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Heute versucht sich Simona mal wieder als Amateurpsychologin.

»Die beste Methode, schlimme Gedanken zu verjagen, ist, sich einfach mal selbst etwas Gutes zu tun. Ein neuer Haarschnitt und eine neue Tönung können zwar keine Probleme lösen, aber sie heben die Laune«, hat sie gesagt, als sie mich dabei ertappt hat, wie ich über meine Bücher gebeugt vor mich hin geträumt habe.

»Ich muss lernen! Morgen schreiben wir eine Arbeit!«

»Du siehst nicht aus, als würdest du lernen.«

»Zumindest versuche ich es.«

»Du kommst jetzt mit, danach wirst du dich bei mir bedanken.«

Na toll. Erst zwingt sie einem ihre Entscheidungen auf, und hinterher verlangt sie auch noch, dass man sich dafür bedankt.

»Ich habe keine Lust, andere Leute an meinem Kopf rumhantieren zu lassen.« In dem herrscht sowieso schon genügend Durcheinander.

Trotzdem sitze ich jetzt hier vor dem großen Spiegel, in dem ich mich selbst sehe, außerdem unzählige Haarpflegeprodukte, Poster mit den neuesten Frisuren und meine Mutter, die sich von der Chefin des Salons höchstpersönlich die Kopfhaut massieren lässt.

Ich habe bloß die Auszubildende abbekommen. Sie kämmt mir energisch die nassen Haare durch. »Also, wollen wir schneiden?«

»Nein, danke.«

»Deine Mama hat aber gesagt, du möchtest einen neuen Schnitt.«

»Ach ja? Das ist immer noch mein Kopf. Du kannst höchstens ein bisschen die Spitzen kürzen.«

Sie schnauft. Ihre Kiefer malmen auf höchst ordinäre Weise auf einem Kaugummi herum. »Wie soll ich neue Schnitte lernen, wenn niemand mir etwas zutraut?«

»Das ist keine Frage des Vertrauens, glaub mir. Aber meine Mutter hat mich dazu gezwungen, hierherzukommen. Sie sagt, das hebt die Laune.«

»Damit hat sie aber wirklich recht! Meine verlangt jeden Sonntag von mir, dass ich ihr die Haare lege.«

Mama ist ganz in ihrem Element. Sie hat den Platz neben mir und plaudert ganz freundlich mit der Friseurin über die neuesten Trends.

»Simona, was hältst du von einem asymmetrischen Schnitt, der von einer violetten Tönung akzentuiert wird?«

»Vielleicht ist das nichts mehr in meinem Alter …«

Ach was! Sie möchte sich nur bitten lassen …

»Nein, das wird ja gar keine richtige Tönung, nur so ein Schimmer. Ich denke, das würde dir ganz toll stehen.«

»Na gut, wenn du das sagst. Die Strähnchen kann ich allmählich nicht mehr sehen.«

»Und du, Scarlett? Hast du dir überlegt, was für einen Schnitt du möchtest?«

»Nein, die lässt mich nichts machen. Da ist ihre Mutter eindeutig aufgeschlossener«, murrt die Auszubildende in meinem Rücken leise. Als ob ich sie nicht hören könnte!

Meine Mutter kann gleichzeitig ein Klatschmagazin durchblättern, Anekdoten über ihre früheren Kunden erzählen und sogar mit dem Mädchen, das sich an meinen Haaren zu schaffen macht, ein paar witzige Bemerkungen über mich austauschen.

»Deine Mutter ist nett.«

Ich seufze tief. Darauf antworte ich lieber nicht.

»Einmal hatte ich eine fünfzigjährige Dame bei mir, die ihr übliches Schwarz satthatte: Sie wollte strahlender aussehen, meinte sie. Ich habe ihr zu einem hellen Braunton geraten, aber sie bestand auf Platinblond.«

»Nein! Hast du ihr gesagt, dass sie am nächsten Morgen beim Blick in den Spiegel einen Schock kriegen würde?«

»Sicher. Ich habe ihr auch gesagt, dass ihr Mann sie nicht mehr wiedererkennen würde. Ein paar Stunden später war sie so blond, wie sie es gewünscht hatte, und weißt du, was sie dann ganz frech zu mir gesagt hat? ›Das ist mir zu hell, ich weiß nicht, ob ich mich so auf die Straße traue.‹ Und dann hat sie mich gezwungen, sie hellbraun zu färben, genau, wie ich es ihr vorher vorgeschlagen hatte.«

Sie lachen gemeinsam. Wenn Simona doch bloß auch zu Hause so wäre.

Eine Stunde später habe ich eine so bombenfest sitzende Frisur wie eine Puppe, Kopfschmerzen und eine Mutter mit violetten Haaren.