Die BVG-Stiftung – Heimliches Machtzentrum der Familie Mohn?

Am 21. Dezember 2007 erkannte die Bezirksregierung in Detmold, die zuständige Stiftungsaufsicht für Gütersloh, eine weitere gemeinnützige Stiftung der Mohns an. Reinhard und Elisabeth Mohn nannten sie nach der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft BVG-Stiftung. Reinhard Mohn ernannte seine Sekretärin in der Bertelsmann Stiftung, Susanne Knetsch, zur Kontaktperson, und seine Frau Liz Mohn bildet den Vorstand – außer ihr ist niemand verfügungsberechtigt. Liz Mohn bestimmt also allein.

Als Zweck der Stiftung gaben die Mohns offiziell »Kinder-/Jugendhilfe, Waisen, mildtätige Zwecke, Wissenschaft und Forschung – allgemein Kunst und Kultur – allgemein Völkerverständigung« an. Dies ist eine Standardformulierung, die für alles und nichts steht. Die Mohns verwenden sie immer dann, wenn eine Stiftung nur als juristische Hülle ohne konkrete Aufgabe existiert und sie sich alles offenhalten wollen. Es ist also eine Stiftung auf Vorrat. Wortgleich lautet der Zweck der RM-Stiftung, die Reinhard Mohn ebenfalls 2007 gründete und die ebenfalls zunächst nur als Hülle existierte. Erst nach dem Tod von Reinhard Mohn zum Jubiläum 2010 wurde sie in Reinhard-Mohn-Stiftung umbenannt und mit Leben gefüllt. Ihr Kapital beträgt 100 000 Euro und sie soll von der AG jährlich rund 500 000 Euro erhalten, um damit Projekte in der Region um Gütersloh zu fördern. Christoph, einer der beiden Söhne von Liz und Reinhard, soll sie führen. Ist die BVG-Stiftung auch so ein Konstrukt, das irgendwann mit Leben gefüllt werden soll?

Klar ist nur, dass kaum jemand davon Notiz nimmt. Selbst langjährige Mitarbeiter der Stiftung wissen nichts von ihr. Bei Bertelsmann gibt es ein internes Telefonbuch, das so dick ist wie das Verzeichnis einer Großstadt und jede Abteilung und jeden Mitarbeiter, jede Sekretärin und jeden Telefonanschluss bis hin zum Centrum für Hochschulentwicklung und zum Anschluss des Zivildienstleistenden in der Schlaganfall-Hilfe fein säuberlich listet. Die BVG ist jedoch unerwähnt. Weder die BVG noch die BVG-Stiftung haben ein Büro innerhalb der AG oder der Stiftung und es gibt keinen Mitarbeiter, der nach außen oder intern als zuständig identifizierbar ist. Die Mechanismen der Macht sind ein Geheimnis bei Bertelsmann.

Neben der großen Bertelsmann Stiftung (seit 1977) existieren nun also die kleine Bertelsmann Wissenschaftsstiftung (für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur seit 1995), die Deutsche Schlaganfall-Hilfe (für Gesundheitswesen, Krankenhäuser, Wissenschaft und Forschung seit 1993), die Liz Mohn Kultur- und Musikstiftung (für Bildung, Erziehung, Ausbildung, Musik, Völkerverständigung seit 2005) sowie die Reinhard-Mohn-Stiftung. Die große Bertelsmann Stiftung und die von Liz Mohn gegründete Schlaganfallstiftung sind bekannt. Sie beschäftigen eigene Pressesprecher und sie suchen den Kontakt zur Öffentlichkeit. Über sie wird oft berichtet. Vor allem die Schlaganfall-Hilfe ist darauf angewiesen, weil sie sich im Gegensatz zur Bertelsmann Stiftung aus Spendengeldern finanziert. Die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation der Stiftung beschäftigt 25 Mitarbeiter inklusive dem Verlag der Bertelsmann Stiftung.

