1. Ein Modell für Deutschland – Vorläufer und Grundprinzipien der Bertelsmann Stiftung

Eine Stiftung ist ein Vermögen, verbunden mit einer Idee. Die Idee betrifft die Frage: Was fördern? Kern und Voraussetzung einer Stiftung ist also Kapital, das der Besitzer in eine Stiftung einbringt. Er muss das Vermögen erben oder schaffen. Reinhard Mohn hatte beides: Er erbte und er schuf. Das Vermögen, das er erbte, bestand aus einem Verlag, den der Vater mit Opportunismus und Anbiederung an die Machthaber im »Dritten Reich« durch den Zweiten Weltkrieg gebracht hat. Der 1921 geborene Reinhard Mohn baute ihn in den Nachkriegsjahren weiter auf.

Als Soldat lernte Mohn, dass erfolgreiches Führen bedeutet, Verantwortung zu delegieren. Darauf hatte ihn ein traumatisches Erlebnis im Krieg gebracht. Als 21-jährigem Leutnant waren ihm 45 vorbestrafte Soldaten unterstellt. Als sich einer zu spät zurückmeldete und Mohn ihm drohte, ihn zu melden (was den Betroffenen ins Gefängnis gebracht hätte), erschoss dieser sich. Daraus lernte Mohn, dass Disziplin ohne Eigenverantwortung unverantwortlich ist. Wer führt, muss Verantwortung delegieren, um erfolgreich zu sein. Auf diesen Grundsatz baute Mohn sein Unternehmen auf. Dezentrale Führungstechnik und Delegieren von Verantwortung wurden zu Mohns Schlüsselbegriffen, die sein Verständnis von Unternehmenskultur prägten. Diese Erkenntnis wollte er mit seiner Stiftung der Gesellschaft weitergeben.

Die Bertelsmann AG ist heute ein Unternehmen, in dem 2009 rund 100 000 Mitarbeiter in 1 013 Einzelfirmen mit Fernsehen (RTL Group), Zeitschriften (Gruner + Jahr), Büchern (Random House) und Dienstleistungen (Arvato) in mehr als fünfzig Ländern 15,4 Milliarden Euro Umsatz erwirtschafteten. Bertelsmann ist somit Europas größter Medienkonzern. Kapital- und Stimmrechte sind getrennt. Mehrheitseigentümerin ist mit 77,4 Prozent der Kapitalrechte die von Familie Mohn kontrollierte Bertelsmann Stiftung; der Rest ist in Familienbesitz. Alle Stimmrechte kontrollieren Liz Mohn und zwei ihrer sechs Kinder, Brigitte und Christoph, über die sogenannte Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft mbH. Obwohl die Stiftung gemeinnützig ist und somit von der Allgemeinheit finanziell gefördert wird, bestimmt de facto Familie Mohn alleine.

Mohn gründete 1977 die Bertelsmann Stiftung, in Sorge, seine Erben würden sonst aus steuerlichen Gründen gezwungen werden, Bertelsmann aufzuteilen. »Die dominierende Zielsetzung«, wie Mohn 1986 in seinem Buch Erfolg durch Partnerschaft schrieb, war »die Sicherung der Unternehmenskontinuität«. Indem die Stiftung das Kapitalvermögen übernimmt, sollte sie »die dann nicht mehr durch Erbschaftsteuer belastete Finanzierungskontinuität gewährleisten«. Am 16. September 1993 übereignete er der Stiftung mit 68,8 Prozent die Mehrheit des Kapitals am Unternehmen. Die Stimmrechte behielt er selbst und brachte sie 1999 in eine Verwaltungsgesellschaft ein. Mit dem Kapitalerlös baute die Stiftung ihre Aktivitäten und ihren Einfluss kontinuierlich aus. Nachdem er sich 1991 an seinem 70. Geburtstag aus dem Unternehmen zurückgezogen hatte, engagierte sich Mohn weiter in der Stiftung, die er als sein Lebenswerk bezeichnete. Sie avancierte zur größten und einflussreichsten operativen Stiftung in Deutschland. Reinhard Mohn ersetzte den Missionseifer der Väter mit seiner Philosophie der Unternehmenskultur, die er mit Hilfe seiner Stiftung auf die Gesellschaft ausweiten wollte. Viele Projekte seiner Stiftung verfolgen das Ziel, die Gesellschaft nach messbaren Größen zu verändern. Während bei der Bertelsmann AG intern strenge Gewinnvorgaben gelten, die allen Firmen langfristig 10 Prozent Rendite vorschreiben, müssen alle Mitarbeiter laut den Essentials der AG zugleich einen Leistungsbeitrag für die Allgemeinheit erbringen. Dieser Leistungsbeitrag besteht unter anderem in der Arbeit der Stiftung. Die »Bertelsmann Essentials« sind eine Art Grundgesetz für die Mitarbeiter und schreiben vor: »Unsere Gesellschafter verstehen Eigentum als Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft. Sie sehen das Unternehmen in der Marktwirtschaft dadurch legitimiert, dass es einen Leistungsbeitrag für die Gesellschaft erbringt. Diesem Selbstverständnis entspricht auch die Arbeit der Bertelsmann Stiftung, in die die Mehrheit der Bertelsmann Aktien eingebracht wurde.«

