Wie die Stiftung mit der Politik kooperiert

Verschiedene Beispiele zeigen, wie eng die Bertelsmann Stiftung mit der Politik kooperiert und welch exklusiven Zugang sie hat. Die Bertelsmann Stiftung hat zweifelsohne kompetente, gut vernetzte Mitarbeiter, deren Rat gefragt ist. Ein Beispiel ist Sophia Schlette, Jahrgang 1961, die in Harvard ihren Studienabschluss mit einem Master of Public Health gemacht hat. Sie hat »15 Jahre Erfahrung in der Konzeption, Beratung und Evaluierung von Gesundheitsvorhaben«, wie es in ihrer Vita heißt. Sie spricht vier Sprachen und hat für UNICEF, die Weltgesundheitsorganisation WHO und andere Organisationen gearbeitet. Sophia Schlette ist eine hochqualifizierte Angestellte der Bertelsmann Stiftung im Bereich Gesundheitswesen, ihre Schwerpunktthemen sind Gesundheitspolitik, Reform des deutschen Gesundheitswesens und internationale Reformansätze. Zeitweise hat sie auch als wissenschaftliche Mitarbeiterin einer Bundestagsabgeordneten gearbeitet. Die Politik ist ihr also nicht fremd. Im Sommer 2007 war sie mit Gesundheitsministerin Ulla Schmidt auf Dienstreise in Kalifornien. Im Jahr darauf bezog sie einen Schreibtisch in Schmidts Ministerium und begann ihre Arbeit in Referat 5, der politischen Grundsatzabteilung. Sie schrieb Reden, arbeitete der Ministerin zu und konzipierte jene erwähnte Informationsreise in die USA. Dabei war sie immer noch in der Stiftung angestellt. Unklar sei, wer sie letzlich bezahlte, berichten Sascha Adamek und Kim Otto in ihrem Buch Der gekaufte Staat.4 Die Stiftung beantwortete eine entsprechende Anfrage nicht.

Fest steht, dass Schlette zwischen Februar 2007 und August 2008 acht Monate im Ministerium arbeitete, wie das Ministerium zugeben musste. Angeblich arbeitete sie nicht an Gesetzen und Verordnungen. Das heißt jedoch nicht, dass sie keinen Einfluss hatte: Die Mitarbeiterin der Stiftung wurde ja nicht irgendwo im Ministerium eingesetzt, sie arbeitete der Spitze zu und beriet die Ministerin. Das spricht für Frau Schlettes Sachkenntnis, stellt aber auch eine fragwürdige Entwicklung und eine neue Qualität des Lobbyismus dar. Stiftung und Regierung werden in der Person der ausgeliehenen Mitarbeiter eins – ohne dass die Bürger davon Kenntnis erhalten.

Wie eng die Stiftung mit der Politik kooperiert, zeigt auch das Beispiel des Experten für den Nahen und Mittleren Osten, Christian-Peter Hanelt. Der 1964 geborene Hanelt hat in Deutschland und Syrien studiert und war 1991 bis 1994 als Fernsehredakteur bei Sat1 tätig; seitdem arbeitet er für die Stiftung. Er verfügt über arabische Sprachkenntnisse und kennt sich gut in Israel und in arabischen Ländern aus. Dass er im Fernsehen bei RTL, Phoenix und n-tv als Experte auftritt, ist naheliegend und nicht schlimm – sofern seine Verbindung zur Stiftung benannt wird. Fragwürdiger ist der direkte Zugang zur Regierung. Im April 2005 beispielsweise lieh ihn die Stiftung an das Auswärtige Amt aus. Hanelt arbeitete dort im Planungsstab und war an der Vorbereitung und Durchführung von zwei Panels beteiligt. Er diente der Stiftung und der Regierung, so als würden beide die gleichen Interessen verbinden. Austausch nennt man das, aber nur wenige Lobbyisten sind ähnlich willkommen in der Regierung und dringen bei ihrer Arbeit so tief vor, dass sie einen Schreibtisch in einem Ministerium belegen. Hanelt ist kein Einzelfall. Mag sein, dass die Stiftung keine Strategie verfolgt, ihre Mitarbeiter in Ministerien zu platzieren. Dass es ihr gelingt, zeugt von Nähe, Einfluss und Vertrauen, das sie und ihre Mitarbeiter genießen. Die Stiftung erhält Zugang, andere nicht.

