Trefusis und Rosina

 

Worin sich Donald Trefusis und Rosina, Lady Madding, an eine Liebesnacht erinnern, zu der es nie kam.

 

Zunächst Donald Trefusis:

 

Wollte man von mir wissen, welcher Abend mir am unvergeßlichsten in Erinnerung ist, so wäre es jener Juniabend, an dem ich, gerade aus Cambridge angekommen, Jaquinda Marriotts außergewöhnlichen Salon am Kerdiston Square aufsuchte.

Jaquinda, die über die faszinierendsten Ohren Europas verfügte, hatte etwas Geheimnisvolles. Verheiratet mit Archie Marriott, dem Sportler und Schattenkanzler der Universität Oxford, stammte sie angeblich in indirekter Linie vom ungarischen Königshaus ab, obwohl die meisten von uns annahmen, sie komme aus viel einfacheren Verhältnissen. Fest steht jedenfalls, daß die Geburtsurkunde einer gewissen Mabel Blifford 1924, nur sechs Monate bevor Jaquinda auf der Bildfläche erschien, bei einer Feuersbrunst vernichtet wurde. Aber wie es um ihre Herkunft auch bestellt sein mochte, es gab keinen Zweifel an der Vollkommenheit ihrer Ohren und der Pracht ihres Salons. Sie holte talentierte Menschen zu sich, wie andere Leute Kinder von der Schule abholen – täglich. Pianisten, Maler, Lyriker, Staatsmänner, Romanciers, Prinzessinnen, selbst Oboisten scharten sich unter diesen liebreizenden, herabhängenden Ohrläppchen, ließen sich zu ihren Levees einberufen, um Konversation zu machen, zu spielen und zu rauchen.

Jene Soiree, die mir vorschwebt, war die zweite der Saison, und wegen eines Streits mit einem Droschkenführer kam ich mit Verspätung. Er hatte die Verdienste von Baron Corvo als Romancier über die des Capt. W. E. Johns gestellt, und das konnte ich unmöglich auf sich beruhen lassen. Als ich mich endlich losreißen konnte, war die Party schon in vollem Gange. Ivor Novello und Cecil Beaton standen, in sattgelben Crêpe de Chine gehüllt, im Foyer und rezitierten Passagen aus dem Raritätenladen auf dänisch, seinerzeit eine beliebte Zerstreuung der jungen Dandys. Minty Havercuck, die junge Braut des Duke of Montreech, in einem umwerfenden Rüschenkleid aus Berliner Seide, unterhielt sich angeregt mit Malcolm Lowry und T. C. Worsley, dessen Tanzen in seiner Hitze und Raserei als kinetisches Symbol unseres verrückten Jahrzehnts erschien, wie es in perfektem Fünfachteltakt kopfüber der Zerstörung zustrebte.

All diese Bilder jedoch verschwammen für mich im Hintergrund, als ich ein junges Mädchen erblickte, das ich vier Jahre lang nicht gesehen hatte. Rosina Bantwigg, der jüngere und mit Abstand zweitschönste der gefeierten Bantwigg-Zwillinge. Die Hände im Rücken verschränkt und den Kopf vornübergeneigt wie der eines wißbegierigen Bibliothekars, stand sie da und hörte John Gielgud zu, der Sacheverell Sitwell die Kunst der Pointe beibrachte. Alles andere um mich herum vergessend, die Ragtimemusik, die matten Versuche des Premierministers, Vesta Victoria nachzuahmen, Unity Mitfords Schnauzer, Kardinal Hallorans Badehose, starrte ich gierig dieses bezaubernde Wesen an. Sie drehte sich kurz um und sah mich. Ein strahlendes Lächeln überzog ihr Gesicht, als sie auf mich zukam. »Ach Donald«, sagte sie, »das ist ja einfach wunderbar.« Die Stimme, das Bild, das Lächeln fixierten sich in meinem Gedächtnis wie Sterne am Himmel. Sie leiten mich durchs Leben, sie sind mein einziger Fixpunkt, das Vorbild, dem alles andere in meinem Universum zustrebt. In jenem Augenblick warf ich ziemlich unbedacht den Kopf zurück, schloß die Augen und kotzte sie voll. Die Hitze, das Talkum, der Hanf, ich weiß nicht, woran es lag. Ohne mich umzusehen, rannte ich aus dem Zimmer und aus ihrem Leben. Da hat sie dann natürlich Tom Madding geheiratet. Hab’ sie nie wiedergesehen.

