Es rumort im Inneren der Stiftung

Der Zeitpunkt des Interviews mit Gunter Thielen war kein Zufall, denn am selben Tag diskutierten die 320 Mitarbeiter der Stiftung mit ihrem Vorstand über die Kritik von außen. Die Stimmung war selten so geladen wie in diesen Tagen. Nun folgte auf die Kritik von außen also auch die Kritik von innen. Der Druck auf den Vorstand nahm damit zu. Die Mitarbeiter waren tief verunsichert. Auf sechs Seiten listete der Personalrat der Stiftung die rund achtzig Fragen der Mitarbeiter an den Vorstand auf.

Die Mitarbeiter forderten eine Reform der Reformwerkstatt und schrieben: »Die Stiftung muss sich wandeln. Vom Showroom für die Reichen und Mächtigen zurück zu den Wurzeln – zu einer Besinnung auf die Prinzipien und Werte ihres Stifters Reinhard Mohn. Zu seiner Zeit gab es niemanden, der uns die Gemeinnützigkeit hätte aberkennen wollen.« Die Fragen sind mehr als Fragen. Sie liefern eine Zustandsbeschreibung der Stiftung, die eine tiefe Verunsicherung verrät und die Kritik von außen spiegelt. Die Mitarbeiter benennen in ihren Fragen einen Mangel nach dem anderen. Es werden diverse Fragen und Statements geäußert:

 

 
  • »Wie will der Vorstand das Chaos in den Arbeitsstrukturen und vor allem in den Köpfen der Mitarbeiter beseitigen?« – »Offensichtlich gibt es auch innerhalb des Vorstandes gravierende Meinungsverschiedenheiten – der Flurfunk funktioniert besser als die offizielle Kommunikation!«

 

Es werden auch Fragen gestellt, die sich direkt an den Vorstand richten, beispielsweise:

 

 
  • »Herr Thielen, wohin möchten Sie die Stiftung führen? Was tut der Vorstand dafür, dass die Mitarbeiter ihre Stiftung wieder mit Freude und ganzem Herzen nach außen vertreten können? Die Strategien des Vorstands werden nicht oder nicht nachvollziehbar kommuniziert. Wo soll die Reise hingehen? Internationalisierung ja oder nein. Niemand blickt mehr durch. Nicht alles lässt sich mit der Wirtschafts- und Finanzkrise begründen. Zurzeit haben viele von uns den Eindruck, dass der Vorstand – wenn überhaupt – nur durch die Aktivitäten einzelner Personen in Erscheinung tritt, aber nicht als verantwortliches und aktiv leitendes Gremium unserer Stiftung.«

 

Eine Reihe von Fragen beziehen sich auf die Effektivität und Effizienz der Arbeit der Stiftung:

 

 
  • »Die Reibungsverluste durch die hohe Anzahl von Programmen führen offensichtlich zu erheblichen Effizienzverlusten, ohne dass daraus spürbare Vorteile erwachsen. Dies gilt für die Arbeit innerhalb der Stiftung ebenso wie für die Außenkommunikation.«
  • »In vielen Programmen tritt die Bertelsmann Stiftung mit der Forderung an ihre Partner (zum Beispiel Ministerien), ressortübergreifend zu arbeiten. In der Stiftung erfolgt die ressortübergreifende Zusammenarbeit nur dann, wenn einzelne Direktoren sich dafür engagieren – eine systematisch angelegte Kooperation, die der Vorstand einfordert und nachhält, gibt es jedoch nicht. Ein Grund dafür scheint die Profilierung der einzelnen Programme und Projekte nach innen und außen zu sein. Warum wird die Zusammenarbeit der Programme (auch vorstandsübergreifend) nicht stärker forciert? Hat der Vorstand vor, das in Zukunft zu ändern? Wenn ja: wie?«
  • »Wir leben in sehr bewegten Zeiten – zur Zeit ganz besonders. Aber wäre nicht ein wenig mehr Kontinuität und Verlässlichkeit der internen Strukturen für eine effektive Projektarbeit und für die Motivation der Mitarbeiter förderlich und sogar notwendig?«

 

Die Fragen zur Effektivität und Effizienz der Organisation bestätigen die Erfahrung von Gerd Wixforth. Ausgerechnet das Zauberversprechen, mit dem die Stiftung ihre Rezepte begründet, die Steigerung der Effizienz, gilt offenbar nicht für sie selbst. Die Mitarbeiter spüren den Widerspruch.

