Das Vorbild in den USA: Die Ford Foundation

Die Ford Foundation ist eine der einflussreichsten Stiftungen in den Vereinigten Staaten. Lange Zeit war sie auch eine der umstrittensten Stiftungen, deren Einfluss sogar zu Anhörungen im Kongress und zu einer neuen Gesetzgebung und Einschränkungen hinsichtlich der Macht von Stiftungen führte. Mohn hatte ähnliche Gründe für die Stiftungsgründung wie Henry Ford, der Gründer des gleichnamigen Automobilwerks: Beide wollten die Erbschaftsteuer umgehen. Ford und Mohn gründeten Stiftungen, um Steuerregelungen zu umgehen, um ihr Unternehmen zu erhalten.

Der amerikanische Automobilunternehmer Henry Ford hasste den Staat, Steuern und Banken, schreibt der Journalist David Halberstam. Ford wollte das Unternehmen in seiner Familie behalten. Hätte er die Anteile seinen Nachkommen direkt überschrieben, dann hätte dies das Ende der Familienherrschaft über Ford bedeutet. Um die Erbschaftsteuern zu bezahlen, hätten sie einen so großen Anteil am Unternehmen verkaufen müssen, dass sie keine Mehrheit mehr besessen hätten. Ein Dilemma für Familien, die ihre Kontrolle erhalten wollen. Was tat Henry Ford? Um die Erbschaftsteuer zu vermeiden, gründete er eine Stiftung. Er nannte sie Ford Foundation und überschrieb ihr den Großteil der Aktien am gleichnamigen Automobilkonzern. Der Familie überließ er nur 5 Prozent der Anteile am Unternehmen. Allerdings übertrug er der Familie sämtliche Stimmrechte. Auf diese Art, schreibt Halberstam, konnte die Familie die Kontrolle über die Firma behalten, ohne Erbschaftsteuer zu bezahlen.

Allerdings gab es laut Halberstam zwei Probleme, als diese Konstruktion nach dem Tod von Ford in Kraft trat. Zum einen war Ford kein wohltätiger Mensch und hatte deshalb eine Stiftung gegründet, ohne ihr eine wohltätige Aufgabe zu geben. In seinen Augen bestand die Aufgabe der Stiftung ja darin, keine Steuern zahlen zu müssen. Die Tätigkeit der Stiftung war auf ein Minimum begrenzt. Das machte die Aufsicht misstrauisch. Im Kongress sah man die Stiftung als das, was sie war: »ein schamloses Steuersparmodell«4. Das andere Problem war die Familie selbst, die eigentlich gewohnt war, auf großem Fuß zu leben (einige der Haushalte der Ford-Familie verfügten über bis zu 16 Angestellte), und nach dem Tod von Henry Ford zu ihrer Überraschung feststellen musste, dass er der Familie nur 5 Prozent an seinem Unternehmen vermacht hatte. Das Unternehmen war nicht erfolgreich genug, als dass die Erben diesen aufwändigen Lebensstil hätten fortführen können.

Henry Ford hat die Ford Foundation 1936 gegründet. Als die Stiftung das Unternehmen erbte, wurde sie über Nacht zur reichsten und mächtigsten Stiftung in den USA. 1954 konnte sie viermal so viel Geld ausgeben wie die Rockefeller Stiftung, die auf Rang zwei der größten amerikanischen Stiftungen lag, und zehnmal so viel wie die Carnegie Corporation, die drittplazierte Stiftung. Doch die Familie war darüber nicht froh. Bei jedem Familientreffen machte das Wort von der Dividendenkrise die Runde. Selbst die Gehälter der Familienmitglieder, die in der Firma arbeiteten, reichten nicht aus, um den gewohnten Luxus weiter zu finanzieren.

