Ein Stiftungstag hat mehr als 24 Stunden: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Werner Weidenfeld

Werner Weidenfeld leitete das kommerzielle Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) in München. Er stellte in seiner Eigenschaft als Chef des CAP Projektanträge an die Stiftung, die er dann als Vorstandsmitglied der Stiftung befürwortete oder gar absegnete.

Weidenfeld, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, eilte als Politikberater von Land zu Land und von Termin zu Termin. Er beriet Regierungen und Kommissionen, hielt Konferenzen und Kontakte zu Ministern, Akademikern, Funktionsträgern und Präsidenten. Die FAZ schrieb: »Auf gewisse Weise verkörpert Werner Weidenfeld insofern die Bertelsmann Stiftung, ihre Rastlosigkeit, ihre Allgegenwart, ihren ständigen Seitenwechsel an den Grenzen von privatwirtschaftlich, gemeinnützig, staatsnah und halbwissenschaftlich, prominenzorientiert und kommunal. Eine echte Nichtregierungsorganisation mit Kontakten in alle Regierungen hinein.«2 Weidenfeld hatte einst Kanzler Helmut Kohl beraten und mit Horst Teltschick zusammengearbeitet. Jetzt beriet er Bertelsmann und die Stiftung und führte Liz Mohn und ihre Manager in Berlin, Brüssel und anderen Hauptstädten ein.

Er moderierte die Veranstaltungen der Stiftung mit großer Selbstsicherheit. Aber er war nicht unumstritten in Gütersloh. Andere leitende Mitarbeiter neideten ihm seine Kontakte und seine Präsenz in der Öffentlichkeit. Auch politisch herrschte Konkurrenzdenken, etwa zwischen ihm und Meffert oder ihm und dem EU-Abgeordneten Elmar Brok. Vielleicht war Weidenfeld zu naiv, um die Gefahr zu erkennen. 175 Arbeitstage jährlich deklarierte der Professor gegenüber der Bertelsmann Stiftung. Dabei war der Beamte ehrenamtlich tätig und die 175 Arbeitstage waren eine Nebentätigkeit. Vielleicht glaubte er auch der eigenen Inszenierung und sah sich tatsächlich rund um die Uhr im Einsatz. Instinktiv fragt man sich: Wie viele Arbeitstage umfasst eigentlich ein Jahr des Professor Weidenfeld?

Im Jahr 2005 forderte Meffert Weidenfeld heraus, wie das Manager Magazin im Juli 2005 berichtete.3 Meffert glaubte, dabei die Unterstützung der Mohns zu haben. In einer streng vertraulichen Notiz vom März 2003 (»Sicherung der Führungsfähigkeit«) verlangte Meffert von seinen Vorstandskollegen eine »Verpflichtung auf Effizienzsteigerung und Commitment« und die »Lösung struktureller Personal- und Führungsprobleme«. Solche Reformen waren ein Novum in Gütersloh.

Weidenfeld war wie alle Mitglieder des Präsidiums bis 2005 nicht nur Mitglied im Vorstand, sondern auch im Kuratorium der Stiftung, wo er gewissermaßen über sich selbst wachte und sich die eigenen Projekte genehmigen konnte. Meffert beklagte sich laut Manager Magazin in einem Geheimdossier über die »Verselbstständigung des CAP«. Knapp 20 Prozent seines Haushalts bestritt das Politcentrum mit Gütersloher Stiftungsaufträgen. Um Weidenfeld unter Kontrolle zu bringen, legte ihm Meffert Anfang Dezember einen Beratervertrag vor. Weidenfeld verlangte eine Aussprache und am 20. Januar setzte er sich mit Meffert und Ernst Buschor, dem Vorsitzenden des Stiftungskuratoriums, zusammen.

Meffert wollte Weidenfelds Beraterleistung »gesondert honoriert« und »inhaltlich fixiert« wissen. Meffert führte steuerliche Gründe ins Feld und sagte Weidenfeld, er dürfe nicht mehr als 100 Arbeitstage abrechnen. Das Manager Magazin zitierte wörtlich aus einem vertraulichen Aktenvermerk (ST-P/HM 31. 1. 05): »Ich stellte mit Herrn Buschor auch die Frage, ob die von Herrn Weidenfeld im Jahr 2004 aufgewandten 175 Arbeitstage in diesem Ausmaß als Nebentätigkeit genehmigt seien. Herr Weidenfeld wies darauf hin, dass eine entsprechende Genehmigung … vom bayerischen Ministerium mit ihm vereinbart wäre.«

Für solch eine Genehmigung ist jedoch kein Ministerium, sondern die Universität zuständig und diese betonte auf Anfrage des Manager Magazins, »dass ein Antrag auf Genehmigung einer Nebentätigkeit im Umfang von 175 Arbeitstagen nicht genehmigungsfähig« sei. Dies gelte auch für jene 100 Arbeitstage, die man Weidenfeld künftig zugestehe. Über das Angebot, das er letztlich akzeptierte, zeigte sich Weidenfeld verbittert. Meffert schrieb: »Dies betreffe neben einer spürbaren Gehaltskürzung auch die Genehmigungsregelung bei den Reisespesen zum Wohnort.« Offenbar hatte Weidenfeld auch diese Kosten großzügig und fantasievoll berechnet. Er war ja praktisch in Gedanken immer irgendwie im Auftrag der Stiftung unterwegs.

