Wie ein Buchprojekt der Stiftung Zugang zu Bundespräsident Roman Herzog verschafft

Kurz nachdem Roman Herzog sein Amt als Bundespräsident angetreten hatte, fragte der hoch angesehene Politikwissenschaftler Arnulf Baring im Bundespräsidialamt an, ob er Kontakt zu Herzog aufnehmen und ihn bei seinen Amtsgeschäften begleiten dürfe. Er würde gerne über Herzogs Amtszeit schreiben. Es war keine alltägliche Anfrage und Baring war im Bundespräsidialamt kein Unbekannter. Genau genommen gibt es keinen anderen Wissenschaftler und Publizisten, der einem Amtsträger ähnliche Aufmerksamkeit verschafft hatte, wie Baring es 1983 mit einem Buch über Herzogs Vorvorvorgänger Walter Scheel getan hatte.

Baring erhielt von Bundespräsident Scheel 1976 Zugang zu Akten und Personen. Er ließ sich damals von der Universität beurlauben und wurde von Scheel bezahlt, der ihm alle Türen zu Ministerien und Politikern und zu den Aktenschränken öffnete. Scheel quartierte Baring im Palmenhaus der Villa Hammerschmidt ein, wo Baring fünf Jahre lang an seinem Buch arbeitete. Es trägt den Titel Machtwechsel. Die Ära Brandt-Scheel. Auf 832 Seiten beschreibt es die Regierungszeit von Willy Brandt. Als das Buch 1982 erschien, erregte es viel Aufsehen. Der Spiegel attestierte dem Buch »Sprengkraft« und brachte einen mehrteiligen Vorabdruck. Spiegel-Redakteur Klaus Wirtgen urteilte: »Barings Buch ist der umfassende und glaubhaft belegte Versuch, den gnadenlosen, zermürbenden Streit in der Spitze der Regierungspartei SPD zu dokumentieren. (…) Bislang ist es noch keinem Autor gelungen, die Hintergründe des Brandt-Rücktritts so hell auszuleuchten.«6 Das gilt bis heute. Baring schuf ein bleibendes Werk. Es behandelt nicht nur den Machtwechsel von der großen Koalition zur Regierung von SPD und FDP, sondern den Zerfall der Koalition von Brandt und Scheel. Es entstand ein Buch, das bis heute als eindrucksvollstes Werk über die Regierung von Brandt gilt.

Nun, im Jahr 1994, möchte Baring über Herzog schreiben. Herzogs Staatssekretär Wilhelm Staudacher fand das »eine fantastische Idee«, wie er sich erinnert.7 Er sprach mit Herzog, der ihm beipflichtete. Staudacher hatte – bei genauem Überlegen – allerdings Bedenken, ob Baring der richtige Autor sei, und fragte Herzog, ob man nicht einem jungen Wissenschaftler eine Chance geben könnte. Vielleicht könne der – wie Baring damals – mit dem Buch über Herzog seine Karriere starten. Sie entschieden sich für einen weniger erfahrenen Wissenschaftler und Staudacher machte sich auf die Suche. Wen könnte er fragen? Und wer könnte das Vorhaben finanzieren? Staudacher sprach mit Werner Weidenfeld. Dieser empfahl Michael Jochum, einen jungen Mitarbeiter seines Centrums für Angewandte Politikforschung (CAP), das der Ludwig-Maximilian-Universität München angegliedert ist.

Jochum war Doktorand bei Weidenfeld und auf der Suche nach einem Thema. Blieb die zweite Frage: Wer sollte das Vorhaben finanzieren? Baring wurde damals von Scheel bezahlt. Andere Professoren müssten sich an dieser Stelle wochen- oder monatelang um Drittmittel bemühen, viele Briefe schreiben und Telefonate führen. Weidenfeld hatte das nicht nötig und darin liegt eine der Stärken und einer der Gründe, warum man im Bundespräsidialamt so gerne mit der Stiftung zusammenarbeitet – auch wenn das kaum offen gesagt wird. Weidenfeld wusste Rat. Er musste niemanden fragen, er konnte bestimmen. Schließlich war er nicht nur Chef des CAP. Er saß ja zugleich im Vorstand der Bertelsmann Stiftung, zuständig für den Bereich Politik. Das CAP erhielt über viele Jahre viele Millionen Euro von der Bertelsmann Stiftung. Familie Mohn erlaubte Weidenfeld, sich selbst Projekte zu genehmigen. In den USA wäre so etwas undenkbar. Aber bei der Bertelsmann Stiftung ist das kein Ausnahmefall, sondern gehörte jahrelang, bis 2004, zum Geschäftsprinzip.8

Weidenfeld konnte schalten und walten, wie es ihm beliebte, und sich selbst Gelder zuweisen, über die sein Institut dann verfügte. Dass dabei alles mit rechten Dingen zuging, bestätigte Geldempfänger Weidenfeld (für das CAP) gerne dem Geldzuteiler Weidenfeld (für die Bertelsmann-Stiftung). Er durfte sich selbst kontrollieren und Zusagen geben. Als Staudacher mit ihm das Projekt besprach und Weidenfeld zustimmte, war die Frage der Finanzierung praktisch bereits mit Weidenfelds Zustimmung geklärt. Staudacher sagt, er habe nie mit dem CAP, sondern stets mit der Stiftung direkt verhandelt, deren Ansprechpartner in Gütersloh saßen. Der Vorstand muss zustimmen. Aber das seien freilich Formalitäten gewesen, sagen damalige Mitarbeiter der Stiftung, denn durch Weidenfeld hatte das Projekt ja einen einflussreichen Fürsprecher im Vorstand, der bereits entschieden hat. Weidenfelds Einfluss wiederum sei von Familie Mohn gedeckt und bestätigt gewesen.