Weiterhin werden Fragen zum Führungskreis und zur strategischen Ausrichtung der Stiftung gestellt:

 

 
  • »Stimmt es, dass die Mitglieder des FK (Direktors) alle einen Dienstwagen bekommen? Wenn ja, möchte ich anregen, dass im Zuge der Sparmaßnahmen auf diese – arbeitsplatzbezogen ohnehin nicht nachvollziehbare – Wohltat verzichtet wird.«
  • »Wird es einen inhaltlichen Richtungswechsel hin zu ›softeren Themen‹ (Religion, Musik) geben? Will die Stiftung weiterhin kontroverse Themen bearbeiten oder nur noch ›Schönwetterthemen‹? Die Auswahl der strategischen Schwerpunkte des Bereichs Kommunikation lassen Letzteres vermuten. Auf unserer Homepage ist zu lesen: ›Die Bertelsmann Stiftung engagiert sich in der Tradition ihres Gründers Reinhard Mohn für das Gemeinwohl. Fundament der Stiftungsarbeit ist die Überzeugung, dass Wettbewerb und bürgerschaftliches Engagement eine wesentliche Basis für gesellschaftlichen Fortschritt sind.‹ Heißt das, die Verlierer des Wettbewerbs müssen darauf hoffen, dass eine Bürgerinitiative sich für sie interessiert?«

Den meisten Platz in dem Fragenkatalog nehmen 13 Punkte zur Kritik von außen ein. Die verunsicherten Mitarbeiter schreiben:

 

 
  • »Die Bertelsmann-Kritiker haben inzwischen einen neuen Kurs eingeschlagen, in dem sie die Politik adressieren, die Arbeit der Stiftung zu erschweren, da sie mit gemeinnützigen Grundsätzen nicht zu vereinbaren sei. Wie wird sich die Stiftung dazu verhalten? Der stetige Verweis auf gesetzeskonformes Verhalten greift den Vorwurf nicht auf. Wie will die Stiftung der Gefahr entgegenwirken, dass Projektpartner, die für eine wirkungsvolle Stiftungsarbeit unerlässlich sind, nicht weiter mit uns zusammenarbeiten? Gerade Politiker haben (in Wahlen) einen Ruf zu verlieren, und es tut der eigenen Kandidatur nicht gut, sich mit Institutionen in Verbindung bringen zu lassen, die keinen durch und durch positiven Ruf besitzen.«
  • »Wie sollen Stiftungsmitarbeiter damit umgehen, wenn sie im privaten Kreis auf die angeblichen Machenschaften der Stiftung und die Verflechtung mit Konzerninteressen angesprochen werden, wenn wiederum vielen von uns nicht klar ist, für was die Stiftung nun wirklich eintritt?«
  • »Warum führt die Stiftung keine substanziellere Diskussion mit den Bertelsmann-Kritikern? Gebetsmühlenartige Wiederholungen gleicher Argumente unterhöhlen in der Öffentlichkeit eher die Glaubwürdigkeit, als dass sie sie stützen. Das macht auch die Mitarbeiter/innen argumentationsunfähiger!«
  • »Bitte um eine juristisch und argumentativ differenzierte (!) Auseinandersetzung mit dem neuen Rechtsgutachten zur Gemeinnützigkeit der Stiftung. Da manches auch Auslegungsfragen sind, bitte dabei auch bedenken, dass sich evtl. diese Rechtsauffassung durchsetzen könnte. Was hieße das im schwierigsten Fall?«
  • »2008 hat der Vorstand bei einer Betriebsversammlung angekündigt, es werde eine Vorlage geben, die uns Stiftungsmitarbeiter im Gespräch mit Externen dabei unterstützt, Vorwürfe zu entkräften. Wann wird es diese schriftlichen Argumentationsleitlinien geben?«
  • »Ich verstehe nicht, weshalb man in den Medien oder auch intern bisher noch keine Stellungnahme der direkt/indirekt (mit)kritisierten Institutionen/Behörden lesen/hören konnte, z. B. von der für uns zuständigen Stiftungsaufsichtsbehörde in Detmold oder von der Finanzverwaltung oder vom Bundesverband Deutscher Stiftungen, bei dem wir als gut zahlendes Mitglied als gemeinnützige Stiftung gelistet sind. Bemüht sich der Vorstand oder unsere Kommunikationsabteilung nicht um eine Klärung mit den entsprechenden Behörden etc.?«

 

Zwei Jahre zuvor hatte der Vorstand der Stiftung die PR-Abteilung mit der PR-Chefin Karin Schlautmann neu besetzt. Sie inszeniert Liz Mohn und ihre Stiftung in einem neuen Magazin namens Change. Ausreichende Antworten auf die Fragen der Kritiker findet sie aber nicht. Die Devise heißt: einigeln, offenbar auch gegenüber den eigenen Mitarbeitern. Jetzt fragen Mitarbeiter: »Warum legt die Führungsebene des Bereichs Kommunikation anscheinend so wenig Wert auf interne Kommunikation? Die Bertelsmann Stiftung hat nicht nur ein Kommunikationsproblem nach außen (in Bezug auf die Kritik an ihrer Gemeinnützigkeit), sondern auch nach innen.«

