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Ich liebe es, unter Großmutter Eiches Haaren mittagzuessen! Die Luft prickelt, und das Gras duftet. Langsam wird mir die Umgebung vertraut. Ich habe mir kleine Räume erobert, in denen ich mich wohlfühle. Ein neues Zuhause, das ich jeden Tag gemütlicher zu machen versuche. Ich beiße in ein Brötchen mit Schinken und Rucola. Die Schulmensa bietet eine reiche Auswahl, abgesehen von Vorspeisen und Hauptgerichten gibt es noch eine Reihe von schmackhaften schnellen Snacks. Ich verbringe ungern viel Zeit bei Tisch, das langweilt mich. Am liebsten esse ich unterwegs: ein schnelles Brötchen oder ein wenig Obst. Ich genieße die Sonnenstrahlen, die noch den Duft des gerade vergangenen Sommers verströmen. Dieses Sommers der Veränderungen.

Ende der vierten Stunde: Umberto hat seinen Kopf in die Klasse gesteckt und mir ein Zeichen gemacht, dass ich ihn auf dem Flur treffen soll. »Möchtest du mit mir zu dem Konzert gehen?«, hat er mich direkt gefragt. Damit hat er mich kalt erwischt, und ich bin stumm wie ein Fisch geblieben.

»Du kannst ja darüber nachdenken und mir die Antwort in der Pause geben.«

»Okay«, habe ich ganz leise gesagt.

Als er seinen Kalender geöffnet und ein Blatt herausgerissen hat, um mir »für alle Fälle«, das waren seine Worte, seine Handynummer aufzuschreiben, ist etwas herausgefallen. Ein getrockneter Zweig Verbene. »Den hat Cat mir geschenkt, sie meint, er bringt Glück. Hoffen wir mal, dass es stimmt … denn dann wirst du Ja sagen.« Mir hat es die Sprache verschlagen.

»Fräulein Castoldi, haben Sie vor, in absehbarer Zeit wieder in die Klasse zurückzukehren, oder ziehen Sie es vor, wenn wir den Unterricht für alle auf den Flur verlegen?«, hat mich Herr Vanzi mit seiner gewohnten beißenden Ironie abgekanzelt.

»Verzeihung«, habe ich verlegen gesagt. Dann bin ich ins Klassenzimmer geflüchtet, ohne das zerknitterte Blatt mit Umbertos Handynummer mitzunehmen.

Ich beobachte Caterina. Schließlich hat sie es doch nicht mehr ausgehalten und wieder den üblichen Haarreif aufgesetzt, mit dem sie wie ein kleines Mädchen aussieht. In der Pause bin ich Umberto aus dem Weg gegangen und habe mich in die Bibliothek geflüchtet. Dort sehe ich mich um und hoffe, dass er nicht hier auftaucht, denn ich möchte seine Frage lieber unbeantwortet lassen. Dass er diesen Verbenenzweig hatte, das Liebeskraut, kann nur eines bedeuten: Caterina hat ihm den Zweig geschenkt, weil sie in ihn verliebt ist.

»Gestern habe ich beim Hinausgehen Vincent getroffen, und ich muss schon sagen, die Sommerferien sind ihm gut bekommen: Er sieht noch besser aus«, meint Genziana und seufzt tief.

»Vincent?«

»Der Sänger von den Dead Stones«, erklärt Lorenzo gereizt.

»Augen so schwarz wie Kohlen, ein perfekter Körper, und sein linker Arm ist von oben bis unten tätowiert. Was soll ich noch sagen? Er hat ein Piercing an der Augenbraue und eins unter der Unterlippe. Und dieser sinnliche Mund, wenn er singt … Oje, ich sollte besser das Thema wechseln«, meint Genziana, wedelt sich mit der offenen Hand Luft zu und verdreht die Augen schwärmerisch zum Himmel.

»Du hast ihn dir ja offenbar ganz genau angesehen«, sagt Lorenzo.

»Neidisch? Tja, niemand wird je mit einem T-Shirt durch die Gegend laufen, auf das man deinen Namen draufgekritzelt hat. Kann es sein, dass dich das ärgert?«

»Ich finde Vincent ja mit diesen ganzen Tätowierungen und Piercings ein bisschen gruselig«, bemerkt Caterina. »Na ja, jedenfalls hat er eine neue Frisur. Im letzten Jahr waren seine Haare lang, fast bis zum Po. Jetzt hat er einen asymmetrischen Pagenkopf, mit einer langen Strähne, die ein Auge völlig verdeckt.«

»Der sähe mit jeder Frisur gut aus«, fügt Genziana hinzu.

»Aber hast du nicht immer auf blonde Jungs mit blauen Augen gestanden?«, fragt Lorenzo und zieht ein langes Gesicht.

Laura unterbricht die beiden: »Also, mir gefällt ja Mikael besser, der Bassist. Der ist so schön, als wäre er nicht von dieser Welt. Mit diesen hellen Augen wie bei einem sibirischen Wolf.«

»Du meinst Huskies?«

»Ja. Augen wie Eis, ich weiß nicht, wie ich sie sonst beschreiben soll. Über ihn erzählt man sich viele Geschichten«, fügt sie hinzu, um meine Neugierde zu reizen.

Es gelingt ihr. »Was für Geschichten?«

»Er soll bei einem schrecklichen Unfall gerade noch so davongekommen sein. Es heißt, sein Rücken sei mit einem Netz aus Narben überzogen. Deshalb wirst du ihn niemals in der Öffentlichkeit ohne T-Shirt sehen.«

»Ich liebe Narben. Die finde ich schrecklich sexy«, seufzt Genziana.

»Hey, Karottenschopf, ich habe genau hier eine Narbe, sieh mal.« Lorenzo zeigt ihr einen winzigen weißen Strich am Kinn.

Sie sieht ihn mit zusammengekniffenen Augen an und zischt: »Nenn mich nie wieder so. Außerdem verdient dieses kleine Komma da nicht den Namen Narbe. Was hast du gemacht? Etwa mit einer Fliege gewrestlet?«

»Nein, das war ein Ellbogenstoß von einem aus dem Buonarroti-Gymnasium, nachdem ich drei Körbe geworfen hatte. Ich wurde auf einer Bahre rausgetragen!«

»Wenn du es wirklich wissen willst, niemand interessiert sich hier für dich und deine lächerlichen Narben«, sagt Genziana, dann dreht sie sich wieder zu uns: »Vincent und Mikael sind zweifellos die heißesten Typen der ganzen Schule.«

»Für mich sind sie nur zwei Angeber. Ich weiß echt nicht, was ihr alle an denen findet.«

»Du bist doch nur neidisch, Lorenzo! Jedes Mädchen auf der Schule hat schon mal davon geträumt, mit einem von den Lancieri-Cousins zusammen zu sein. Nur dass viele es nie zugeben würden. Du, Cat, hättest gern Vincent, stimmt’s?«

»Er sieht bestimmt gut aus, aber er ist nicht mein Typ«, antwortet sie ausweichend.

»Was habe ich dir gesagt, Scarlett?«

Diesmal prusten wir alle los, und ich halte es buchstäblich nicht mehr aus. Ich kann es kaum abwarten, bis das Konzert beginnt! Trotz der rosafarbenen Jeans und dem ausgeleierten T-Shirt, in dem ich aussehe wie ein Heißluftballon.