Das CAP schrieb im Newsletter des Institutes, Jochum erhalte einen »exklusiven Zugang« zu Herzog: »Bis zum Ende von dessen Amtszeit wird der direkt im Bundespräsidialamt ansässige Forscher den Bundespräsidenten – soweit nicht besondere Vertraulichkeit oder protokollarische Gründe dem entgegenstehen – bei Konferenzen, Reisen, Empfängen und Hintergrundgesprächen im In- und Ausland begleiten. Darüber hinaus erhält Jochum auch im persönlichen Gespräch mit Bundespräsident Herzog immer wieder Gelegenheit, die Art und Weise seiner Amtsführung zu hinterfragen. Beamte des Bundespräsidialamtes stehen im Weiteren zu spezifischen Themen Rede und Antwort. Das Projekt schließt an eine Tradition an, die Prof. Dr. Arnulf Baring seinerzeit mit seinem Forschungsaufenthalt in der Villa Hammerschmidt begründet hatte … Im Herbst 1999 soll die Forschungsarbeit in eine Publikation münden, um wissenschaftliche Defizite zu diesem Thema zu schließen.«9

Jochums Arbeitsadresse war die Villa Hammerschmidt in Bonn, wo er auch studiert hatte. Vielleicht fiel Weidenfelds Wahl deshalb auf Jochum, weil er in Bonn lebte und er ihn deshalb wenigstens nicht – wie Baring – im Dienstsitz des Bundespräsidenten unterbringen musste. So fielen vier Jahre lang lediglich die Personalkosten an. (Unklar ist, wer für Transportkosten, Flüge etc. aufgekommen ist und wie viel die Stiftung dafür gezahlt hat.)

Der junge Wissenschaftler wurde im Bundespräsidialamt mit offenen Armen empfangen. Staudacher: »Wir haben Jochum im Bundespräsidialamt praktisch integriert. Er hat voll am Leben und an der Arbeit des Bundespräsidialamtes teilgenommen.« Jochum erhielt ungewöhnlichen Zugang. Er konnte an allen Sitzungen, die teilweise mehrfach wöchentlich stattfanden, teilnehmen. Staudacher bestätigt: »Jochum war bei allem dabei.« Es gab eine einzige Ausnahme: Zu den wöchentlichen Kabinettssitzungen der rot-grünen Regierung ging Staudacher alleine. Auch die Protokolle dieser Sitzungen, die Staudacher erstellte, gab er nicht an Jochum weiter. Sonst hatte Jochum Zugang zu allen Mitarbeitern und zu allen Terminen.

Wäre Jochum ein Mitarbeiter der Bertelsmann Stiftung gewesen, der an das Amt ausgeliehen worden wäre, wäre er nur auf der unteren oder mittleren Ebene tätig gewesen. Sein Buch aber verschaffte ihm Zugang zur Macht im Amt und zum Bundespräsidenten selbst. Jochum hatte regelmäßig Termine mit dem Präsidenten, um ihn nach seiner Strategie, seinen Auftritten und seiner Politik zu befragen. Und er erhielt Einblick in die Überlegungen von Herzogs engsten Mitarbeitern. »Ich habe ihn in alles einbezogen«, sagt Staudacher. »Er war ein kluger Kopf. Ich habe ihn auch am Brainstorming beteiligt.« Am Entwerfen der Reden also, der Materialsammlung und den Entwürfen.

Im Oktober 1998 präsentierte sich Michael Jochum bei einer Tagung der Theodor Heuss Stiftung in Stuttgart als Politikwissenschaftler, der Herzog im Auftrag der Bertelsmann Stiftung »bei der Mehrzahl seiner dienstlichen Termine« begleitete.10 In seiner Vita für eine Forschungs- und Vortragsreihe in Berlin, Bonn und Paris über die Zukunft europäischer Universitäten stellt er sich Jahre später gar als »Special Counsel to Bundespräsident Roman Herzog« von 1995 bis 1999 vor – als Berater mit speziellem Zugang also.11 Die Bezeichnung gibt Jochums Sicht und vielleicht auch seine Wunschvorstellung wieder, wie er seine Rolle in den vier Jahren in Bonn verstanden hat.

 

Bundeskanzler Helmut Kohl bescherte der Republik die Einheit, und er erhielt dafür eine weitere Amtszeit. Aber das Land litt an einem Stillstand. Kohl schien unfähig zu sein, Dinge zu verändern. Es war eine Zeit, in der ein Bundespräsident, der eigentlich keine Macht hat, Dinge zu ändern, gehört wurde – wenn er deutlich wurde. Im April 1997 war es so weit: Roman Herzogs Mitarbeiter und Berater kündigten »das wichtigste innenpolitische Ding seit einem Jahr« an, wie die Süddeutsche Zeitung schrieb. Eine Rede, die Schlagzeilen machen würde.

Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik
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