Als ich am Wochenende mit Brettern und Beitel zugange war und mich an die Grundelemente gymnasialen Werkunterrichts zu erinnern versuchte, kam ein Freund vorbei und fragte, was um Gottes willen denn in mich gefahren sei. »Ich hab’ eine Stereoanlage und kann sie nirgends hinstellen«, sagte ich, »und es gibt Zeiten, da braucht man einfach einen Ständer.«

Und wie recht ich doch hatte. Die Menschheit steht einer psychischen Krise gegenüber, die offenbar weitgehend unbemerkt geblieben ist: einer Krise, die ins Herz unseres Seins und unserer Beziehungen zu unseren Seelen zielt.

Als ich klein war, also wirklich sehr klein, grotesk jung, winzig im Grunde, pflegten meine mich abgöttisch liebenden Eltern Photos von mir zu machen. Des Sommers schlüpfte ich in der überschwenglichen Schlichtheit meiner Kindertage wie ein Lachs aus meinen Kleidchen und tollte splitterfasernackt über den Rasen. In meiner vertrauensvollen Unschuld winkte ich in die Kamera, schlug Purzelbäume und erfreute mich der frischen, unverdorbenen Herrlichkeit des Lebens. Wie alle wirklichen Meisterverbrecher warteten meine Eltern danach einfach ab. Die Jahre verstrichen, und ich kam in jenes schlaksige, schlurfende, schamerfüllte Alter, das ich jetzt täglich hinter mir zu lassen hoffe. Ich brachte Freunde zur näheren Begutachtung mit nach Hause, wir tranken Wein und unterhielten uns nonchalant über den Neoplastizismus und die Nationaleigenschaften der Deutschen mit jener Mischung aus gutunterrichteter Toleranz und bescheidenem Scharfsinn, im Vergleich zu der Sokrates wie John Selwyn Gummer geklungen hätte. Gerade wenn sich abzuzeichnen begann, daß ich eindeutig der faszinierendste und abgeklärteste Mensch meines Alters und Gewichts weit und breit war, füllte sich die Luft plötzlich mit Bildern, deren obszöne Deutlichkeit und intime Einzelheiten selbst den verhärtetsten Kinderpornographen an der Tischplatte hätten nach Halt suchen lassen. Wenn Sie die Großaufnahme eines nackten Kindes sehen, das gerade einen Purzelbaum rückwärts macht, dann wissen Sie, warum Kleidung erfunden wurde.

Während Freunde mit glasigem Blick auf Photos von mir und dem merkwürdigen kleinen Pflänzchen starrten, das in jenen Tagen als mein Zeugungsorgan durchgegangen war, versuchte ich zu erklären, das Kind auf diesen von ihnen gründlich studierten Bildern sei nicht ich. Das entsprach sowohl biologisch als auch psychologisch der Wahrheit. Jede einzelne Zelle meines Körpers war seither ersetzt worden. Als Modell dieses bedeutsamen Phänomens fällt einem P. G. Wodehouse’ Schreibmaschine ein. Er kaufte seine Royal noch vor Ausbruch des 1. Weltkriegs und benutzte sie bis zu seinem Tode. Aber inzwischen war jedes einzelne Teil erneuert worden: das Chassis, die Walze, die Laufrolle, die Tastatur – alles. War es noch dieselbe Schreibmaschine? Bin ich noch derselbe Mensch? Die Axt des Philosophen ist schärfer als Ockhams Rasiermesser.

Zumindest blieb mir die nächste Dimension der Demütigung erspart, die jene erlitten, deren Eltern Filmkameras benutzten, und die heute mit ihren Videokameras auf alles draufhalten, was den Kopf aus der Deckung streckt. Die BBC hat entschieden, die »Dachbodenarchive«, wie sie die Aufzeichnungen solcher Verbrechen nennt, seien sendefähiges Material. Abgesehen von dem ästhetischen Greuel, die ektachromgesättigte Blau- und Grünstichigkeit durchstehen und die billige Melancholie von Sonne und Lächeln erfahren zu müssen, die längst vermodertes Fleisch einst erhellten, mache ich mir Sorgen wegen des psychischen Durcheinanders, das die Photographie anrichtet. Jahrtausendelang bestand des Menschen einzige Möglichkeit zur Selbstbetrachtung darin, sich vor irgendeine Art Glasscheibe zu stellen. Das hatte den Vorteil, gewissermaßen live zu sein. Stellen Sie sich vor einen Spiegel und heben Sie die rechte Hand. Ihr Spiegelbild wird dasselbe tun (natürlich immer nur, solange Sie nicht Groucho Marx sind). Wir sind die Herren unserer Körper, wir haben sie unter Kontrolle. Der Herausblickende ist derselbe wie der Hineinblickende. Aber seit der Schmalfilmkamera ist uns diese Unabhängigkeit genommen worden. Das ist einer der vielen Gründe, warum wir uns so ungern im Fernsehen beobachten. Man sieht sich selbst mit einem schrägen Gesichtsausdruck, aber sosehr man auch möchte, man kann ihn nicht ändern. Dies ist per definitionem nur für jene ein Problem, die in das Zeitalter der Handkameras hineingeboren wurden. Das Subjekt auf dem Bildschirm ist nicht das des Betrachters. Man ist dezentriert worden. Man verfügt auf einmal über ein anderes Ich, das sich bewegen, denken, sprechen und andere rühren kann, über das man selbst jedoch keine Kontrolle hat. Das ist ein tief empfundener Alptraum und erklärt zu einem gut Teil die neurotischen Identitätskrisen, die unser Jahrhundert charakterisieren.

Für einige wenige Männer und Frauen, die – in Anthony Burgess’ hübscher Formulierung – »unabsichtlich mit irrelevanter Photogenität begabt« sind, zahlt sich das aus, da sie eine Karriere daraus machen können, auf Bildschirmen gesehen zu werden. Sie verstehen sich darauf und werden für den himmelschreienden Wahnsinn, zu dem dieser Prozeß unweigerlich führt, anständig bezahlt. Aber die ganze Menschheit zu ermuntern, das Atom des Ichs zu teilen, ist einfach tollkühn. Außerdem bin ich als Mitglied der Schauspielergewerkschaft keineswegs sicher, ob mir der Gedanke behagt, jeder könnte plötzlich mitmachen wollen.