Vom Adler zum Suppenhuhn

Kehren wir zurück zum Anfang des Kapitels in den Sommer 1999 in Gütersloh, in dem Mark Wössner zum Auftakt der Medienkonferenz seine Grußworte sprach. Bevor er sein Glas erhob, sagte er, bei den Angriffen »gegen uns« habe er »den Aufschrei« der privaten Fernsehanbieter vermisst.

Beim Empfang steckten einige Gäste die Köpfe zusammen und rätselten, wen Wössner mit »uns« gemeint haben mag. Die Stiftung war jedenfalls von niemandem direkt angegriffen worden, wohl aber die Manager einiger Bertelsmann-Firmen. Es stellte sich also die Frage, welcher Wössner sich angegriffen gefühlt hat: der Aufsichtsratsvorsitzende eines der weltweit größten privaten Medienunternehmen oder der Vorstandsvorsitzende der auf Unabhängigkeit bedachten Stiftung? Es sprach der Aufsichtsratsvorsitzende im Namen seines Unternehmens – allerdings in einem Moment, in dem er die Gäste als Stiftungsvorstand begrüßte.

Die Stiftung scheiterte mit ihrem Projekt, die Aufsicht zu reformieren. Zwei Tage lang musste Mark Wössner mit ansehen, wie mit alten Argumenten eine alte Debatte um einen neuen Begriff geführt wurde und nichts dabei herauskam. Sogar der ARD-Vorsitzende Peter Voß war für die Konferenz nach Gütersloh gekommen. Als einige Berater der Stiftung, darunter ZDF-Intendant Stolte, im Januar 1999 in kleiner Runde die Konturen der Debatte festlegten, wähnte Voß, die Debatte um den Funktionsauftrag könnte nur ein Vorwand sein, um die ARD zu schwächen, und er verweigerte weitere Gespräche. Nun machte er klar, wie wenig er von einer neuen Begriffsbestimmung von Rundfunk hält.

Dazu kam, dass die Stiftung dem bayerischen Staatsminister Erwin Huber selbst die Vorlage für eine Blockade geliefert hatte: Ein juristisches Gutachten, das die Stiftung finanziert hat, ergab, dass eine gemeinsame Aufsichtsbehörde von Bund und Ländern eine Verfassungsänderung nötig machte. Dem werde Bayern nie zustimmen, sagte Huber, sodass der Moderator der Konferenz, Peter Glotz, eine Stunde nach Beginn nüchtern feststellen musste, nun sei die Luft eigentlich aus der ganzen Diskussion raus. Am Ende sagte ZDF-Intendant Dieter Stolte enttäuscht, das ganze langweile ihn. Die Stiftung und ihre Berater seien morgens »wie Adler angetreten, um eine Bund-Länder-Anstalt einzurichten«, sagte Wössner. »Abends waren es nur mehr Suppenhühner.« Glotz legte nahe, eine Fortführung der Debatte sei »nicht sinnvoll«.

Wössner ist mit seiner Stiftung an die Wand gefahren. Damit scheiterte das Unternehmen beim Versuch, mit Hilfe der Stiftung aus angeblicher Sorge um das Gemeinwohl eigene Ziele zu verfolgen. Und damit scheiterte die Stiftung ganz grundsätzlich, weil deutlich wurde, dass sie Eigennutz vor Gemeinwohl stellte. Die Öffentlichkeit nahm davon nur begrenzt Notiz. Das Thema interessierte nur Insider und war letztendlich zu kompliziert, aber immerhin führte sie dazu, dass sich die Stiftung 2002 aus dem Bereich Medien zurückzog.

Ähnlich war es mit der Vergabe des Carl Bertelsmann-Preises, den die Stiftung 1998 einer amerikanischen Selbstkontrollinitiative im Internet und der kanadischen Aufsichtsbehörde für Rundfunk und Telekommunikation verliehen hat. Die kanadische Behörde agierte so, wie sich das die Manager von Bertelsmann und die Gutachter, die im Auftrag der Stiftung tätig waren, von einer deutschen Behörde wünschten. Gleiches gilt für die Selbstregulierung des Internets, hat doch der Vorstandsvorsitzende von Bertelsmann, Thomas Middelhoff, beim Ausstieg aus dem Pay-TV-Sender Premiere verkündet, man werde den Schwerpunkt der Aktivitäten auf das Internet verlegen und bald sogar Pay-TV auf diesem Wege veranstalten. Damals fürchtete man bei Bertelsmann, die Medienaufsicht könnte auf die Idee verfallen, auch diesen Bereich zu regulieren.