Zwei Kommentare, die die sechsseitige Frageliste der 320 Mitarbeiter abschließen, offenbaren das Dilemma, in dem sich die Stiftung befindet:

 

 
  • »Ich würde mir wünschen, dass in der Bertelsmann Stiftung eine Kultur einzöge, die eine offene Auseinandersetzung über problematische Gegebenheiten zuließe. Hier verhält es sich aber so, dass nicht versucht wird, ein Problem zu lösen, sondern einen Schuldigen zu identifizieren, der dann ignoriert oder aus dem Umkreis entfernt wird. Der angesprochene Missstand bleibt in dem Prozess vollkommen unberührt.«
  • »Früher wurde in der Stiftung auf Versammlungen relativ offen diskutiert und es wurden offen auch kritische Fragen gestellt – die auch zufriedenstellend beantwortet wurden. Heute stellt man Fragen weitgehend nur noch anonym über den Betriebsrat; und wenn nach Verlesung aller Vorträge des Vorstandes gefragt wird, ob es noch Fragen gibt, stehen alle schweigend auf und verlassen den Raum – das ist eine bedenkliche Entwicklung, finden Sie nicht? Wo ist die offene Streit- und Diskussionskultur geblieben, die dieses Haus früher mal ausgezeichnet hat?«

 

In der Frage liegt bereits die Antwort über den Verlauf der Mitarbeitersitzung. Der Vorstand nimmt die Fragen zur Kenntnis. Antworten, die zufriedenstellen und über die Aussagen des Interviews mit Thielen hinausgehen, hat er nicht. Die meisten der Fragen bleiben letztlich unbeantwortet. Eines aber machen sie deutlich: Bemerkungen, die Stiftung sei zu einem »Showroom der Reichen« geworden, Fragen nach Dienstwagen und Strategie und der Vorwurf der Orientierungslosigkeit zeigen, dass selbst Mitarbeiter die Kritik von außen teilen. Sie sind durch die inhaltliche Leere der Stellungnahmen der Stiftung und den gebetsmühlenartigen Verweis auf die Rechtslage beunruhigt.

Als die Stiftung Ende April 2010 ihre Jahrespressekonferenz abhielt, sagte Gunter Thielen sinngemäß: Wenn der Stiftung die Gemeinnützigkeit aberkannt werde, dann machen wir eben ein Profitcenter daraus. Die Bemerkung sei flapsig gemeint gewesen, wie man bei Bertelsmann versichert. Es gebe kein Ausstiegsszenario, keine Überlegungen zur Fortführung des Instituts und Thinktanks jenseits der Gemeinnützigkeit. Ihre Aberkennung würde das Ende der Bertelsmann Stiftung bedeuten. Dieses Szenario muss die Stiftung jedoch nicht wirklich fürchten. Viel problematischer ist die anhaltende Kritik. Was, wenn sie dazu führt, dass Politiker auf Distanz gehen? Das Bundespräsidialamt zögere bereits, heißt es in der Stiftung. Was, wenn der engste politische Verbündete auf Distanz geht? Die vielen Fragen der Mitarbeiter machen eines überdeutlich: Der Vorstand der Stiftung hat nicht nur im Lande, sondern auch bei den eigenen Mitarbeitern viel Vertrauen verspielt.

Haben die Kritiker etwas bewirkt? An grundsätzlichen Problemen hat sich nichts geändert. Die Hinwendung zu softeren Themen bei Projekten wie »Alle Kids sind VIPs«, die das Thema Integration in schöne Bildern umsetzt, zeigt den Kurs der Stiftung: weiterhin in entscheidenden Fragen nicht transparent.

Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik
titlepage.xhtml
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_000.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_001.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_002.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_003.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_004.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_005.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_006.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_007.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_008.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_009.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_010.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_011.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_012.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_013.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_014.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_015.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_016.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_017.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_018.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_019.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_020.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_021.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_022.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_023.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_024.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_025.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_026.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_027.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_028.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_029.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_030.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_031.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_032.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_033.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_034.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_035.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_036.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_037.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_038.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_039.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_040.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_041.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_042.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_043.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_044.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_045.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_046.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_047.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_048.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_049.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_050.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_051.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_052.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_053.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_054.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_055.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_056.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_057.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_058.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_059.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_060.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_061.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_062.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_063.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_064.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_065.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_066.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_067.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_068.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_069.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_070.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_071.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_072.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_073.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_074.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_075.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_076.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_077.html
Bertelsmannrepublik_Deutschland_split_078.html