13. »Licht aus« im Showroom der Reichen? Der Druck von innen und außen steigt

Wiebke Priehn wunderte sich zu Beginn ihres Jurastudiums an der Hamburger Universität über all die Reformen, die an der Universität durchgeführt wurden. »Ich hab’ mich gefragt, wie kommt das eigentlich zustande«, sagte sie und fing an zu recherchieren. Sie »durchleuchtet die einzelnen Akteure« in den verschiedenen Gremien, wie sie dem Bayerischen Rundfunk im Februar 2010 sagte, und sie fragte nach den dahinter stehenden Interessen. Sie kam zu dem Ergebnis, »dass Bertelsmann die Spinne im Netz ist«.

2005 organisierte Wiebke Priehn den ersten Anti-Bertelsmann-Kongress. Aus den E-Mails der Teilnehmer fertigte sie eine Anti-B-Mailingliste. Später baute sie einen Internetauftritt und initiierte weitere Kongresse. Priehn avancierte damit zu einer der eifrigsten Kritikerinnen, die sich zum Stachel im Fleisch der Bertelsmann Stiftung entwickeln. Priehn sammelte in wenigen Monaten zahlreiche Mitstreiter um sich. Sie sagt: »Was ich an Bertelsmann kritisiere, ist, dass da ein Medienkonzern dahinter steht, was eine ziemlich einmalige Konstellation ist, dass so eine Beratungseinrichtung Europas größten Medienkonzern im Rücken hat.« Damit übe Bertelsmann einen gewaltigen Druck auf alle aus, die mit der Stiftung zu tun haben. Dass Fachbereiche und Universitäten nun aus dem Ranking des CHE aussteigen, sieht Priehn auch als den Erfolg ihrer Arbeit an.

Wissen und Kompetenz der Kritiker sind sehr unterschiedlich: Einmal warnte bespielsweise ein Mitglied der Mailingliste von Wiebke Priehn ohne erkennbare Ironie, dass Bertelsmann bis in die Schlafzimmer vordringe. Der Beweis sei, dass Familie Jahr, die neben Bertelsmann an Gruner + Jahr beteiligt ist, mit 10 Prozent an einer Firma beteiligt sei, die Zähler an Heizkörpern ablese. Manchmal wirkt die Kritik reflexartig und blind: So fanden sich, als Peter Frey 2009 zum Chefredakteur des ZDF gewählt wurde, auf der Mailingliste und im Internet schnell einige Texte und Artikel, die ihn als Helfershelfer von Bertelsmann darstellten. Wie das? Frey hatte bei Werner Weidenfeld studiert, dessen Münchner Institut CAP die Stiftung über viele Jahre finanziert hat. Allerdings musste Weidenfeld 2007 gehen und die Stiftung will seitdem nichts mehr mit ihm zu tun haben. Damit taugt die Verbindung zu Weidenfeld 2009 wohl nicht mehr als Beleg für die Behauptung, dass jemand Bertelsmann besonders verbunden sei.

Ungeachtet solcher Verschwörungskommentare spielen die Kritiker eine Rolle, da sie Druck auf die Bertelsmann Stiftung ausüben. Der erste Reformversuch von außen, der Gesetzesentwurf von Antje Vollmer, ist missglückt, ebenso der Reformversuch von innen durch den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Heribert Meffert. Erzwingen nun also die sogenannten »Anti-Bertelsmann-Aktivisten« Reformen durch Öffentlichkeit?

Einen Wendepunkt in der öffentlichen Wahrnehmung der Stiftung markiert ein Zeitungsartikel, der nichts mit den Aktivisten zu tun hat, außer dass er ihnen gute Gründe für ihren Protest lieferte. Im September 2006 veröffentlichte der Journalist Harald Schumann im Berliner Tagesspiegel seinen bereits erwähnten Artikel »Macht ohne Mandat«. Schumann hatte wochenlang Studien gelesen sowie Beteiligte und Mitarbeiter der Stiftung befragt. Eine seiner zentralen Thesen lautet: Die Stiftung gibt nicht annähernd das Geld aus, das sie durch den Wegfall der Erbschaftsteuer sowie laufender Steuern der Familie Mohn spart. Ein Satz mit Sprengkraft. Schumann schreibt: »Tatsächlich wirtschaftet die Nebenregierung in Gütersloh de facto mit öffentlichem Geld.« Diese Erkenntnis hatte vorher niemand so deutlich formuliert.