1998 übernahm Thomas Middelhoff den Vorstandsvorsitz des Unternehmens von Mark Wössner. Bertelsmann verdankt Middelhoff den Einstieg beim Internetanbieter AOL. Der Verkauf brachte Bertelsmann einen Rekorderlös (7,5 Milliarden Euro) und machte die Firma zu einem der wenigen Medienkonzerne, der von der Internet-Hysterie profitierte. Als sich die Internet-Träume nicht verwirklichen ließen, setzte Middelhoff aufs Fernsehen und kaufte schrittweise die Mehrheitsanteile beim Marktführer RTL, der heutigen cashcow von Bertelsmann. Reinhard Mohn setzte dafür sogar seine eherne Regel, niemals mit der gesamten Firma an die Börse zu gehen, außer Kraft. Im Tausch von einem Drittel aller RTL-Anteile gegen ein Viertel der Bertelsmann AG wurde dem belgischen Finanzier Albert Frère (GBL) dieses Recht, an die Börse zu gehen, zugesichert. Doch Reinhard Mohn fühlte sich nie wohl beim Gedanken an die Börse. Im Streit mit Middelhoff um den Verkauf von Anteilen der Familie Mohn und um den Einfluss von seiner zweiten Ehefrau Liz musste Middelhoff Bertelsmann 2002 verlassen.

Heute vertritt Liz Mohn die Familie in allen wichtigen Gremien (Aufsichtsrat, Stiftungsvorstand, Verwaltungsgesellschaft mbH), die strategische Entscheidungen treffen. Liz Mohn wurde am 21. Juni 1941 als Elisabeth Beckmann in einem Nachbarort von Gütersloh geboren und begann mit 17 Jahren als Telefonistin bei Bertelsmann. Sie heiratete einen Verlagslektor und bekam drei Kinder, die Reinhard Mohn nach beider Scheidung und seiner Heirat mit ihr 1982 adoptierte. 1993 gründete sie die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe; 2002 wurde sie Vorsitzende der Verwaltungsgesellschaft, in der sie gemeinsam mit ihren Kindern Brigitte und Christoph die Stimmrechte ausübt. Auf ihren Druck hin kaufte Bertelsmann 25 Prozent seiner Aktienanteile 2006 von Albert Frère für 4,5 Milliarden Euro zurück.

Zwei der sechs Kinder von Reinhard Mohn sind bei Bertelsmann engagiert: Brigitte sitzt im Vorstand, ihr Bruder Christoph im Kuratorium der Stiftung. Gemeinsam mit ihrer Mutter sitzen beide auch im Aufsichtsrat des Unternehmens. Seinen ältesten Sohn Johannes hat Reinhard Mohn jahrelang öffentlich als seinen Nachfolger ausgegeben, seinem jüngsten Sohn Andreas unterbreitete er später ebenfalls entsprechende Pläne – beide ließ er jedoch fallen. Sie haben auf das Schicksal von Bertelsmann keinen Einfluss mehr. Brigitte Mohn gilt als Nachfolgerin ihrer Mutter an der Spitze der Stiftung, seit Reinhard Mohn in seinem Buch Von der Welt lernen (2008) über seine Kinder schrieb: »Während sich unser Sohn Christoph durch große Eigenständigkeit auszeichnet, teilt Brigitte in ihrer zielgerichteten und verantwortungsvollen Art meine Auffassung, dass jedermann mit seiner Arbeit auch einen Beitrag für die Gemeinschaft zu erbringen hat. Sie wird als engagiertes Mitglied des Stiftungsvorstands zweifelsohne auch zukünftig ihren Beitrag zur Kontinuitätssicherung der Bertelsmann Stiftung leisten.«

Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik
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