Eigentlich hätte Weidenfeld aufgrund seines Abrechnungsbetrugs, den Meffert ihm vorhielt, von seinen Aufgaben zurücktreten müssen. Aber Weidenfeld dachte offenbar nicht daran. Es sollte noch ganze zwei Jahre dauern, bis das öffentlich dargestellte, zweifelhafte Finanzgebaren von Werner Weidenfeld Konsequenzen hatte. Das heißt nichts anderes, als dass das Abrechnungsverhalten von Weidenfeld an der Spitze der Stiftung geduldet wurde. Der eigentliche Skandal ist also, dass das Manager Managzin im Juni 2005 detailliert darüber berichtet hat und es dann noch zwei Jahre gedauert hat, bis etwas geschah.

Dass dann etwas geschah, lag nicht daran, dass die Verantwortlichen in der Stiftung ein zweifelhaftes Finanzgebaren aufgedeckt hatten. Nein, es gab eine anonyme Anzeige. Im Juni 2007 kam die Staatsanwaltschaft in die Stiftung und sagte, man habe aufgrund einer anonymen Anzeige die beiden Wohnungen von Werner Weidenfeld durchsucht. Es ginge um Betrug und um falsche Abrechnungen. Ihm wurde vorgeworfen, private Ausgaben in Höhe eines vierstelligen Eurobetrags über die Stiftung abgerechnet zu haben. Hinter der Anzeige müsse jemand aus der Stiftung stehen, sonst hätte er nicht auf Akten zurückgreifen können. Die Staatsanwaltschaft gab der Stiftung zwei Wochen Zeit, Unterlagen zusammenzustellen.

Für die Ermittlungen war zwar bereits vieles verjährt, aber nicht für die interne Revision der Stiftung. Sie blickte tiefer und entdeckte mehr problematische Dinge, die offenbar geduldet waren. Weidenfelds Interessenkonflikt und Vergehen gegen ordnungsgemäße Abrechnungen waren ja nur möglich, weil man ihn jahrelang hatte gewähren lassen. Dies geschah, weil er dem Unternehmen in seiner Funktion gute Dienste leistete und die Nähe zur Politik herstellte. Wenn Bertelsmann beispielsweise für eine Fernsehlizenz in Kroatien Kontakte zum kroatischen Ministerpräsidenten benötigte, dann war auf Weidenfeld Verlass gewesen. Dafür durfte Weidenfeld dann auch unglaubwürdig viele Tage als Nebentätigkeit abrechnen. Er durfte sogar die Mahlzeiten an seinem Urlaubsort als Arbeitsessen verrechnen.

Ehemalige Mitglieder des Kuratoriums sagen, es werde im Kuratorium der Stiftung nur allgemein über Projekte gesprochen; finanzielle Daten würden nicht erörtert. Eine echte Aufsicht finde nicht statt. Es wäre nötig zu prüfen, ob Aufwand und Ertrag wirklich im Verhältnis stehen.

Wie viel Geld fließt beispielsweise aus der Stiftung in den Betrieb des Parkhotels in Güterloh, das Liz Mohn gehört, wenn dort Wettbewerbe, Empfänge und Konferenzen der Stiftung stattfinden? Wie viel in die Betreuung der Gäste? Die Öffentlichkeit weiß es nicht und kann die Effizienz der Stiftung nicht prüfen. Das ist ihre – aus Sicht der Allgemeinheit – vielleicht größte Schwäche.

Die größte Bedrohung der Stiftung ist die Stiftung selbst. Die Gefahr, so zeigte sich 2007, kommt von innen, in Gestalt eben jenes leitenden Mitarbeiters Werner Weidenfeld. Ein Neider oder aufrechter Kollege machte Öffentlichkeit und Ermittlern Arbeits- und Spesenabrechnungen zugänglich, gemäß derer Weidenfeld mehr als 24 Stunden am Tag im Einsatz war. Die Staatsanwaltschaft München ermittelte wegen des Verdachts der Untreue. Die Ermittlungen stellten den GAU für die Bertelsmann Stiftung dar. Was würde geschehen, wenn die Ermittler Einsicht in Abrechungen nehmen und Mitarbeiter vernehmen?

Es drohte zweierlei: Eine öffentliche Debatte und ein Gerichtsverfahren, in dem die Stiftung so sehr zu Transparenz gezwungen werden würde wie noch nie. Und es drohten peinliche Fragen nach Abrechungen, nach Aufwand und Ertrag, kurz: nach der Effizienz der Stiftung und ihrem Nutzen für die Allgemeinheit. Das hatte Weidenfeld sicher nicht gewollt, aber an der Spitze der Stiftung war man nervös und bangte um die Betriebsgeheimnisse, wie es im Umfeld der Stiftung heißt. Familie Mohn und ihre Stiftung konnten jedoch verhindern, dass Ermittler den gesamten Betrieb durchleuchteten. Weidenfeld musste wegen seiner Dummheit mit den falschen Abrechungen aus dem Vorstand austreten. Die größte Bedrohung, die die Stiftung jemals erlebt hatte, ging glimpflich aus. Das Ermittlungsverfahren wurde gegen Zahlung von 10 000 Euro eingestellt. Die Öffentlichkeit nahm den Streit zwar wahr, registrierte aber kaum, worum es eigentlich ging.

Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik
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