12. Mohn stiftet Demokratie – Die erste Bürgerstiftung Deutschlands

Antje Vollmer hatte es nicht geschaft, die Bertelsmann Stiftung und andere unternehmensverbundene Stiftungen zu reformieren. Dass die Bertelsmann Stiftung die Bedrohung echter Reformen, die sie zu mehr Gemeinnützigkeit gezwungen hätten, abwenden konnte, hatte unter anderem auch mit der Stadt Stiftung und dem Einsatz der Bertelsmann Stiftung für Bürgerstiftungen zu tun. Dieser Einsatz für Bürgerstiftungen wurde ihr als Einsatz für die Demokratie angerechnet, sagt Christoph Mecking. Während andere traditionelle Stiftungen Bürgerstiftungen belächelten, unterstützte Mohn dieses Modell von Anfang an.

Der Bertelsmann Stiftung half dabei ein Zufall: Als Mohn sich 1996 ein Symposium zu seinem 75. Geburtstag schenkte, konnte er von Vollmers Initiative für eine Reform des Stiftungswesens nichts wissen. Aber er hatte einen Plan, wie er sich als Erneuerer und Reformer des Stiftungswesen darstellen konnte. Monate davor hatte er wie so oft in die USA geblickt. Er hatte Werner Weidenfeld gebeten, dort nach neuen Ideen Ausschau zu halten.1 Und tatsächlich spürte Weidenfeld im Gespräch mit amerikanischen Stiftungsfachleuten eine neue Idee auf, die sich Mohn aneignen würde. Die Idee der Community Foundation, der Bürgerstiftung.

Weidenfeld erfuhr, dass diese Art von Stiftungen eine der am schnellsten wachsenden Stiftungsformen in den USA sei. 1996 existierten dort bereits 400 solcher Stiftungen. Es ist eine Erfolgsgeschichte. Genau das also, wonach Mohn suchte. Weidenfeld informierte Mohn, dieser faxte seine Zustimmung in die USA und Weidenfeld lud Fachleute nach Gütersloh ein. Mohn hatte mit der Idee das richtige Geburtstagsgeschenk für sich gefunden. Die Idee würde ihn als Reformer erscheinen lassen. Er wollte nichts dem Zufall überlassen. Etliche Monate vor dem Symposium rief er Gerd Wixforth an, den langjährigen Stadtdirektor der Stadt Gütersloh.2 Er fragte Wixforth was er von der Idee einer Community Foundation halte? Er erläuterte das Konzept und Wixforth war angetan von der Idee. Gemeinsam mit Wössner machten sie sich Gedanken, wie man dieses Konzept auf Gütersloh übertragen könnte.

Alles war von langer Hand vorbereitet und lief nach Plan – ganz so wie der Anflug des Bundespräsidenten, der pünktlich um 16.40 Uhr mit einem Hubschrauber neben dem künstlich angelegten Schwanenteich vor dem Stiftungsgebäude landete. Roman Herzog sprach über die segensreiche Wirkung der Bertelsmann Stiftung und am nächsten Tag schon erfuhren die Leser der Neuen Westfälischen: »Mohn will Stadt Stiftung Gütersloh gründen.« Er sehe darin ein »sinnstiftendes Modell« für Deutschland, das er in Gütersloh erproben wolle.

Mohn stiftet Demokratie. So kommunizierten Mohn und seine Mitarbeiter es. Und tatsächlich ließen sich Politiker in der Reformdebatte 1999, also drei Jahre nach Gründung der Stadt Stiftung, von der Kritik an der Doppelstiftung abbringen: Soll man den nervenden Streit mit den reichen Stiftern nicht besser beilegen und sich auf die Zukunft des Stiftens konzentrieren, also auf die Bürgerstiftungen? Die Bertelsmann Stiftung und andere große Stiftungen mögen etwas Feudalistisches an sich haben, aber muss man Mohn und seiner Stiftung nicht anrechnen, dass sie versuchen, das Stiftungswesen demokratischer zu gestalten? Gut, sich selbst nehmen sie aus, aber immerhin hat Mohn die Stadt Stiftung gegründet und damit die Idee der Bürgerstiftung nach Deutschland geholt. So oder ähnlich wurde Kritikern nahegebracht, die harte Einstellung gegen unternehmensnahe Stiftungen und das Modell der Doppelstiftung ad acta zu legen.

