»Wir tun das Richtige« – Kritik an der Stiftung und ihre falsche Verteidigung
Die Überschneidung von Stiftungsthemen und Geschäftsfeldern der Bertelsmann AG blieb nicht unkommentiert. Im November 2007 befasste sich Die Zeit mit der Kritik an der Stiftung und schrieb, sie werde »mit Vorwürfen überhäuft«. Aus dem Gewerkschaftslager hieße es, die Stiftung nutze »ihren politischen Einfluss, um den öffentlichen Dienst gezielt auf die ›feindliche Übernahme‹ durch private Unternehmen à la Arvato« vorzubereiten. Der Eindruck, die Vorwürfe träfen ins Schwarze, verstärke sich, weil kein Verantwortlicher der Stiftung öffentlich dagegenhalte. Daraufhin entschloss sich die Stiftung zu reagieren.
Liz Mohn sprach als Repräsentantin der Stifterfamilie mit der Zeit und beruhigte die Öffentlichkeit: »Es wird immer wieder vorkommen, dass die Stiftung über Themen nachdenkt, die unabhängig davon auch Geschäftsfelder der Bertelsmann AG betreffen. Das kann in der Bildungspolitik passieren oder wenn die Stiftung das Arbeitsvertragsrecht weiterentwickeln möchte – oder wenn wir über die Reform der kommunalen Verwaltung nachdenken.«
Die Zeit stellte sich auf die Seite der Stiftung und schrieb: »Erhärten lässt sich der Vorwurf nicht, die Stiftung arbeite dem Konzern bei der Reform der kommunalen Verwaltung direkt zu. Tatsache ist, dass der Konzern Verwaltungsaufgaben für Städte und Gemeinden übernimmt. Man hofft auf ein Riesengeschäft. Aber das Geschäftsmodell von Arvato widerspricht den Ideen der Stiftung grundlegend. Während dort empfohlen wird, Stadt und Privatunternehmen sollten allenfalls gemeinsam eine Outsourcing-Gesellschaft gründen (Kommunale Dienstleistungspartnerschaften), will Arvato das Geschäft alleine betreiben, um freie Hand zu haben.«4 Die Zeit übernahm hier die Argumentation der Stiftung. Wann immer Kritiker ihr vorwerfen, sie arbeite dem eigenen Unternehmen zu, betont sie, man verfolge grundlegend verschiedene Ansätze.
Unterm Strich bleibe aber, so die Zeit, dass Stiftung und Konzern das Outsourcing in Kommunen vorantreiben – und genau das werde viele Mitglieder von ver.di ihren bisherigen Arbeitsplatz kosten. Liz Mohn sagte dazu: »Wir wollen mit der Stiftung helfen, das Land für die Zukunft weiterzuentwickeln, und gerade die Reform der Kommunen ist uns ein großes Anliegen. Das war schon so, als mein Mann Reinhard Mohn die Stiftung gegründet hat, und wir werden das fortsetzen. Wir tun das Richtige. Dass es dabei Konflikte gibt, ist unvermeidlich.« Man werde aber künftig noch stärker für die eigene Sache werben.
Hat Liz Mohn also Recht? Fußt die Kritik wirklich auf der falschen Annahme, dass Konzern und Stiftung gleiche Interessen verfolgten? Unterscheiden sich die Strategien von Unternehmen und Stiftung tatsächlich so »grundlegend«? Übernimmt das Unternehmen stets alle Verwaltungsaufgaben zu 100 Prozent, während die Stiftung dies ablehnt und stattdessen nur Partnerschaften empfiehlt? Die Entlastung ist falsch, denn die angeblich grundsätzlichen Unterschiede existieren in der praktischen Umsetzung der bisherigen Modelle so nicht. Die Konzepte von Stiftung und Konzern gleichen sich in Ansatz, Inhalt, Form und Sprache. Arvato ist flexibel und offen für beide Modelle – für Auftragsarbeit und Partnerschaft. Es ist richtig, dass die Stiftung vor klassischem Outsourcing warnt. Aber Arvato ist flexibel und bietet auch an, Teilbereiche auszulagern.
Liz Mohns Aussage steht also im Widerspruch zu dem, was die Manager des eigenen Unternehmens und die deutschen Projektpartner in Würzburg als Kennzeichen ein ums andere Mal herausgestellt haben. So empfiehlt die Stiftung beispielsweise in der erwähnten Anleitung, die sie 2007 gemeinsam mit dem Deutschen Städte- und Gemeindebund herausgab, »kommunale Dienstleistungspartnerschaften« und es ist von »Shared Services« die Rede. Es wird das Beispiel der Stadtwerke Ingolstadt genannt: Diese haben die Abrechnung der privatrechtlich geregelten Strom-, Gas- und Wärmelieferungen an die Holding Stadtwerke Ingolstadt Beteiligungen GmbH übertragen, welche nun auch Aufträge von externen Kunden übernimmt. Das klingt zunächst harmlos im Vergleich zur Übernahme der Verwaltungsaufgaben durch die Bertelsmann-Tochterfirma Government Services.
