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Scarlett, vielleicht solltest du heute lieber nicht in die Schule gehen. Ich möchte nicht, dass du Fieber bekommst.« Ich muss wirklich schlecht aussehen, wenn Simona sich an einem Montagmorgen so verständnisvoll zeigt.

Ich schleppe mich nach oben. Das Bett ist eine bequeme Zuflucht für meinen geschundenen Körper, aber mein Verstand rast mit Überschallgeschwindigkeit durch Erinnerungen, Fantasien und Ängste.

Das Telefon schrillt. Es klingt bedrohlich. Ich habe Angst. Ein paar lange Augenblicke halte ich die Luft an, weil ich mir voller Panik vorstelle, es könnte die Polizei sein. Frau Castoldi, wir haben das Handy Ihrer Tochter am Schauplatz eines Verbrechens gefunden …

Erleichtert seufze ich auf. Es ist nur einer von diesen Werbeanrufen.

Ich versuche zu schlafen, doch das ist völlig unmöglich. Aber ich möchte die Läden nicht schließen, weil ich mich vor der Dunkelheit fürchte.

Minuten werden zu Stunden, und aus einem halbwegs sonnigen Morgen wird ein düsterer Nachmittag.

Dring! Wieder das Telefon.

»Einen Moment, sie liegt im Bett … Ich bringe jetzt das schnurlose Telefon zu ihr … Bitte noch etwas Geduld.« Meine Mutter kommt in mein Zimmer und gibt mir das Telefon. Mit zitternder Hand nehme ich es entgegen. Ich wage nicht zu fragen, wer es ist, aber mein Gesicht muss Bände sprechen.

»Hallo, Scarlett, ich bin’s! Bist du krank?« Genzianas Stimme dröhnt laut wie eine Trompete in meinen Ohren.

»Ach, du bist es …«

»Wer sonst, was hast du denn gedacht?«

»Ach, niemand, das habe ich nur so gesagt … Ich fühle mich nicht besonders toll, aber es ist nichts Schlimmes.«

»In Ordnung, hab schon verstanden. Was tut man nicht alles, um einen Tag Schule zu schwänzen. Ich rufe dich an, weil es Neuigkeiten gibt.« Gespannt warte ich und bin sehr dankbar, dass ich gerade im Bett liege, sonst würden jetzt meine Beine versagen.

»Worauf wartest du noch?«, dränge ich sie.

»Ich wollte dich nur ein wenig auf die Folter spannen … Also, Samstag Nacht sind irgendwelche Typen in die Bibliothek eingebrochen. Die sollen vielleicht gehaust haben, wie die Vandalen! Sie haben jede Menge kaputt gemacht, aber man weiß nichts Genaues. Die gute Nachricht ist, dass heute Italienisch ausfiel, weil es eine außerplanmäßige Lehrerkonferenz gab. Du kannst dir ja vorstellen, wie glücklich wir darüber waren und wie finster der Vanzi geguckt hat! Beinahe hätte er sich mit dem Rektor angelegt. Auf jeden Fall werden bald die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt.«

»Ach was!«

»Doch, die haben Angst, dass die Eltern ihre Kinder von der Schule nehmen könnten. Du weißt doch, wie das ist, erst die schlimme Geschichte mit dem Bibliothekar und jetzt dieses Chaos. Von nun an wird ein privater Sicherheitsdienst das San Carlo rund um die Uhr bewachen. Außerdem soll es überall Überwachungskameras geben! Glaubst du, dass die das dürfen, wo es doch das Gesetz zum Schutz der Privatsphäre gibt?«

»Keine Ahnung! Ich hoffe bloß, dass sie nicht auch noch im Klo Kameras installieren. Das würde mich ziemlich stören …«

»Also, was du gleich wieder denkst!«

»Weiß man denn schon etwas Genaueres über diese Typen, die da randaliert haben?«

»Wie meinst du das?«

»Na ja, hat man Spuren gefunden, Fingerabdrücke?«

»Woher soll ich das wissen? Vergiss nicht, dass es in Siena kein CSI gibt. Wie auch immer, werd schnell wieder gesund!«

Sie legt auf. Und ich bin wieder allein mit meinen Gedanken.