt.

Aviva nahm sich Zeit fürs Ausprobieren. Mit ihren Freundinnen besprach sie die individuellen Zyklusabläufe. Sie beobachteten, welche Wirkungen bestimmte Bewegungen auf die Periode hatten. Aus diesem Erfahrungsaustausch entwickelte Aviva Steiner ihr System. Nach zehnjähriger Forschungsarbeit trat sie 1974 an die Öffentlichkeit. Auf einem sexualmedizinischen Kongress in Tel Aviv tauchte die Frage nach natürlicher Empfängnisverhütung auf. Aviva berichtete über ihre Erfahrungen mit Gymnastik und Tanz. Staunend vernahmen die MedizinerInnen, dass Bewegung so hoch komplizierte Vorgänge wie Menstruation und Ovulation beeinflusst. Heute ist allgemein bekannt, dass Hochleistungssportlerinnen oft lange keinen Eisprung haben; dass Magersüchtige, die sich häufig extrem viel bewegen, ihre übermäßige Schlankheit mit dem Aufhören der Periode bezahlen, dass Bodybuilderinnen ihrer Blutung verlustig gehen. Selbst die neuen, meist aus den USA kommenden Leibesübungen wie Aerobics, Stretching und Joggen stören, wenn sie exzessiv betrieben werden, den weiblichen Zyklus.

Aviva Steiner vervollkommnete ihre Übungen im Laufe der Jahre und beobachtete weiter die vielfältigen Formen und Gestalten menschlicher wie tierischer Bewegungen. Sie baute ihr System immer weiter aus. Schließlich veröffentlichte sie die Broschüre »Physical Exercises as a Solution for Menstrual Cycle and Pregnancy – A Series of Exercises which cause the Onset of Menses according to the Desire of Women«: Körperliche Übungen zur Unterstützung des Menstruationszyklus und der Schwangerschaft in einer Reihe von Übungen, die die Menstruation nach dem Wunsch und Willen der Frau regeln.

Aviva meldete ihr System bei der Weltgesundheitsorganisation in Genf sowie beim Internationalen Patentamt an, ließ sich das Copyright beim Nationalrat für Forschung und Entwicklung in Tel Aviv sichern und registrierte ihre Übungen beim Population Crisis Committee in Washington, D. C., USA.

Zunächst waren viele Menschen, besonders Frauen, an Aviva Steiners Programm interessiert. Da lockte die Möglichkeit, Eisprung und Blutung zu bestimmen, Fruchtbarkeit zu fördern, selbstbestimmt in einen Zyklus einzugreifen, der vielen unverständlich, wenn nicht sogar unnötig erscheint. Unverständlich, weil noch immer nicht vollständig geklärt ist, was eigentlich genau abläuft. Gewiss reift ein Ei im Eierstock heran, bereitet sich auf den Eisprung vor, wandert durch den Eileiter, wo es möglicherweise befruchtet wird. In jedem Fall gelangt es vom Eileiter weiter in die Gebärmutter. Falls es nicht befruchtet wurde, werden etwa vierzehn Tage nach dem Eisprung Blut, Schleim und Gewebe mitsamt dem Ei ausgestoßen: die Menstruation. All dies geht einher mit einer Veränderung des Hormonspiegels. Warum das so ist und weshalb es nur bei uns Menschen und bei einigen Primaten (Menschenäffinnen) in dieser Weise vorkommt, darauf hat die Wissenschaft noch keine Antwort. Über die Menstruation gibt es relativ wenige Untersuchungen, kaum dass Blutungsmenge und Zusammensetzung einmal genauer analysiert wurden.

Unnötig erscheint der Zyklus einigen Medizinern und Forschern, die in der allmonatlichen Blutung der Frau zum Beispiel Dekadenz wittern. Würde eine Frau sich ausschließlich von Rohkost ernähren, so bräuchte sie diesen »Reinigungsprozess« nicht, behauptet ein Heilpraktiker. Der Mediziner G. Breuer stellt in der »Naturwissenschaftlichen Rundschau« 10/1981 die Frage: »Ist die Monatsblutung widernatürlich?« In der »Zeit« 26/1985 schreibt der Gynäkologe Fritz Beller: »Ich halte Bestrebungen, die Menstruation total zu verhindern, für sinnvoll, weil ich glaube, dass die monatliche Regelblutung einer der wenigen Irrtümer der Natur ist.«

Von diesen arroganten Haltungen, es besser als die Natur zu wissen, kommt man heute langsam ab.

Avivas Kurse und Seminare waren eine Zeit lang recht gefragt. Bald erlosch das Interesse allerdings wieder – als sich herausstellte, dass die Übungen selbst gemacht werden müssen und nicht nur leicht und angenehm sind, sondern auch Kraft und Energie erfordern, ja Bewegungen wecken, die Frauen in unserer Kultur eher verwehrt sind. Ins Becken zu atmen, lernen Frauen höchstens für Schwangerschaft und Geburt, kräftige Beckenstöße gelten schnell als obszön, und dass bei diesen Tänzen auch noch Lust aufkommen mag, erscheint manchen als unschicklich.

Nach Europa gelangte die Kunde von Frau Steiners Entdeckungen durch die Amerikanerin Kathy Davis, die bei einer Schülerin Avivas gelernt hatte und 1981 auf dem ersten Internationalen Feministischen Frauengesundheitskongress in Genf davon berichtete. Sie hatte am Amsterdamer Frauengesundheitszentrum bereits einige Zeit Aviva Steiners Gymnastik weitergegeben. Bald interessierten sich andere Frauengesundheitszentren dafür. Weite Verbreitung war den Tänzen aus dem Orient allerdings auch hier nicht beschieden.

Als ich damals von dieser Methode hörte, wurde ich neugierig und beschloss, an der Quelle direkt zu lernen. So bin ich zwischen 1980 und 2000 beinahe jedes zweite Jahr für ein, zwei Monate zu Aviva Steiner nach Kfar Saba gefahren. Sie gab mir bereitwillig und mit viel Humor und Engagement ihr Wissen weiter und bildete mich schließlich in ihrer Methode aus. Als sie merkte, dass ich nicht ihre strengen Tanzregeln weitergeben wollte, sondern durch Yoga andere Schwerpunkte setzte, ermunterte sie mich, meine eigene Form zu finden. Heute freut sie sich mit mir am Erfolg des Luna-Yoga, das ich dank ihrer Entdeckungen entwickeln konnte. Dafür bin ich ihr von Herzen dankbar.

Schülerinnen von Avivas Schülerinnen unterrichten heute in Ungarn, Kanada und Frankreich. Lediglich in Israel geben direkt von Aviva Steiner ausgebildete Gymnastiklehrerinnen ihre Methode weiter. Sie selbst hat sich aus der Lehrtätigkeit bereits vor Jahren ganz zurückgezogen.

Luna-Yoga: Der sanfte Weg zu Fruchtbarkeit und Lebenskraft: Der sanfte Weg zu Fruchtbarkeit und Lebenskraft. Tanz- und Tiefenübungen.
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