Spice-Boys um Herzog
Zum Ende von Herzogs Amtszeit als Bundespräsident, am 30. Juni 1999, einem Mitwochabend, verabschieden er und seine Frau Christiane sich im Schloss Bellevue vom engsten Kreis der Mitarbeiter. Es tritt eine Band auf, die sich »Spice-Boys« nennt, »eine Spontanband aus dem Amt«, wie es ein Reporter der Zeitung Die Welt formuliert. Das Wort der Band führt Michael Jochum. Er kündigt den Auftritt an: »Unsere Premiere gab‘s bei der Eröffnung des neuen Präsidialamtes am 23. November 1998 in Berlin. Jetzt treten wir noch einmal und zugleich ein letztes Mal gemeinsam auf – mit neuen Liedern.«
Mit dem Reporter der Welt hat Jochum darüber gesprochen, dass er seit Ende 1995 täglich Arbeit, Alltag und öffentliches Wirken des Bundespräsidenten begleitet hat. Ob Händedruck mit Boris Jelzin im September 1997 in Moskau oder die Präsenz am »Katzentisch«, während Herzog die chinesische Führung in einem langen, ernsthaften Gespräch mit dem Thema Menschenrechte konfrontierte: Jochum sei überall dabei gewesen und »indirekt auch an dem beteiligt, was Roman Herzog zweifellos nachhaltig im Gedächtnis der Deutschen bleiben lässt: Mit seiner ›Ruck‹-Rede im April 1997 im ›Adlon‹.«13
Bei ihrem ersten Auftritt 1998 textete Jochum zur Melodie von Mrs. Robinson von Simon & Garfunkel. Die Band – neben Jochum bestehend aus Markus Barth (Planungsstab), Ulf Bauer (Pressestelle) und Volker Guckel (Planungsstab) – singt im Tiergarten: »Jetzt sind wir hier, Mister President/weit war unser Weg vom Rhein zur Spree, hey, hey, hey!/Hier in Berlin, Mister President/bieten wir für Sie Spitzenniveau, oh, oh, oh - oh, oh, oh!« Strophe sieben endet »ruck-artig«: »Trotz alledem, Mister President/wird det in Berlin ’n dolles Ding, shingeling/Und jetzt ist Schluss, Mister President/Trinken wir darauf noch einen Schluck, ruck, ruck, ruck!«
Jochum spricht bei dieser Gelegenheit mit dem Welt-Journalisten auch über seine Mitarbeit an der Ruck-Rede: »Anfang des Jahres sollte ich eine Übersicht kommentieren, auf der die wichtigsten Themen, die der Bundespräsident im Laufe des Jahres öffentlich ansprechen sollte, aufgelistet waren. Mir schienen die Vorschläge zu wenig konkret, etwas akademisch. Ich habe dann notiert, es müssten Dinge angesprochen werden, bei denen tatsächlich ein Ruck durch’s Land geht.« Diese Formulierung, sagt Jochum, sei dann irgendwie in den weiteren »Geschäftsgang« der »Ruck«-Rede eingegangen.
Kann das sein? Ein Mitarbeiter der Bertelsmann Stiftung erfindet das Schlagwort, das die Politik und das ganze Land jahrelang beschäftigen wird und die Stiftung als eine Art öffentlichen Auftrag aufgreifen darf – versehen mit den höchsten Weihen des Bundespräsidenten? Den Start zur Reform des Arbeitsmarktes, zur Wende an der Spitze der Regierung und zum größten Umbau des Sozial- und Arbeitsmarktes seit der Gründung der Republik? Es wäre übertrieben zu behaupten, ein einzelner Mitarbeiter der Bertelsmann Stiftung habe all das angerührt und in die Wege geleitet.
Vielleicht ist mit dem Bandleader an jenem Abend im Schloss Bellevue einfach die Musik durchgegangen. Vielleicht machte ihn die Feierstimmung gesprächig. Immerhin aber sagte er dies in einem Kreis von Leuten, die ihm deutlich hätten widersprechen können. Ein Dementi von Jochums Rolle ist nicht bekannt.