Schumann schreibt weiter, dass über die personellen Netzwerke der selbsternannte »Reformmotor« zum eigenständigen politischen Akteur werde, der außerhalb der Parlamente eine Art Elitenkonsens schaffe – und nebenbei auch noch positive PR für den Konzern erziele. Er zitiert den Soziologen und Kenner der internationalen Stiftungslandschaft Frank Adloff: Für solche Zwecke sei »die Steuerbefreiung für gemeinnützige Stiftungen nicht gedacht«. Der Artikel erschien Ende September 2006, als die Stiftung im Auswärtigen Amt in Berlin ihr internationales Bertelsmann Forum abhielt und dazu Politiker aus dem In- und Ausland versammelt hatte. Die Kritik war nun nicht mehr Sache eines Häufleins verträumter Linker; sie drang in den Mainstream vor.

Wie kritisch die Stiftung mittlerweile gesehen wurde, zeigt ein Buch, das der Bund demokratischer Wissenschaftler 2007 veröffentlichte. Netzwerk der Macht – Bertelsmann. Der medial-politische Komplex aus Gütersloh zeichnet auf 448 Seiten das Bild einer Krake, die alles beeinflussen will, von der Kommunalverwaltung, der Bildungs- und Hochschulpolitik, über Arbeits-, Gesundheits- und Sozialpolitik bis hin zur Außenpolitik. Die beiden Herausgeber Jens Wernicke und Torsten Bultmann versammelten 28 Autoren und Autorenteams, die die Vergangenheit der Stiftung, die Politikberatung und die ständige Bewertung durch Kennziffern hinterfragen. Die Wirkung des Buches geht weit über die 2 000 bislang verkauften Exemplare hinaus, zumal einige der Artikel im Internet kursieren.

Helga Spindler zeichnet in ihrem Beitrag nach, wie die Stiftung die Reform der Arbeits- und Sozialhilfe gesteuert und beeinflusst hat und so ins Kanzleramt vorgedrungen ist. Die Stiftung dementiert diesen Einfluss gerne, weil Hartz IV in der Öffentlichkeit ein Schimpfwort geworden ist. Dabei hat sie ihr Vordringen ins Kanzleramt noch zum 25-jährigen Jubiläum 2002 und in ihren Schriften jahrelang als Erfolg gefeiert. Spindler listet viele Belege und Fundstellen auf und lässt der Stiftung keinen Raum zu einem Dementi.

Die Stiftung spürte, dass sie das Buch nicht völlig ignorieren konnte und schrieb in einer Stellungnahme, dass das Buch Fehler enthalte. Sie sagte allerdings nicht welche. In einem Interview mit der Neuen Westfälischen sagte der Herausgeber des Buches Jens Wernicke: »Soweit mir bekannt ist, gab es seitens der Stiftung noch nie den Vorschlag an die Politik, die Unternehmenssteuern zu erhöhen oder Ähnliches, um so der immer größer werdenden sozialen Schieflage im Lande Herr zu werden. Welch Zufall, nicht wahr?« Die Stiftung stelle eines nie in Frage: die ungleiche Verteilung gesellschaftlichen Reichtums und gesellschaftlicher Macht. Auf die Frage, was er von Bertelsmann und der Politik fordere und ob Konzern und Stiftung stärker entflochten werden müssten, sagte Wernicke: Von Bertelsmann könne er gar nichts fordern, die Politik aber müsse wichtige Reformen »breiter und ergebnisoffen diskutieren«. Das wäre dann nicht nur der Form, sondern auch dem Inhalt nach Demokratie.