Das ging nur, indem das Unternehmen an die Börse ging und zugleich das Kapital erhöhte. Damit vermehrte sich die Zahl der Aktien und die Familie konnte einen Teil der Aktien verkaufen, ohne die Kontrolle aufzugeben, so lange sie genügend stimmberechtigte Aktien behielt. Die Vorbereitungen für den Börsengang liefen heimlich und dauerten drei Jahre. Alle Beteiligten erhielten Decknamen: Die Stiftung hieß Grace, die neuen Börsenanteile hießen Gloria und der Marktwert hieß Florence. Im November 1955 ging das Unternehmen an die New Yorker Börse und erlöste damit 640 Millionen statt der erwarteten 100 Millionen Dollar. Es war ein Meilenstein in Sachen Börsengang und ein Meilenstein in Sachen Steuervermeidung, schreibt Halberstam. Fords Schwiegertochter Eleanor Clay Ford und ihre vier Kinder hätten 300 Millionen Dollar Steuern zahlen müssen, um die Kontrolle des Unternehmens zu behalten – so wie es dank des Börsengangs geschah. Denn die Familie behielt 40 Prozent der stimmberechtigten Aktien. In den frühen siebziger Jahren begann die Stiftung mit dem Verkauf der Anteile; 1971 bis 1974 verkaufte sie ihre Aktien und erhielt dafür insgesamt 1,372 Milliarden Dollar.

Aber Ruf und Einfluss der Ford Foundation haben nicht nur mit Geld zu tun. Die Ford Foundation änderte Vorgehensweise und Verständnis der Arbeit einer Stiftung, schreibt die amerikanische Juristin und Mitarbeiterin des konservativen Manhattan Institute, Heather Mac Donald. Als sich die Ford Foundation in den sechziger Jahren – also viele Jahre bevor es die Bertelsmann Stiftung gab – zu einem sogenannten »activist«- oder »socially conscious«-Vorgehen entschloss, wie Mac Donald dieses Verständnis nennt, habe sie eine weltweite Revolution im Stifterwesen ausgelöst: Dahinter stand die Idee, dass Stiftungen dem Allgemeinwohl nicht mehr dadurch dienten, dass sie starke Institutionen aufbauten, sondern dadurch, dass sie bestehende Institutionen infrage stellten. Die Bertelsmann Stiftung hat dieses Verständnis übernommen. Mohn ließ sich von der Ford Foundation inspirieren, sagt Siegfried Luther, der mit Mohn das Modell der Bertelsmann Stiftung ausarbeitete. Es war gar nicht nötig, dass er sich persönlich in den USA erkundigte. In Unternehmenskreisen und vor allem bei Steuerberatern sprechen sich solche Modelle schnell herum. Die Trennung von Kapital- und Stimmrechten war Mohn ja von seinen Mitarbeiterbeteiligungsmodellen vertraut.

In späteren Jahren erhielt die Bertelsmann Stiftung noch weitere Vorbilder. Neben der Ford Foundation sind das die Carnegie Corporation und die Brookings Institution. Denn die Bertelsmann Stiftung ist viel mehr als eine Stiftung. Ihren Einfluss gewinnt sie, weil sie Politiker und Beamte aktiv anspricht und mit Studien versorgt und dann gemeinsam Pilotprojekte konzipiert, die sie finanziert. Die Zahl ihrer Mitarbeiter beträgt mehr als das Dreifache der Robert Bosch Stiftung – der größten Stiftung in Deutschland, wenn man den Rankings des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen folgt. Die Robert Bosch Stiftung hat 100 Mitarbeiter, während die Bertelsmann Stiftung 330 Mitarbeiter hat.

In Wirklichkeit sind es jedoch noch mehr, weil die Bertelsmann Stiftung für bestimmte Fachbereiche eigene Institute gegründet oder an Universitäten ausgelagert hat: Dazu zählen das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), das Centrum für Krankenhaus Management (CKM) und das Centrum für angewandte Politikforschung (CAP). Zusammen beschäftigen diese Institute mehrere Dutzend Mitarbeiter. Das heißt: die eigentliche Zahl der Mitarbeiter der Bertelsmann Stiftung liegt irgendwo zwischen 300 und 400. (Das CAP und das CKM arbeiten mittlerweile eigenständig und vollkommen unabhängig von der Stiftung.)

Mit diesem Stamm an Mitarbeitern, die aufgrund ihres Fachwissens, aber auch aufgrund ihrer Kontakte von der Stiftung beschäftigt werden, die sich vernetzen und mit Stiftungen und Instituten kooperieren, verfügt die Bertelsmann Stiftung über eine Truppe an hoch spezialisierten Fachleuten, die Behörden, Apparate und Ministerien betreuen. Fachleute, die es sich leisten können, langfristig an Themen zu arbeiten, die Studien anfertigen, in die Schublade legen und auf Gelegenheiten warten können, bis diese Studien nachgefragt werden und zu neuen Projekten und Modellversuchen führen. Die Stiftung kann mit dieser Personaldecke, wie es Die Zeit einmal formulierte, auf geduldige Art Felsen sprengen.

Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik
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