Aber ist diese Argumentation wirklich schlüssig? Stiftete Mohn mit seiner Stadt Stiftung wirklich Demokratie? Christian Pfeiffer hat Zweifel daran. Der ehemalige Justizminister von Niedersachsen war bereits 1995 in den USA, um sich über Bürgerstiftungen zu informieren und versuchte in Hannover Bürger für diese Idee zu gewinnen. Es ging mühsam und langsam voran. Wegen seines Wissens und Interesses am Thema wurde Pfeiffer 1996 zum Symposium zu Mohns 75. Geburtstag eingeladen. Pfeiffer erfuhr im Vorfeld des Symposiums außerdem von der Idee Mohns, die erste Stadt Stiftung zu gründen. Während der Veranstaltung suchte er das Gespräch mit Mohn und wollte ihn auf Probleme seines Modells aufmerksam machen. Pfeiffer hat Mohn in diesem Gespräch als »ungeduldig und arrogant« in Erinnerung: »Mohn wollte keine Einwände hören. Er hatte sich entschieden, dass er mit dem Konzept der Bürgerstiftung der Erneuerer des Stiftungswesens werden würde – noch ehe die erste Bürgerstiftung existierte. Für ihn war alles klar.«3

Auf Pfeiffer wirkte das Symposium »wie eine Inszenierung« und das war es ja auch. Es war eine Inszenierung der Gemeinnützigkeit von Reinhard Mohn, bestätigt durch den Bundespräsidenten, dessen Rede in Absprache mit der Stiftung vorbereitet worden war. Pfeiffer sagte Mohn in dem Gespräch, dass schon der Name Stadt Stiftung, den Mohn gewählt hatte, falsch sei. Mohn hatte jedoch kein Einsehen und sagte zu Pfeiffer: »Sie machen Ihr Ding und wir machen unseres. Wir werden sehen.« Pfeiffers Eindruck beim Gespräch mit Mohn: »Er machte einfach zu.«

Pfeiffer prophezeite Mohn damals, er werde mit seinem Modell scheitern und die Leute werden es nicht annehmen. Mohns Modell war eine von oben verordnete Stiftung, in der der Stifter alle Rechte behält. In Mohns Satzung, die der damalige Geschäftsführer der Bertelsmann Stiftung, Andreas Schlüter, entworfen hat, war festgelegt, dass Mitglieder der Leitungsgremien von anderen Mitgliedern neu in diese Gremien berufen werden und dass sie zu unterschiedlichen Zeiten ausscheiden. So war festgelegt, dass die Personen, die Mohn einsetzte, die Stiftung in der Hand behalten und dass Bürger nie demokratisch bestimmen können, wer aufrückt. Statt zwei Millionen Mark zu spenden, wäre es klüger gewesen, einen Matching Fund einzurichten und so jede Mark, die von Gütersloher Bürgern gespendet wird, zu verdoppeln, sagt Pfeiffer im Rückblick. Die Botschaft hätte dann gelautet: Diese Stiftung ist ein Werk der Bürger. Stattdessen gründete Mohn die Stadt Stiftung im Alleingang.

Pfeiffer sagt heute: »Mohn hat das Modell Bürgerstiftung aus seiner Biografie heraus nicht verstanden. Mohns Modell ist von Beginn an belastet. Sein Modell führt in die fasche Richtung. Statt die Stiftungsidee zu erneuern, belastet es die Idee der Bürgerstiftung durch falsche Prinzipien aus der Welt der Wirtschaft.« Er sieht sich bestätigt darin, dass Mohn dank seiner Kontakte lediglich schneller war und dadurch behaupten konnte, er habe die erste Bürgerstiftung gegründet. Doch niemand in Deutschland sei seinem Modell gefolgt. Selbst die Stadt Stiftung habe ihre Satzung geändert. Die Bertelsmann Stiftung freilich tut so, als gebe es diesen wichtigen Unterschied nicht, und feiert Mohn als Gründer und Erneuerer der Stiftungsidee. Bei einem Kongress der Stiftung nach der Gründung der Stadt Stiftung hielt Pfeiffer in Gütersloh einen Vortrag und kritisierte darin Mohns Modell ausdrücklich als verfälschend und problematisch. Er versuchte auch noch einmal mit Mohn ins Gespräch zu kommen, aber Mohn blieb bei seiner Auffassung. »Er war altersstarr und hörte nicht mehr zu«, erinnert sich Pfeiffer. »Kritik hat ihn nicht mehr erreicht.«