Zur Entflechtung von Unternehmen und Stiftung äußerte er sich in diesem Interview nicht, aber in einem Artikel über das »Schattenkabinett aus Gütersloh« verweist er auf die Gesetzeslage in den USA, wo Stiftungen der Besitz von mehr als 20 Prozent eines Unternehmens verboten sei. Wernicke kritisierte, dass es der Stiftung »mehr und mehr gelingt, selbst zu definieren, was ›Gemeinwohl‹ eigentlich meint – und zudem die Rolle der dem Staat aufgrund fehlender Steuereinnahmen immer weiter abhanden kommender eigener politischer Intelligenz einzunehmen, wodurch sie sich unabdingbar macht und bereits weit in die Kernbereiche staatlicher Souveränität vorgedrungen ist: Die Stiftung wird mehr und mehr selbst zum ›Staatsapparat‹ – ohne dabei jedoch demokratisch verfasst oder kontrolliert zu sein. Im Grunde kennt sie dabei nur ein einziges Rezept als Lösung aller gesellschaftlichen Probleme, und seien sie noch so komplex: die Gesellschaft soll wie ein Unternehmen geführt, der Staat mehr und mehr abgebaut werden.«1

Wernickes Resümee: »Bleibt zu hoffen, dass diese Farce bald ein Ende findet – und Gesellschaft und Politik diese Stiftung als das begreifen, was sie einzig ist: Nicht etwa ›Lösungsgeber‹, sondern Teil des Problems.« Als die Neue Westfälische Wernicke im Mai 2007 erneut interviewte und seinen Vorwürfen eine halbe Seite Platz einräumte, sah sich die Stiftung zu einer Stellungnahme gezwungen. Der Vorwurf, die Stiftung agiere nicht gemeinnützig, sei falsch. »Die Bertelsmann Stiftung weist diese Vorwürfe entschieden zurück. Die Gemeinnützigkeit wurde vom Finanzamt anerkannt und wird laufend geprüft. Die Stiftung bewegt sich mit allen Projekten und Reforminitiativen selbstverständlich im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen.« Eine Standardformel.

Im Oktober 2007 trafen sich 200 Kritiker auf einem Kongress mit dem Namen »Das Schattenkabinett aus Gütersloh« in Frankfurt. Organisiert von der Antiglobalisierungsbewegung Attac sowie der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ging es immer wieder um die Geschäfte von Arvato, die Dienste anbiete, dessen Bedarf die Stiftung vorbereite – etwa bei der Übernahme von Verwaltungsaufgaben. Der Journalist Eckart Spoo, ein ehemaliger Vorsitzender der Deutschen Journalisten-Union, drückte es so aus: »Hier sollen Bürger zu Kunden werden.« Er kritisierte die Aktivitäten von Arvato, weil das Tochterunternehmen auch kommunale Aufgaben übernehme. Die Stiftung wolle vor allem Deregulieren, also den Staat und dessen Fürsorge aus dem Leben der Menschen drängen, damit die Wirtschaft, allen voran Bertelsmann, mehr Platz habe. Spoo forderte, der Stiftung die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Außerdem forderte er, dass die Hochschulpolitik die Zusammenarbeit mit dem CHE einstellen solle. Die am CHE mitwirkenden Hochschulrektoren sollten dienstrechtlich verfolgt werden. Horst Bethge, ein Lokalpolitiker von Die Linke, kritisierte die »Bertelsmannisierung der Schulen«. Die Stiftung fordere mehr Eigenverantwortung der Schulen und dann biete Arvato jene Dienstleistungen an, die Schulen einkaufen müssen.

Es wurden verschiedene Protestaktionen diskutiert. Der Soziologe Steffen Roski schlug vor, Buchclubs von Bertelsmann zu besetzen, um Öffentlichkeit zu schaffen. Die Anti-Bertelsmann-Aktivisten forderten Gewerkschaften und Verbände auf, die Kooperation mit der Bertelsmann Stiftung einzustellen. Es folgten lokale Treffen und einmal kam es zu einer Demonstration auf dem Rathausplatz in Gütersloh, bei der die Sprecher der Stiftung, Karin Schlautmann und Andreas Henke, beobachtend abseits standen.

