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Heute Nacht scheint kein Mond. Der Himmel ist wie ein schwarzes Bettlaken ohne Fixpunkte für uns Schiffbrüchige des Schlafes. Ich sitze am Schreibtisch und versuche vergeblich, den Worten im Geschichtsbuch zu folgen. Morgen wird abgefragt, aber ich kann einfach nicht lernen. Meine Hand gleitet über das Papier, und mein Stift zeichnet immer und immer wieder die Umrisse eines Gesichts, das mir so vertraut geworden ist. Mikael.

Von vorn, von der Seite und im Dreiviertelprofil, seine Augen en détail und die langen spinnennetzartigen Wimpern. Eine bittersüße Obsession.

Wir haben uns schon seit Tagen nicht mehr in der Abstellkammer getroffen. Ich habe mir angewöhnt, nach dem Unterricht dort vorbeizuschauen, um Black, der immer anhänglicher (und hungriger) wird, ein wenig Gesellschaft zu leisten. Ich habe ihm eine Schachtel Trockenfutter gekauft, das er über alles liebt. Den Karton habe ich gut sichtbar auf eines der eingestaubten Regale gestellt, und ich habe ihn auf ganz besondere Weise zusammengefaltet. Das ist eine Falle: Sollte Mikael ihn aufmachen, würde ich das merken. Er fehlt mir.

Ich vermisse seine Haare mit den goldenen Strähnchen, den intensiven Blick seiner Eisaugen und die Art, wie er seine Hände beim Reden bewegt. Ich würde gern die Traurigkeit vertreiben, die ich aus seiner Stimme heraushöre. Ich würde ihm gern ein Lächeln schenken, um noch einmal seine Zähne zu sehen, die sich schimmernd wie Perlen hinter diesen vollen, sinnlichen Lippen verbergen.

Alles an ihm vermisse ich. Und ich begreife nicht, warum er nicht mehr vorbeikommt, um nach Black zu sehen. Er schien doch so sehr an ihm zu hängen. Und er kann schließlich nicht davon ausgehen, dass ich mich um ihn kümmere. Das Kätzchen ist noch so klein, es braucht einfach jemanden, der für es sorgt.

Ich habe irgendwo gelesen, es gibt einen Trick, um Jungtiere zu beruhigen: Man muss nur ein Stück Stoff zurücklassen, das den Geruch des eigenen Körpers aufgenommen hat. Deshalb habe ich ihm irgendwann meinen lila Schal dagelassen. Ich glaube, er mochte ihn, aber jetzt ist der Schal verschwunden. Wo er ihn wohl versteckt hat?

Plötzlich überfällt mich eine bleierne Müdigkeit. Ich habe nicht einmal die Kraft, mich auszuziehen, daher lege ich mich so wie ich bin unter das Laken und hoffe, Mikael wenigstens in meinen Träumen zu begegnen.