Die BVG-Stiftung ist nicht nur die kleinste, jüngste und unbekannteste, sondern sie könnte eines Tages die wichtigste und mächtigste der Stiftungen der Familen Mohn werden. Nach dem Tod von Reinhard Mohn am 3. Oktober 2009 berichtete die Lokalzeitung Die Glocke, das Stiftungskapital der BVG-Stiftung betrage 100 000 Euro. Als sich Die Glocke nach dem Sinn und Zweck erkundigte, antwortete Bertelsmann, die Stiftung sei in der Findungsphase und habe noch keine Mitarbeiter. (Tatsächlich hat eine gemeinnützige Stiftung nach der Gründung drei Jahre Zeit, mit konkreten Projekten zu beginnen.) So verfolgt sie bislang (noch) kein einziges konkretes Projekt und hat auch keine konkreten Pläne dazu, fördert also weder mildtätige Zwecke noch Waisenkinder, Musik oder Wissenschaft. Aber einen Zweck erfüllt sie schon: Es geht der BVG-Stiftung trotz ihres Status nicht um Gemeinnützigkeit. Die Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft mbH (BVG) ist das Machtzentrum von Bertelsmann. In ihr sind 100 Prozent der Stimmen gebündelt; sie trifft alle wichtigen Entscheidungen, bestimmt, wer Vorsitzender des Vorstands oder des Aufsichtsrates wird. Sie entscheidet auch über die Ausschüttung der Gewinne der Bertelsmann AG an die Bertelsmann Stiftung und an die Familienmitglieder Mohn.

Um diesen Zusammenhang zu verstehen, ist ein Blick auf die BVG nötig. Die BVG mbH existiert in unterschiedlichen Variationen bereits seit den achtziger Jahren. Zu Beginn hieß sie Bertelsmann Vermögensverwaltungsgesellschaft – ein Name, der ihren Zweck treffend beschreibt. Reinhard Mohn hat sie dann immer wieder modifiziert und den Gesellschaftervertrag laufend verändert, manchmal vollständig überarbeitet und praktisch ausgetauscht. Der Öffentlichkeit und den Mitarbeitern von Bertelsmann vermittelte er durch den Hinweis auf die BVG das Gefühl, ein Gremium aus kompetenten Managern und Mitgliedern der Familie leite Bertelsmann auf partnerschaftliche Art und Weise. Sich selbst sicherte er allerdings ein Veto für sämtliche Entscheidungen. Aber sonst zähle vor allem Sachverstand und nicht Herkunft. Mitglieder waren seit 1999 kraft ihrer Ämter der Vorstandsvorsitzende und der Aufsichtsratsvorsitzende der AG, die Familie Mohn entsandte einen Vertreter, ebenso die Stiftung, die Mitarbeiter und die Tochterfirmen der AG. Zunächst hatte sie acht, seit 2007 nur mehr sechs Gesellschafter. Das Management und die Mitarbeiter mussten Plätze räumen. Liz Mohn ist Mitglied des Aufsichtsrats und die Familie wird von Brigitte Mohn vertreten. Wer aber vertritt die Tochterfirmen? Zufälligerweise schickten die Tochterfirmen Christoph Mohn in die BVG. Das entschieden freilich weder Stiftung noch Tochterfirmen, sondern das regelte die Familie Mohn. Neben den drei Mohns sind heute Werner Bauer, Dieter Vogel und Jürgen Strube Gesellschafter der BVG.

Als Reinhard Mohn im Oktober 2009 starb, war es für die Öffentlichkeit eine große Neuigkeit, dass Liz Mohn von ihrem Mann sogar das Veto übertragen bekommen hat. Früher hatte es stets geheißen, das Veto sterbe mit Reinhard Mohn. In Wahrheit hatte Liz Mohn zu diesem Zeitpunkt jedoch längst Vorkehrungen getroffen, um der Familie dauerhaft die Macht in der BVG zu sichern, und zwar mit Hilfe der BVG-Stiftung. Ihr übertrug Liz Mohn als Geschäftsführerin der BVG am 28. April 2008 sechs Gesellschafteranteile in Höhe von jeweils 7 600 Euro. Das Gesamtkapital der BVG beträgt 60000 Euro. Den restlichen sechs Gesellschaftern verbleiben damit jeweils 2 400 Euro. Das bedeutet: Liz Mohn kontrolliert nun über ihren persönlichen Anteil und die Anteile der BVG-Stiftung als alleiniger Vorstand insgesamt 48 000 der 60 000 Euro der BVG – nahezu 80 Prozent. Die Anteile der BVG-Stiftung ergeben alleine (also ohne persönliche Anteile von Liz Mohn) bereits 76 Prozent. Über Vorstand, Gewinnausschüttung und ähnliches entscheidet die BVG mit einfacher Mehrheit. Die BVG-Stiftung sitzt allerdings noch nicht im Lenkungsausschuss, der die Entscheidungen trifft. Der Aufnahme in dieses Gremium müssten die anderen Mitglieder der BVG zustimmen. Liz Mohn selbst ist auf die BVG-Stiftung nicht angewiesen. Sie verfügt ja über ein Veto in der BVG, das sie ihren Kindern übertragen kann, wie ein internes Memo von einem juristischem Berater betont. Die Frage ist, ob die Familie danach die Macht abgeben muss. Hier kommt die BVG-Stiftung ins Spiel. Liz Mohn oder ihre Kinder müssen nur irgendwann durchsetzen, die BVG-Stiftung in den Lenkungsausschuss aufzunehmen. Dann wäre ihre Macht dauerhaft gesichert. Die BVG-Stiftung wäre dann das heimliche Machtzentrum, aus dem heraus die Familie Mohn die BVG und somit die Bertelsmann AG und die Bertelsmann Stiftung steuern könnte.