Die Kritik von Seiten der Gewerkschaften ist bemerkenswert, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass Reinhard Mohn der Austausch mit den Gewerkschaften zwei Jahrzehnte zuvor sehr wichtig zu sein schien. Damals sprach er oft von Partnerschaft. Der Bund zwischen Gewerkschaften und Mohn schien intakt zu sein. 1988 zeichnete Mohn mit dem ersten Carl Bertelsmann-Preis den »Beitrag der Tarifparteien zur Entwicklung der Gesellschaft« aus. Allerdings reagierten die Gewerkschaften ablehnend, als Mohn 1970 seine Mitarbeiter am Unternehmen beteiligt hat und sein Modell zum Modell für Deutschland machen wollte. Sie forderten nicht nur Beteiligung am Kapital, sondern Mitsprache.

Tatsächlich kündigten Gewerkschaften jetzt die Mit- und Zusammenarbeit auf. Ver.di fasste entsprechende Beschlüsse; die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) wurde von den Mitgliedern in einem Beschluss angewiesen, die Kontakte auf Vorstandsebene auf das Nötigste einzuschränken und keine gemeinsamen Veranstaltungen mehr abzuhalten. Umstritten bleibt, was das konkret heißt: Darf sich ein Vorstandsmitglied regelmäßig mit der Stiftung austauschen? Dieser Beschluss trifft die Stiftung besonders hart, investiert sie doch rund 20 Prozent ihres Budgets in die Reform des Bildungswesens. In einem eiligen Statement betonte die Stiftung daraufhin, sie lehne eine Kommerzialisierung oder Privatisierung von Schulen ab. Sie sei jederzeit gesprächsbereit. Aber die GEW sieht ein grundsätzliches Problem in der Überzeugung der Stiftung, dass Erfolge in den Schulen messbar seien. Messbarkeit ist aber einer der Grundsätze Mohns, den die Stiftung nicht aufgeben will.

Die Stiftung reagierte auf die zunehmende Kritik nicht mit Argumenten, sondern mit Schlagworten und Bildern. Sie wollte damit die Massen erreichen. Für den Vorstandsvorsitzenden der Stiftung, Gunter Thielen, gehe es darum, Reputation und breite Beachtung in der Öffentlichkeit zurückzugewinnen, schrieb Rainer Hank im Dezember 2007 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Thielen sei der Auffassung, die Stiftung leide unter ihrer »gefühlten« Intransparenz: »Wir haben noch nicht genügend deutlich gemacht, warum die Stiftung für die Gesellschaft wichtig ist.« Die Projekte und Ergebnisse seien zu kompliziert präsentiert worden. Um besser verstanden zu werden, wolle die Stiftung sich dem Boulevard öffnen. Thielen: »Statt kompliziert über frühkindliche Bildung zu philosophieren, müssen wir bewegte Bilder krabbelnder Kinder zeigen.«

Die neue Kommunikationschefin der Stiftung, Karin Schlautmann, sollte die Boulevardisierung umsetzen. Die ehemalige Journalistin hatte früher als Chefreporterin und Ressortleiterin Unterhaltung für die Bild-Zeitung, für Thomas Gottschalks Late Night Show, für die Bunte, die Gala und zuletzt als Chefredakteurin für die bei Gruner + Jahr erscheinende Zeitschrift Frau im Spiegel gearbeitet. Im November 2006 war sie als Chefredakteurin nach Gütersloh gereist, um Liz Mohn zu interviewen und hatte in Frau im Spiegel anschließend ein Bild ohne Brüche gezeichnet, das Liz Mohn offenbar gefiel. Schlautmann kam aus der Gütersloher Gegend und hatte hier bei einem Lokalblatt ihre ersten Artikel geschrieben. Man kam umgehend über die neue Aufgabe ins Gespräch und am 1. Mai 2007 trat Schlautmann die neue Stelle an. Ihre Devise lautet: Positive Botschaften und nette Bilder.

