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Ich spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht, um mir den Schlaf abzuwaschen. Brrr! Heute Morgen bin ich in meinen Kleidern aufgewacht. Sie waren zwar ein wenig zerknautscht, aber egal. Dafür habe ich jetzt keinen Kopf. Ich sollte lieber daran denken, dass ich heute in Geschichte abgefragt werde. Und ich fühle mich nicht gerade gut vorbereitet. Als ich hinuntergehe, sehe ich gerade noch, wie mein Vater türenknallend das Haus verlässt. Ich esse schweigend und weiche den geröteten Augen meiner Mutter aus, die für meinen Bruder Pfannkuchen macht.

Marco erscheint in der Tür.

»Heute Nacht hab ich was Komisches geträumt.« Er hat noch seinen Schlafanzug an und räkelt sich ausgiebig, wie Black nach einer Portion Katzenfutter.

»Was hast du denn geträumt?«, frage ich ihn.

»Da war ein weißes Kaninchen. Es hat mir gesagt, ich soll aufpassen.«

»Und dann?«

»Daran erinnere ich mich nicht mehr. Worauf soll ich aufpassen, Scarlett?«

»Denk nicht mehr daran, das war nur ein böser Traum.«

Einen Augenblick lang sehe ich dieses Wesen mit den roten Augen vor mir, das mich vor ein paar Tagen kurz vor dem Aufwachen heimgesucht hat. Ein Albtraum, der ebenso schrecklich wie real war.

Marco setzt sich hin, und Mama legt ihm die Pfannkuchen auf den Teller. Er trinkt einen Schluck Milch und fängt an zu plappern. Seine Stimme wirkt entspannend auf mich, sie ist so klar und erfrischend wie ein Zitronenbonbon. »Heute lernen wir in der Schule bis hundert zu zählen.«

Ich stehe auf und zerzause ihm die Haare: »Sehr gut, Marcolino.«

»Du sollst mich nicht so nennen!«

Der Himmel ist bleigrau, vielleicht wird es regnen. Ich erreiche die Schule in etwa zehn Minuten. Kaum habe ich den Schulhof betreten, da sehe ich, wie mir Umberto mit finsterem Gesicht entgegenkommt. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, wird mir klar, dass ich ihn seit Tagen nicht gesehen habe.

»Wie geht’s dir? Es ist eine Weile her, dass wir …«

»Wie schön, dass du mein Fehlen bemerkt hast. Es war nichts Schlimmes, nur ein bisschen Halsschmerzen, und meine Eltern wollten, dass ich lieber ein paar Tage zu Hause bleibe.« Er sieht blass aus und hat wohl ein wenig abgenommen. Den Umberto, den ich kenne, entdecke ich erst, als er lächelt und die beiden Grübchen in seinen Wangen erscheinen. Seine Augen strahlen.

Unsere Unterhaltung wird einen Moment lang von Motorengeräusch überdeckt. Zwei schwarze Motorräder. Die beiden Fahrer steigen mit geschmeidigen Bewegungen ab. Zwei stattliche Figuren mit Integralhelmen. Mir fällt auf, dass das dritte Motorrad fehlt, das mit dem schwarzen Panther auf dem Lack.

Der Größere der beiden hebt das Visier und sieht mich durchdringend an. Ein Schauder überläuft mich. Ich wette, dass es Mikael ist, obwohl ich mir auch diesmal nicht sicher sein kann. Aber daran ist nur Umberto schuld, der mich am Arm nimmt und wegzieht.

»Lass uns gehen«, sagt er und verzieht dabei merkwürdig das Gesicht.

»Was ist denn in dich gefahren?« Ich mache widerstrebend ein paar kleine Schritte. Er gibt mir keine Antwort, und als ich mich zu den Motorradfahrern umdrehe, sind sie verschwunden.

Umberto antwortet mir immer noch nicht. Dafür holt er eine weiße Tüte aus der Jacke. »Die sind für dich. Cantucci, die musst du unbedingt probieren.«

»Danke … Das wäre doch nicht nötig gewesen.«

»Aber sicher. Wer sollte sonst dafür sorgen, dass du die regionalen Spezialitäten probierst?«

Ich schenke ihm ein etwas bemühtes Lächeln, während ich mich weiter umsehe, in der Hoffnung, dass Mikael irgendwo auftaucht. Umberto verhält sich wirklich seltsam, ich begreife nicht, was er hat.

In der Eingangshalle der Schule trennen sich unsere Wege. Ich komme mir dumm vor, als ich mich neben dem Kaffeeautomaten verstecke und darauf warte, dass er die Treppe hinaufgeht. Hoffentlich ist Caterina nicht in der Nähe. Warum muss die Liebe immer so kompliziert sein? Warum muss Caterina in Umberto verliebt sein, wenn er, leugnen ist zwecklos, augenscheinlich an mir interessiert ist? Wenn ich doch wenigstens auf ihn stehen würde.

Ich laufe die Stufen hinauf, ziemlich nervös wegen des Abfragens, auf das ich nicht vorbereitet bin, und mit jeder Minute empfinde ich Mikaels Abwesenheit als bedrückender.

Eigentlich bin ich immer ziemlich vernünftig gewesen. Ich habe zwar manchmal instinktiv gehandelt, aber immer nachvollziehbar. Und jetzt? Was ist nur in mich gefahren? Diese Frage stellt sich mir immer öfter. Und ich möchte sie nicht beantworten.