Spitzenmedizin für jedermann?
Die Rhön Klinikum AG verspricht »Spitzenmedizin für jedermann«. Die Klinikgruppe steht beispielhaft für die Entwicklung, die die Stiftung propagiert: Wettbewerb als Folge von Privatisierung fördert Qualität und hilft Patienten. Der Gründer und Haupteigentümer Eugen Münch hat 1974 eine vom Konkurs bedrohte Kurklinik übernommen und saniert. Er kaufte Kliniken zu und machte sie mit Rationalisierungskonzepten aus der Industrie profitabel. Wiederholt untersagte das Bundeskartellamt die Übernahme von Kliniken, »um eine weitere Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung zu verhindern«. In Gießen und Marburg sowie Leipzig betreibt Rhön die ersten privaten Universitätskliniken; mittlerweile wird an acht Standorten gelehrt. Eugen Münch sitzt im Stiftungsrat der Deutschen Schlaganfall-Hilfe, die Liz Mohn gründete, ihre Tochter leitet und die die Bertelsmann Stiftung teilweise finanziert.
Die Klinikkette ist gut vernetzt; ehemalige Aufsichtsratsmitglieder sind die Politiker Karl Lauterbach (SPD) und Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Der wirtschaftliche Erfolg ist eine Seite, Kritik an der Vorgehensweise die andere: 16 Ärzte wandten sich im April 2009 in einem offenen Brief an die Öffentlichkeit und kritisierten die »Drehtürmedizin«. Die Behandlung an den Universitätskliniken habe sich verschlechtert. Die Fallzahlen stiegen zwar, aber die Qualität der Betreuung sinke. Das Fazit der 16 Ärzte, die unter der Bezeichnung »Notruf 113« Alarm schlugen: »Die Liberalisierung des Gesundheitsmarktes hat nicht zu einem stärkeren Wettbewerb vieler Marktteilnehmer geführt, sondern zur Bildung von Gesundheitskonzernen, die als Kapitalgesellschaften vor allem dem shareholder value, nicht aber dem Gemeinwohl verpflichtet sind.«2
Wenn man die privaten Gewinne aus der Kosten-Nutzen-Bilanz herausnimmt und die Entwicklung langfristig betrachtet, ist es in der Tat fraglich, ob private Klinikketten der Allgemeinheit mehr bringen als kommunale. Unternehmen wie Rhön können in teure medizinische Technik investieren und preiswert im Verbund einkaufen. Ob sie diese Preisnachlässe auch an Patienten und deren Versicherungen weitergeben, ist eine andere Frage. Sie versprechen bei der Übernahme kommunaler Kliniken, die Unkosten für den Betrieb zu übernehmen. Was die Kommunalpolitiker meist nicht ahnen oder wahrhaben wollen, ist der Umstand, dass sie zwar kurzfristig entlastet werden, langfristig aber stärker zur Kasse gebeten werden.
Hagen Kühn, der als Leiter der Forschungsgruppe Public Health am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin seit Jahren die Privatisierung der Krankenhäuser erforscht, hat laut Stern in den USA beobachtet, dass es in der Expansionsphase immer nett zugeht. Wenn ein Klinikkonzern Häuser kaufen will, ist er auf ein positives Image angewiesen. Erst wenn der Markt aufgeteilt ist, kann er die Gewinne hoch- und den Service herunterfahren. Das hieße: Die eigentlichen Kosten der Privatisierung werden erst später in Rechnung gestellt. Ein solcher Vergleich wäre ein klassisches Thema für eine Stiftung, die stets Leistungsvergleiche mit dem Ausland anstellt. Warum hat die Bertelsmann Stiftung eine solche, breit und über einen langen Zeitraum angelegte Studie über die langfristigen Kosten und Einsparungen durch Privatisierung von Krankenhäusern bislang nicht angestellt? Andererseits würde freilich einer solchen Studie der Stiftung jeder misstrauen und das zu Recht.
Einfluss auf die Gesundheitspolitik nimmt die Stiftung über ihren Thinktank Centrum für Krankenhaus Management (CKM), indem sie für eine Privatisierung von Krankenhäusern und mehr Eigenverantwortung der Patienten eintritt. »Mehr Eigenverantwortung ist das Codewort auch fürs Gesundheitswesen«, forderte Kanzler Gerhard Schröder 2003 in seiner Neujahrsansprache. Diese Worte könnten auch von der Bertelsmann Stiftung stammen. Das Thema Gesundheit ist Chefsache in der Stiftung, seitdem Liz Mohn an die Spitze rückte, denn mit diesem Thema hatte sie sich einst den Respekt ihres Mannes und durch die Gründung der Deutschen Schlaganfall-Stiftung den Zugang zur Stiftung erworben. Geleitet wird das Centrum von Wilfried von Eiff, dem früheren kaufmännischen Direktor der Universitätskliniken Gießen, die heute gemeinsam mit der fusionierten Klinik in Marburg zur Rhön-Gruppe gehört. Nach der beruflichen Station in Gießen ging von Eiff als Manager in die Automobilindustrie. Er arbeitete als Manager bei Audi in Ingolstadt, als Mohn ihn für sein Centrum anstellte. Vermutlich war Mohn das sehr sympathisch: Er brachte Fachwissen mit, kannte sich in einem Operationssaal aus, aber er kannte auch die Gesetzmäßigkeiten der Wirtschaft. Auch von Eiff sitzt im Aufsichtsrat eines privaten Klinikbetreibers; auch er ist also klar positioniert.
Von Eiff sagt, Reinhard Mohn würde sicher noch stärker für Privatisierung eintreten als er selbst. Er trete nicht pauschal und nicht immer für Privatisierung ein, vor allem die Lehre dürfe nicht privatisiert werden. Die Privatisierung der Unikliniken von Gießen und Marburg hat er allerdings unterstützt und dabei eine Rolle gespielt, indem er die hessische Landesregierung beriet. Diese Privatisierung sei »in Deutschland, ja in ganz Europa ohne Beispiel«3. Sie habe eine Bedeutung, die weit über Hessen hinausgehe. Es war die erste Privatisierung einer Uniklinik und sie zeige, dass eine solche Privatisierung möglich sei. Von Eiff glaubt, dass weitere Privatisierungen von Unikliniken folgen werden.
In Marburg meldete Rhön 2007 (bereits zwei Jahren nach der Übernahme) Gewinn. Die Zahl der Ärzte hatte sich erhöht (ein Hinweis auf mehr behandelte Fälle), die Zahl des Pflegepersonals dagegen verringert. 300 bis 470 der 6 400 Arbeitsplätze wurden abgebaut. Im Februar 2010 meldete Rhön eine Umsatzsteigerung um gut ein Zehntel und eine Verdopplung des Betriebsgewinnes im vierten Jahr. Der Umsatz des bisher einzigen privatisierten Uni-Klinikums kletterte demnach von 451,6 Millionen Euro im Vorjahr auf 500,3 Millionen Euro. Der Gewinn stieg von 2,2 Millionen Euro auf 4,8 Millionen Euro, nachdem er 2007 noch 1,1 Millionen Euro betragen hatte. Vor der Privatisierung hatte das Klinikum vor allem in Gießen Verluste gemacht.