 

Rosina, Lady Madding, erinnert sich an denselben Abend:

 

Wegen meiner Verbindungen zur Familie der Kirkmichaels – meine Großmutter, die Marquise von Gloweravon, war eine geborene Lady Vyella Kirkmichael – war es mir von früher Jugend an vergönnt gewesen, einen Blick auf die englische Empfangs- und Landhausgesellschaft zu erhaschen, bevor der Zweite Weltkrieg eine dicke Verdunklungsblende über jene Epoche zog und ihr Strahlen für immer auslöschte. Es war dieser privilegierte Zugang, der meine bereits ausgeprägten Gefühle eines jugendlichen kryptosyndikalistischen, anarcho-marxistischen und neobuddhistischen Presbyterianismus noch verstärkte. Sosehr ich in den dreißiger Jahren ein junger Hund von beißendem Zynismus gewesen bin, auch ich, trotz meiner revolutionären Zurückweisung all dessen, wofür meine Familie stand, kam nicht umhin, der Schönheit, dem Charme und Glanz, diesen Überbleibseln jenes goldenen Sommers des noch jungen Jahrhunderts unter King Edward zu erliegen, dessen Leuchtkraft und Wärme nur um so stärker durch die trübe Düsternis eines niedergedrückten Jahrzehnts schienen.

Meine Lieblingspartys waren selbstverständlich die, welche Jaquinda Marriott in ihrem Londoner Domizil veranstaltete, ich glaube, am Kerdiston Square. Sie nannte sie Salons, aber das waren sie gar nicht. Die Haartrockner fehlten.

Ich erinnere mich an einen solchen Abend im Mai oder Juni 1932. Alle hatten als Paradox verkleidet zu erscheinen. Bertie Russell kam als jener Satz eines Systems, der innerhalb dieses Systems nicht verifiziert werden kann; ich kam als Achill, mit meiner Schwester Castella als Schildkröte. G. K. Chesterton tat mir leid, der als Antwort auf die Frage »Ist dies eine Frage?« gekommen war und dafür den ganzen Abend ignoriert wurde. Es war eine herrliche Sommernacht, ich war neunzehn, und die Welt lag mir zu Füßen.

Aber in jedem Paradies lauert eine Schlange, und der Wurm im Apfel dieses Festes nahm die Gestalt der widerlichen Brandelia Cawston an, die es sich in den Kopf gesetzt hatte, mir den Abend zu verderben. Sie zog mich auf, stellte absichtlich meinen Gedankengängen ein Bein, aschte mir ins Glas und gähnte, wann immer ich etwas sagte. Sie hatte mich noch nie leiden können und tat ihr Bestes, um mich zur Vulgarität zu verleiten. Und dann, als ich gerade Osbert Sitwell zuhörte, der Laurence Olivier beibrachte, wie man einen deutschen Akzent nachmacht, entdeckte ich plötzlich den jungen Donald Trefusis auf der anderen Seite des Saals. Mein Herz machte einen Sprung; hier stand der inzwischen hoch aufgeschossene, wohlgestalte junge Mann, den ich bis zur Entrückung verehrt hatte, als ich noch Zöpfe getragen und ihm schöne Ohren gemacht hatte. Brandelia Cawston kniff mich gehässig in den Arm. Ein Blick auf Donald verriet mir, daß er es gesehen und die gesamte Situation sofort erfaßt hatte. Ich entschuldigte mich bei Olivier und Sitwell und ging, gefolgt von diesem abstoßenden Cawstongör, auf Donald zu. Er warf den Kopf zurück, und ich, die ich genau sah, was er im Schilde führte, trat rasch einen Schritt beiseite, so daß er die elende Brandelia von oben bis unten vollkotzen konnte. Nie hab’ ich mich besser amüsiert. Ich konnte mich nicht erinnern, daß jemand in Gesellschaft so unvorteilhaft ausgesehen hatte, seit Edgar Wallaces Toupet 1924 in Cap Ferrat Feuer gefangen hatte. Ich wollte mich bei meinem kühnen Retter bedanken, aber der war verschwunden und hatte kein Fitzelchen zurückgelassen. Ich habe ihn nie wiedergesehen. Ich denke unaufhörlich an den lieben Mann und frage mich, was wohl aus ihm geworden ist. Das Leben ist manchmal so grausam. Jetzt brauch’ ich eine Sause.

Paperweight: Literarische Snacks
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