Allerdings muss man zugeben, dass die Ideen der Stiftung auch Konkurrenten des Konzerns zugute kamen. Ob man Norbert Schneider fragte, den damaligen Vorsitzenden der Rundfunkaufsichtsbehörden, den damaligen Sat1-Geschäftsführer Jürgen Doetz oder Dieter Stolte, den damaligen ZDF-Intendanten: Alle sagten, sie seien der Stiftung dankbar, weil es kein anderes derart hochkarätiges Forum gäbe, um die Zukunft der Medienpolitik zu diskutieren. Und der Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister meinte, nicht der Stiftung, sondern den Politikern sei der Vorwurf zu machen, dass sie »eine Diskussion unter dem Vorwand lahmlegen, dass sie geführt wird«. Der Konzern versuche »durch, zugegeben, sehr geschickte und auch subtile Methoden eine Debatte zu steuern«. Bestimmte medienpolitische Modelle, an denen der Konzern kein Interesse habe, kämen in der Debatte nicht vor: Dazu zählte Hachmeister das Modell des britischen Channel 4, bei dem öffentlich-rechtliche und kleinere private Unternehmer kooperierten. Jahre zuvor hatte die Stiftung ausgerechnet diesen Sender als vorbildlich ausgezeichnet.

Funktionierte Mohns Stiftungsphilosophie, erfolgreiche Konzepte aus dem Ausland zu importieren, vielleicht doch nicht so einfach, wie er immer dachte? Ausgerechnet dem eigenen Unternehmen passten die Vorbilder, die die Stiftung vorschlug, offenbar nicht ins Konzept. Und die Stiftung unternahm nichts, dieses Konzept gegen den Willen ihres Unternehmens weiter zu propagieren.

Als Wössner die Kommunikationsordnung im Sommer 1999 endgültig beerdigte, waren seine Mitarbeiter entsetzt. Vier Jahre Arbeit steckten in diesem Projekt. Sie sahen einen Stiftungs-Vorstandsvorsitzenden, der gewohnt war, wie ein Unternehmenschef zu agieren. Der Dinge durchsetzen will und der keine Geduld hat. Der Medienjournalist Uwe Kammann fragte sich im Mediendienst von epd, ob das plötzliche Ende des Projekts eventuell damit zu tun habe, dass Fernsehen für das Unternehmen Bertelsmann nicht mehr an erster Stelle stehe. Das markierte eigentlich das Ende der Aktivitäten, auch wenn sie noch einige Jahre weiter liefen. Mit diesem Fehlschlag hatte dieser Bereich seine Aufgabe verloren. Vor allem auch deshalb, weil die Politik sich auf das Marktmodell geeinigt hatte. Der Konzern hatte erreicht, was er wollte. Ob die Stiftung sich mit ihren Aktivitäten durchsetzen könnte, war plötzlich zweitrangig geworden.

Sie arbeitete weiter an einer neuen Kommunikationsordnung und im Jahr 2000 – also ein Jahr später – legte sie unter dem Namen Kommunikationsordnung 2010 einen neuen Bericht vor, der ziemlich genau den Vorschlägen der umstrittenen Kommunikationsordnung 2000 glich. »Anknüpfend an die 1997 formulierte Kommunikationsordnung 2000 wurden zu Beginn des Jahrtausends die Regulierungsprämissen überprüft und mit den Herausforderungen des Internet-Zeitalters konfrontiert«, schrieb Ingrid Hamm. Autoren waren dieselben Mitglieder der Vorgängerkommission, also Kurt Biedenkopf, Wolfgang Clement, Peter Glotz, Jo Groebel, Manfred Lahnstein, Mark Wössner, Dieter Stolte und Reinhard Mohn. Im Gegensatz zum Bericht über die Lage des Fernsehens war kein unabhängiger Bericht angestrebt. In der neuen Kommunikationsordnung wurde sogar betont, dass die Verantwortung für das sogenannte »Zukunftspapier« allein die Bertelsmann Stiftung trägt.

Die Stiftung versuchte in dem Papier, den Rahmen zu bestimmen, in dem das Unternehmen seine Geschäfte machte. Sie tat das geschickt und außer wenigen Fachleuten und einer Handvoll Medienkritikern fiel das niemandem auf. Die wenigen Berichte verschwanden kaum gelesen in den Archiven und niemand regte sich auf. Niemand schrie »Skandal!« Selbst die Medienkritiker vergaßen dieses Vorgehen. Warum auch nicht? Die Stiftung hatte kaum Erfolge erzielt. Bertelsmann agierte glücklos mit seinen Plänen für niveauvolles Fernsehen. VOX war gescheitert. Die Medienanstalten beugten sich der Realität. Die Öffentlichkeit schien sich nicht dafür zu interessieren und später stürzte Kirch in die Pleite. In Gütersloh konnte man annehmen, alles richtig gemacht zu haben.