Die BVG ist ein Konstrukt, das der Öffentlichkeit gemeinschaftliche Führung und partnerschaftliche Beschlussfassung vortäuschen soll. In Wirklichkeit entscheidet eine einzige Person. Die anderen fünf Mitglieder der BVG sind lediglich ihre Berater, die letztendlich aber nichts zu sagen haben.

 

Reinhard Mohn hatte die Kontrolle seit vielen Jahren mit einer ähnlichen Konstruktion abgesichert, indem er über ein winziges Aktienpaket in der Johannes Mohn GmbH von nominell 500 Euro die gesamten Stimmrechte des Unternehmens hielt. Die GmbH wurde nach dem ältesten Sohn von Reinhard benannt, der aus der Ehe mit seiner ersten Frau Magdalene stammt (mit ihr hat Reinhard Mohn noch zwei Töchter). Dass die Kontrolle des Unternehmens über eine GmbH lief, die nach Johannes benannt war, ist purer Hohn, denn jahrelang hatte Reinhard seinem Sohn erzählt, er könnte das Unternehmen einmal erben und führen – bis seine zweite Frau Liz offenbar andere Pläne hatte.

Als Reinhard Mohn Ende Juni 1999, zwei Tage nach seinem 78. Geburtstag, seine Anteile der BVG überschrieb, dachte die Öffentlichkeit, Mohn hätte damit die 165-jährige Familientradition von Bertelsmann beendet. Mohn verkündete auf einer Pressekonferenz folgende Details: In der Verwaltungsgesellschaft sitze neben dem Aufsichtsrats- und dem Vorstandsvorsitzenden, einem Vertreter der Stiftung und einem der Mitarbeiter sowie der Beteiligungsfirmen der AG nur ein Familienmitglied. Die Berliner Zeitung kommentierte, dass Mohn, nachdem er bereits sein Vermögen in einer Selbstenteignungsaktion mehrheitlich der Bertelsmann Stiftung übertragen habe, er nun auch die Verfügungsgewalt über das Kapital und das Unternehmen abgegeben habe. Obwohl drei Kinder von Mohn bei Bertelsmann arbeiteten, habe die Familie in dem traditionsreichen Familienbetrieb nun so gut wie nichts mehr zu sagen. Reinhard Mohn sagte damals, er habe lange mit seinen Kindern über diese Lösung gesprochen. Vor allem der Umstand, dass der Familienvertreter gewählt würde, sei kontrovers diskutiert worden. Am Ende habe es jedoch eine »komplette Einigung« gegeben.

Ein Unternehmen sei nicht dazu da, Gewinn zu machen, sagte Mohn: »Kapital ist für uns ein Werkzeug. Der Leistungsbeitrag für die Gemeinschaft ist das übergeordnete Ziel.« Freilich seien Änderungen nicht völlig ausgeschlossen. Nicht völlig ausgeschlossen? Das ist weit untertrieben für all jene Änderungen, die die Mohns in den folgenden Jahren vornahmen. In den Folgejahren zeigte sich, dass der Eindruck von damals, Mohn habe das Vermögen der Stiftung geschenkt, völlig falsch war. Mohn hatte die Kontrolle über sein Unternehmen nie abgegeben. Im Gegenteil: Der Einfluss der Familie auf die AG und die Stiftung ist stärker denn je. Liz Mohn kann alles bestimmen. Familienvertreter müssen nicht darum bangen, gewählt zu werden.

Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik
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