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Ciao, Ma’, wir sehen uns heute Abend. Wir müssen ein Referat vorbereiten, und dann machen wir noch einen kurzen Stadtbummel. Ja. Mit Genziana und Caterina. Nein, es wird nicht zu spät.« Ich rufe aus dem winzigen Flur in Caterinas Wohnung zu Hause an, und wie üblich quetscht meine Mutter mich aus. Deshalb habe ich gelernt, immer nur die halbe Wahrheit zu erzählen.

Ich mag mir gar nicht erst die Diskussionen vorstellen, wenn sie wüsste, was wir wirklich vorhaben. »Wer ist dieser Junge, mit dem ihr euch trefft? Warum um alles in der Welt will er drei jüngere Mädchen in der Stadt herumführen? Hat er nicht vielleicht irgendwelche Hintergedanken? Wo wollt ihr hingehen? Er wird euch doch nicht alle in sein Auto laden, oder?«

Sie regt sich immer auf, wenn es um Jungs geht. Vielleicht liegt es daran, dass ich damals nicht geplant war, ich wurde geboren, als sie und mein Vater selbst noch halbe Kinder waren. »Für manche Dinge solltest du dir Zeit lassen, Scarle-tt. Denn wenn man erst mal Mutter ist, begräbt man die eigenen Träume in der hintersten Schublade.« Das waren ihre Worte, bevor sie dann doch ihren Traum verwirklicht und in Cremona einen Friseursalon eröffnet hat. Ob sie mir heute wohl immer noch das Gleiche sagen würde?

»Okay, dann also bis später. Nein, du brauchst mich nicht mit dem Auto abzuholen.«

Eine Tür geht auf, und im Flur erscheint ein verschlafen wirkender Typ mit verstrubbelten Haaren und nacktem Oberkörper in Boxershorts. Ich wende den Blick ab und verabschiede mich von meiner Mutter mit einem gestotterten »Ciao«.

Wenn sie das gesehen hätte, würde sie mich auf der Stelle abholen!

Ich schlüpfe in die Küche und werde dort von Genzianas fröhlichem Geschnatter empfangen. Sie hat sich die Alleinherrschaft über den Herd gesichert und macht Nudeln mit Zucchini und geschmolzenem Käse. Eine ihrer Spezialitäten.

»Wenn du wenigstens etwas Majoran hättest. Kann es sein, dass es in diesem Haushalt an der Grundausstattung mangelt?«

»Nudeln gehören zur Grundausstattung, Majoran nicht«, verteidigt sich Caterina.

»Caterina, ich will dich ja nicht beunruhigen, aber im Flur läuft ein Typ in Boxershorts herum«, sage ich schüchtern.

»Boxershorts? Wo? Sieht er wenigstens gut aus?«, erkundigt sich Genziana sofort.

»Ich finde schon«, sage ich und erröte.

»Unglaublich! Tommaso ist vor halb drei nachmittags wach geworden? Was für eine Ehre! Macht euch keine Sorgen, das ist nur mein älterer Bruder … Der beißt nicht.«

»Wir sind seit über zwei Jahren befreundet, und du hast mir nie deinen Bruder vorgestellt? Du bist mir ja eine schöne Freundin!« Genziana tut so, als sei sie wütend, während sie die Zucchini mit etwas Knoblauch und Olivenöl in eine Pfanne gibt.

»Hände weg von meinem Bruder!«

»Da bin ich, Mädels. Zu eurer Verfügung.« Tommaso erscheint in der Tür. Jetzt wirken seine Augen wach und lebhaft, aber er trägt immer noch nur Boxershorts.