So bestätigte Werner Weidenfelds ehemaliger Stellvertreter Josef Janning im Februar 2008 auf einer Podiumsdiskussion in der Landesvertretung von Rheinland-Pfalz in Berlin, dass die Stiftung bei manchen internationalen Konferenzen das Backoffice von Außenminister Joschka Fischer gestellt habe. Janning bestätigte, schränkte jedoch ein, »aber wir haben natürlich nicht Politik ersetzt.« Janning behauptete damals, die Stiftung handle »aus einer Art sachlogischen Perspektive heraus«. Und man agiere »so transparent wie nur irgendwie möglich: Das heißt, wir veröffentlichen alles. Man kann das alles nachlesen. Man kann das im Internet nachgucken. Man kann mit uns reden. Das heißt, wir verstehen uns selber eher als eine Art Wissens-Broker denn als irgendein Elfenbeinturm, hinter dessen Mauern irgendwas Esoterisches gemacht wird.«

So »transparent wie nur irgendwie möglich«? Über die genauen Aktivitäten und Dienstleistungen der Stiftung für den Außenminister ist auf der Website nichts zu lesen und auch auf Nachfrage nichts zu erfahren. Was genau tat die Stiftung bei diesen Konferenzen? Wie oft? Und was bedeutet Backoffice? Trat sie als Teil des Auswärtigen Amtes auf? War sie Dienstleister oder Berater oder glaubt sie, beides zugleich leisten zu können? Als der Autor dieses Buches mit Janning über seine Äußerungen, über die Arbeit seiner Abteilung und über das CAP sprechen wollte, äußerte sich Janning zu keinem dieser Themen und sagte, er werde nur reden, wenn ihn ein Pressesprecher der Stiftung dazu auffordere.

Dabei sind die Fragen berechtigt, denn immerhin spiegelte Fischers Politik zur europäischen Verfassung teilweise eins zu eins die Vorarbeit der Stiftung. Die Stiftung berät Regierung und Politiker, die europäische Politik bestimmen. Der Einigungsprozess und die Verfassung liegen ihr besonders am Herzen. Obwohl eine Vielzahl von deutschen Stiftungen in Brüssel akkreditiert ist, gelang es einzig der Bertelsmann Stiftung, nennenswerten Einfluss zu nehmen, schreibt Tobias Pflüger, EU-Abgeordneter der Linken und der Grünen.5 Es ist eine Nische, in der sich nationale Institutionen nicht so gewandt und erfolgreich bewegen. In kaum einem anderen Feld ist sie so anerkannt und agiert ähnlich unangefochten. Eines der Themen, die die Stiftung propagiert, ist eine gemeinsame Sicherheitspolitik. Janning bestätigte 2008 in Berlin, Politiker seien heute aus Sicht der Stiftung viel offener für Berater geworden. »Das liegt daran, dass der Politik in vielen Punkten frühere Gewissheiten abhanden gekommen sind.« Besonders erfolgreich sei die Stiftung im Bereich der EU-Reform und EU-Erweiterung. »Das ist ein Thema, das wir wie kaum ein anderer geprägt, gemacht, vorgedacht haben – auch mit ziemlich gutem Einfluss.« Das ist die Sicht der Stiftung auf sich selbst und die eigenen Erfolge. Mit etwas Distanz muss man heute fragen, ob die Stiftung nicht viele Millionen Euro für teure Konferenzen nur ausgegeben hat, um Zugang zu erlangen und den Mächtigen nahe zu sein. Ein unabhängiger Thinktank, der Regeln für die Erweiterung und Regeln für einen zeitweisen Ausstieg aus der Währungsunion erarbeitet hätte, wäre der EU tatsächlich von Nutzen gewesen. Diese Unabhängigkeit sucht man bei der Stiftung aber vergebens.

Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik
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