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Um meinen Fauxpas mit den Klamotten beim Konzert wieder wettzumachen, über den man den barmherzigen Mantel des Schweigens werfen sollte, habe ich heute Morgen beschlossen, etwas mehr Sorgfalt als sonst für mein Styling aufzuwenden. Das wäre doch ein guter Start in die Woche. Ich habe ein Paar graue Jeans ausgewählt, stone washed, und mein Lieblings-T-Shirt: zwei weiße Einhörner, die majestätisch dahingaloppieren, mit einer Handvoll Silbernieten auf der Schulter. Das habe ich am letzten Schultag getragen, als Matteo mir seine Liebe gestanden hat.

Matteo … Mir wird erst jetzt klar, dass ich gar nicht mehr an ihn gedacht habe, seit ich Mikaels Augen begegnet bin. Kann es sein, dass der Gedanke an einen vollkommen Fremden mein Leben so komplett mit Beschlag belegt hat? Mit Matteo verband mich eine enge Freundschaft, während ich mit Mikael, wenn überhaupt, nur einen Blick gewechselt habe. Und nicht einmal da bin ich mir sicher. Ich könnte mir das Ganze auch nur eingebildet haben.

Auch heute scheint die Sonne, trotz der frühen Stunde ist die Luft schon angenehm warm. Ich bin früh dran, was vermutlich daran liegt, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben Lust habe, zur Schule zu gehen.

»Willst du einsteigen?«

Das ist Umberto. Einen Moment lang hatte ich gehofft, es wäre …

Er lehnt sich aus dem Fenster einer Limousine. Am Steuer sitzt ein Mann, der ihm sehr ähnlich sieht, wenn man von den mit der Zeit ergrauten Haaren und ein paar Falten rund um die Augen absieht. Das muss sein Vater sein.

»Nein, danke.«

Das Auto fährt allerdings nicht gleich los. Umberto wirkt enttäuscht, er beobachtet mich eindringlich.

»Wir sehen uns in der Schule«, füge ich hinzu.

Er steigt aus und läuft neben mir her. »Scarlett, habe ich irgendetwas falsch gemacht?« Er schaut mich verzweifelt an.

»Nein. Wie solltest du? Du bist immer sehr freundlich zu mir. Ich will mir nur ein wenig die Beine vertreten.«

»Wenn irgendetwas nicht in Ordnung wäre, dann würdest du mir das doch sagen, oder?«

»Sicher.« Wir stehen uns gegenüber. Er neigt sich zu mir vor, ich gehe etwas zurück und weiche seinem forschenden Blick aus. Ein grauer Fiat fährt an uns vorüber, und ich kann gerade noch Caterinas blasses Gesicht hinter dem Fenster erkennen. Ich winke ihr zu, aber da ist sie schon vorbei.

»Wir sehen uns später, Umberto.«

»Dann einen schönen Spaziergang.«

Das Auto fährt los. Einen Moment lang bleibe ich wie gelähmt stehen und schaue etwas verloren drein in meinem T-Shirt mit den weißen Einhörnern, ich mache mir Gedanken über Caterinas angespanntes Gesicht und Umbertos Aufmerksamkeiten.

Als ich in der Schule ankomme, empfangen mich böse Blicke und schmollendes Schweigen. Genziana sieht mich böse an, das strahlende Grün ihrer Augen wirkt wie versteinert. Auch in meinen Augen wird das Grau so hart wie Asphalt, wenn ich traurig oder wütend bin. Nur wenn ich glücklich bin, glänzen sie blau mit perlmuttgrauen Einsprengseln. Caterina spricht kein Wort mit mir, und so fühle ich mich sehr unwohl in meiner Haut.

»Einen wunderschönen guten Morgen.« Herr Vanzi, forsch wie immer in einem seiner untadeligen braunen Anzüge, lächelt hinterhältig.

Er ist zu früh dran, es hat noch nicht geläutet, aber wir setzen uns ohne Widerworte hin.

Innerhalb weniger Sekunden habe ich begriffen, dass sich hinter seinem boshaften Lächeln eine seiner typischen Grausamkeiten verbirgt, für die er bei den Schülern sämtlicher Klassen berüchtigt und gefürchtet ist.

»Stegreifaufgabe. Sie haben zwei Stunden, um eines dieser Themen ausgiebig zu behandeln.« Seine Augen spiegeln unsere angsterfüllten Gesichter wider. Er hat ein nicht gerade ebenmäßiges Gesicht, mit einer Adlernase, und oben wird es von dichten Augenbrauen dominiert, die ihm das wenig ansprechende Äußere eines frechen Fauns verleihen. Er schreibt die Themen an die Tafel. Eines schlimmer als das andere: Aktuelles, Finanzen, Innenanalyse (seine Bezeichnung für psychologische Themen jeder Art). Vielleicht hat mein T-Shirt mit den Einhörnern ja seine glückbringenden Eigenschaften verloren, denke ich und frage mich, mit welchem Thema ich wenigstens noch ein Ausreichend schaffen könnte. Auf der Suche nach ein wenig Trost schaue ich zu Caterina hinüber. Ihr Mund verzieht sich zu einer Grimasse. Sie hat schon mit dem Schreiben angefangen, und ihr Verhalten bewirkt, dass ich mich unsichtbar fühle.