»Tommaso! Zieh dir sofort etwas an!«, schreit Caterina und schiebt ihn zurück in den Flur. Wir hören, wie die beiden heftig miteinander diskutieren. »Du stehst doch sonst nie um diese Zeit auf, und heute spielst du den Gockel, weil meine Freundinnen da sind!«

»Wenn ihr solchen Lärm macht!«

»Nicht übel«, sagt Genziana. »Schön von vorn und die Rückseite ist noch besser.«

»Du änderst dich nie.«

Fünf Minuten später kommt Tommaso zurück, gefolgt von seiner Schwester. Er ist immer noch barfuß, aber wenigstens trägt er jetzt ein Paar Hüftjeans und ein weißes T-Shirt. Er hat genau die gleichen ausdrucksvollen haselnussbraunen Augen wie Caterina. Aber seine Gesichtszüge sind markanter, und er hat ein verführerisches Lächeln im Gesicht. Er scheint sich seiner Wirkung auf Mädchen genau bewusst zu sein.

Genzianas Nudeln sind nicht übel! Wir lecken buchstäblich die Teller ab. Über Späßen und einem lustigen Schlagabtausch zwischen den Geschwistern vergeht die Zeit, und wir merken, dass wir uns fertig machen müssen. Oder besser: Genziana und ich sind schon fertig, aber wir müssen Cat noch stylen.

Meine Aufgabe ist es, sie mit den wenigen Schminksachen, die sie besitzt, besser zur Geltung zu bringen: rosa Lipgloss und silberner Lidschatten.

Genziana hat sich inzwischen am Kleiderschrank zu schaffen gemacht: »Kann es sein, dass du nur graue oder braune T-Shirts hast? Und dann all diese Strickjäckchen! Nicht mal meine Oma hat so viele!«

»Ich liebe Strickjacken! Und ich gehe ja schließlich nicht zu einem Date!«

»Das wissen wir. Aber denk dran, dass du uns um unsere Hilfe gebeten hast. Jetzt sei still und vertrau mir einfach!«

Ein cremefarbener Rock mit schwarzen und rosa Blümchen, ein rosa T-Shirt mit U-Boot-Ausschnitt. Genziana erhebt sich triumphierend.

»Bist du sicher, dass ich nicht wie eine alte Tante aussehe?«

»Todsicher. Scarlett, würdest du uns Kaffee kochen, während ich sie zwinge, sich umzuziehen?«

»Sehr gern. Vermutlich ist es besser, wenn es keine Zeugen gibt, für den Fall, dass du zu härteren Maßnahmen greifen musst.«

»Uff, da muss ich mir doch die Beine enthaaren, und dazu habe ich keine Lust! Kann ich nicht die Jeans anbehalten?«, höre ich Caterina lamentieren. Ich suche nach dem Espressokocher, aber ich finde nichts.

»Drüben in der Spüle, und der Kaffee ist in dem Schränkchen dort rechts.« Tommasos Stimme lässt mich erschrocken zusammenfahren.

»Meine Schwester hat mir nie erzählt, dass sie so hübsche Mitschülerinnen hat.«

»Danke«, stottere ich und versuche vergeblich, den Espressokocher aufzuschrauben. Er ist zu fest geschlossen, und Tommasos Blick, der schwer auf mir ruht, ist nicht gerade hilfreich.

»Überlass das mir. Dieser Espressokocher ist schrecklich. Caterina hat es auch noch nie geschafft.« Er stellt sich hinter mich und umfängt mich mit seinen Armen. Er legt seine Hände auf meine und übt Druck auf den Espressokocher aus, der sich nun widerstandslos aufdrehen lässt. Ich werde feuerrot, und sobald er den Griff lockert, entferne ich mich mit gesenkten Lidern. Was ist denn das bloß? Seit ich nach Siena gezogen bin, scheinen mich auf einmal alle Jungs zu beachten. Und trotzdem komme ich mir immer noch genauso unscheinbar vor wie sonst. Ich habe noch die gleichen aschblonden Haare mit den gespaltenen Spitzen, die grauen Augen und das Durchschnittsgesicht, das zu normal wirkt, um Aufmerksamkeit zu wecken. Der Leberfleck über der Oberlippe ist meine einzige Besonderheit.

Was hat sich denn verändert? Ich zünde die Gasflamme an und werfe einen Blick auf Tommaso, der mich vom Tisch aus mit einem anzüglichen Lächeln betrachtet, mit dem er ganz anders aussieht als seine Schwester.

»Danke für die Hilfe«, sage ich zu ihm.