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Ich habe aus Mamas Schublade ein wenig Make-up geklaut, um mein Gesicht etwas aufzufrischen, doch ich glaube nicht, dass ich damit viel Erfolg hatte. Man sollte niemals heulend einschlafen, wenn man am nächsten Morgen nicht wie eine Paprikaschote aussehen möchte. Als ich in den Spiegel geschaut habe, hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte laut aufgeschrien. Ein rotes, verquollenes Gesicht, Lippen so dick wie Heißluftballons und eine Nase wie ein Clown.

Als ich aufgewacht bin, hielt ich anstelle meines Kissens Marco im Arm. So an mich gekuschelt sah er aus wie ein kleiner Engel, der vom Schlaf überrascht wurde. Mit verstrubbelten Haaren und dem blauen Schlafanzug mit diesem komischen Kaninchen auf der Brust.

Ich habe ein leichtes Frühstück zu mir genommen, während meine Mutter im Hintergrund leise darüber gemotzt hat, dass ich zu wenig esse, wo doch das Frühstück die wichtigste Mahlzeit des Tages sei und der ganze Mist. Als ich aus dem Haus gegangen bin, habe ich mir etwas Kraft von der Herbstsonne geborgt: Kopf hoch, stolzer Blick. Aber je näher ich der Schule kam, desto langsamer wurden meine Schritte, der Mut verließ mich und machte Unsicherheit und Ängsten Platz.

Noch nie hätte ich mich so gern krankgemeldet und den Unterricht versäumt. Es wird schrecklich sein, Genziana und Caterina zu begegnen und ihren vorgefassten Meinungen. Ihr penetrantes Schweigen wird schlimmer als jede Beschimpfung sein.

Doch ich schaffe es mich zu überzeugen, dass zu Hause bleiben noch schlimmer wäre. Das wäre, als würde ich den Kopf in den Sand stecken. Als würde ich mich schuldig bekennen. Dabei habe ich doch nur das Beste für Caterina gewollt. Weil ich gehofft habe, ihr helfen zu können, Umbertos Herz zu erobern. Ich habe mir eingebildet, wenn ich es einrichten könnte, dass sie ein wenig Zeit miteinander verbringen, dann würde sich schon alles einrenken, Umberto würde nicht mehr unter meiner Zurückweisung leiden und Caterina nicht unter Umbertos.

Ich hole tief Luft und ringe mich dazu durch, das Schulgelände zu betreten. Mit großen Schritten überquere ich den Hof und schaue mich um. Ich möchte Umberto aus dem Weg gehen, um die Lage nicht noch schlimmer zu machen. Als ich ihn nicht sehe, atme ich erleichtert auf.

Doch schon von Weitem erkenne ich die dunkle, schlanke Gestalt von Vincent. Er lehnt an der Schultreppe und raucht eine Zigarette. Er wirft den Kopf nach hinten, um die Haarsträhne wegzuschütteln, die ihm bis unters Kinn reicht. Ist ihm denn nicht kalt? Er trägt nur ein zerrissenes T-Shirt zu hellen Hosen, die so eng anliegen wie eine zweite Haut.

Ich wickle mich in mein gefüttertes Sweatshirt und laufe weiter. Ein paar Schritte entfernt stehen ein paar Mädchen, die sich mit den Ellenbogen anstupsen, kreischen und schrill lachen. Sie können es gar nicht glauben, und tatsächlich habe ich auch noch nie gesehen, dass Vincent in aller Seelenruhe vor dem Eingang zur Schule gestanden und sich unter seine Fans gemischt hat. Er scheint auf jemanden zu warten.

Ich könnte schwören, dass er in meine Richtung sieht. Ich erhasche einen Blick auf das Auge, das nicht von seinen Haaren bedeckt ist. Es ist zusammengekniffen, sein Blick scheint finster. Ist er wütend? Das Gesicht wirkt hart, die Kiefer zucken nervös. Brodelnde Lava auf dem Grund eines Vulkans.

Vincent ist wunderschön, aber er strahlt auch etwas Unheimliches aus. Für einen Augenblick schauen wir uns durchdringend an. Hass, Wut, das ist es, was ich in dem dunklen Abgrund seines Blicks erkenne. Ich wende die Augen ab und bereite mich seelisch darauf vor, an ihm vorbeizugehen, um in die Eingangshalle zu gelangen. Ich beschleunige meinen Schritt. Ich will nur noch eins, ich will diesem Blick entkommen, der auf mir lastet.

Vielleicht irre ich mich ja auch.

In letzter Zeit bin ich richtiggehend paranoid geworden … Aber wie sollte ich auch nicht? Vincent kennt mich doch überhaupt nicht, warum ist er so wütend auf mich? Vielleicht wartet er auf seine Freundin und ist sauer, weil sie zu spät ist. Oder vielleicht stinkt es ihm, dass er nicht in Ruhe eine rauchen kann, ohne von kreischenden Gören umringt zu werden. Und doch folgen seine Augen meinen Bewegungen, seine Blicke schneiden in meine Haut wie Rasierklingen.

Jetzt bin ich neben ihm. Entschieden bewege ich mich vorwärts. »Das Feuer ist zu heiß. Gib ihn auf.« Nur ein Flüstern im Wind.

Ein Schauer läuft mir kalt den Rücken hinunter. Ich drehe mich sofort um. »Was?«, frage ich.

Er hat eine Zigarette zwischen den Lippen. Vincent kann nichts gesagt haben. Er rührt sich nicht. Ein leichtes Zucken des Kiefers, während er ausatmet und mir eine Qualmwolke ins Gesicht bläst, die mich verwirrt zurücklässt.

Kein Wort fällt zwischen uns, aber sein Blick verrät seinen ganzen Hass.

Ich nehme immer zwei Stufen auf einmal und verschwinde im Flur. Doch ich kann dieses unangenehme Gefühl, das unter die Haut geht, nicht abschütteln.

»Das Feuer ist zu heiß. Gib ihn auf.« Diese Worte habe ich klar und deutlich gehört. Es klang fast wie eine Drohung. Und doch hat Vincent keinen Ton gesagt.