Was soll man von den Medienaktivitäten der Stiftung halten? In seinem Konferenzbericht im Juni 1999 versuchte Lutz Meier, ein ehemaliger Teilnehmer am Seminar für kritischen Medienjournalismus, in der Berliner tageszeitung (taz) deutlich zu machen, was die Stiftung eigentlich treibt. Mit einem einfachen Vergleich riss er der Stiftung, die ihr Engagement gerne in Worte der Gemeinnützigkeit kleidet, die Maske vom Gesicht. Er verwendete das Wort Korruption und fragte: »Was wäre davon zu halten, wenn sich die vereinigten Steuerflüchtlinge zusammenfänden, dem Staat eine Reform der Finanzprüfung vorzuschlagen? Wie sähe es aus, wenn sich die zur Nachprüfung verdonnerten Autobahnraser mit dem Verkehrsminister träfen, ihm einen von Grund auf neu konzipierten Bußgeldkatalog schmackhaft zu machen? Privatinteressen zu Gemeinwohldenken umzudefinieren, gehört längst zum kleinen Einmaleins der Politikberatung. Man kann es Lobbying nennen oder lean corruption9 Wenn aber die Bertelsmann Stiftung, die Deutschlands größten Medienkonzern besitzt, in Sachen Medienpolitik tätig wird, dann »sieht es ganz anders aus«, merkte Meier ironisch an.

 

Die Stiftung sucht sich ihre Projekte selbst aus, aber man darf fragen, wieso sie ausgerechnet Probleme des Marktzuganges und der Aufsicht diskutieren wollte und diese Diskussionen mit Gutachten flankierte, die zufälligerweise die öffentlich-rechtliche Konkurrenz behindern und die eigenen Sender fördern. Man darf auch fragen, wieso sie nicht den Parteieneinfluss auf die öffentlich-rechtlichen Sender als eigentliches Problem thematisiert hat. Würde dieser Einfluss der Parteien gemindert und die Unabhängigkeit gestärkt, wäre das sicher ein Dienst für die Allgemeinheit. Dass das Unternehmen Bertelsmann den Markt stärken will, ist verständlich, aber wieso verfolgte die gemeinnützige Bertelsmann Stiftung das gleiche Ziel? Der Schluss liegt nahe, dass dies gewollt war, denn wieso sollte ein Manager, der sich jahrzehntelang um den Ausbau eines Unternehmens gekümmert hat und dann in eine Stiftung wechselt, plötzlich seine Ansichten und Vorgehensweisen ändern?

Ein und derselbe Manager an der Spitze des Stiftungsvorstands und an der Spitze des Aufsichtsrats des Unternehmens soll zugleich im Interesse der Allgemeinheit und im Interesse des Unternehmens entscheiden. Mohn deutete diesen Konstruktionsfehler als Gemeinnützigkeit um. Indem die Stiftung die Interessen des Unternehmens verfolge, erwirtschafte das Unternehmen Geld, das die Stiftung dann gemeinnützig verwenden könne. Diese Doppelrolle und die Nähe zur Bertelsmann AG waren letztlich schuld daran, dass die Stiftung mit ihren Plänen für eine zentrale Medienaufsicht und einer Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht glaubwürdig genug für die Rolle eines neutralen Vermittlers und Moderators war. Ihre Reformansätze waren stets belastet. Gegner ihrer Vorschläge für eine zentrale Behörde aus den Bundesländern konnten allzu leicht auf die rundfunkpolitischen Interessen des Konzerns verweisen. Sie musste erkennen, dass sie aufgrund ihrer Nähe zum Konzern nicht geeignet war, Medienthemen aufzugreifen. Als Konsequenz verringerte sie ihr Engagement in diesem Themenfeld und gab es 2002 schließlich ganz auf. Der Konzern hatte mit dem Marktanteilsmodell ohnehin erhalten, was er jahrelang forderte

Dabei gab es in den neunziger Jahren tatsächlich gute Gründe, das damalige Modell der Konzentrationskontrolle zu reformieren, indem man einem Unternehmen die hundertprozentige Beteiligung an einem Sender erlaubt. Ebenso gab es gute Gründe, eine zentrale Medienaufsicht zu etablieren, um Standortpolitik zu vermeiden. Die Bertelsmann Stiftung versuchte eine solche Reform anzustoßen. Sie gestaltete den politischen Diskurs, wie Hachmeister heute sagt. Und sie hat durch ihre langjährigen Reformdebatten sicherlich ihren Anteil daran gehabt, dass die Politik sich letztlich auf das von Bertelsmann favorisierte Marktanteilsmodell einigte. Fairerweise muss man sagen, dass dieses Modell auch ihrem Konkurrenten Kirch zugute kam.

Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik
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