Im Dezember 1997 sprachen auf der Jahrespressekonferenz der Bertelsmann Stiftung Mohn und Wössner auch über die Stadt Stiftung, die – wie Mohn gestenreich sagte – von den Bürgern gut angenommen werde. Mohn betonte, dass eine Bürgerstiftung nicht so sehr von einem Stifter abhänge, sondern vom Bedarf in der Stadt. »Das ist eine Bürgerinitiative«, sagte Mohn. Doch die Verordnung von Mohns Idee stieß in Gütersloh nicht auf jene offene Begeisterung, wie Mohn, Wixforth und Wössner das gerne gehabt hätten. Die Bürger hielten sich mit Spenden zurück. Als Wössner zwei Jahre später im Dezember 1999 der Neuen Westfälischen ausführlich Rede und Antwort stand, sagte er: »Es ist eine Gütersloher Tugend, sparsam zu sein. Wir haben nicht genügend Patenschaften verkaufen können.« Statt den erzielten fünfzehn Patenschaften habe er auf fünfzig gehofft. Das Ziel, innerhalb von fünf Jahren 10 Millionen Mark als Mindestkapital zu sammeln, werde man nicht erreichen.

War es ein Fehler, die Stadt Stiftung in den Räumlichkeiten der Bertelsmann Stiftung unterzubringen? Ist die Nähe zum bestimmenden Unternehmen am Ort problematisch und hält das Engagement von Bürgern ab? Wössner hielt die Nähe für unproblematisch: »Die Stadt Stiftung wäre anders nicht zustande gekommen.« Die Stadt Stiftung gebe sich große Mühe, volksnah zu bleiben. Wössner meinte, keines der Projekte sei abgehoben, und fand es ungerecht, Bertelsmann negativ zu assoziieren. Er verstehe aber auch »die Berührungsängste mit dem Glaspalast und der Bertelsmann Stiftung, von der man hört, dass alle Staatsmänner dort verkehren. Da geht natürlich der normale Bürger nicht so gerne hin.« Aber mit einem Umzug in die Stadt wolle man die Herzen der Bürger erobern.

Doch ausgerechnet wenige Monate später stand die Stadt Stiftung in der Kritik; es ging um die Folgen einer Spende von Mark Wössner. Er hatte 1998 zu seinem 60. Geburtstag 1,3 Millionen Mark gespendet – 300 000 für den Umbau des Wasserturms zu einem Jugendzentrum und eine Million für Jugendprojekte. Im März 2000 genehmigten die Stadträte einen Zuschuss für den Betrieb eines Jugendcafés nur widerwillig, weil der Träger 60 000 Mark Zuschuss von der Stadt forderte – sonst könne er den Betrieb nicht aufrechterhalten. Volker Richter (SPD) beklagte, es könne nicht sein, dass die Stadt Stiftung eigenmächtig Jugendpolitik betreibe, sich mit dem Erreichten »im Rampenlicht der Öffentlichkeit schmücke« und die Stadt dann vor vollendete Tatsachen stelle. Das Geld werde auch in anderen Stadtteilen dringend gebraucht.

Michael Vormann (CDU) verursachte das Vorgehen der Stadt Stiftung »erhebliche Bauchschmerzen« und er sagte: »Wenn ein Privatmann stiften will oder sich selbst ein Denkmal setzen möchte, ist dagegen natürlich nichts einzuwenden, wenn es der Stadt nützt. Aber erst zu schenken und dann mit einem Bollerwagen hinterher zu kommen und die Hand aufzuhalten, ist äußerst fragwürdig.« Dabei hatte Wössner nur getan, was Mohn auch immer tat: anstoßen und anfinanzieren – dann müssen die anderen sehen, wie sie damit zurechtkommen.

Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik
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