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Ich renne zur Abstellkammer. Keine Ahnung, wie ich Caterinas quälendes Schweigen und Genzianas verächtliche Blicke bis zur letzten Stunde ertragen habe. Ich ziehe die Tür hinter mir zu und lasse mich auf den Boden fallen. Black kommt zu mir, und ich nehme ihn in den Arm. Er miaut und schaut mich an, als wollte er mich trösten. Ich beginne zu schluchzen, es bricht einfach aus mir heraus. Ich streichle das Fell meines kleinen Freundes, der mir mit seiner rauen Zunge die Finger ableckt.

Auch der Himmel weint, kalte Regentränen. Meine dagegen sind so salzig, dass sie auf der Haut brennen. »Das ist nicht fair …« Meine Stimme klingt gepresst.

Jetzt bräuchte ich dringend jemanden, der mich in den Arm nimmt. Jemanden, der mich versteht, zumindest ein bisschen. Ich habe doch nichts Unrechtes getan … Ich habe Umberto bloß gebeten, sich mit mir zu treffen, um Caterina zu helfen! Sofia muss meinen Zettel gelesen haben, und ich kann mir schon vorstellen, wie sie und Lavinia dann meine Freundinnen aufgehetzt und zu der Bank geführt haben. Wo Umberto und ich … Ich sehe die Szene wie in Zeitlupe vor mir. Der verletzte Ausdruck auf Caterinas Gesicht, die schneidenden Worte von Genziana. Mein Herz krampft sich zusammen. Wenn sie mir bloß die Zeit gelassen hätten, es ihnen zu erklären.

In Caterinas Schluchzen klangen all die zerplatzten Träume mit, die zerschlagenen Hoffnungen, die Enttäuschung und ihr Schmerz. Alles nur meinetwegen.

»Warum ist nur alles so ungerecht?« Ich gebe Black einen Kuss auf das kleine Köpfchen, aber selbst das kann mich nicht trösten.

»Weil die Menschen sehr böse sein können.« Eine Stimme hinter mir. Ich springe auf. So ruckartig, dass Black aus meinen Armen flüchtet. Er springt davon und verschwindet unter einem Regal.

Es ist Mikael. Ich habe ihn gar nicht hereinkommen hören. Er steht nur einen Schritt von mir entfernt.

Ich verliere mich in seinen Augen, und einen Moment lang spüre ich keinen Schmerz mehr.

»Weil die Menschen einander manchmal verletzen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Deshalb sollte man niemals zeigen, wo man verwundbar ist.« Er kommt mit kleinen Schritten näher. »Es wird alles wieder gut«, flüstert er.

Seine Worte sind Balsam für mein verletztes Herz. Seine tiefe Stimme umfängt mich und lindert den Schmerz.

Und dann geschieht etwas, das ich niemals erwartet hätte. Er nimmt mich in die Arme.

Mehr brauche ich nicht.

»Ich sollte eigentlich nicht hier sein …«

Ich atme den Duft seiner Haut ein, und die Wände beginnen, sich zu drehen, bis sie sich ganz auflösen. Mir ist, als würde ich schweben und um mich herum wäre nichts als der graue Himmel. Keine Tränen mehr.

»Komm. Ich bring dich nach Hause.« Ich lasse mich von seiner Hand führen, die er auf meine Schulter legt. Eine sanfte und doch entschiedene Berührung.

Schweigend gehen wir den leeren Flur entlang. Die Wände der Schule lassen wir hinter uns, und schon stehen wir im Hof vor seinem Motorrad. Es ist das schwarze, das ich nach dem Konzert gesehen habe. Also war das wirklich er.

Ich fühle mich vollkommen leer, leblos wie eine Puppe, und bringe kein Wort heraus. Ich könnte mich jetzt nicht wehren. Sorgfältig befestigt er den Sturzhelm unter meinem Kinn und hilft mir auf die Sitzbank. Ich überlasse alles ihm, lasse mich vollständig fallen. Der Motor heult auf, und als das Motorrad losfährt, lege ich die Arme fest um seine Taille und lehne den Kopf gegen seine Schulter, als wollte ich mich vor der übrigen Welt verstecken. Wir brausen an einer Gruppe Schülerinnen vorbei, die mir neidisch nachschauen.

Die Straße gleitet unter den Rädern dahin wie ein schnelles Laufband. Umberto will gerade zu seinem Vater ins Auto steigen. Er starrt mich an. Ein undurchdringlicher Blick. Er hebt den Arm, aber es sieht weniger nach einem Winken als nach einer Aufforderung aus. »Steig sofort von diesem Motorrad runter!«, scheint er mir sagen zu wollen. Ich habe nicht die Kraft, auf sein Zeichen zu antworten. Ich schließe die Augen und versuche, alles zu vergessen.