Obendrein äußern sich Stiftung und Städtebund skeptisch gegenüber klassischem Outsourcing und kritisieren, dass es in den neunziger Jahren zu Unrecht als Allheilmittel zur Kostenreduktion in der industriellen Produktion, etwa in der Automobilbranche, gesehen wurde: »Die Euphorie mag verflogen sein, nicht jedoch die Zweckmäßigkeit. Allerdings muss der Mehrwert einer Auslagerung kritisch hinterfragt werden, und es muss festgestellt werden, ob durch die Auslagerung Abhängigkeiten entstehen, die nicht mehr von dem Auftraggeber kontrolliert werden können.«5
Diese kritische Haltung der Stiftung ändert aber nichts daran, dass Arvato durchaus ähnlich vorgeht. In East Riding hat die Arvato-Tochtergesellschaft Government Services zur Vermarktung der Dienste ein gemeinsames Unternehmen mit der Grafschaft gegründet, ein sogenanntes Public Private Partnership (PPP). Arvato besitzt 80 Prozent an diesem Joint Venture, die Grafschaft East Riding of Yorkshire Council knapp 20 Prozent. Arvato nennt das eine »strategische Partnerschaft«. Sie soll es leichter machen, Politiker, Bürger und andere Kommunen für die eigenen Zwecke zu gewinnen. Ziel dieses Joint Ventures ist also die gemeinsame Vermarktung der Dienstleistungen an andere Kommunen. Arvato bezeichnet diese Partnerschaft auch – und das ist bedeutsam und vielsagend – als eine »Dienstleistungspartnerschaft«. So formuliert Arvato das schriftlich in einem Vortrag. Dienstleistungspartnerschaft ist der gleiche Begriff, mit dem auch die Stiftung für ihr Konzept wirbt.
In Würzburg ist das Geschäftsmodell anders: Dort ist Arvato Dienstleister. Arvato schafft eine einheitliche Internetplattform für Bürger, Unternehmen und Verwaltungsmitarbeiter. Diese Dienstleistung ist ausgelagert und die Mitarbeiter sind weiterhin bei der Kommune angestellt. In Würzburg erzielt Arvato den Gewinn im Gegensatz zu East Riding nicht aus der Tätigkeit von Mitarbeitern, die von Bertelsmann bezahlt sind, sondern durch Einsparung von Personal.
In der kommentierten und korrigierten Version des vertraulichen Vertragsentwurfs vom 25. Januar 2007, der dem Autor dieses Buches vorliegt, ist von »Vereinfachung, Verschlankung, Beschleunigung« die Rede, nicht aber von einer 100-prozentigen Übernahme. In gemeinsamer Absprache sollen vor allem Prozesse mit hohem Einsparpotenzial umgesetzt werden. Ausdrücklich heißt es im Vertrag: »Die Verbesserung aller von der Stadt genannten Prozesse ist nicht zwingendes Ziel des Projekts.« Es ist ein gemeinsames Projekt und die Vertreter der Stadt sollen mitbestimmen. Dazu gründeten Arvato und die Stadt mehrere Gremien, etwa einen Lenkungsausschuss und ein Projektteam aus Arvato- und Verwaltungsbeamten.
In Würzburg hat Government Services folglich einen Vertrag geschlossen, wonach Arvato keine hoheitlichen Aufgaben erledigt. Das heißt, auch in Würzburg übernimmt Bertelsmann die kommunalen Aufgaben eben nicht zur Gänze. Als die Würzburger Oberbürgermeisterin Pia Beckmann angesprochen wird, Würzburg habe als erste Kommune in Deutschland einem Privatunternehmen Verwaltungsaufgaben anvertraut, anwortet sie: »In Ihrer Frage liegt ein Missverständnis. Es ist nicht so, dass wir einem Privatunternehmen Teile unserer Verwaltung überlassen hätten. Wir sind als Stadt eigenständig und wollen das auch bleiben.«
Tatsächlich will Arvato nicht ganze Verwaltungen übernehmen, Bertelsmann ist offen für viele Modelle. In Würzburg liegt der Schwerpunkt nicht auf der Übernahme von Tätigkeiten, die Bertelsmann eins zu eins ausführt, sondern es geht um die Einführung von Software, die als Schnittstelle mehrerer Abteilungen dient und unterschiedliche Aufgaben und Abteilungen integriert. Das Verdienst kommt durch diese Einsparung zustande, nicht indem Bertelsmann alles wie bislang erledigt.
An beiden Modellen wird deutlich, dass Arvato flexibel ist. Der ehemalige Leiter der Abteilung Government Services, Christoph Baron, nannte in einem Vortrag vor Altstipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung im April 2008 ausdrücklich beide Modelle als Weg, den Markt zu erobern. Beide hätten ihre Vor- und Nachteile. Der Vorteil des Würzburger Modells der Kooperation sei die politische Durchsetzbarkeit, betonte Baron. Das Würzburger Modell stellte Baron übrigens unter den Titel »Dienstleistungspartnerschaft für E-Government« vor. Als Public Private Partnership, »PPP für Bürgerservive aus einer Hand«, präsentierte Arvato das Würzburger Modell am 12. September 2007 (also lange vor der gegenteiligen Versicherung in der Zeit) auf dem deutschen Kämmerertag und als Dienstleistungspartnerschaft stellt Government Services es ganz offiziell auf seiner Website vor. Arvato hat die Sprache der Stiftung übernommen. Das ist naheliegend und man müsste es gar nicht so sehr betonen, wenn nicht die Stiftung genau das Gegenteil behaupten würde, indem sie versichert, man verfolge grundlegend andere Ansätze.