Die ultimative Sinnstiftungs-Stiftung
Bundespräsident Herzog und die Bertelsmann Stiftung schienen sich aufs Prächtigste zu ergänzen. Als die Stiftung am 10. September 1998 in Gütersloh den Carl Bertelsmann-Preis zur »Kommunikationsordnung 2000« verlieh, war Herzog der Laudator. Er sagte kaum etwas zum Thema des Preises. Stattdessen sprach er über die Notwendigkeit der Arbeit der Stiftung und würdigte die Impulse, die von der Stiftung ausgingen. Es gebe in Deutschland immer noch zu wenige operative Stiftungen, die wie die Bertelsmann Stiftung Anstöße zur Veränderung geben. »Diese Arbeit wird umso wichtiger, je mehr am Ende unseres Jahrhunderts die Grenzen staatlicher Gestaltungs- und Regelungskraft sichtbar werden. Denn Aufgaben, die früher dem Staat zugeschrieben wurden, können oft besser und effizienter erledigt werden, wenn dem Staat Wettbewerb durch private Initiativen erwächst.« Die Bürgergesellschaft der Zukunft werde allgemein auf drei Säulen stehen. Neben Wirtschaft und Politik werden das immer häufiger nichtstaatliche Organisationen sein. »Sie werden als ›dritter Sektor‹ unser Leben entscheidend mitbestimmen.«
Der Austausch zwischen Herzog und Stiftung geschah jedoch nicht ohne Kritik. Als der Journalist Gunter Hofmann 1998 kurz vor Ende von Herzogs Amtszeit in der Zeit Bilanz zog, bezeichnete er Herzog als »halbierten Präsident«.17 Gegen sein Leitmotiv, Erneuerung, »muss man nichts haben, auch wenn treffend eingewandt worden sei, der Kritik fehle ein Adressat.« Seitdem erlebe man Herzogs »›Innovationsmarathon‹, es hagelt Erfinderfeste, Ideenpreise, Start-up-Festivals. Solche Aktionen werden von der ultimativen Sinnstiftungs-Stiftung, aus dem Hause Bertelsmann, tatkräftig begleitet. (…) Das verleiht dem Projekt Erneuerungspräsident, unfreiwillig, einen inszenatorischen Charakter. Aber, wichtiger: Wohin man auch sieht, wenn man die Herzog-Worte – eine Präsidentschaft besteht nun einmal aus Worten – als Bausteine für eine ›Berliner Republik‹ begreift, und so sind sie gedacht, gewinnt man inzwischen das Bild einer halbierten Moderne.« Man frage sich, ob Herzog bei aller Reformrhetorik »nicht doch offener darüber sprechen sollte, wie weit die Konkurrenzgesellschaft sich auch auf neue Ungleichheiten vorbereiten müsse«.18
Wie viel Planung also steckte hinter der Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung? Vielleicht war alles nur Zufall. Vielleicht sind zwei Personen – Roman Herzog und Reinhard Mohn – einfach losgelaufen und sich irgendwann begegnet. Vielleicht agierten beide nach dem Prinzip der Geißeltierchen. So zumindest beschreibt es Roman Herzog selbst in seinen 2007 erschienenen Erinnerungen Jahre der Politik: »Das Geißeltierchen liegt im warmen Wasser und lässt seine Fangarme spielen. Und wenn etwas Interessantes vorbeikommt, schlägt es zu.« Man mag dieses Bild für etwas arrogant halten, fügte Herzog an. »Aber es entspricht genau meiner Lebenshaltung.«19