2. Auf geduldige Art Felsen sprengen – Gründung und Aufbau der Stiftung

Der 14. März 1977 ist die Geburtsstunde der Bertelsmann Stiftung. An diesem Tag erhielt Mohn die offizielle Genehmigung zur Einrichtung einer Stiftung. Fast zwei Jahre lang existierte die Stiftung dann aber erst mal nur auf dem Papier. Erst im Januar 1979 wurde Hans-Dieter Weger Geschäftsführer und zugleich ihr erster Mitarbeiter. Er hatte sich auf eine in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ausgeschriebene Stelle für ein »im Aufbau befindliches wirtschaftswissenschaftliches Institut« beworben. Er bezog ein Büro in einem Miet- und Bürohaus in Gütersloh und musste sich seine Sekretärin mit dem Unternehmen teilen. Die Stiftung verfügte zu dieser Zeit kaum über Kapital: Mohn hatte sie lediglich mit 100 000 Mark ausgestattet. Weger erinnert sich, dass er Mohn alle Ausgaben zur Genehmigung vorlegen musste.

Mohn beriet sich mit Gerd Wixforth, dem Stadtdirektor von Gütersloh. Welche Projekte sollte die Stiftung fördern? Einige Bürger in Gütersloh regten an, eine Eislaufbahn zu bauen. »Ich hielt das für einen Witz, mit dem wir uns lächerlich machen würden«, erinnert sich Wixforth. Mohn wollte etwas gegen die Regulierung von Schulen unternehmen, die seiner Ansicht nach überreguliert waren. Wixforth regte dagegen zwei Projekte an, die Mohn tatsächlich in Angriff nahm: den Bau einer Stadtbibliothek in Zusammenarbeit mit der Stadt Gütersloh und eine Mediothek im Evangelischen Stiftischen Gymnasium, das beide besucht hatten.

Mit der Bibliothek wollte Mohn zeigen, dass der Staat seine Angebote effizienter organisieren könnte: mit Erfolg. In Gütersloh wurden mehr Menschen Mitglied in der Bibliothek als in anderen Städten; heute ist angeblich jeder zweite Bürger Kunde. Für das zweite Projekt schwebte Mohn zunächst das Thema Führung und Organisation in der Schule vor, dann entschied er sich jedoch für die Förderung audiovisueller Medien im Unterricht.

Im Kulturausschuss herrschte Skepsis. Einige Mitglieder fragten sich: Mohn sei nie als Mäzen in Erscheinung getreten. Fördere er die Bibliothek vielleicht nur, um mehr Bücher zu verkaufen? Wixforth beruhigte sie, dass es Mohn nicht um den Verkauf seiner Bücher gehe, sondern er selbst Mohn zu der Idee überredet habe.1 1984 waren die ersten Projekte abgeschlossen. »Jetzt können Sie Mitarbeiter einstellen«, teilte Mohn dem Geschäftsführer mit. Von da an wuchs die Stiftung.

Dass die Lokalpolitiker in Gütersloh ihre Zweifel nicht ganz ohne Grund äußerten, wird an einem weiteren Ansinnen Mohns deutlich, das er an Wixforth herantrug. Es ging um den Bau eines hochklassigen Hotels, damit Bertelsmann seine Gäste niveauvoll betreuen und bewirten könne. Als der zweite Unternehmer vor Ort, der Elektrogerätehersteller Miele, sich wegen der erwarteten Verluste nicht beteiligen wollte, drängte Reinhard Mohn die Stadt, nicht nur den Grund bereitzustellen, sondern auch die Hälfte der Verluste zu übernehmen. Doch Wixforth weigerte sich: er wollte die Stadt nicht an einem gewerblichen Wirtschaftsbetrieb beteiligt sehen. So überließ die Stadt Reinhard Mohn das Grundstück – für dreißig Jahre und zum symbolischen Preis von einer Mark im Jahr. Das Hotel eröffnete 1984; heute erzielt es mit Catering und Katinenbetrieben Gewinne.