Doch die Kritiker ließen sich davon nicht beeindrucken. Im Februar 2009 erreichte ihr Druck einen Höhepunkt. Sie versammelten sich in Gütersloh und kamen überein, eine unabhängige Studie zur Frage der Gemeinnützigkeit in Auftrag zu geben. Die drei Autoren, Klaus Lindner, Michael Krämer und Wiebke Priehn, sollten untersuchen, ob die rechtliche Grundlage für die Steuerbefreiung wirklich gegeben ist. Lindner hatte sich als Anwalt in Göttingen auf Korruption spezialisiert; Krämer steht als vorsitzender Richter einer Wirtschaftsstrafkammer eines Landgerichtes in Hessen vor; Priehn ist die eingangs erwähnte Jurastudentin, die die Kritik organisiert. Die drei Autoren werfen der Stiftung in der Studie vor, sie betreibe trojanisches, also verstecktes Marketing für das Unternehmen.

Mit dem Argument der Gemeinnützigkeit verschaffe sie der Bertelsmann AG Zugang zu Aufträgen. Sie schreiben: »Ob Privatisierung öffentlicher Dienste oder Einführung von Studiengebühren, ob Hartz IV und Sozialkürzungen oder globale Militärinterventionen und Vorgaben zur Aufrüstung, Schaffung neuer Hochschulgesetze oder eines einheitlichen Arbeitsgesetzbuches: Die gesellschaftspolitische Agenda der Bundesrepublik wird von der Bertelsmann Stiftung entworfen. Diese ›gemeinnützige‹ und steuerbegünstigte ›Reformwerkstatt‹ stellt die erfolgreichste Public-Private-Partnership dar – nicht allein auf Firmenprofit, sondern zugleich auch auf gesellschaftliche Steuerung ausgerichtet. (…) die damit verbundene Steuerbefreiung wird unberechtigt in Anspruch genommen zu dem Zweck, mittels steuerfinanzierter privater Politikberatung unter Umgehung demokratischer Willensbildung durch öffentlichen Diskurs in den verfassungsrechtlichen Organen eine Umgestaltung des Gemeinwesens nach den Vorstellungen des Stifters Reinhard Mohn durchzuführen (›Bertelsmannrepublik‹, Refeudalisierung). Diese Vorstellungen und ihre Umsetzung durch ›steuerbegünstigte Politikberatung‹ gründen sich ausschließlich auf privaten Reichtum und Vermögen), so dass man von einer Privatisierung der Politik auf Kosten der öffentlichen Kassen sprechen kann.«2

Die Politikberatung sei nicht vereinbar mit dem Kriterium der »Förderung der Allgemeinheit«. Die mit der sogenannten Politikberatung im kommunalen Bereich praktizierte, völlig intransparente Privatisierung öffentlicher Aufgaben könnte den Tatbestand der Vorteilsnahme in Form sogenannten »Anfütterns« beziehungsweise der »Klimapflege« erfüllen, insbesondere wenn damit die Akquisition von Folgeaufträgen für die Bertelsmann AG oder deren Tochtergesellschaften begünstigt wird. Im übrigen sehe das Grundgesetz eine Timokratie, also eine nicht demokratisch legitimierte Beeinflussung der Tagespolitik durch »Herrschaft des Geldes«, nach einem Stifterwillen und einen hierdurch forcierten Systemwechsel nicht vor.

Für die Autoren liegt auf der Hand, dass die Art der intransparent verflochtenen wirtschaftlichen Dienstleistungen der Stiftung »in der besonderen Form des trojanischen Marketings keine selbstlose Tätigkeit sind«, wie es die Satzung verspricht. Entsprechendes gelte für die massive Verflechtung zwischen Stiftung und Aktiengesellschaft im Führungspersonal. Die Verflechtung sei mit der Ausschließlichkeit der Gemeinnützigkeit unvereinbar. Die Grundlage für die Gemeinnützigkeit liege demnach nicht mehr vor und deshalb sollte sie aberkannt werden.

