27

Der grüne Grasteppich der Wiese ist mit welken Blättern übersät. Sie knirschen, jedes auf eine andere Art. Wir sitzen im Schneidersitz auf einer Tweeddecke, wie Schiffbrüchige auf einem Floß, verloren in einem bunten Blättermeer.

»Der Herbst macht mich immer melancholisch«, meint Cat seufzend.

»Warum? Ich liebe alle Jahreszeiten. Wenn immer Sommer wäre, würdest du am Ende den blauen Himmel hassen und die Grillen und die schwüle Hitze verfluchen. Der Herbst hat seinen ganz eigenen Charme. Er ist geheimnisvoll, bringt Pilze und Wein und drängt zur Selbstreflexion.« Genziana gestikuliert lebhaft beim Reden. Ihre Armreife klirren, und in ihren roten Haaren kann man die kräftigen Farbtöne der herabgefallenen Blätter erahnen.

»Ich neige tatsächlich zurzeit sehr zur Selbstreflektion.« Meine Stimme muss irgendwie verträumt geklungen haben, denn alle sehen mich an und schütteln einstimmig die Köpfe. »Was ist denn?«, frage ich ungeduldig.

»Ich glaube, daran ist nicht der Herbst schuld, sondern ein gewisser Typ, der dich kürzlich in die Klasse begleitet hat«, unterstellt mir Caterina.

»Der Flurfunk erzählt, ihr hättet mit Versuchsproben und Material aus dem Labor herumgespielt«, fügt Genziana hinzu.

Sie lachen gemeinsam laut los, und ich versuche, die beleidigte Leberwurst zu spielen, aber dann stimme ich mit ein: »Ihr blöden Kühe!«

Caterinas Gesicht wird plötzlich wieder ernst. Sie zupft ihren Rock zurecht und lächelt jemandem zu, der hinter mir steht.

»Hallo, Mädels.« Das ist Umberto. Ich hätte es dem verträumten Ausdruck von unserem Rehauge ansehen müssen.

»Hallo«, antworten wir ihm alle drei wie aus einem Munde.

»Jetzt reicht’s aber mit der Harmonie, was?«, brummt Genziana.

Daraufhin prusten wir wieder gemeinsam los, und Umberto setzt sich zu uns auf unser Floß. Wir plaudern über dies und das. Ich schweige die meiste Zeit und lasse die anderen reden. Wir haben gerade erst Frieden geschlossen, und ich möchte nicht, dass es noch mehr Missverständnisse gibt. Umberto sucht meinen Blick, und nach ein paar höflichen Sätzen erklärt er, warum er uns überfallen hat. »Was haltet ihr davon, das bisschen Sonnenschein zu nutzen, um heute Nachmittag ein wenig durch die Innenstadt zu bummeln?«

»Das wäre wunderbar«, zwitschert Caterina.

Ich bearbeite meine Fingernägel und bleibe stumm.

»Ich werde euch die Stadt zeigen, wie ihr sie noch nie gesehen habt. Und ich zeige euch, wo es das beste Eis von ganz Siena gibt! Ihr werdet es nicht bereuen.«

»Umberto interessiert sich leidenschaftlich für Geschichte, er ist ein wandelndes Lexikon. Das wird bestimmt interessant!«, sagt Caterina, dann wird sie rot und lächelt ihn an.

»Übertreib nicht, Caterina. So klingt das nicht gerade wie ein Kompliment. Eigentlich wollte ich die Gelegenheit nutzen, um etwas einzukaufen. Ich brauche einen neuen Schal.«

»Und seit wann gehen Männer gern shoppen?«

»Also mir macht das großen Spaß.«

Ich möchte ja nicht alles zu sehr auf mich beziehen, aber diese Einladung an uns alle scheint mir ein geschickter Versuch, mich in die Enge zu treiben, nachdem ich mich in letzter Zeit Umberto gegenüber so ablehnend verhalten habe. Zum Glück funkeln Caterinas Augen vor Freude.

»Um drei am Dom?«

»In Ordnung«, sagt Caterina.

»Okay«, nuschelt Genziana.

Ich beschränke mich auf ein Lächeln. Umberto zwinkert mir zu, und dann lässt er uns allein.

»Ich kann es gar nicht abwarten, dass es drei Uhr wird.« So glücklich habe ich Caterina schon lange nicht mehr gesehen.

»Möchtest du wirklich die Stadt besichtigen oder einfach nur ein bisschen Zeit mit deinem ehemaligen Mathe-Nachhilfelehrer verbringen?«, fragt Genziana mit einem hinterlistigen Lächeln und fängt sich prompt einen Ellenbogenstoß ein.

»Was sagst du denn da! Umberto und ich sind nur gute Freunde!«

Ich frage mich, ob Caterina sich selbst auch etwas vormacht. Vielleicht will sie sich nicht eingestehen, dass sie in jemanden verknallt ist, den sie für unerreichbar hält. Darin kenne ich mich aus …

Mitten in der vierten Stunde überrascht Rehauge Genziana und mich mit einem Zettelchen. Darauf steht in runder und bauchiger Kinderschrift: ICH HABE KEINE AHNUNG, WAS ICH ANZIEHEN SOLL, UND ICH BIN SO AUFGEREGT. LIEGT DAS AM HERBST? WOLLT IHR BEI MIR ZU HAUSE EINEN HAPPEN ESSEN? MEINE ELTERN SIND BEI DER ARBEIT, WIR SIND ALSO ALLEIN (ABGESEHEN VON MEINEM BRUDER, ABER DER ZÄHLT NICHT).

Ich drehe mich um. Genziana sieht mich an und hebt die Hände gen Himmel. Caterina ist wirklich hoffnungslos verknallt. Ich hoffe, dass ihr dieser Tag hilft, sie dem Objekt ihrer Begierde näherzubringen. Umberto sieht gut aus, er könnte jede haben, die er will. Er war mit Lavinia zusammen, die zweifellos eines der schönsten Mädchen der ganzen Schule ist. Was findet er bloß an mir? Warum lässt er mich nicht in Ruhe und konzentriert sich auf das Mädchen, das nur Augen für ihn zu haben scheint? Caterina mag ja keine auffallende Schönheit sein, aber sie ist sehr hübsch und hat ein Herz aus Gold.

Wenn man nur bestimmen könnte, wen man lieben möchte! Dann würde ich nicht die ganze Zeit vor mich hin grübeln … Und so denke ich also zur Abwechslung mal wieder an Mikael. Ich würde mir Siena lieber mit ihm ansehen.