Schweren Herzens greife ich zum Keyboard und zur voll integrierten datenverarbeitenden Multitasking-Textverarbeitung, um diese Wörter zu schreiben. Keine postfestale Tristesse bekümmert mich und auch keine Magenverstimmung, herbeigeführt von einer ätzenden Mischung aus Preiselbeeren, Taylor’s 1966 und Birds of a Feather auf BBC 1. Ich weiß verdammt genau, was es bedeuten soll, daß ich so traurig bin, wie Heine gesagt hätte (übrigens ein Dichter, mit dem ich mütterlicherseits verwandt bin).
Ich weine, weil dies auf lange Zeit die letzte Kolumne sein wird, die ich für den ›Telegraph‹ schreibe. Das ganze Warum-denn-bloß und Was-zum-Teufel brauche ich Ihnen kaum aufzubürden. Es reicht wohl, wenn ich sage, daß meine Arbeit mich ein paar Monate aus dem Verkehr zieht; möglicherweise – bevor Sie auf Ihre Stühle steigen und einen Jubelanfall bekommen, der das Firmament erbeben macht –, möglicherweise kehre ich zurück, eh’ noch die Knospe verblüht am Zweig. Es mag sein, daß ich wie Psmith wiederkehre, wenn auf den Wiesen weiß das Gänseblümchen steht. Ihr Frohlocken könnte verfrüht sein.
Es war eine aufschlußreiche Erfahrung, zwei Jahre lang wöchentlich 800 Worte für diese Zeitung auszudünsten. Angenommen, ich hätte von 1986 bis 1988 kolumnisiert. Welche großen Ereignisse ließen damals die Erde erbeben? Der eine oder andere Konzern wurde privatisiert, der eine oder andere Minister trat zurück, das eine oder andere königliche Baby wurde geboren.
Aber von 89 bis 91 … da schwankten doch die Zwillingssäulen der Welt. Gorbatschow und Thatcher schwanden dahin, wir führten Krieg gegen den Irak, die Geiseln kehrten zurück, die politische Landkarte Europas änderte sich mehr und schneller, als sie es seit Hitler getan hatte, Maxwell starb und entpuppte sich als das, wofür ›Private Eye‹ ihn schon immer gehalten hatte, John Major entstieg dem azurnen Mainstream, und die Labour Party wurde selbst in den Augen ihrer Feinde plötzlich wählbar.[1]
Jeder hält sein eigenes Zeitalter für das der wahren Veränderungen. Ich habe immer gespürt, daß die Welt zu meinen Lebzeiten ihre tiefgreifendsten Mutationen durchgemacht hat … daß ich eine Spur zu spät geboren wurde, um die Dinge noch so zu erleben, wie sie seit unvordenklichen Zeiten gewesen waren. In meiner Schulzeit wurde Präfekten untersagt, die Prügelstrafe anzuwenden; in meiner Studienzeit wurden an meinem College – nach sechshundert Jahren – Frauen zugelassen; in meiner Fahrschulzeit wurde das Anschnallen Pflicht; in meiner Zeit bei der BBC mußte diese plötzlich modern werden und sich dem Wettbewerb stellen. Für sich genommen ist keine dieser Reformen bedeutsam, großenteils sind sie sogar erhebliche Verbesserungen. Ich glaube nicht einmal, daß dieser Eindruck, Wandlungen zu erleben, bei mir größer ist als bei Schriftstellern anderer Epochen.
Dennoch kann niemand bestreiten, daß die globalen Verrenkungen der letzten beiden Jahre klappeverschlagend, schnauzeversohlend und visageverdreschend waren.
Wie kann ich mir also im Spiegel noch in die Augen schauen, wenn ich auf meine Schriften dieses Zeitraums zurückblicke und sehen muß, daß ich, während um mich herum Mauern zum Einsturz kamen und Weltreiche verfielen, es nicht geschafft habe, auch nur ein einziges der riesigen Ereignisse dieser Zeit vorherzusagen? Ich glaube nicht, daß ich für meinen geopolitischen Scharfblick und meine tiefschürfenden Einsichten angestellt wurde, aber es ist doch betrüblich, wenn ich bedenke, daß ich nicht mal den Grips hatte zu erkennen, daß Gorbatschow lediglich eine zum Scheitern verurteilte Kerenskij-Figur im Umschwung war und daß Saddam immer noch an der Macht sein würde, anderthalb Jahre nachdem die volle Macht des Westens ausgesandt worden war, um ihm auf dem Schlachtfeld gegenüberzutreten.
Welche Ereignisse erwarte ich also in den nächsten Jahren? Werden Chinas verruchte Führer endlich abserviert? Wird Jelzin ermordet und Südafrika in Flammen aufgehen?
Das einzig Vorhersagbare auf dieser Welt ist, daß nichts vorhersagbar ist. Egal, in welchem Abstand und wie tief die Seismographen gesetzt werden, und egal, wie sensibel sie sind, Erdbeben werden die Geologen weiterhin überraschen. Egal, wie viele Auslandskorrespondenten wir hinausschicken, egal, wie weit sie von einem Faxgerät entfernt sind, noch immer erstaunt uns jede politische Umwälzung.
Also lebe wohl, Leser, und lebe wohl, 1991. Ich war einfach überwältigt von der Unterstützung und dem Interesse, das viele Hunderte von Ihnen mir mit ihren Briefen im Laufe der letzten beiden Jahre erwiesen haben. Wenn ich nicht immer mit der Sorgfalt und Konzentration antworten konnte, die Ihre Mitteilungen verdienten, möchte ich mich an dieser Stelle entschuldigen und die üblichen Gründe dafür vorbringen. Auf das Risiko hin, als Sykophant zu erscheinen: Ich bin letztlich zu der Einsicht gelangt, daß die Leser dieser Zeitung breiter gestreut, besser informiert, weiser und toleranter, witziger und weniger konservativ sind, als ihr Ruf erwarten läßt.
Ich danke Ihnen allen vielmals für Ihre Geduld mit mir.
Ertönt, ihr wilden Glocken, zum wilden Himmel hinauf … läutet das Alte aus, läutet das Neue ein. Valete.