Ihr Gutachten veröffentlichten die Autoren am 4. Februar 2009 in der Online-Zeitung Neue Rheinische Zeitung, die sich in der Tradition von Karl Marx sieht. Ihr Papier nennen sie »Expertise«; für die Stiftung ist es dagegen ein »Pamphlet«. Die Autoren bezeichnen sich als unabhängig – eine subtile Form der Ironie, mit der sie der Stiftung zeigen, dass der Verweis der Stiftung auf ihre Unabhängigkeit im Grunde nichts bedeutet. Gunter Thielen stellte ihre Unabhängigkeit auch prompt infrage.

Die Autoren mögen Juristen sein, aber sie sind keine Stiftungsexperten. So wussten sie vermutlich nicht, dass Stiftungen bis zu einem Drittel ihrer Erträge für die Versorgung des Stifters und seiner Nachkommen einsetzen dürfen, ohne die Gemeinnützigkeit zu verlieren. Sie beklagen, dass die Satzung hinsichtlich des Zweckes zu ungenau sei und außerdem geändert werden kann. Beides liegt jedoch prinzipiell im Rahmen der Genehmigungspraxis und Änderungen sind üblich. Was die Autoren nicht detailliert genug ansprechen, sind Fülle und Beliebigkeit der Änderungen, die vorgeben, der Stifteridee zu dienen, aber in Wirklichkeit eine radikale Umkehr gegenüber der ursprünglichen Idee und Gestaltung der Stiftung darstellen. So hatte, wie bereits angesprochen, ursprünglich die Familie nichts zu sagen, nun kann Liz Mohn praktisch alles ändern. Problematisch ist auch die Vererbung der Stifterrechte an die Familie – und das für alle Zeiten. Aber diesen Punkt sprachen die Juristen nicht an.

Der Vorstand würde die Kritik gerne ignorieren, aber das ging nicht mehr. Die eigenen Mitarbeiter forderten ihn auf, Stellung zu beziehen und sich mit der Kritik auseinanderzusetzen. Die Stiftung geriet auch deshalb unter Druck, weil die führende Lokalzeitung in Gütersloh, die Neue Westfälische, ausführlich auf die Positionen der Kritiker einging und von der Stiftung Antworten forderte.

Daraufhin verteidigte Thielen die Stiftung pauschal in einem Interview, das am 19. Februar 2009 in der Neuen Westfälischen erschien: »Das ist kein Urteil von Fachleuten. Dieses Papier ist in allen Punkten falsch und interessengeleitet.«3 Priehn sei von der Rosa-Luxemburg-Stiftung finanziert. Mit der Spitze der Gewerkschaften sei man täglich im Gespräch. Der Vorwurf, die AG profitiere von der Arbeit der Stiftung bei der Privatisierung von Verwaltungen, sei konstruiert. »Die Stiftung vertritt einen ganz anderen Standpunkt. Wir schlagen kein Outsourcing vor, um Kommunen effizienter zu machen, sondern beispielsweise die Bündelung der Aufgaben mehrerer Kommunen an einer Stelle.« Eine Ausrede, denn in Wirklichkeit mischen und gleichen sich die Ansätze von AG und Stiftung (vgl. Kapitel 7).