Anlässlich Mohns 80. Geburtstags im Jahr 2001 verfassten die Manager Thomas Middelhoff, Gerd Schulte-Hillen und Gunter Thielen ein Buch mit dem Titel Reinhard Mohn: Unternehmer, Stifter, Bürger und beschrieben darin seinen Ansatz: »Es gibt Menschen, denen bereitet jeglicher Mangel an Ordnung und Effizienz ein solches Unbehagen, dass sie alles daransetzen in ihrer unmittelbaren Umgebung, aber auch im gesellschaftlichen Umfeld eine Ordnung zu schaffen, in der Individuum, Unternehmen und Gesellschaft gleichermaßen gedeihen können. Reinhard Mohn ist ein solcher Mensch.«2 Manchmal wurde selbst den Stiftungsmitarbeitern etwas schwindelig, wenn zehn oder zwölf Leute am Tisch saßen – fast der ganze Mitarbeiterstab – und Mohn anhob zu erklären, wie man am effektivsten Verwaltungen reformieren und umbauen kann. Manchmal, wenn er im Unternehmen oder in der Stiftung darüber dozierte, fragten sich seine Mitarbeiter: Muss es denn immer gleich um das gesamte Land gehen?

Im Rückblick wirkt es, als habe Mohn schon immer in der Stiftung die Vollendung seines Lebenswerkes gesehen. Das sei aber falsch, sagten ehemalige Mitarbeiter des Unternehmens. In den ersten Jahren habe Mohn sich kaum mit der Stiftung beschäftigt. Er hatte sie gegründet und sie lief mit regionalen Projekten nebenher. Als er 1981 vom Vorstandsvorsitz in den Aufsichtsrat wechselte, hatten seine Manager Angst, dass er seine aktive Rolle als Aufsichtsrat zu ernst nehmen könnte und ihnen kaum Freiräume blieben. Also suchten sie ein Beschäftigungsfeld für ihn und Wössner bestärkte ihn darin, sich um seine Stiftung zu kümmern. Mohn allerdings gab sich nicht mit einer kleinen Stiftung zufrieden. Für ihn war fortan der Aufbau der Stiftung eine ernste Sache. Er ging den Aufbau ähnlich zielgerichtet an, wie er davor sein Unternehmen aufgebaut hatte. Die Stiftung war sein zweites Unternehmen, eines, das klein wirkte, mit dem Mohn aber viel größere Aufgaben in Angriff nahm.

Bei der Gründung der Stiftung 1977 verfügte Reinhard Mohn über 100 Prozent der Stimmrechte. Bis in die achtziger Jahre erhielt die Stiftung kein Geld, sondern lebte vom Unternehmen, das das Geld spendete (und auch steuerlich absetzte). Die Spendenbeträge waren nicht groß. Das lag wieder an steuerlichen Gründen, denn Mohn hatte nichts zu verschenken und spendete nur so viel, wie steuerlich absetzbar war. Im Geschäftsjahr 1989/90 gab die Stiftung 14 445 000 Mark für ihre Projekte aus, auf zwei Millionen Mark mehr beliefen sich die Gesamtausgaben, also inklusive Kosten für Verwaltung, Gebäude und Öffentlichkeitsarbeit.

Im Geschäftsjahr 1988/89 wanderte (unbemerkt von der Öffentlichkeit) erstmals ein kleiner Geschäftsanteil des Unternehmens zur Stiftung, sodass sie nun – als stille Beteiligung – Anteile am Unternehmen besaß und ab 1989 über ein Einkommen verfügte. Der Übertrag war die Vorbereitung auf Mohns Wechsel vom Unternehmen in den Aufsichtsrat, sagt Siegfried Luther, der die Stiftung in juristischen und steuerlichen Fragen betreute.3

Die Erb- und Schenkungsregelungen sind kompliziert. Immer wieder wurden die Verträge geändert. Reinhard Mohn hatte die Anteile eigentlich seinem erstgeborenem Sohn Johannes übertragen – aber nur auf dem Papier. Bevor die Schenkung an den Sohn in Kraft trat, ließ sich Mohn von Johannes schriftlich bestätigen, dass er seine Anteile der Stiftung schenken werde. Nach Auskunft Siegfried Luthers, der die komplizierten Verträge regelmäßig überarbeitete, sagte Johannes mehrfach, er begreife sich als Treuhänder, der seinen Anteil weiterreiche. Mohn blickte damals – wie so oft – nach Amerika, um sich Anregungen zu holen, sagt Luther, der die rechtlichen Fragen auch bei der Gründung der Stiftung geregelt hatte. Als Vorbild nahm Mohn sich die Ford Foundation in New York.

Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik
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