Der Ausstieg aus dem Themenfeld Medien und der Abbruch der Reform der Rundfunkordnung, der 2002 nach heftiger Kritik erfolgt ist, sei richtig gewesen, sagte Thielen. Heute aber liege kein derartiger Interessenkonflikt vor. »Ich sehe nicht, dass wir heute solche Interessenkonflikte mit unseren und den Themen der AG haben.« Sonst müsste die Stiftung 60 Prozent ihrer Arbeit einstellen. »Das geht nicht«, sagte Thielen. »Und ich lege meine Hand ins Feuer, dass die AG nicht einen Euro durch die Stiftung und deren Projekte verdient hat.« Die Kritiker aus den Reihen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft seien »ideologisch festgelegt«. »Ich versichere Ihnen, dass es keine Stiftung in Deutschland gibt, die genauer darauf achten kann, dass sie nicht gegen das Gemeinnützigkeitsrecht verstößt, als wir. Bevor wir ein Projekt starten, wird die Themenstellung auf diesen Aspekt durchleuchtet. Zudem werden wir von der Stiftungsaufsicht und den Finanzbehörden überprüft. Da sind wir klinisch rein.«

Die beiden Journalisten Stefan Brams und Bernhard Hänel, die das Interview mit Thielen führten, waren skeptisch und gaben ihm zu bedenken: »Ihre Kritiker bezweifeln doch gar nicht Ihr Finanzgebaren, sondern zweifeln Ihre Gemeinnützigkeit an, weil Sie so eng mit dem Konzern verquickt seien und Politikberatung betrieben.« Thielen antwortete: »Wir machen kein Politikconsulting. Wir machen lediglich Vorschläge, was und wie man Dinge besser machen könnte in der Gesellschaft.« Als würden Berater im Consultinggeschäft Dinge durchsetzen – Thielen konstruierte einen Unterschied, wo keiner ist. Er behauptete indes, beides ließe sich »ganz sauber« trennen. »Die Dinge sind klar: Wir nehmen keine Arbeitsaufträge von Politikern an. Sie werden kein einziges Projekt bei uns finden, das auch nur im Ansatz so zustande gekommen ist. Unsere Projektergebnisse stellen wir grundsätzlich jedermann zur Verfügung – und zwar zeitgleich.« Kein einziges Projekt? Entgegen Thielens Versicherungen kamen in der Realität Anstöße immer wieder von beiden Seiten – nicht nur bei gemeinsamen Projekten mit dem Bundespräsidenten. Thielen aber sagte: »Wenn uns jemand nachweisen kann, dass wir uns nicht nach Recht und Gesetz verhalten, würden wir das ändern.«

Der Forderung nach einer stärkeren Unabhängigkeit von der Familie Mohn erteilte er eine Absage: »Sowohl der Bertelsmann-Konzern als auch die Bertelsmann Stiftung sind sozusagen Kinder Reinhard Mohns. Es ist das gute Recht der Stifterfamilie, in beiden Bereichen tätig zu sein.« Während Heribert Meffert also Liz Mohns Ämterhäufung, mit der sie praktisch die Kontrolle über ihr eigenes Agieren ausübt, noch als Schönheitsfehler bezeichnete, beharrte Thielen darauf, dass Liz Mohn diesen Einfluss zu Recht ausübe. Das Stiftungsrecht gestatte diese Doppelfunktion. Die Journalisten fragten Thielen, ob er denn die Kritik in irgendeinem Punkt ernst nehme. Thielen antwortete darauf: »Wir nehmen Kritik grundsätzlich ernst und setzen uns mit ihr auseinander. Aber wir wollen Veränderungen anstoßen, da muss man mit Kritik leben.«4

Es stellt sich die Frage, ob die Gemeinnützigkeit der Stiftung tatsächlich gefährdet ist. Die Stiftung steht in ständigem Austausch mit der Stiftungsbehörde und hochbezahlten Fachanwälten, die die Konstruktion verteidigen. Es ist die Geschäftsgrundlage, die die Politik gesetzlich genehmigt hat. Wie Gerichte entscheiden würden, wenn jemand gegen diese Art von Gemeinnützigkeit Klage erheben würde, ist eine andere Sache. So wie die Bertelsmann AG das Verständnis von Gemeinnützigkeit zu ihren Gunsten auslegt, so könnte es freilich auch völlig anders ausgelegt werden. Das spüren auch die Mitarbeiter der Stiftung.

Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik
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